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1-2-3-4-5-6-7-8-9-10-11-12- zweiter Teil

pascal                               Blaise Pascal

Pensées sur la religion et sur quelques autres sujets

Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände

 

 Erster Theil:
Gedanken, die sich auf Philosophie, Moral und schöne Wissenschaften beziehn

Zwölfter Abschnitt.

Ueber den Stand der Großen.

1.

Um zur wahren Kenntniß von Ihrem Stande zu gelangen, betrachten Sie ihn in folgendem Bilde.

Ein Mensch wurde durch den Sturm auf eine unbekannte Insel geworfen, deren Einwohner in Noth waren ihren König zu finden, der sich verloren hatte, und da dieser Mensch zufällig viel Aenlichkeit an Gestalt und Gesicht mit jenem König besaß, so wurde er für diesen gehalten und von dem ganzen Volke als König anerkannt. Anfangs wußte er nicht, was er thun sollte, aber zuletzt beschloß er sich seinem guten Glück zu überlassen. Er nahm also alle die Ehren an, die man ihm bezeugen wollte und ließ sich als König behandeln.

Aber da er doch seinen natürlichen Stand nicht vergessen konnte, dachte er zu gleicher Zeit, wenn er diese Ehrenbezeugungen empfing, daß er nicht der König wäre, welchen das Volk suchte und daß dieses Reich ihm nicht zugehörte. So hatte er denn einen doppelten Gedanken, nach dem einen handelte er als König, nach dem andern erkannte er seinen wahren Zustand und sah ein, daß nur der Zufall ihn an die Stelle, wo er war, geführt hatte. Er verbarg diesen letzten Gedanken und offenbarte den ersten; nach dem ersten verfuhr er mit dem Volk und nach dem letzten mit sich selbst.

Meinen Sie nicht, daß das ein geringerer Zufall sei, wodurch Sie die Reichthümer, über die Sie gebieten, gefunden haben, als der Zufall, durch welchen jener Mensch den Thron fand. Sie haben daran kein Recht weder von sich selbst noch von Ihrer Natur, eben so wenig als jener und Sie sind nicht bloß Sohn eines Herzogs, sondern sind auch selbst in der Welt nur durch eine Menge von Zufällen. Ihre Geburt hängt ab von einer Verheirathung oder vielmehr von allen den Verheirathungen derer, von denen Sie abstammen. Aber wovon hängen diese Verheirathungen ab? Von einem gelegentlichen Besuch, von einem Gespräch im Freien, von tausend unvorhergesehenen Gelegenheiten.

Sie besitzen, sagen Sie, Ihre Reichthümer von Ihren Vorfahren. Aber gehörten dazu nicht tausend Zufälligkeiten, daß Ihre Vorfahren sie erworben und sie Ihnen erhalten haben? Tausend andre, eben so tüchtig wie Sie, konnten sie nicht erwerben oder haben sie wieder verloren, nachdem sie sie erworben. Denken Sie vielleicht auch, daß diese Güter auf einem natürlichen Wege von Ihren Vorfahren auf Sie über gegangen sind? Das ist nicht wahr.

Diese Ordnung beruht nur allein auf dem Willen der Gesetzgeber, die ihre guten Gründe gehabt haben können sie fest zu stellen, aber keiner von diesen Gründen ist gewißlich von einem natürlichen Recht hergenommen, welches Sie an diese Dinge haben möchten. Wenn es ihnen gefallen hätte zu verordnen, daß diese Güter, nachdem die Väter sie während ihres Lebens besessen, wieder nach ihrem Tode an den Staat zurück fallen sollten, so würden Sie keinen Grund haben sich darüber zu beklagen.

Auf diese Weise ist jeder Titel, durch welchen Sie Ihr Gut besitzen nicht auf die Natur, sondern auf eine menschliche Einrichtung gegründet. Eine andre Wendung in den Gedanken derer, welche die Gesetze abgefasst haben, hätte Sie arm gemacht und nur dieses Zusammentreffen des Zufalls, durch den Sie geboren wurden, mit der Laune der Gesetze, was sich für Sie so günstig gefunden hat, ist es, was Sie in den Besitz aller dieser Güter setzt.

