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1-2-3-4-5-6-7-8-9-10-11-12- zweiter Teil

pascal                             Blaise Pascal

Pensées sur la religion et sur quelques autres sujets

Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände

 

 Erster Theil:
Gedanken, die sich auf Philosophie, Moral und schöne Wissenschaften beziehn

Neunter Abschnitt

Zerstreute Gedanken über Moral

1.

Alle guten Leute sind in der Welt, man unterläßt nur sie an zu wenden. Man zweifelt zum Beispiel nicht, daß man sein Leben Preis geben müsse für das öffentliche Wohl und viel thun es.
Aber beinahe niemand thut es für die Religion.

Es ist nöthig, daß Ungleichheit unter den Menschen sei, aber wird das zugegeben, so ist damit die Thür geöffnet nicht nur zur höchsten Oberherrschaft, sondern zur höchsten Tyrannei. Es ist nöthig sein Gemüth zu ergötzen, aber das öffnet die Thür zu den größten Ausschweifungen.

Man merke hier auf die Gränzen. Es giebt keine Gränzen in den Dingen, die Gesetze wollen Gränzen setzen und der Geist kann sie nicht dulden.

2.

Die Vernunft befiehlt uns viel gebietrischer als ein Herr, denn wenn wir diesem nicht gehorchen, sind wir unglücklich, gehorchen wir jener nicht, so sind wir Thoren.

3.

Warum willst du mich tödten? – Wie? wohnst du denn nicht auf der andern Seite des Wassers?
Mein Freund, wenn du auf dieser Seite wohntest, so würde ich ein Mörder sein, das wäre unrecht dich so zu tödten; aber weil du auf der andern Seite wohnest, so bin ich ein Tapfrer und es ist recht, daß ich dich tödte.

4.

Diejenigen, die unordentlich leben, sagen zu denen, die in der Ordnung sind, daß sie sich von der Natur entfernen und glauben selbst ihr zu folgen; gleichwie die, welche in einem Schiffe sind, glauben, daß die am Ufer sich entfernen. Die Sprache ist gleich auf beiden Seiten. Man muß einen festen Punkt haben darüber zu urtheilen. Der Hafen entscheidet für die im Schiff, wo aber finden wir diesen Punkt für die Moral?

5.

Wie die Mode die Annehmlichkeit macht, so macht sie auch das Recht. Wenn der Mensch wahrhaft das Recht kännte, so würde er nicht diesen Grundsatz, den allgemeinsten, den es unter den Menschen giebt, aufgestellt haben: »jeder folge den Sitten seines Landes;« hellleuchtend würde die wahre Billigkeit sich alle Völker unterworfen haben und die Gesetzgeber würden sich nicht statt jenes beständigen Rechts die Phantasien und Einfälle der Perser und der Deutschen zum Muster genommen haben, man würde es durch alle Staaten der Welt und in allen Zeiten aufgepflanzt haben.

6.

Das Recht ist, was festgestellt ist und so werden alle unsre festgestellten Gesetze nothwendig für gerecht gehalten, ohne untersucht zu werden, weil sie festgestellt sind.

7.

Die einzigen allgemeinen Regeln sind die Gesetze des Landes für die gewöhnlichen Dinge, und für die andern die Mehrheit. Woher kommt das? Von der Kraft, die darin liegt.

Daher kommt es auch, daß die Könige, die anders woher die Gewalt haben, nicht der Mehrheit ihrer Minister folgen.

8.

Ohne Zweifel ist die Gleichheit der Güter gerecht. Aber da man nicht machen konnte, daß der Mensch gezwungen wäre der Gerechtigkeit zu gehorchen, so hat man ihn der Gewalt gehorchen lassen; da man nicht dem Recht die Gewalt verleihen konnte, hat man der Gewalt Recht verliehen, damit beide, Recht und Gewalt, zusammen wären und Frieden bestünde, denn er ist das höchste Gut. Summum jus summa injuria. (Das höchste Recht das höchste Unrecht.)

Die Mehrheit ist der beste Weg, weil sie sichtbar ist und Gewalt hat Gehorsam zu erzwingen, indessen ist dies der Weg der weniger Einsichtsvollen.

