abcphilde archiv                                                                                                                             manfred herok   2014 

Leibniz, Gottfried Wilhelm
Die Theodicee, Abhandlung über die Güte Gottes
Essais de théodicée sur la bonté de dieu, la liberté de l'homme et l'origine du mal

Erstdruck: Amsterdam 1710

 

Erster Theil

1. Nachdem ich die Rechte des Glaubens und der Vernunft in einer Weise festgestellt habe, welche die Vernunft dem Glauben nützen lässt, anstatt ihm entgegen zu treten, wird sich zeigen, wie beide diese Rechte gebrauchen, um dasjenige aufrecht zu erhalten und zu vereinigen, was das natürliche und das offenbarte Licht uns von Gott und dem Menschen in Bezug auf das Uebel lehren. Man kann die Schwierigkeiten in zwei Klassen theilen; die einen entspringen aus der Freiheit des Menschen, welche mit der Natur Gottes unverträglich erscheint, während sie doch nothwendig ist, damit der Mensch für schuldig und strafbar gehalten werden kann. Die andere Klasse betrifft das Verhalten Gottes, indem er danach zu sehr an dem Dasein des Uebels Theil zu nehmen scheint; selbst wenn der Mensch frei sein und auch seinen Theil davon auf sich nehmen sollte. Dieses Verhalten scheint mit der göttlichen Güte, Heiligkeit und Gerechtigkeit nicht verträglich, weil Gott an dem physischen und moralischen Uebel mitwirkt, und weil dies bei dem einen wie bei dem andern ebenso physisch, wie moralisch geschieht und weil diese Uebel sich anscheinend sowohl in dem Reiche der Natur, wie in dem der Gnade zeigen und ebenso, ja noch mehr, in dem kommenden und ewigen Leben, als in dem kurzen hienieden.

2. Um diese Schwierigkeiten kurz darzulegen, bedenke man, dass die Freiheit (anscheinend) mit der Vorherbestimmung und Gewissheit sich nicht verträgt, mag diese Freiheit sein, welcher Art sie wolle; trotzdem soll nach der gewöhnlichen Lehre unserer Philosophen die Wahrheit der kommenden zufälligen Ereignisse bestimmt sein. Das Vorauswissen Gottes macht alles Kommende gewiss und bestimmt; ja seine Voraussicht und seine Vorausbestimmung, auf welche das Vorauswissen gegründet erscheint, thut noch mehr, da Gott nicht gleich dem Menschen die Ereignisse mit Gleichgültigkeit betrachten und sein Urtheil anhalten kann, weil alles nur durch die Beschlüsse seines Willens und die Wirksamkeit seiner Macht zum Dasein gelangt. Selbst wenn man von einer Mitwirkung Gottes absieht, so ist doch in der Ordnung der Natur alles mit einander verknüpft, indem nichts ohne eine Ursache, welche die Wirkung bestimmt, geschehen kann. Dies gilt ebenso für die freiwilligen Handlungen, wie für alles andere. Danach erscheint der Mensch also gezwungen, das Gute und Schlechte zu thun, was er thut und er verdient deshalb weder Strafe noch Belohnung. Die ganze Moral und alle menschliche und göttliche Gerechtigkeit wird dadurch vernichtet.

3. Wollte man aber dem Menschen selbst diese Freiheit zugestehen, mit der er sich zu seinem Schaden schmückt, so würde doch das Verhalten Gottes dem Tadel unterliegen und dieser Tadel durch die anmassliche Unwissenheit der Menschen unterstützt werden, die sich auf Kosten Gottes ganz oder zum Theil von der Schuld befreien möchten. Man behauptet, dass die ganze Realität und sogenannte Substanz der Handlungen, selbst bei der Sünde, ein Werk Gottes sei, weil alle Geschöpfe und all ihr Handeln das in diesem enthaltene Reale von ihm haben. Daraus will man ableiten, dass er nicht allein die physische Ursache des Uebels sei, sondern auch die moralische, weil Gott vollkommen frei handle und alles nur mit vollkommener Kenntniss der Dinge und ihrer möglichen Folgen thue. Es genügt auch nicht, zu sagen, dass Gott sich ein Gesetz gegeben habe, wonach er bei dem Wollen und den Entschlüssen der Menschen mitwirkt, sei es im gewöhnlichen Sinne, sei es nach dem System der gelegentlichen Ursachen; denn einmal scheint es sonderbar, dass er sich ein solches Gesetz gegeben, dessen Folgen ihm bekannt waren; sodann liegt aber die Hauptschwierigkeit darin, dass anscheinend der böse Wille selbst ohne seine Mitwirkung und selbst ohne eine Art Vorherbestimmung von seiner Seite, welche zur Entstehung dieses Wollens im Menschen oder eines andern vernünftigen Geschöpfes beiträgt, nicht zu Stande kommen kann; da ja auch eine Handlung, um schlecht zu sein, nicht minder von Gott abhängt. Daraus will man schliessen, dass Gott alles, das Gute wie das Schlechte, ohne Unterschied bewirkt, sofern man nicht etwa mit den Manichäern zwei Prinzipien, ein gutes und ein schlechtes annehmen möchte. Dazu kommt, dass nach der gemeinsamen Ansicht der Theologen und Philosophen, die Erhaltung der Welt eine fortgehende Schöpfung ist und man deshalb sagen kann, dass der Mensch fortwährend verdorben und sündigend geschaffen werde; ganz abgesehen von den Cartesianern, nach denen Gott der allein handelnde ist und die Geschöpfe nur die reinen leidenden Werkzeuge sind, eine Ansicht, auf die auch Herr Bayle sich vielfach stützt.

