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Blaise Pascal Pensées sur la religion et sur quelques autres sujets Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände
Erster Theil: Achter Abschnitt Gründe einiger Volksmeinungen 1. Ich will hier meine Gedanken aufschreiben, ohne Ordnung und doch vielleicht nicht in Verwirrung, ohne Plan; das ist die wahre Ordnung, die auch immer durch die Unordnung selbst meinen Zweck bezeichnen wird. Wir werden sehn, daß alle Volksmeinungen recht verständig sind, daß das Volk nicht so töricht ist als man sagt und das also die Meinung, welche die Volksmeinung zerstört, selbst untergehen muß. 2. In einem gewissen Sinne ist es wahr, wenn man sagt, daß alle Welt in der Täuschung ist; denn obgleich die Meinungen des Volkes verständig sind, so sind sie es doch nicht in seinem Kopfe, weil es glaubt, daß die Wahrheit da sei, wo sie nicht ist. Die Wahrheit ist wohl in ihren Meinungen, aber nicht auf dem Punkt, wo sie sich denken. 3. Das Volk verehrt die Personen von hoher Geburt. Die Halbgebildeten verachten sie und sagen: die Geburt sei nicht ein Vorzug der Person, sondern des Zufalls. Die Gebildeten ehren sie nicht nach der Ansicht des Volks, sondern nach einer höhern Ansicht. Einige Eiferer, die nicht viel Kenntniß besitzen, verachten sie trotz jenes Ansehns, das sie den Gebildeten verehrenswerth macht, weil sie dafür nach einem neuen Licht, das ihnen ihre Frömmigkeit giebt, urtheilen. Aber die vollkommenen Christen ehren sie nach einem andern höhern Licht. So wechseln die Meinungen und folgen sich dafür und dagegen, je nachdem man Einsicht hat. 4. Das größte aller Uebel ist der Bürgerkrieg. Er ist gewiß, wenn man das Verdienst belohnen will, denn alle würden sagen sie haben Verdienst. Das Uebel, das zu befürchten steht von einem albernen Menschen, der durch das Recht der Geburt nachfolgt, ist weder noch so groß noch so gewiß. 5. Warum folgt man der Mehrheit? Weil sie mehr Recht hat? Nein, sondern weil sie mehr Gewalt hat. Warum folgt man den alten Gesetzen und den alten Meinungen? Weil sie verständiger sind? Nein, sondern sie sind einzig und benehmen uns den Grund zur Verschiedenheit der Ansichten. 6. Das Reich, das auf die Meinung und Einbildung gegründet ist, herscht einige Zeit, es ist sanft und freiwillig. Das Reich der Gewalt herscht immer. So ist die Meinung gleichsam de Königinn der Welt, aber die Gewalt ist ihr Herr. 7. Wie wohl hat man daran gethan die Menschen mehr nach dem Aeußern zu unterscheiden als nach den innern Eigenschaften! Wer von uns beiden soll vorangehn? wer soll dem andern den Platz räumen? der weniger Kluge? Aber ich bin eben so klug als er. Wir werden uns darum schlagen müssen. Er hat vier Dinge und ich nur einen, das ist zu sehen, man braucht nur zu zählen. Also ich muß weichen und ich bin ein Narr, wenn ich streite. Durch dieses Mittel sind wir in Frieden, was das Größte aller Güter ist. 8. Die Gewohnheit die Könige von Garden, Trommelschlägern, Officieren und von allen Dingen, die das Ganze zu Ehrfurcht und Schrecken beugen, umgeben zu sehen, macht, daß ihr Antlitz, wenn es bisweilen allein und ohne diese Begleitung ist, ihren Unterthanen Ehrfurcht und Schrecken einflößt, denn man trennt nicht in Gedanken ihre Person von ihrem Gefolge, das man gewöhnlich mit ihnen sieht. Die Welt, die nicht weiß, daß diese Wirkung ihren Ursprung in jener Gewohnheit hat, glaubt sie komme von einer natürlichen Kraft und daher die Redensarten: »der Zug der Göttlichkeit ist seinem Antlitz ausgedrückt« u.s.w. Die Macht der Könige ist gegründet auf die Vernunft und auf die Thorheit des Volks und zwar weit mehr auf die Thorheit. Das Größte und Wichtigste in der Welt hat zur Grundlage die Schwäche und diese Grundlage ist bewunderswürdig sicher; denn nichts ist sichrer als daß das Volk schwach sein wird. Was allein auf die Vernunft gegründet ist, steht sehr schlecht gegründet, wie z.B. die Achtung der Weisheit. 