Hätte man gekonnt, so würde man die Gewalt in die Hände der Gerechtigkeit gegeben haben, aber da die Gewalt sich nicht handhaben läßt, wie man will, weil sie eine handgreifliche Eigenschaft ist, während das Recht eine geistige ist, über die man verfügt, wie man will, so hat man das Recht in die Hände der Gewalt gegeben und nennt so Recht, was Gewalt zwingt zu beobachten.

9.

Es ist recht dem, was Recht ist, zu folgen, es ist nothwendig dem zu folgen, was das Stärkste ist. Das Recht ohne die Gewalt ist unvermögend, die Macht ohne das Recht ist tyrannisch. Das Recht ohne die Gewalt wird bestritten, weil es immer schlechte Menschen giebt; die Gewalt ohne das Recht wird angeklagt. Darum muß die das Recht und die Gewalt zusammengestellt werden, damit das, was recht ist, stark sei und das, was stark ist, gerecht sei.

Das Recht ist dem Streit unterworfen, die Gewalt ist wohl zu erkennen und ohne Streit. So braucht man denn nur dem Recht die Gewalt zu geben. Da man nicht im Stande war was recht ist stark zu machen, so hat man gemacht, daß das Starke recht sei.

10.

Es ist gefährlich dem Volk zu sagen, daß die Gesetze nicht gerecht sind, denn es gehorcht nur, weil es sie für gerecht hält. Daher muß man ihm zu gleicher Zeit sagen, daß es den Gesetzen gehorchen muß, weil sie Gesetze sind, wie den Ohren gehorcht werden muß, nicht weil sie gerecht, sondern weil sie Obere sind. Damit ist aller Empörung vorgebeugt, wenn man dies begreiflich machen kann. Das ist alles, worin eigentlich die Definition des Rechts besteht.

11.

Es wäre gut, wenn man den Gesetzen und Gewohnheiten gehorchte, weil sie Gesetze sind und wenn das Volks begriffe, daß das sie gerecht macht. Auf diese Weise würde man sie nie verlassen; hingegen wenn man ihre Gerechtigkeit von etwas anderm abhängig macht, ist es leicht sie zweifelhaft zu machen und das verursacht, daß die Völker zur Empörung geneigt sind.

12.

Wenn die Frage ist, ob man Krieg machen und so viele Menschen tödten, so viele Spanier zum Tode verdammen soll, so urtheilt darüber ein einziger Mensch und noch dazu einer, der dabei interessiert ist. Das müßte ein unpartheiischer Dritter sein.

13.

Diese Reden sind falsch und tyrannisch: ich bin schön, darum soll man mich fürchten; ich bin stark, darum soll man mich lieben; ich bin... das ist Tyrannei etwas auf einem Wege haben zu wollen, was man nur auf dem andern haben kann. Verschiednen Verdiensten giebt man verschiedne Ehren, die Ehre der Liebe dem Reiz der Liebenswürdigkeit, die Ehre der Furcht der Gewalt, die Ehre des Glaubens der Wissenschaft u.s.w. Man muß diese Ehren geben und man ist ungerecht, wenn man sie verweigert und ungerecht, wenn man andre verlangt.

Und eben so ist es falsch und tyrannisch zu sagen: Er ist nicht stark, darum achte ich ihn nicht, er ist nicht geschickt, darum fürchte ich ihn nicht. Die Tyrannei besteht in dem Verlangen nach einer allgemeinen Herschaft außer ihren Schranken.

14.

Es giebt Laster, die nur durch andre Laster an uns hängen, und die, wenn man den Stamm wegnimmt, sich wegbrechen lassen wie Zweige.

15.

Wenn die Schlechtigkeit ein Mal die Vernunft auf ihrer Seite hat, so wird sie stolz und breitet die Vernunft in all ihrem Glanze aus und wenn die Kasteiung und das strenge Leben erfolglos war zum wahren Wohl und man muß wieder dazu zurück kehren der Natur zu folgen, so wird sie stolz durch die Rückkehr.

16.

Das heißt nicht glücklich sein, wenn man im Stande ist durch das Vergnügen erfreut zu werden; denn dies kommt von außen und ist also abhängig und folglich der Störung unterworfen durch tausend Zufälle, aus welchen die unvermeidlichen Trübsale entstehen.

17.

Der größte Geist wird der Thorheit beschuldigt, wie die größte Schwäche. Nicht gilt für gut als die Mittelmäßigkeit. Das hat die Mehrheit so festgesetzt und sie fällt über jeden her, der aus der Mitte entwischen will, an welchem Ende es sei.