4. Aber selbst wenn Gott bei den Handlungen nur in einer allgemeinen Weise mitwirken oder überhaupt nicht, wenigstens bei den schlechten Handlungen nicht, mitwirken sollte, so genügt doch für die Zurechnung, sagt man, und um Gott zu der moralischen Ursache zu machen, dass ohne seine Erlaubniss nichts geschehen kann. Wenn man auch von dem Sündenfall der Engel absieht, so weiss er doch alles, was geschehen wird, wenn er den Menschen nachdem er ihn geschaffen hat, in solche Verhältnisse bringt, und er hört nicht auf, ihn in solche zu versetzen. Der erste Mensch wird einer Versuchung ausgesetzt, von der Gott weiss, dass er unterliegen werde und dass derselbe dadurch die Ursache von unzähligen schrecklichen Uebeln werden werde und dass durch diese Sünde das ganze menschliche Geschlecht angesteckt und in eine Art von Nothwendigkeit zu sündigen versetzt werden werde, was man die Erbsünde nennt; dass die Welt dadurch in eine arge Verwirrung gebracht werden werde; dass dadurch der Tod und die Krankheiten über sie gebracht werden mit Tausend anderlei Unglück und Elend, welches regelmässig die Guten, wie die Schlechten trifft; dass selbst die Bosheit hienieden herrschen und die Tugend unterdrückt werden werde und dass es damit beinah den Anschein gewinne, als leite keine Vorsehung die Dinge. Indess wird es noch schlimmer, wenn man an das zukünftige Leben denkt, weil es da nur eine kleine Zahl geretteter Menschen geben wird und alle andern in Ewigkeit verderben werden; abgesehen davon, dass diese zum Heil bestimmten Menschen durch eine willkürliche Auswahl aus der verderbten Masse herausgenommen worden sind, mag man dabei sagen, dass Gott bei ihrer Auswahl ihre künftigen guten Handlungen, oder ihren Glauben oder ihre Werke beachte, oder mag man annehmen, dass er ihnen diese guten Eigenschaften und Handlungen gewährt habe, weil er sie zum Heile im Voraus bestimmt habe. Denn wenn auch in dem mildesten System gesagt wird, dass Gott alle Menschen habe erretten wollen, und wenn man auch in den andern, gewöhnlich angenommenen, Systemen anerkennt, dass er seinen Sohn die menschliche Natur habe annehmen lassen, um deren Sünden abzubüssen, so dass alle, die an ihn glauben, lebendig und schliesslich gerettet sein werden, so bleibt doch immer wahr, dass dieser lebendige Glaube ein Geschenk Gottes ist, dass wir für alle guten Werke todt sind, dass eine vorhergehende Gnade selbst bis zu unserem Willen den Antrieb giebt und dass Gott uns das Wollen und das Vollbringen giebt. Mag nun dies durch eine wirksame Gnade allein geschehen, d.h. durch eine innere göttliche Bewegung, welche unsern Willen vollständig zu dem Guten, was wir thun, bestimmt; oder mag es nur eine hinreichende Gnade sein, die aber doch stets antreibt und die durch die innern und äussern Umstände wirksam wird, in denen der Mensch sich befindet oder in die Gott ihn versetzt hat, so muss man immer darauf zurückkommen, dass Gott der letzte Grund des Heils, der Gnade, des Glaubens und der Erwählung in Jesu Christo ist. Selbst wenn die Auswahl die Ursache oder die Folge der Absicht Gottes, den Glauben zu gewähren, ist, so bleibt es doch immer wahr, dass er den Glauben und das Heil austheilt, wie es ihm beliebt ohne dass ein Grund für seine Auswahl sich zeigt, die nur auf eine sehr kleine Zahl von Menschen trifft.

5. Es ist also ein schreckliches Ergebniss dass Gott, indem er seinen einzigen Sohn für die ganze Menschheit hingiebt, und er der einzige Urheber und Herr des Heils der Menschen ist, doch nur so wenige rettet und alle andern seinem Feinde, dem Teufel überlässt, der sie in Ewigkeit quält und ihrem Schöpfer fluchen macht, obgleich doch alle geschaffen worden sind, um seine Güte, seine Gerechtigkeit und übrigen Vollkommenheiten auszubreiten und zu offenbaren. Dies Ereigniss ist um so erschreckender, als alle diese Menschen nur deshalb ewig unglücklich sind, weil Gott ihre Voreltern einer Versuchung ausgesetzt hat von welcher er wusste, dass sie ihr nicht wiederstehen würden; dass diese Sünde den Menschen anhängt und zugerechnet wird, noch ehe ihr Wille sich dabei betheiligt hat, dass diese Erbsünde ihren Willen bestimmt, wirkliche Sünden zu begehen und dass eine Unzahl Menschen, Kinder und Erwachsene, die niemals von Jesus Christus, dem Heiland der Menschheit, haben sprechen hören oder ihn nicht hinreichend verstanden haben, sterben, bevor sie die Hülfe erhalten, um sich von diesem Abgrund der Sünde zurückzuziehen; die zu ewigen Empörern gegen Gott verurtheilt und dem schrecklichsten Elend in Gemeinschaft mit den abscheulichsten der Geschöpfe hingegeben sind, obgleich doch im Grunde diese Menschen nicht schlechter als die andern gewesen sind obgleich vielleicht manche von ihnen weniger schuldig gewesen sind, als jene kleine Zahl der Auserwählten, welche eine Gnade ohne Grund gerettet worden sind und dadurch eine ewige Seligkeit geniessen, die sie nicht verdient haben. – Dies ist eine kurze Darstellung der Schwierigkeiten, welche Viele gefühlt haben. Herr Bayle gehört zu denen, welche sie am stärken dargestellt, wie sich später ergeben wird, wenn ich seine Aussprüche prüfen werde; für jetzt habe ich wohl alles Wesentliche von diesen Schwierigkeiten angeführt; doch habeich mich dabei aller Ausdrücke und Uebertreibungen enthalten, die nur Aergerniss erregen könnten, ohne doch diese Einwürfe selbst zu verstärken.

6. Wir wollen nun die Medaille umkehren und das erwägen, was man auf diese Einwürfe antworten kann. Ich muss hier etwas weitläufiger werden, denn man kann wohl in wenig Worten viele Schwierigkeiten häufen, aber zu deren Erörterung bedarf man mehr Raum. Mein Zweck ist, bei den Menschen die falschen Vorstellungen zu beseitigen, wonach Gott ein unbeschränkter Herrscher ist, welcher von seiner Macht einen despotischen Gebrauch macht und welcher wenig geeignet und wenig werth ist, geliebt zu werden. Diese Vorstellungen sind um so schlimmer in Bezug auf Gott, da das Wesen der Frömmigkeit nicht blos darin besteht, dass man ihn fürchtet, sondern auch, dass man ihn über alles liebt und dies ist nur möglich, wenn man seine Vollkommenheiten kennt, welche die Liebe erwecken, die er verdient und welche das Glück derer bildet, die ihn lieben. Wir finden uns dann von einem Eifer erfüllt, welcher ihm gefallen will; wir hoffen dann mit Grund, dass er uns erleuchten wird und dass er selbst uns in der Ausführung dieser Absicht beistehen werde, die nur auf seinen Ruhm und auf das Wohl der Menschen abzielt. Eine so gute Sache gewährt Vertrauen; wenn der Schein gegen uns spricht, so können wir ihm von unserer Seite mit Gründen entgegentreten und ich wage, dem Gegner zu sagen:

Aspice, quam mage sit nostrum penetrabile telum!