Ich will nicht behaupten, daß sie Ihnen nicht gesetzmäßig zugehören und daß es einem andern frei stünde sie Ihnen zu nehmen, denn Gott, welcher der Herr über die Güter ist, hat den Gesellschaften erlaubt Gesetze über deren Vertheilung zu machen und wenn diese Gesetze ein Mal festgestellt sind, ist es Unrecht sie zu übertreten. Das unterscheidet Sie ein wenig von jenem Mann, von welchem wir erst sprachen, welcher sein Königreich nur durch den Irrthum des Volks besitzen würde, denn Gott würde diesen Besitz nicht bestättigen und würde ihn verpflichten demselben zu entsagen, statt daß er den Ihrigen bestättiget. Aber was Sie ganz mit jenem gemein haben, ist, daß Ihr Recht daran, eben so wenig als das seinige gegründet ist auf irgend eine Eigenschaft und irgend ein Verdienst, das in Ihnen ist und Sie dessen würdig macht. Ihre Seele und Ihr Leib stehen an sich selbst gleich wenig im Verhältniß zum Stand eines Kahnschiffers oder eines Herzogs und es giebt kein natürliches Band, welches Sie mehr an den einen als an den andern Stand knüpfen sollte.

Was folgt daraus? Sie müssen wie jener Mann, von dem wir gesprochen, einen doppelten Gedanken haben und wenn Sie äußerlich mit den Menschen nach Ihrem Range umgehen, müssen Sie verborgner aber wahrer bei sich denken, daß Sie von Natur nichts vor ihnen voraus haben. Wenn der öffentliche Gedanke Sie über den großen Hausen erhebt, so erniedrige Sie der andre und halte Sie in einer vollkommnen Gleichheit mit den Menschen; denn das ist Ihr natürlicher Stand.

Das Volk, welches Sie bewundert, kennt vielleicht nicht dies Geheimniß. Es glaubt, daß der Adel eine wirkliche Größe ist und betrachtet beinahe die Großen, als wären sie andere Wesen als die andern Menschen. Klären Sie ihnen diesen Irrthum nicht auf, wenn Sie wollen; aber mißbrauchen Sie nicht diese Erhebung mit Uebermuth und vorzüglich verkennen Sie nicht selbst, daß Sie glauben sollten, Ihr Wesen wäre etwas Erhabeneres als das der andern Menschen.

Was würden Sie von jenem Manne sagen, der durch den Irrthum des Volkes König geworden, wenn er nun so sehr seinen natürlichen Stand vergäße, daß er sich einbildete, das Königreich käme ihm zu, er verdiente es und es gehörte ihm von Rechtswegen? Sie würden seine Narrheit und Tollheit bewundern. Aber ist die geringer bei den Großen, die in einem so seltsamen Vergessen ihres natürlichen Standes dahin leben?

Wie wichtig ist diese Warnung! Denn alle die Heftigkeit, alle die Gewaltthätigkeit und alle der Stolz der Großen kommen nur davon her, daß sie nicht erkennen was sie sind. Wer ist innerlich allen Menschen gleich stellt und überzeugt ist nichts in sich zu haben, was jene kleinen Vorzüge verdient, die Gott ihm vor den andern Menschen gegeben hat, der wird nicht leicht sie mit Uebermuth behandeln. Dazu muß man sich selbst vergessen und muß glauben einen wirklichen Vorzug vor ihnen zu haben, und darin besteht eben diese Täuschung, die ich Ihnen zu enthüllen versuche.

2.

Es ist gut, daß Sie wissen was man Ihnen schuldig ist, damit Sie sich nicht anmaßen von den Menschen zu fordern was Ihnen nicht gebührt; denn das wäre eine offenbare Ungerechtigkeit und doch ist sie sehr häufig bei Leuten Ihres Standes, weil sie dessen Natur nicht kennen.