Ich werde mich dem nicht entgegensetzen, ich bin zufrieden, wenn man mich hinstellt und wenn ich mich weigere am untern Ende zu sein, so geschieht das nicht, weil es unten ist, sondern weil es Ende ist; denn ich würde eben so mich weigern, wenn man mich an das Ende stellte. Der scheidet aus der Menschheit, der aus der Mitte scheidet. Die Größe der menschlichen Seele besteht darin, daß man sich hier zu erhalten weiß und so wenig besteht ihre Größe darin von hier fort zu gehen, daß sei vielmehr darin sich zeigt gar nicht von hier zu weichen.

18.

Die Welt glaubt nicht, daß man sich auf Verse verstehe, wenn man nicht das Schild des Poeten ausgehängt hat, noch daß man in der Mathematik was weiß, wenn man nicht das Schild des Mathematikers hat. Aber die wahrhaft vernünftigen Leute wollen kein Aushängeschild und machen wenig Unterschied zwischen dem Handwerk des Poeten und des Goldstickers. Sie heißen weder Poeten noch Mathematiker; aber sie urtheilen von allen diesen. Man erräth sie nicht. Sie sprechen von den Dingen, von denen man sprach, als sie eintraten. Man bemerkt in ihnen nicht eine Eigenschaft eher als die andre, außer wenn es nöthig ist, davon Gebrauch zu machen; aber dann erinnert man sich deren, denn es gehört das beides gleich zu diesem Charakter, daß man von ihnen nicht sagt: sie sprechen gut, wenn nicht die Rede von Sprechen ist und daß man es von ihnen sagt, wenn davon die Rede ist.

Das ist also ein falsches Lob, wenn man von einem Menschen, sobald er eintritt, sagt: er sei sehr geschickt in der Poesie und es ist ein schlechtes Zeichen, wenn man sich nur dann an ihn wendet, sobald es sich darum handelt über einige Berufe zu urtheilen.

Der Mensch hat viel Bedürfnisse, er liebt nur den, der sie erfüllen kann. »Das ist ein guter Mathematiker, wird man sagen, aber ich habe mit Mathematik nichts zu thun. Das ist ein Mann, der gut den Krieg versteht, aber ich will keinen führen, gegen niemand.« Es gehört also ein vernünftiger Mann dazu um für alle unsre Bedürfnisse zu passen.

19.

Wenn man sich wohl befindet, so begreift man nicht, wie man thun würde, wenn man krank wäre, und wenn man es ist, nimmt man mit Freuden Arznei, das Uebel bringt dazu. Man hat nicht mehr die Leidenschaften und die Wünsche nach Vergnügen und Herumgehen, welche die Gesundheit einflößte und welche mit den Bedürfnissen der Krankheit unverträglich sind.

Die Natur stößt dann Leidenschaften und Wünsche ein die für den gegenwärtigen Zustand geeignet sind. Aengstliche Vorstellungen, die wir uns selbst machen und nicht die Natur, die allein sind es, die uns betrüben, denn sie verknüpfen mit dem Zustande, in welchem wir sind, die Leidenschaften des Zustandes, in welchem wir nicht sind.

20.

Die Reden von Demuth sind Stoff zum Hochmuth für die Hoffärtigen und zur Demuth für die Demüthigen. So sind die Reden des Pyrrhonismus und des Zweifels Stoff zur Beglaubigung für die Glaubenden.

Wenige Menschen sprechen von der Demuth demüthig, wenige von der Keuschheit keusch, vom Zweifel zweifelnd. Wir sind nichts als Lüge, Doppelsinn, Widerspruch. Wir verbergen uns und wir verstellen uns vor uns selbst.

21.

Die schönen Handlungen, die verborgen sind, sind die achtungswerthesten. Sehe ich dergleichen in der Geschichte, so gefallen sie mir sehr. Aber sie sind doch nicht ganz verborgen gehalten, weil sie bekannt geworden sind und dieses Wenige, wodurch sie ans Licht gekommen, vermindert ihren Werth. Denn das ist das Schönste, daß man es hat verbergen wollen.

22.

Ein Witzbold, ein schlechter Mensch.

23.