(Schaue, wie viel tiefer unser Pfeil dringen werde !).

7. Gott ist der erste Grund der Dinge, denn alle beschränkten Dinge, wie alles, was wir sehen und erfahren sind zufällig und haben nichts in sich, was ihr Dasein nothwendig macht, da offenbar die Zeit, der Raum und der Stoff in sich selbst geeint, gleichförmig und dabei, gleichgültig gegen alles andere, auch ganz andere Bewegungen und Gestalten und eine andere Ordnung annehmen konnten. Man muss deshalb den Grund für das Dasein der Welt, welches die volle Ansammlung der zufälligen Dinge ist, aufsuchen und man muss ihn in derjenigen Substanz suchen, welche den Grund ihres Daseins in sich selbst hat und deshalb ewig und nothwendig ist. Auch muss diese Substanz eine geistige sein; denn die daseiende Welt ist zufällig; eine Unzahl anderer Welten war ebenso möglich und verlangt so zu sagen ebenso nach dem Dasein wie jene und deshalb muss die Ursache der Welt auf alle diese möglichen Welten eine Rücksicht oder eine Beziehung zu ihnen, gehabt haben, um eine davon zum Dasein zu bestimmen. Diese Rücksicht oder diese Beziehung einer vorhandenen Substanz zu blossen Möglichkeiten kann nur ein Verstand sein, welcher die Vorstellungen von derselben hat, und um eine davon auszuwählen, kann nur die That eines Willens sein, der wählt. Die Macht dieser Substanz ist es, welche diesen Willen wirksam macht. Diese Macht geht auf das Sein, die Weisheit oder der Verstand auf die Wahrheit und der Wille auf das Gute. Diese verständige Ursache muss auf alle Weise unendlich sein, unbedingt vollkommen in Macht, Weisheit und Güte, weil sie sich auf alles erstreckt, was möglich ist; und da alles mit einander verknüpft ist, so ist kein Platz da, um von diesen Welten mehr als eine zuzulassen. Der Verstand dieser Substanz ist die Quelle der Wesentlichkeiten und der Wille der Ursprung des Daseins derselben. Dies ist in wenig Worten der Beweis eines einzigen Gottes und seiner Vollkommenheiten und des Ursprungs der Dinge durch ihn

8. Nun hat diese höchste Weisheit, verbunden mit einer gleich unendlichen Güte, nur die beste Welt erwählen können; denn so wie ein geringes Uebel eine Art Gut ist, so ist auch ein geringes Gut eine Art Uebel, wenn es ein grösseres Gut verhindert und man könnte an den Handlungen Gottes etwas rügen, wenn er es besser machen konnte. So wie in der Mathematik da, wo es kein Grösstes und kein Kleinstes giebt und überhaupt nichts bestimmtes, alles gleichmässig sich vollzieht, oder, wo dies nicht angeht, nichts geschieht, so kann man auch von der vollkommenen Weisheit, die nicht minder geregelt ist wie die Mathematik, sagen, dass wenn es nicht eine beste (optimum) unter allen möglichen Welten gegeben hätte, Gott keine geschaffen haben würde. Ich nenne Welt die ganze Folge und das ganze Nebeneinandersein aller bestehenden Dinge, damit man nicht sage, dass mehrere Welten zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten hätten bestehen können; vielmehr muss man sie alle zu einer Welt zählen, oder wenn man will zu einem Universum. Selbst wenn man alle Zeiten und alle Orte ausfüllt, so bleibt es immer wahr, dass man sie auf unendlich verschiedene Art anfüllen konnte, und dass es eine Unzahl möglicher Welten giebt, von denen Gott die beste wählen musste, weil er nicht anders, als nach der höchsten Vernunft handelt.

9. Wenn ein Gegner auf diesen Beweis nichts antworten kann, so wird er auf den Schlusssatz vielleicht durch einen entgegengesetzten Grund antworten und sagen, dass die Welt vielleicht ohne Sünde und ohne Leiden hätte sein können; allein ich bestreite, dass sie dann die beste gewesen sein würde. Denn in jeder der möglichen Welten ist alles verknüpft; wie auch das Universum sein mag, so ist es doch von einem Stück, wie ein Ozean; die leiseste Bewegung dehnt ihre Wirkung auf die weiteste Entfernung aus, wenn auch diese Wirkung nach Verhältniss der Entfernung schwächer wird. Gott hat deshalb hier alles im Voraus ein für allemal geregelt und hat die Gebete, die guten und schlechten Handlungen und alles andere vorausgesehen; alles hat ideal, vor seinem Dasein zu dem Entschluss beigetragen, welcher für das Dasein aller Dinge gefasst worden ist. Es kann deshalb in dem Universum Nichts unbeschadet seines Wesens (so wenig wie in einer Zahl) geändert werden, oder, wenn man will, unbeschadet seiner numerischen Einzelheit. Wenn daher auch nur das geringste Uebel in der Welt fehlte, was in ihr sich ereignet, so könnte sie nicht mehr diese Welt sein, welche alles zu- und alles abgerechnet, von dem Schöpfer, der sie erwählt hat, als die beste befunden worden ist.

10. Man kann sich allerdings eine Welt ohne Sünde und ohne Elend vorstellen und man könnte aus ihr Sevaramben, wie Romane voller Utopien machen; allein diese Welt würde im Uebrigen der unserigen erheblich nachstehen. Ich kann dies nicht im Einzelnen darlegen; denn wie könnte ich diese zahllosen Welten kennen und darstellen und mit einander vergleichen? Vielmehr muss man mit mir ab effectu (von der Wirkung) urtheilen; weil eben Gott diese Welt, so wie sie ist, erwählt hat. Auch wissen wir, dass sehr oft ein Uebel ein Gut bewirkt, was ohne jenes nicht eingetreten sein würde. Oft haben selbst zwei Uebel ein grosses Gut bewirkt:

Et si fata volunt, bina venena juvant!

(Und wenn das Schicksal es will, so hilft das zwiefache Gift.)

So bringen einige Flüssigkeiten manchmal einen festen Körper hervor, wie Weingeist und Extrakt von Urin, welche van Helmont gemischt hat. Manchmal begeht ein General einen glücklichen Fehler, welcher ihn die Schlacht gewinnen macht und singt man nicht am Osterabend in den katholischen Kirchen:

O! Sicherlich war Adam's Sünde nöthig

Die durch Christi Tod aufgehoben worden!

O glückliche Schuld, welche solchen und so grossen

Erlöser zu haben verdient hat.