In der Welt sind zwei Arten von Größe, durch Menschen eingesetzte und natürliche Größe. Die eingesetzte Größe hängt vom Willen der Menschen ab, die, mit Grund, gemeint haben gewisse Stände achten und an sie gewisse Ehren knüpfen zu müssen. Die Würden und der Adel sind von dieser Gattung. In einem Lande ehrt man die Adeligen, im andern die Bürgerlichen, in jenem die Altern, in diesem die Jungen. Warum das? Weil es den Menschen so gefallen hat. Die Sache war gleichgiltig vor der Einsetzung, nachdem diese erfolgt, wird es recht, weil es unrecht ist sie zu stören.

Die natürliche Größe ist die, welche unabhängig ist von der Laune der Menschen, weil sie in den wirklichen und wahrhaften Eigenschaften der Seele und des Leibes besteht, welche die eine oder den andern schätzenswerther machen, als z.B. die Wissenschaften, die Einsicht, der Geist, die Tugend, die Gesundheit, die Kraft.

Wir sind der einen Größe sowohl als der andern etwas schuldig, aber da sie verschiedene Natur haben, sind wir ihnen auch verschiedene Achtung schuldig. Der Größe der Einsetzung sind wir auch Ehren der Einsetzung, schuldig, d.h. gewisse äußere Gebräuche, die indessen, wie wir gezeigt haben, von einer innerlichen Anerkenntniß der Gerechtigkeit dieser Ordnung begleitet sein müssen, die uns aber keine wirkliche Eigenschaft erkennbar machen in denen, welche wir in dieser Art ehren. Mit den Königen muß man kniend sprechen, in dem Zimmer der Fürsten muß man stehen. Es ist eine Thorheit und eine Gemeinheit des Geistes ihnen diese Pflichten zu verweigern.

Aber die natürlichen Ehren, die in der Achtung bestehen, die sind wir nur der natürlichen Größe schuldig und im Gegentheil Verachtung und Abscheu sind wir schuldig den Eigenschaften, welche jener natürlichen Größe entgegengesetzt sind.

Weil Sie Herzog sind, ist es nicht nothwendig, daß ich  achte, aber es ist nöthig, daß ich Sie grüße. Sind Sie ein Herzog und ein ehrenwerther Mann, so werde ich der einen und der andern dieser Eigenschaften geben, was ich ihr schuldig bin. Ich werde Ihnen nicht die Höflichkeiten verweigern, die Ihrem Stande als Herzog gebüren, noch die Achtung, welche dem ehrenwerthen Mann zukommt. Wären Sie aber Herzog ohne ein ehrenwerther Mann zu sein, so würde ich Ihnen auch Ihr Recht thun, ich würde Ihnen die äußern Gebräuche, welche die Ordnung der Menschen an Ihren Stand geknüpft hat, gewähren und dabei nicht unterlassen gegen Sie die innere Verachtung zu hegen, welche die Niedrigkeit Ihres Geistes verdiente.

Hierin besteht die Gerechtigkeit jener Pflichten und die Ungerechtigkeit besteht darin, daß man die natürlichen Ehren an die eingesetzte Größe knüpft, oder die Ehren der Einsetzung für die natürliche Größe fordert. Herr N. ist ein größrer Mathematiker als ich. In dieser Eigenschaft will er vor mir den Vorrang haben, ich werde ihm sagen, daß er davon nichts versteht. Die Mathematik ist eine natürliche Größe, sie verlangt einen Vorzug der Achtung; aber einen äußern Vorzug haben die Menschen damit nicht verbunden. Ich werde also vor ihm den Rang einnehmen und werde ihn mehr achten als mich, in seiner Eigenschaft als Mathematiker. Eben so wenn Sie als Herzog und Pair nicht damit zufrieden wären, daß ich vor Ihnen unbedeckt bleibe, und wollten noch, daß ich Sie achtete, so würde ich Sie bitten mir die Eigenschaften zu zeigen, die meine Achtung verdienen. Thun Sie das, so haben Sie sie erworben und ich könnte sie Ihnen mit Recht nicht verweigern; thun Sie es aber nicht, so wären Sie ungerecht sie von mir zu begehren, und wahrhaftig Sie würden es auch nicht erlangen und wenn Sie der größte Fürst der Welt wären.