Das Ich ist hassenswerth und so sind diejenigen immer hassenswerth, die es nicht wegräumen, sondern die sich begnügen es nur zu verhüllen. »Keineswegs, werdet ihr sagen, denn wenn wir handeln, wie wir thun, dienstfertig gegen alle Welt, so hat man keinen Grund uns zu hassen.« Das ist wahr; wenn wir in dem Ich nichts mehr haßten als das Mißvergnügen, was uns von demselben herkommt. Aber wenn ich es hasse, weil es ungerecht ist und sich zum Mittelpunkt von allem macht, so muß ich es immer hassen.

Mit einem Wort, das Ich hat zwei Eigenschaften: es ist ungerecht an sich darin, daß es sich zum Mittelpunkt von allem macht, es ist den andern lästig darin, daß es sich dienstbar machen will; denn jedes Ich ist der Feind und wäre gern der Tyrann von allen andern.

Ihr nehmt daraus das Lästigsein weg und nicht die Ungerechtigkeit und so macht ihr es noch nicht liebenswürdig für die, welche daran die Ungerechtigkeit hassen, sondern nur für die Ungerechten, die darin nicht mehr ihren Feind sehen und so bleibt ihr ungerecht und könnt auch nur den Ungerechten gefallen.

24.

Ich bewundere nicht einen Mann, der eine Tugend in ihrer ganzen Vollkommenheit besitzt, wenn er nicht auch zu gleicher Zeit in gleichem Grade die entgegengesetzte Tugend hat. So war Epaminondas, er verband die höchste Tapferkeit mit der höchsten Milde. Denn sonst ist kein Steigen, sondern ein Fallen.

Man zeigt seine Größe nicht dadurch, daß man an dem einen Ende ist, sondern dadurch, daß man beide Enden berührt und alles zwischen beiden ausfüllt.

Vielleicht ist es aber auch nur ein plötzliches Verwegen der Seele von dem einen Extrem zum andern und sie ist in Wirklichkeit immer nur an einem Punkt, wie der Feuerbrand, den man herumdreht. Indessen zeigt das doch wenigstens die Beweglichkeit der Seele, wenn auch nicht ihre Ausdehnung.

25.

Wäre unser Zustand wirklich glücklich, so müßte man uns nicht davon abbringen an ihn zu denken.

Wenig tröstet uns, weil wenig uns betrübt.

26.

Ich hatte lange mit dem Studium abstracter Wissenschaften zugebracht, aber ich verlor den Geschmack daran, weil es so wenig Menschen gab, mit denen man darüber sich besprechen konnte. Als ich aber das Studium des Menschen anfing, sah ich, daß jene abstracte Wissenschaften ihm nicht angemessen sind und daß ich in sie mich vertiefend mich mehr von meiner Bestimmung entfernte als die andern, indem sie nichts von ihnen wissen, und ich vergab ihnen, daß sie sich nicht darum kümmern. Aber ich glaubte wenigstens viel Genossen bei dem Studium des Menschen zu finden, weil dieses doch das ihm angemessene Studium ist. Ich habe mich getäuscht. Es sind noch wenige Menschen, welche dies studiren, als welche Mathematik treiben.

27.

Wenn alles sich gleichmäßig bewegt, so scheint sich nichts zu bewegen, wie auf einem Schiff. Wenn alle zur Unordnung sich wenden, scheint keiner sich dahin zu wenden. Wer stille steht, macht die Bewegung der andern bemerkbar wie ein fester Punkt.

28.

Die Philosophen halten sich für sehr fein, weil sie ihre ganze Moral unter gewisse Abtheilungen eingezwängt haben. Aber wozu will man sie lieber in vier als in sechs eintheilen? wozu lieber vier als zehn Arten von Tugenden machen? wozu sie lieber in abstine et sustine (Verbote und Gebote) einzwängen als in irgend etwas anders? »Aber, sagt ihr, so ist alles in einem Wort eingeschlossen.« – Allerdings. Aber das ist unnütz, wenn man es nicht erklärt und wenn man daran geht es zu erklären und diese Lehre, die alle andern enthält, eröffnet, so kommen sie daraus eben in der ersten Verwirrung hervor, die ihr vermeiden wolltest, also wenn alle Lehren in eine eingeschlossen sind, so sind sie darin verborgen und unnütz und sobald man sie entwickeln will, erscheinen sie wieder in ihrer natürlichen Verwirrung.

Die Natur hat sie alle festgestellt jede für sich, und wenn man sie auch eine in die andre einschließen kann, so bestehn sie doch unabhängig von einander. Also haben alle diese Theilungen und Worte wenig andern Nutzen, als daß sie dem Gedächtnis helfen und zur Hinweisung dienen um zu finden was sie einschließen.