11. Die berühmten Prälaten der gallikanischen Kirche, welche an Papst Innocenz XII. gegen das Buch des Kardinals Sfondrati über die Vorherbestimmung geschrieben haben, haben, da sie den Grundsätzen des heiligen Augustin beistimmen, viel Passendes zur Aufklärung dieses wichtigen Punktes gesagt. Der Kardinal scheint den Stand der ungetauft verstorbenen Kinder selbst dem himmlischen Reiche vorzuziehen, weil die Sünde das grösste Uebel sei und diese Kinder frei von aller wirklichen Sünde gestorben seien. Ich werde später mehr darüber sagen. Die Herrn Prälaten haben richtig bemerkt, dass diese Ansicht schlecht begründet sei. Sie sagen, der Apostel (Römer III. 8) missbillige mit Recht, dass man Böses thue, damit Gutes daraus folge, allein man könne es nicht missbilligen, wenn Gott vermöge seiner überragenden Macht aus dem Zulassen der Sünde grössere Güter ableitet, als die, welche vor der Sünde bestanden haben. Deshalb dürfen wir aber nicht Freude an der Sünde haben; möge Gott dies verhüten, sondern wir haben demselben Apostel zu glauben, welcher sagt (Römer V. 20), dass, wo die Sünde im Uebermaass ist, die Gnade noch in höherem Maass gewesen ist und wir erinnern uns, dass wir Jesum Christum selbst in Folge der Sünde erlangt haben. Diese Prälaten wollen also nur festhalten, dass eine Folgeweise der Dinge, in welcher auch die Sünde eintritt, hat besser sein können und wirklich besser gewesen sei, als eine Folgeweise ohne Sünde.

12. Man hat von jeher Vergleiche benutzt, die, vom sinnlichen Vergnügen hergenommen, mit Empfindungen gemischt sind, welche sich dem Schmerze nähern, um erkennen zu lassen, dass es etwas ähnliches auch bei dem geistigem Vergnügen giebt. Ein wenig Scharfes, Herbes oder Bitteres schmeckt oft angenehmer, als Zucker; die Schatten heben die Farben und selbst eine Dissonanz an der rechten Stelle, lässt die Harmonie mehr hervortreten. Man verlangt nach dem Schrecken, welchen Seiltänzer veranlassen, die im Begriff zu fallen sind und man will, dass die Trauerspiele uns bis zu Thränen rühren. Geniesst man wohl die Gesundheit genug und dankt man Gott genug dafür, wenn man niemals Krank gewesen ist? Und bedarf es nicht meistentheils ein wenig des Schmerzes, um die Lust mehr zu empfinden, d.h. grösser zu machen?

13. Man wird indess sagen, dass die vorhandenen Uebel schwer und in grosser Menge im Vergleich zu den Gütern bestehen; allein man irrt. Nur der Mangel an Aufmerksamkeit vermindert unsere Güter und es bedarf einer Mischung mit einigem Schmerze, damit wir zu dieser Aufmerksamkeit gelangen. Wären wir in der Regel krank und selten gesund, so würden wir dieses grosse Gut wunderbar schätzen und unser Uebel weniger empfinden und ist es trotzdem nicht besser, dass die Gesundheit die Regel ist und die Krankheit selten? Wir haben daher durch unser Denken das zu ergänzen, was unserm Empfinden abgeht, um das Gut der Gesundheit voller zu fühlen. Hätten wir keine Kenntniss von dem zukünftigen Leben, so würden sich wenig Personen finden, welche nicht bei dem Nahen des Todes gern das Leben wieder mit dem Bedingen annähmen, um es mit demselben Werth von Gütern und Schmerzen zu verbringen, namentlich wenn es nicht dieselben Arten bei beiden wären. Man wäre schon mit dem Wechsel zufrieden, ohne einen bessern Zustand, als den verlebten, zu verlangen.

14. Betrachtet man die Gebrechlichkeit des menschlichen Körpers, so bewundert man die Weisheit und Güte des Schöpfers der Natur, welcher ihn so dauerhaft und seinen Zustand so erträglich gemacht hat. Ich wundere mich deshalb nicht, dass die Menschen manchmal krank werden, sondern ich wundere mich, dass sie es so wenig werden und dass sie es nicht immer sind. Deshalb haben wir auch um so mehr die göttliche Kunst in dem Mechanismus der Thiere zu bewundern, deren Maschinen der Schöpfer so zerbrechlich und leicht verderblich gemacht hat und die doch so fähig sind, sich zu erhalten; denn die Natur heilt uns mehr, als die Arznei. Nun ist diese Gebrechlichkeit eine Folge von der Natur der Dinge, wenn man nicht verlangt, dass es diese Art von Geschöpfen, welche Vernunft haben und mit Fleisch und Knochen versehen sind, gar nicht in der Welt geben solle. Allein dies würde offenbar ein Mangel sein, den einige frühere Philosophen ein Vacuum formarum, eine Lücke in der Ordnung der Gestaltungen genannt haben würden.

15. Leute von solcher Gemüthsart, dass sie mit der Natur und ihrer Lage zufrieden sind und sich nicht darüber beklagen, auch wenn sie nicht das beste Loos erhalten haben, möchte ich den Andern vorziehen. Denn abgesehen, dass diese Klagen ohne Grund sind, ist dies in Wahrheit ein Murren gegen die Ordnung der Vorsehung. Man soll sich nicht leicht zu den Unzufriedenen in dem Staat gesellen, in dem man sich befindet und man soll es durchaus nicht in dem Staate Gottes, wo man nicht ohne Unrecht unzufrieden sein kann. Die Bücher über das menschliche Elend, wie das des Papstes Innocenz III., sind nicht eben die nützlichsten; man verdoppelt die Uebel, indem man ihnen Aufmerksamkeit zuwendet, die man vielmehr von ihnen weg den Gütern zuwenden sollte, die jene weit übertreffen. Noch weniger billige ich Bücher, wie das des Abts Esprit von der Unwahrheit der menschlichen Tugenden, von dem man uns kürzlich einen Auszug geliefert hat, da ein solches Buch alles nur von der schlechten Seite auffasst und die Menschen wirklich zu solchen macht, wie es sie schildert.

16. Man muss indess zugestehen, dass es in diesem Leben Unordnungen giebt, die sich besonders bei dem Glücke mancher schlechten Menschen und bei dem Unglück vieler Guten zeigen. Es giebt ein deutsches Sprüchwort, welches selbst den Schlechten den Vorzug giebt, als wären sie die Glücklichsten:

Je krummer Holz, je bessre Krücke;

Je ärger Schalk, je grösser Glücke.