9. Unsre obrigkeitlichen Personen haben dieses Geheimniß wohl erkannt. Ihre rothen Röcke, ihre Hermelinmäntel, in welche sie sich einwickeln wie vermummte Katzen, die Paläste, wo sie richten, die Lilien, alle diese erhabne Zurüstung war nöthig und wenn die Aerzte nicht lange Röcke und große Schuhe und die Doctoren nicht viereckige Mützen und Roben, zu weit für ihre viere, hätten, so würden sie nie die Welt gefoppt haben, doch solchen authentischen sichern Probe kann sie nicht widerstehn. Bloß die Kriegsleute haben sich nicht so vermummt, weil allerdings ihr Theil mehr wesentlich ist. Sie befestigen sich durch die Gewalt, die andern durch Verstellung. Daher haben auch unsre Könige diese Verhüllungen nicht gesucht. Sie haben sich nicht mit außerordentlichen Kleidern maskiert um als Könige zu erscheinen; aber sie lassen sich begleiten von Leibwachen und Hellebardirern, von diesen pausbackigen Waffenknechten, die Hände und Kraft nur für sie haben. Die Trompeter und die Trommelschläger, die vorausgehen, und die Legionen, die sie umgeben, machen die festesten Gemüther zittern. Sie haben nicht allein das Kleid, sie haben die Gewalt. Man muß einen sehr freien Geist haben um den Großherrn in seinem prächtigen Serail von vierzig tausend Janitscharen umgeben an zu sehn wie einen andren Menschen. Hätten die obrigkeitlichen Personen die wahre Gerechtigkeit, hätten die Aerzte die wahre Kunst zu heilen, so brauchten sie nichts mehr als viereckige Mützen. Das Ansehn jener Wissenschaft würde von selbst ehrwürdig genug sein. Da sie aber nur eingebildetes Wissen haben, so müssen sie zu jenen eiteln Ausschmückungen greifen, welche die Einbildungskraft, mit de sie es zu thun haben, anregen und dadurch verschaffen sie sich denn in der That Achtung. Wir sind im Stande einen Advokaten in dem langen Rock und mit der Mütze auf dem Kopfe zu sehen, ohne eine vorteilhafte Meinung von seiner Tüchtigkeit zu fassen. Die Schweizer ärgern sich, wenn sie Adlige genannt werden und beweisen ihr bürgerliches Herkommen um großer Aemter würdig gehalten zu werden. 10. Ein Schiff zu führen wählt man nicht den unter den Reisenden aus, der vom besten Hause ist. Jedermann sieht, daß man für's Ungewisse arbeitet, auf der See, in der Schlacht u.s.w., aber niemand kennt die Regel des Spiels, die zeigt, warum man es soll. Montaigne hat eingesehn, daß man Anstoß nimmt an einem hinkenden Geist und daß die Gewohnheit alles thut; aber er hat nicht den Grund eingesehn, warum das so ist. Die, welche nur die Wirkungen sehen und nicht die Ursachen, sind im Vergleich mit denen, welche die Ursachen entdecken, wie diejenigen, welche nur Augen haben im Vergleich mit denen, die Geist haben. Denn die Wirkungen sind gleichsam fühlbar und die Gründe sind sichtbar nur dem Geiste und obgleich es der Geist ist, durch den diese Wirkungen erkannt werden, so ist doch dieser Geist im Vergleich mit dem, welcher die Ursachen sieht, wie die leiblichen Sinne sind im Vergleich mit dem Geiste. 11. Woher kommt es, daß ein Hinkender uns nicht erzürnt, aber wohl ein hinkender Geist? Das kommt daher, weil ein Hinkender erkennt, daß wir recht gehen und ein hinkender Geist sagt, daß wir es sind, die hinken, wäre das nicht, so würden wir mehr Mitleid als Zorn gegen ihn fühlen. Epiktet fragt auch, warum wir nicht böse werden, wenn man sagt, daß wir Kopfschmerzen haben, aber wohl, wenn man sagt, daß wir schlecht urtheilen oder schlecht wählen? Das kommt daher, weil wir ganz gewiß sind nicht Kopfschmerzen zu haben und nicht zu hinken. Aber wir sind nicht eben so sicher, daß wir das Wahre wählen. Wir haben dafür keine andere Sicherheit, als daß wir es nach unsrer besten Einsicht erkennen; wenn nun ein andrer nach seiner besten Einsicht das Gegentheil erkennt, so macht uns das schwankend und stutzig und das noch mehr, wenn tausend andre über unsre Wahl spotten, denn wir sollen dann unsre Einsicht der Einsicht von so vielen andern vorziehn und das ist kühn und schwer. Nie giebt es einen solchen Widerspruch in den Sinnen in Betreff eines Hinkenden. 12. Der Respect sagt: »Mache dir Ungelegenheit.