29.

Will man mit Nutzen tadeln, und einem andern zeigen, daß er sich irrt, so muß man beobachten, von welcher Seite er die Sache ansieht, denn von der Seite ist sie gewöhnlich wahr und muß ihm diese Wahrheit zugestehen. Er ist damit zufrieden, weil er sieht, daß er sich nicht geirrt und nur unterlassen hat alle Seiten zu sehn. Nun schämt man sich nicht, daß man nicht alles sieht; aber man will sich nicht geirrt haben und vielleicht kommt das daher, weil natürlicher Weise der Geist von der Seite, von welcher er es ansieht, sich nicht täuschen kann, wie alle Wahrnehmungen der Sinne immer wahr sind.

30.

Die Tugend des Menschen muß man nicht nach seinen Anstrengungen messen, sondern nach dem, was er gewöhnlich thut.

31.

Die Großen und die Kleinen haben dieselben Ereignisse, dieselben Widerwärtigkeiten, dieselben Leidenschaften, aber die einen sind auf der Höhe des Rades, und die andern näher am Mittelpunkt und so werden sie weniger umgetrieben durch dieselben Bewegungen.

32.

Wenn Menschen auch nicht bei dem, was sie sagen, interessirt sind, so muß man daraus doch nicht geradezu schließen, daß sie nicht lügen; denn es giebt Leute, die lügen bloß um zu lügen.

33.

Das Beispiel der Keuschheit Alexanders hat nicht so viele Enthaltsame gemacht als das Beispiel seiner Trunksucht Unmäßige gemacht hat. Weniger tugendhaft zu sein als er schämt man sich nicht und es scheint zu entschuldigen, wenn man nicht lasterhafter ist als er. Man glaubt nicht ganz und gar die Fehler des gemeinen Haufens zu haben, wenn man an sich die Fehler jener großen Männer sieht und doch bemerkt man nicht, daß sie darin eben zum gemeinen Haufen gehören. Man hält sich zu ihnen an dem Ende, wo sie sich zum Volk halten. Wie hoch sie auch seien, sie sind doch mit den übrigen Menschen verknüpft an irgend eine Stelle. Sie schweben nicht in der Luft, getrennt von unsrer Gemeinschaft. Wenn sie größer sind als wir, so besteht das darin, daß ihr Haupt höher ist, aber ihre Füße sind eben so niedrig als die unsrigen. Sie sind alle auf gleichem Boden und stützen sich auf dieselbe Erde und mit den Füßen sind sie so niedrig als wir, als die Kinder, als die Thiere.

34.

Der Kampf gefällt uns und nicht der Sieg. Man mag wohl die Kämpfe der Thiere gern sehen, nicht den blutgierigen Sieger auf dem Besiegten. Was wollte man denn sehen, wenn nicht das Ende des Sieges? Und sobald er erfolgt ist, hat man genug. So ist es auch im Spiel, so im Erforschen der Wahrheit. Gern sieht man in den Streitigkeiten den Kampf der Meinungen; aber die gefundne Wahrheit betrachten, das geschieht nicht. Will man machen, daß sie mit Vergnügen betrachtet werde, so muß man sie zeigen, wie sie aus dem Streit hervorgeht. Eben so ist es mit den Leidenschaften. Es ist ein Vergnügen zwei entgegengesetzte sich stoßen zu sehn, aber sobald eine die Herrin ist, so ist es nicht mehr die Rohheit.

Wir suchen nie die Dinge, sondern das Suchen der Dinge. So gelten auch im Schauspiel die ruhigen Szenen ohne Furcht nichts, eben so wenig das äußerste Elend ohne Hoffnung, noch die rohe Liebe.

35.

Man lehrt die Menschen nicht vernünftige rechtschaffende Leute sein und alles Uebrige lehrt man sie und dennoch sind sie auf nichts so sehr aus als hierauf. So sind sie gerade darauf aus das Einzige zu wissen, was sie gar nicht lernen.

36.

Welch ein thörichter Gedanke war es von Montaigne sich selbst zu schildern! und das nicht im Vorübergehen und wider seine Grundsätze, wie es jedem widerfährt sich zu verirren, sondern aus eignen Grundsätzen und nach einem ursprünglichen, angelegten Plan. Denn Thorheiten zufällig und aus Schwachheit zu sagen, das ist ein gewöhnliches Uebel, aber mit Absicht welche zu sagen, das ist unerträglich, und doch dazu solche!