Und es wäre wünschenswerth, dass jene Worte des Horaz für uns wahr würden:

Selten hat den vorschreitenden Schlechten die

Strafe mit ihrem lahmen Fusse nicht nachgefolgt.

Dennoch kommt es oft vor, wenn auch nicht in der Mehrzahl. Möge der Himmel sich vor den Augen des Universums rechtfertigen und möge man mit Claudianus sagen:

Die Strafe des Rufinus hat endlich von hier

den Aufruhr entfernt und die Götter freigesprochen.

17. Sollte dies indess auch in diesem Leben nicht geschehen, so ist das Heilmittel in jenem Leben schon bereit. Die Religion und selbst die Vernunft sagen es uns und wir dürfen wegen eines kleinen Aufschubes nicht murren, den die höchste Weisheit den Menschen zur Reue zu gestatten, für gut befunden hat. Indess verdoppeln sich hier die Einwürfe von einer andern Seite, wenn man an das Heil und die Verdammniss denkt; weil es sonderbar erscheint, dass selbst in der grossen Zukunft der Ewigkeit das Uebel das Gute überwiegen solle und zwar selbst unter der höchsten Autorität dessen, welcher das höchste Gut ist; indem es viele Berufene geben wird, aber nur wenig Erwählte und Gerettete. Aus einigen Versen von Prudentius (Hymne vor dem Schlafe), welche lauten:

Aber derselbe gnädige Rächer hält seinen

Zorn zurück und lässt wenige der Nicht-

Frommen in Ewigkeit verderben.

ersieht man allerdings, dass man zu seiner Zeit die Zahl der ganz Schlechten und der Verdammniss Verfallenen für sehr gering geglaubt hat, und Einige meinen, man habe damals an eine Mitte zwischen Paradies und Hölle geglaubt und dass derselbe Prudentius so spricht, als wäre er mit dieser Mitte zufrieden. Auch der heilige Gregor von Nyssa neigt dazu und der heilige Hieronymus billigt die Annahmen, dass endlich alle Christen in Gnaden aufgenommen werden würden. Ein Wort des heiligen Paulus, was er selbst für ein mysteriöses ausgiebt, dahin, dass ganz Israel errettet sein werde, hat den Stoff zu vielen Deutungen geliefert. Mehrere fromme und selbst gelehrte aber kühne Personen haben den Ausspruch des Origenes wieder ertönen lassen, wonach das Gute mit der Zeit ganz und überall die Oberhand erlangen werde und wonach alle vernünftigen Geschöpfe zuletzt heilig und selig werden würden, bis zu den gefallenen Engeln. Das Buch des ewigen Evangeliums, was kürzlich deutsch veröffentlicht worden ist und durch ein grosses und gelehrtes Werk, mit dem Titel: Apokatastasis pantôn (die Wiederaufrichtung Aller) unterstützt worden ist, hat viel Lärm in Bezug auf dieses grosse Paradoxon veranlasst. Auch Herr Le Clerc hat sich mit Geschick der Sache der Origenisten angenommen, ohne sich jedoch für sie zu erklären.

18. Ein geistreicher Mann, welcher mein Princip der Harmonie bis zu willkürlichen Annahmen ausgedehnt hat, die ich nicht billige, hat sich eine beinah astronomische Theologie zurecht gemacht. Er glaubt, dass die gegenwärtige Unordnung dieser Welt hienieden begonnen habe, als der oberste Engel der Erdkugel, welche damals noch eine Sonne gewesen (d.h. ein von selbstleuchtender Fixstern), mit einigen niedern Engeln seines Bezirks eine Sünde begangen habe, vielleicht weil er sich unpassender Weise gegen den Engel einer grösseren Sonne erhoben hatte, und dass zu derselben Zeit in Folge der vorausbestimmten Harmonie zwischen den Reichen der Natur und der Gnade und folglich durch natürlich gleichzeitig eingetretene Ursachen, die Erdkugel mit Flecken bedeckt, dunkel gemacht und von ihrem Platze vertrieben worden sei. Dadurch sei sie zu einem Irrstern oder Planeten d.h. zu dem Begleiter einer anderen Sonne herabgesunken, vielleicht von der Sonne, deren Vorrang der Engel nicht habe anerkennen wollen. Darin soll der Fall des Teufels bestehen und gegenwärtig soll der Oberste der bösen Engel, welche in der heiligen Schrift der Fürst und selbst der Gott dieser Welt genannt wird, mit den Engeln seines Gefolges jenes vernünftige Geschöpf beneiden, was auf der Oberfläche dieser Erdkugel umherwandelt und was Gott vielleicht erweckt hat, um sich für den Fall jener Engel zu entschädigen und der Teufel mit seinem Gefolge solle sich mühen, es zum Mitschuldigen ihrer Verbrechen und zum Theilnehmer von ihren Leiden zu machen. Da sei nun Jesus Christus gekommen, die Menschen zu erretten; dies sei der ewige Sohn Gottes und insofern auch der einzige Sohn; allein derselbe habe (nach einigen alten Christen und nach dem Urheber dieser Hypothese) sich sofort mit dem Beginn der Dinge in die vortrefflichste Natur unter den Geschöpfen gekleidet, und habe sich, um sie alle zu vervollkommnen, unter sie begeben. Dies sei die zweite Sohn-Werdung, wonach er der Erst-Geborene von aller Kreatur ist. Die Kabbalisten nennen ihn den Adam Kadmon (Adam, den Ordner). Er habe sein Zelt vielleicht in der grossen Sonne aufgerichtet, die uns ihr Licht sendet, aber endlich sei er auf unsere Erdkugel gekommen, hier von der Jungfrau geboren worden und habe die menschliche Natur angenommen, um die Menschen von ihrem Feind und dem Seinigen zu erretten. Wenn dann die Zeit des Gerichts sich nahen werde, wo die gegenwärtige Gestalt der Erde sich ihrem Untergange nahe, so werde er in sichtbarer Gestalt wiederkommen, um die Guten auf ihr mit sich zu nehmen und sie vielleicht in die Sonne zu versetzen und um hier die Schlechten sammt den Dämonen, die sie verführt hätten, zu bestrafen. Dann werde die Erde zu brennen anfangen und vielleicht ein Komet werden. Dies Feuer werdeviele Ewigkeiten währen, der Schwanz des Kometen werde von dem Rauche gebildet, welcher nach der Offenbarung Johannis unaufhörlich aufsteigen werde und diese Feuersbrunst werde die Hölle oder der zweite Tod sein, von dem die heilige Schrift spreche. Endlich aber werde die Hölle ihre Todten herausgeben, der Tod selbst werde vernichtet werden und die Vernunft und der Friede würden wieder in den Geistern zu regieren beginnen, welche verführt worden wären. Sie würden dann ihr Unrecht empfinden, ihren Schöpfer anbeten und ihn um so mehr zu lieben anfangen, je grösser sie den Abgrund gesehen, aus dem sie hinausträten. Gleichzeitig werde (in Folge der gleichlaufenden Harmonie der Reiche der Natur und der Gnade) diese lange und grosse Feuersbrunst die Erde von ihren Flecken gereinigt haben, sie werde wieder eine Sonne werden und ihr oberster Engel werde mit seinem Gefolge von Engeln wieder seinen Platz einnehmen; die verdammten Menschen würden mit zu den guten Engeln gehören; dieser Oberste auf unserer Erde werde dem Messias, dem Haupte der Geschöpfe huldigen und der Ruhm dieses versöhnten Engels werde grösser, als vor seinem Falle sein.