3.

Ich will Sie also Ihren wahren Stand erkennen lehren, denn das ists, was die Personen Ihrer Art von allem in der Welt am Wenigsten kennen. Was heißt das nach Ihrer Meinung ein großer Herr sein? Das heißt Herr sein über mehre Gegenstände der Begierde für die Menschen und sodann die Bedürfnisse und Wünsche vieler befriedigen können. Eben diese Bedürfnisse und Wünsche ziehen sie in Ihre Nähe und machen sie Ihnen unterwürfig; ohne das würden sie Sie nicht ein Mal ansehen; aber sie hoffen durch diese Dienste und diese Ehrerbietigkeit, die sie Ihnen erweisen, einen Theil von den Gütern zu erlangen, die sie begehren und über welche Sie, wie sie sehen, verfügen.

Gott ist umgeben von Menschen voll Liebe, welche von ihm die Güter der Liebe, die in seiner Macht sind, erflehen, so ist er ganz eigentlich der König der Liebe.

Sie sind eben so umringt von einer kleinen Anzahl von Menschen, über die Sie in ihrer Art König sind. Diese Leute sind voll Begierde, und bitten Sie um die Güter der Begierde. Es ist die Begierde, was dieselbe an Sie knüpft, Sie sind also eigentlich ein König der Begierde. Ihr Reich hat wenig Ausdehnung, aber in der Art des Königthums sind Sie den größten Königen der Erde gleich. Diese sind wie Sie Könige der Begierde. Die Begierde ist es, was ihre Stärke macht, d.h. der Besitz der Dinge, welche die Begehrlichkeit der Menschen wünscht.

Aber indem Sie Ihren natürlichen Stand erkennen, gebrauchen Sie die Mittel, die demselben eigen sind und wollen Sie nicht durch ein andres Mittel herschen als durch das, welches Sie zum König macht. Nicht Ihre Kraft und Ihre natürliche Gewalt macht Ihnen alle diese Menschen unterthan. Denken Sie also nicht sie mit Gewalt zu beherschen noch mit Härte zu behandeln. Befriedigen Sie ihre gerechten Wünsche, schaffen Sie ihnen Erleichterung in ihren Nöthen, setzen Sie Ihr Vergnügen darin wohltätig zu sein, fördern Sie sie, so viel Sie können und Sie werden als wahrer König der Begierde handeln.

Was ich Ihnen sage, geht nicht sehr weit und wenn Sie dabei stehn bleiben, so werden Sie sich gewiß zu Grunde richten; aber wenigstens werden Sie es als Ehrenmann thun. Es giebt Leute, die sich so thöricht ins Verderben stürzen durch Geiz, durch Rohheit, durch Ausschweifung, durch Gewaltthat; durch Heftigkeit, durch Lästerung. Der Weg, den ich Ihnen eröffne, ist ohne Zweifel ehrenwerther; aber es ist immer eine große Thorheit sich ins Verderben zu stürzen, und darum müssen Sie nicht hier stehen bleiben. Verachten müssen Sie die Begierde und deren Königreich und streben nach jenem Reich der Liebe, wo alle Unterthanen nur Liebe athmen und nichts begehren als die Güter der Liebe. Dahin werden andere als ich Ihnen den Weg weisen; mir genügt es Sie von jenen rohen Wegen abgebracht zu haben, auf welchem ich viele Personen von Stande sehe, die sich hinreißen lassen, weil sie deren wahre Natur nicht recht kennen.

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“... Pascal; in seinen Pensées finden sich die tiefsten Blicke.”  (Hegel)

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