37.

Die Unglücklichen zu beklagen ist nicht gegen die Selbstsucht; im Gegentheil, man ist sehr zufrieden damit sich dieses Zeugniß von Menschlichkeit geben und sich den Ruf der zarten Empfindung zuziehen zu können, ohne daß es etwas kostet. Das ist nicht viel.

38.

Wer die Freundschaft des Königs von England, des Königs aus Polen und der Königinn von Schweden besessen hätte, würde der geglaubt haben, ihm könnte je ein Zufluchtsort und ein Asyl in der Welt fehlen?

39.

Die Dinge haben verschiedene Eigenschaften und die Seele verschiedene Neigungen; denn nichts von dem, was sich der Seele darbietet, ist einfach und die Seele bietet sich keinem Gegenstand einfach dar. So kommt es, daß man bisweilen weint und lacht über dieselbe Sache.

40.

Es giebt verschiedene Gattungen von starken, von schönen, von guten Geistern und von Frommen, jeder von ihnen muß bei sich herschen, nicht anderswo. Zuweilen begegnen sie sich und der starke und der schöne schlagen sich thörichter Weise, wer von ihnen der Herr ein soll; ihre Herschaft ist von verschiedener Gattung. Sie verstehen sich nicht und ihr Fehler ist überall herschen zu wollen. Nichts kann das, selbst nicht die Gewalt; denn sie schafft nichts im Reich der Gelehrten, sie ist nur Herrin der äußern Handlungen.

41.

Ferox gens nullam esse vitam sine armis putat. (»Das wilde Geschlecht meint, es sei kein Leben ohne Waffen.«) Sie lieben mehr den Tod als den Frieden, die andern mehr den Tod als den Krieg. Jede Meinung kann über das Leben gesetzt werden, zu welchem doch die Liebe so stark und so natürlich scheint.

42.

Wie schwer ist es die Sache dem Urtheil eines andern vor zu legen, ohne sein Urtheil zu bestechen durch die Art, wie man sie vorlegt! Sagt man: Ich finde es schön, ich finde es dunkel, so zieht man die Vorstellung zu diesem Urtheil hin oder reizt sie zum entgegengesetzten. Es ist besser gar nichts zu sagen; denn dann urtheilt er, wie er ist, d.h. wie er dann ist und wie die andern Umstände, die man nicht gemacht hat, ihn eben gestimmt haben; wenn nicht auch dieses Stillschweigen seine Wirkung thut nach der Wendung und Auslegung, die er geneigt sein mag ihm zu geben, oder nach dem, was er aus dem Zug im Gesicht und dem Ton der Stimme vermuthet. So leicht ist es ein Urtheil aus seiner natürlichen Lage zu bringen, oder vielmehr so wenig giebt es feste und selbstständige Urtheile.

43.

Montaigne hat Recht: die Gewohnheit muß befolgt werden, sobald sie Gewohnheit ist und man sie eingeführt findet, ohne zu fragen, ob sie vernünftig ist oder nicht; es versteht sich immer von dem, was nicht gegen das natürliche oder göttliche Recht ist. Allerdings befolgt das Volk die Gewohnheit nur aus dem einzigen Grunde, daß es sie für recht hält, sonst würde es sie nicht mehr befolgen; denn man will nur der Vernunft oder dem Recht unterworfen sein. Die Gewohnheit ohne dieses würde für Tyrannei gelten, während die Herschaft der Vernunft und des Rechts eben so wenig Tyrannei ist als die der Lust.

44.

Zur Zeit der Trübsal wird uns die Kenntniß der äußern Dinge nicht trösten über die Unbekanntschaft mit der Moral; aber die Kenntniß der Sitten wird uns immer trösten über die Unbekanntschaft mit den äußern Dingen.

45.

Die Zeit dämpft die Betrübnisse und die Streitigkeiten, weil man selbst sich ändert und gleichsam eine andre Person wird. Weder der Beleidiger noch der Beleidigte sind mehr dieselben. Es ist wie wenn man ein Volk gereizt hat und sähe es nach zwei Generationen wieder. Es sind noch die Franzosen, aber nicht dieselben.

46.