Und unter die Götter nach des Schicksals Gesetz aufgenommen,

Wird unser goldener Apoll in Ewigkeit regieren.

Diese Vision hat mir gefallen und ist eines Origenisten würdig; allein wir brauchen keine solche Hypothesen und Dichtungen, an denen der Witz mehr Antheil hat als die Offenbarung und wo selbst die Vernunft nicht ganz ihre Rechnung findet, da es anscheinend keinen Hauptort in der bekannten Welt giebt, welcher vor andern Anspruch auf den Sitz des Aeltesten der Geschöpfe hätte, wenigstens ist es die Sonne in unserem Systeme nicht.

19. Wenn man daher bei der feststehenden Lehre bleibt, wonach die Zahl der ewig Verdammten viel grösser als die der Geretteten sein wird, so kann man dennoch sagen, dass das Uebel beinah wie nichts in Vergleich zu dem Guten erscheinen werde, sofern man nur die wahre Grösse des Gottes-Staates bedenkt.

Coelius Secundus Curio hat ein kleines Buch über die Ausdehnung des himmlischen Reiches geschrieben, was vor Kurzem wieder aufgelegt worden ist; indess hat er die Ausdehnung dieses Himmelreiches noch nicht begriffen. Die Alten hatten nur schwache Vorstellungen von den Werken Gottes und der heilige Augustin war, da ihm die neuen Entdeckungen unbekannt waren, in grosser Verlegenheit, wenn er das Uebergewicht des Uebels entschuldigen sollte. Die Alten hielten nur unsere Erde für bewohnt, und sie fürchteten hier sich sogar vor den Gegenfüsslern; die übrige Welt bestand nach ihnen nur aus einigen leuchtenden Kugeln und krystallinischen Hohlkugeln. Heutzutage muss, welche Grenzen man auch der Welt setzen oder nicht setzen mag, man anerkennen, dass es eine unzählige Menge von Weltkugeln giebt, die ebenso gross, oder noch grösser als unsere Erde sind, die ebenso, wie sie, auf vernünftige Bewohner Anspruch haben, wenn es auch keine Menschen sind. Die Erde ist nur ein Planet, einer der sechs Haupttrabanten unserer Sonne und da alle Fixsterne ebenfalls Sonnen sind, so erhellt, wie gering unsere Erde im Verhältniss zur sichtbaren Welt ist, da sie ja nur das Anhängsel einer Sonne unter vielen ist. Möglicherweise sind die Sonnen von lauter glücklichen Menschen bewohnt und nichts nöthigt uns zu der Annahme, dass es viele Verdammte gebe, denn wenige Beispiele und wenige Muster genügen für den Nutzen, welche das Gute aus dem Uebel zieht. Da man ferner keinen Grund hat, überall Gestirne anzunehmen, kann da nicht auch ein grösser Raum jenseits der Gestirne bestehen? Mag es der Feuerhimmel sein oder nicht, so kann doch immer dieser ungeheure Raum angefüllt sein von Glück und Ruhm. Man kann ihn sich als den Ozean vorstellen, in den die Ströme aller seligen Geschöpfe einmünden, wenn diese in dem System der Gestirne zu ihrer Vollkommenheit gelangt sein werden. Was bedeutet da unsere Erdkugel und deren Bewohner? Ist sie dann nicht noch unvergleichlich weniger, als ein physischer Punkt, da unsere Erde im Vergleich zu der Entfernung einiger Fixsterne nur wie ein Punkt erscheint. So verliert sich der uns bekannte Theil des Universums beinah in das Nichts im Verhältniss zu dem Theil, den wir nich kennen und doch mit Grund annehmen können. Da nun alle Uebel, die man mir entgegenhält, nur auf diesem Beinah-Nichts sich befinden, so können auch diese Uebel ein Beinah-Nichts in Vergleich zu den Gütern des ganzen Universums sein.

20. Ich muss indess auch auf die mehr speculativen und metaphysischen Schwierigkeiten eingehen, die ich erwähnt habe, und welche sich auf die Ursache des Uebels beziehen. Man fragt: Woher kommt das Uebel? Si Deus est, unde malum? si non est, unde bonum? (Wenn Gott ist, woher kommt da das Uebel und wenn er nicht ist, woher kommt da das Gute?) Die Alten verlegten die Ursache des Uebels in den Stoff, welchen sie für unerschaffen und von Gott unabhängig annahmen; allein wo sollen wir, die alles Sein von Gott ableiten, die Quelle des Uebels suchen? Die Antwort lautet, dass sie in der idealen Natur des Geschöpfes zu suchen sei, so weit diese Natur in den ewigen Wahrheiten eingeschlossen ist, welche in dem Verstande Gottes unabhängig von seinem Willen, bestehen. Denn man muss bedenken, dass es in dem Geschöpfe eine ursprüngliche Unvollkommenheit giebt, und zwar vor der Sünde, weil das Geschöpf wesentlich beschränkt ist; daher kommt es, dass es nicht alles wissen, dass es sich irren und andere Fehler begehen kann. Plato sagt in seinem Timäus, dass die Welt ihren Ursprung in dem Verstande in Verbindung mit der Nothwendigkeit gehabt habe. Andere haben eine Verbindung Gottes mit der Natur angenommen. Man kann in diesen Satz einen guten Sinn legen; Gott wäre der Verstand und die Nothwendigkeit, d.h. die wesentliche Natur der Dinge wäre der Gegenstand für den Verstand, insoweit dieser Gegenstand aus den ewigen Wahrheiten besteht. Indess ist dieser Gegenstand ein innerlicher, innerhalb des göttlichen Verstandes und dort befindet sich nicht blos die ursprüngliche Form des Guten, sondern auch der Ursprung des Uebels. Diese Region der ewigen Wahrheiten hat man an die Stelle des Stoffes zu setzen, wenn es sich um Auffindung der Quellen der Dinge handelt. Diese Region ist die ideale Ursache des Uebels (so zu sagen), ebenso wie des Guten; allein, genau gesprochen hat die Formel des[113] Uebels keinen Effizienten, da sie in einer Beraubung besteht, wie wir sehen werden, d.h. in dem, was die wirkende Ursache nicht bewirkt. Deshalb pflegen die Scholastiker die Ursache des Uebels eine »deficiens« (in einem Mangel bestehend) zu nennen.