« Das ist eitel dem Scheine nach, aber ganz recht, denn es heißt so viel als: ich würde mir Ungelegenheit machen, wenn du es brauchtest, da ich es thue, ohne daß es dir nützt. Außerdem dient auch die Ehrerbietung um die Großen aus zu zeichnen. Wenn es Respect wäre in einem Lehnstuhl zu sitzen, so würde man alle Welt ehren, und also nicht auszeichnen, aber indem man sich Ungelegenheit macht, zeichnet man sehr wohl aus. 13. Prächtig gekleidet zu sein ist nicht so ganz eitel, man zeigt damit, daß eine große Zahl von Leuten für uns arbeiten, man zeigt durch seine Haare, daß man einen Kammerdiener hat, einen Parfümeur u.s.w. durch seinen Kragen den Faden und die Borte u.s.w. Es ist aber nicht ein oberflächliches Wesen, nicht ein bloßes Kleid viel Arme zu seinen Diensten zu haben. 14. Das ist wunderbar: man will nicht, daß ich einen Menschen ehre, der in Brokatell gekleidet ist und dem sieben oder acht Lakaien folgen. Ach was! er wird mir die Peitsche geben lassen, wenn ich ihn nicht grüße. Dieses Kleid, das ist eine Macht; anders ist es mit einem wohl aufgeschirrten Pferde im Vergleich zu einem andern. Montaigne ist lächerlich, daß er nicht sieht, was für ein Unterschied es ist zu bewundern, daß man hier einen findet und nach dem Grunde davon zu fragen. 15. Das Volk hat sehr gesunde Meinungen, z.B. daß es das Vergnügen und die Jagd lieber gewählt hat als die Poesie. Die Halbgelehrten spotten darüber und thun sich was darauf zu gut darin seine Thorheit zu zeigen; aber es hat Recht aus einem Grunde, den sie nicht ergründen. Es thut auch wohl die Menschen nach dem Aeußerlichen zu unterschieden, als z.B. nach der Geburt oder nach dem Besitz. Die Welt thut sich wieder gleichfalls etwas darauf zu gut zu zeigen, wie unvernünftig das sei, aber das ist sehr vernünftig. 16. Es ist so ein Vortheil von Stande zu sein. Ein Mensch von achtzehn oder zwanzig Jahren kommt dadurch in eine solche Stellung, gekannt und geehrt, wie ein andrer von funfzig Jahren sich vielleicht verdienen mag. Das sind dreißig Jahre gewonnen ohne Mühe. 17. Es giebt Leute, die, um zu zeigen, daß man unrecht thut sie nicht zu achten, nie unterlassen das Beispiel von angesehenen vornehmen Personen, die auf sie etwas halten, an zu führen. Ich möchte ihnen antworten: Zeigt uns das Verdienst, wodurch ihr euch die Achtung jener Personen zugezogen habt, und wir werden euch ebenso achten. 18. Wenn sich ein Mensch an das Fenster setzt um die Vorübergehenden zu betrachten und ich gehe da vorbei, kann ich sagen, daß er sich dahin gesetzt hat um mich zu sehen? Nein, denn er denkt nicht an mich besonders. Aber der, welcher ein Weib liebt um ihrer Schön heit willen, liebt er sie? Nein; denn die Pocken, die ihr die Schönheit rauben ohne sie zu tödten, erden machen, daß er sie nicht mehr liebt; und wenn man mich liebt um meines Urtheils oder meines Gedächtnisses willen, liebt man mich? Nein; denn ich kann diese Eigenschaften verlieren ohne auf zu hören zu sein. Was ist denn dies Ich, wenn es nicht im Leibe und nicht in der Seele ist? Und wie mag man den Leib oder die Seele anders lieben als um dieser Eigenschaften willen, die nicht das Ich machen, weil sie vergänglich sind? Denn würde man wohl die Substanz der Seele eines Menschen abstract lieben, welche Eigenschaften auch an ihr währen? Das geht nicht und wäre ungerecht. Man liebt also nie die Person, sondern allein die Eigenschaften, oder wenn man die Person liebt, so muß man sagen, daß die Vereinigung der Eigenschaften die Person ausmacht. 19. Das, was uns am Meisten am Herzen liegt, ist am Häufigsten nichts, wie z.B. zu verbergen, daß man wenig hat. Das ist ein Nichts, was unsre Einbildung zu einem Berge vergrößert. Eine andre Wendung der Einbildung läßt uns das ohne Mühe entdecken. Diejenigen, welche im Stande sind zu erfinden, sind selten; diejenigen, welche nichts erfinden, sind in viel größerer Zahl und folglich die Stärksten und so sieht man, daß sie gewöhnlich, den Erfindern die Ehre versagen, welche sie verdienen und durch ihre Erfindungen suchen. Bestehen sie darauf sie zu begehren, und diejenigen, welche nicht erfinden, mit Verachtung zu behandeln, so ist alles, was sie damit gewinnen, daß man ihnen Spottnamen giebt und sie wie Schwärmer behandelt. Man muß sich also wohl hüten auf diesen Gewinn, so groß er ist, erspricht zu sein und man soll sich begnügen von der kleinen Zahl derer, die den Werth der Erfindung kennen, geschätzt zu werden. |
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