Zustand des Menschen: Unbeständigkeit, Langeweile, Unruhe. Wer vollkommen die Eitelkeit des Menschen kennen lernen will, braucht nur die Ursachen und die Wirkungen der Liebe zu betrachten. Die Ursache ist ein »Ich weiß nicht was« (Corneille) und die Wirkungen sind furchtbar. Dieses »Ich weiß nicht was«, etwas so Geringes, daß man es nicht zu erkennen vermag, bewegt die ganze Erde, die Fürsten, die Heere, die weite Welt. Wäre das Netz der Cleopatra kleiner gewesen, so wäre die ganze Gestalt der Erde anders geworden.

47.

Cäsar war zu alt, wie es mir scheint, um sich ein Vergnügen daraus zu machen die Welt zu erobern. Dieses Vergnügen war gut für Alexander, das war ein junger Mensch, schwer an zu halten; aber Cäsar mußte reifer sein.

48.

Das Gefühl von der Falschheit der Freuden, die wir haben, und die Unbekanntschaft mit der Eitelkeit der Freuden, die wir nicht haben, bewirken die Unbeständigkeit.

49.

Die Fürsten und die Könige treiben auch mitunter Kurzweil. Sie sind nicht immer auf ihren Thronen, da würden sie sich langweilen. Es ist nöthig die Größe zu verlassen um sie zu empfinden.

50.

Meine Laune hängt wenig vom Wetter ab. Ich habe meinen Nebel und mein schönes Wetter in mir. Selbst das Wohl und Weh meiner Angelegenheiten macht dabei wenig. Ich sträube mich zuweilen aus mir selbst gegen das böse Geschick und die Ehre es zu dämpfen macht mich es freudig dämpfen, wogegen ich zu andrer Zeit mich gleichgültig stelle gegen das gute Geschick, als möchte ich es nicht haben.

51.

Während ich meinen Gedanken ausschreibe, entgeht er mir bisweilen; aber das erinnert mich an meine Schwäche, die ich alle Augenblick vergesse und das belehrt mich eben so viel als mein vergessener Gedanke, denn ich strebe allein darnach mein Nichts zu erkennen.

52.

Es ist unterhaltend zu sehen, daß es Menschen in der Welt giebt, die allen Gesetzen Gottes und der Natur entsagt und nur sich selbst welche gemacht haben, denen sie gewissenhaft gehorchen, als z.B. die Räuber u.s.w.

53.

»Dieser Hund gehört mir,« sagten jene armen Kinder. »Das ist hier mein Platz an der Sonne.« Das ist der Anfang und das Bild von der Usurpation der ganzen Erde.

54.

»Sie sehen übel aus, entschuldigen Sie gütigst.« – Ohne diese Entschuldigung würde ich nicht gemerkt haben, daß hier eine Beleidigung ist. Mit Erlaubniß zu sagen, es ist nichts übel als nur die Entschuldigung.

55.

Gewöhnlich stellt man sich Plato und Aristoteles nicht andres als in großen Gewändern vor, immer ernst und ehrbar. Sie waren ehrliche Leute, die, wie andre, mit ihren Freunden lachten und wenn sie ihre Gesetze und ihre Abhandlungen über die Staatskunst abfaßten, so war das, während sie lustig waren und um sich zu zerstreuen. Das war der wenigst philosophische und der wenigst ernsthafte Theil ihres Lebens; der am Meisten philosophische Theil war einfach und ruhig zu leben.

56.

Der Mensch liebt die Bosheit, aber nicht gegen die Unglücklichen, sondern gegen die übermüthigen Glücklichen und wenn man anders darüber urtheilt, täuscht man sich.

Martials Epigramm auf die Einäugigen taugt nichts, weil es sie nicht tröstet und nur einen Witz giebt, zum Ruhm des Verfassers. Alles, was nur für den Autor ist, taugt nichts. Ambitiosa recidet ornamenta (Der Dichter wird die anspruchsvollen Ausschmückungen wegschneiden.) man muß denen gefallen, die menschliche und sanfte Gesinnungen haben und nicht den rohen und unmenschlichen Seelen.

57.

Ich habe mich übel befunden und von Höflichkeiten: »Ich habe Ihnen viel Mühe gemacht. Ich fürchte Sie zu belästigen. Ich fürchte, es wird zu lange.« Entweder man zieht mich mit oder man bringt mich auf.

58.