21. Man kann das Uebel metaphysisch, physisch und moralisch auffassen. Das metaphysische Uebel besteht in der einfachen Unvollkommenheit; das physische Uebel in den Schmerzen und das moralische Uebel in der Sünde. Obgleich das physische und moralische Uebel nicht nothwendig sind, so genügt deren Möglichkeit in Folge der ewigen Wahrheiten, und da diese ungeheure Region von Wahrheiten alle Möglichkeiten befasst, so muss es der möglichen Welten unendlich viele geben, und das Uebel muss in mehreren derselben mit eingehen und selbst die beste muss dessen enthalten. Dies ist es, was Gott bestimmt hat, das Uebel zuzulassen.

22. Indess wird man mir entgegnen, weshalb ich von zulassen spreche? Thut denn Gott nicht das Uebel und will er es denn nicht? Hier muss erklärt werden, was dieses zulassen sei, damit man sehe, wie dieses Wort nicht ohne Grund gebraucht wird. Indess muss vorher die Natur des Willens erklärt werden, welcher seine Grade hat. Im gewöhnlichen Sinne genommen, besteht der Wille in der Neigung, etwas im Verhältniss des darin enthaltenen Guten zu thun. Dieser Wille heisst der vorgehende, wenn er in seiner Besonderheit ein Gut für sich nach dessen Güte betrachtet. In diesem Sinne kann man sagen, dass Gott zu allem Guten, so weit es gut ist, neigt, ad perfectionem simpliciter simplicem (zur einfachen Vollkommenheit, im einfachen Sinne) nach den Worten der Scholastiker und zwar vermöge eines vorgängigen Willens. Er hat die ernste Neigung alle Menschen zu heiligen und zu erretten, die Sünde auszuschliessen und die Verdammniss zu hindern. Man kann sogar sagen, dass dieser Wille für sich (per se) ein wirksamer ist, d.h. dass die Wirkung folgen würde, wenn nicht ein stärkerer Grund ihm hinderte; denn dieser Wille geht nicht bis zur letzten Anstrengung ad summum conatum (bis zu dem möglichst weiten Versuch), denn sonst würde seine volle Wirkung eintreten, da Gott der Herr aller Dinge ist. Der ganze und untrügliche Erfolg gehört aber nur dem nachfolgenden Willen, wie man ihn nennt. Dieser Wille ist der volle und für ihn gilt die Regel, dass man immer das thun wird, was man kann. Nun ergiebt sich dieser nachfolgende, schliessliche und entscheidende Wille aus dem Streite aller vorgängigen Willen, sowohl derer, die zu dem Guten neigen, wie derer, welche das Uebel von sich weisen. Aus diesem Zusammentreffen aller dieser besondern Willen ergiebt sich der schliessliche Wille, so wie in der Mechanik die zusammengesetzte Bewegung aus all den treibenden Richtungen, denen ein beweglicher Körper unterliegt, hervorgeht und jeder Richtung genügt, soweit dies mit einem Male zu leisten möglich ist. Es ist, als wenn der Gegenstand sich in diese Richtungen theilte, wie ich einmal in einem Pariser Journale (7. September 1693) bei Darlegung des allgemeinen Gesetzes über die Verbindung der Bewegungen gezeigt habe; und in diesem Sinne kann man auch den vorgängigen Willen einen wirksamen nennen, ja einen mit Erfolg wirksamen.

23. Daraus folgt, dass Gott vorgehend das Gute will und nachfolgend das Beste, und was das Uebel betrifft, so will Gott das moralische Uebel durchaus nicht, auch will er nicht unbedingt das physische Uebel oder die Schmerzen und deshalb giebt es keine unbedingte Vorausbestimmung zur Verdammniss und von dem physischen Uebel kann man sagen, dass Gott oft es als eine der Schuld zukommende Strafe will und oft auch als ein Mittel für einen Zweck, d.h. um grössere Uebel zu hindern oder um grössere Güter zu erlangen. Die Strafe dient auch zur Besserung und Abschreckung und das Uebel lässt oft das Gute mehr empfinden und trägt auch manchmal zu einer grössern Vervollkommnung des Leidenden bei, wie ja auch der gesäete Same behufs des Keimens einer Art Verderbniss unterliegt; ein schöner Vergleich, dessen auch Jesus Christus selbst sich bedient hat.

24. Was aber das moralische Uebel oder die Sünde anlangt, so kann sie zwar oft auch als Mittel für Gewinnung eines Guts oder Verhinderung eines andern Uebels benutzt werden, allein deshalb wird es kein hinreichender]Gegenstand des göttlichen Willens, oder der zulässige Gegenstand des Willens eines Geschöpfes; es kann vielmehr nur zugelassen oder gestattet werden, soweit es als eine sichere Folge einer unbedingten Pflicht erscheint in der Weise, dass wenn man nicht die Sünde Anderer gestatten wollte, man selbst seine Pflicht verletzen würde, z.B. wenn ein Offizier, welcher einen wichtigen Punkt bewachen soll, ihn namentlich zur Zeit der Gefahr verliesse, um den Streit zweier Soldaten in der Stadt zu schlichten, die einander tödten wollen.