Ein wahrer Freund ist ein großer Vortheil, selbst für die großen Herren, damit er Gutes von ihnen rede und sie in ihrer Abwesenheit unterstütze, so daß sie alles thun müssen um einen zu haben. Aber sie müssen, um einen zu haben. Aber sie müssen auch gut wählen. Denn wenn sie alle ihre Anstrengungen für einen Thoren machen, so ist ihnen das unnütz, was er auch Gutes von ihnen rede, ja, er wird nicht ein Mal Gutes reden, wenn er findet, daß er der Schwächste ist; denn er hat kein Ansehn und so wird er noch zur Gesellschaft mit lästern.

59.

Willst du, daß man Gutes von dir rede? Sage du selbst nichts der Art.

60.

Man spottet nicht über diejenigen, welche sich durch Aemter und Würden ehren lassen; denn man liebt jedermann nur um geborgter Eigenschaften willen. Alle Menschen hassen sich von Natur.
Ich behaupte: wenn sie genau wüßten, was sie einer vom andern sagen, so gäbe es nicht vier Freunde in der Welt. Das zeigt sich in den Streitigkeiten, welche sich erheben, wenn man zuweilen unbedachte Mittheilungen von dem Gesprochenen macht Der Tod ist viel leichter zu ertragen ohne daran zu denken als der Gedanke des Todes ohne Gefahr.

62.

Daß etwas so Sichtliches als die Eitelkeit der Welt so wenig gekannt ist, daß es seltsam und überraschend erscheint, wenn man sagt: es sei Thorheit die Größe zu suchen, das ist bewundernswerth.

Wer nicht die Eitelkeit der Welt sieht, ist selbst sehr eitel. Aber wer sieht sie auch nicht, ausgenommen die jungen Leute, die ganz im Getümmel, im Vergnügen und ohne Gedanken an die Zukunft sind? Nehmt ihnen ihre Vergnügungen, so seht ihr sie verschmachten vor langer Weile; sie fühlen dann ihr Nichts ohne es zu kennen. Denn das heißt doch sehr unglücklich sein, wenn man eine unerträgliche Traurigkeit fühlt, sobald man dahin gebracht ist sich selbst zu betrachten, ohne davon abgekehrt zu werden.

63.

Jede Sache ist zum Theil wahr und zum Theil unwahr. Die wesentliche Wahrheit ist nicht so, sie ist ganz rein und ganz wahr. Diese Mischung entehrt und vernichtet sie. Nichts ist wahr, nämlich wenn man es von dem reinen Wahren versteht. Man wird sagen: der Mensch ist schlecht. Ja, denn wir kennen das Böse und Falsche. Aber was will man behaupten, daß es gut sei? die Keuschheit?
Ich sage: nein, denn die Menschheit würde aufhören. Das Heirathen? Nein; denn die Enthaltsamkeit ist besser. Nicht zu tödten? Nein, denn die Unordnung würde furchtbar sein und die Bösen würden die Guten tödten. Zu tödten? Nein; denn das zerstört die Natur.

Wir haben Wahres und Gutes nur zum Theil und gemischt mit Bösem und Falschem.

64.

Das Böse ist leicht zu finden, denn es ist eine Menge da; das Gute ist beinahe einzig. Aber eine gewisse Art des Bösen ist ebenso schwer zu finden als das, was man gut nennt und oft macht man unter diesem Namen das besondere Böse als Gutes gelten.... Es gehört sogar eine außerordentliche Größe der Seele dazu um es zu erreichen, wie um das Gute zu erreichen.

65.

Die Bande, welche die Ehrfurcht der einen an die andern knüpfen, sind im Allgemeinen Bande der Nothwendigkeit. Denn verschiedne Stufen müssen sein, da alle Menschen herschen wollen und nicht alle es können, sondern nur einige. Aber die Bande, welche die Ehrfurcht an diesen und jenen ins Besondere knüpfen, sind Bande der Einbildung.

66.

Wir sind so unglücklich, daß wir uns nie anders an einer Sache erfreuen dürfen als allein unter der Bedingung uns zu ärgern, wenn sie schlecht ausfällt, was tausend Dinge bewirken können und alle Augenblick bewirken. Wer das Geheimniß gefunden hätte sich des Guten zu freuen ohne vom entgegengesetzten Bösen berührt zu werden, der hätte den Punkt getroffen.

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“... Pascal; in seinen Pensées finden sich die tiefsten Blicke.”  (Hegel)

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