25. Die Regel, welche sagt, non esse facienda mala, ut eveniant bona (man dürfe nicht Böses thun, damit Gutes hervorgehe) und welche ein moralisches Uebel nicht gestattet, um ein physisches Gut zu erlangen, wird damit bestätigt und keineswegs verletzt; ja ich zeige deren Quelle und Sinn. Ich würde es nicht billigen, wenn eine Königin, um angeblich den Staat zu retten, ein Verbrechen beginge, ja nur erlaubte, denn das Verbrechen ist gewiss und das Uebel des Staats zweifelhaft. Ueberdem würde solche Ermächtigung zu Verbrechen, wenn sie zugelassen würde, schlimmer, als der Umsturz manches Landes sein, der auch ohnedem oft genug eintritt und wahrscheinlich mit einem solchen Mittel, was ihn hindern sollte, nur noch häufiger eintreten würde. Aber in Bezug auf Gott ist nichts zweifelhaft, nichts kann der Regel des Besten entgegen sein; sie erleidet keine Ausnahme und gestattet keine Befreiung. In diesem Sinne ist es, dass Gott die Sünde gestattet; denn er würde gegen das verstossen, was er sich selbst, seiner Weisheit, Güte und Vollkommenheit schuldete, wenn er nicht dem grossen Ergebniss aller seiner Willens-Richtungen auf das Gute folgte und wenn er nicht das wählte, was unbedingt das bessere ist, trotz des Uebels der Schuld, welches damit durch die oberste Nothwendigkeit der ewigen Wahrheiten verknüpft ist. Man muss deshalb annehmen, dass Gott vorgängig alles Gute an sich will, dass er nachfolgend das Beste als einen Abschluss will; dass er das Gleichgültige und das physische Uebel manchmal als ein Mittel will, aber dass er das moralische Uebel nur auf Grund des sine qua non (eines unvermeidlichen Mittels) oder einer hypothetischen Nothwendigkeit gestatten will, welche es mit dem Bessern verknüpft. Deshalb ist der nachfolgende Wille Gottes, welcher die Sünde zum Gegenstande hat, nur ein gestattender.

26. Es ist auch gut, wenn man bedenkt, dass das moralische Uebel nur deshalb ein grosses Uebel ist, weil es zur Quelle physischer Uebel wird, welche Quelle sich in einem Geschöpfe befindet, was dergleichen Uebel zu bewirken am meisten die Fähigkeit und die Macht hat. Denn in seinem Bereiche ist der böse Wille dasselbe, was das böse Prinzip der Manichäer für das Universum wäre. Die Vernunft, ein Bild der Gottheit, gewährt schlechten Seelen grosse Mittel, um viel Uebles zu bewirken. Der eine Caligula und Nero haben dessen mehr gethan, als ein Erdbeben vermocht hätte. Ein schlechter Mensch erfreut sich an der Zufügung von Schmerzen und dem Zerstören; er findet dazu nur zu viel Gelegenheit. Indem aber Gott dahin neigt, so viel Gutes als möglich hervorzubringen und er dazu alle Macht und alles Wissen hat, so kann unmöglich hier in ihm ein Fehler, eine Schuld oder Sünde sein und wenn er die Sünde gestattet, so ist dies Weisheit und Tugend.

27. Man hat unzweifelhaft die Sünde eines Andern nicht zu hindern, wenn dies, ohne selbst eine Sünde zu begehen, unterlassen werden kann. Indess wird man mir vielleicht einwenden, dass Gott selbst es sei, welcher handle und welcher alles, was real in der Sünde des Geschöpfes enthalten sei, thue. Dies veranlasst mich zu einer genaueren Betrachtung der physischen Mitwirkung Gottes bei dem Geschöpfe, nachdem ich die moralische Mitwirkung, welche die meiste Schwierigkeit bot, geprüft habe. Einige haben mit dem berühmten Durand de St. Portien und dem Cardinal Aureolus, einem berühmten Scholastiker geglaubt, dass die Mitwirkung Gottes (ich meine die physische) bei dem Geschöpfe nur eine allgemeine und mittelbare sei; dass Gott nur die Substanzen erschafft und ihnen die nöthigen Kräfte giebt und dass er dann sie handeln lässt und sie nur erhält, ohne ihnen in ihren Handeln beizustehen. Diese Meinung ist indess von den meisten scholastischen Theologen abgewiesen worden und man hat sie wohl auch schon bei Pelagius gemissbilligt. Indess hat ein Capuziner, Namens Ludwig Pereire von Dole, ums Jahr 1630 ein] Buch geschrieben, um diese Meinung, wenigstens in Beziehung auf die freien Handlungen wieder zur Geltung zu bringen. Auch einige Neuere neigen zu ihr und Herr Bernier vertheidigt sie in einer Schrift über Freiheit und Willkür. Man wird indess bei Gott nicht angeben können, was erhalten sei, ohne auf die gewöhnliche Ansicht zurückzugreifen. Die erhaltende Thätigkeit Gottes muss auf das, was er erhält, so wie es ist und nach dem Zustande, in dem es ist, Beziehung haben, deshalb kann sie nicht allgemeiner oder unbestimmter Natur sein. Diese Allgemeinheiten sind Abstraktionen, die in den wirklichen einzelnen Dingen nicht bestehen und die Erhaltung eines stehenden Menschen ist eine andere, als die eines sitzenden. Dies würde nicht der Fall sein, wenn sie nur in der Verhinderung oder Entfernung einer fremden Ursache, welche das, was man erhalten will, zerstören könnte, bestände. So kommt es wohl bei den Menschen vor, wenn sie etwas erhalten wollen; allein abgesehen davon, dass wir selbst mitunter das, was wir erhalten wollen, zu ernähren genöthigt sind, so besteht die göttliche Erhaltung in dem unmittelbaren stetigen Einfluss, wie ihn die Abhängigkeit der Geschöpfe verlangt. Diese Abhängigkeit besteht nicht allein für die Substanz, sondern auch für die Thätigkeit und man wird sie wohl nicht besser erläutern können, als dass man nach der gemeinsamen Lehre der Theologen und Philosophen sie als eine fortgehende Schöpfung ansieht.

28. Man könnte hiergegen einwenden, dass Gott danach jetzt sündhafte Menschen erschaffe, obgleich er den Menschen doch anfänglich sündenfrei geschaffen habe. Allein dem muss man hier in Bezug auf das Moralische entgegnen, dass Gott in seiner höchsten Weisheit die Beobachtung gewisser Gesetze nicht unterlassen kann und nach den physischen, wie moralischen Regeln zu handeln hat, welche seine Weisheit ihn hat wählen lassen. Derselbe Grund, welcher ihn zur Schöpfung des unschuldigen, aber des Fallens fähigen Menschen bestimmt hat, lässt ihn den gefallenen wieder schaffen, da in seinem Willen das Kommende wie das Gegenwärtige ist und er die gefassten Beschlüsse nicht zurücknehmen kann.

29. Was aber die physische Mitwirkung anlangt, so muss man hier an der Wahrheit festhalten, die schon bei den Scholastikern so viel Aufsehen gemacht hat, seitdem der heilige Augustin sie ausgesprochen; nämlich dass das Uebel nur eine Beraubung des Seienden ist, während Gottes Handeln nur auf das Positive geht. Diese Antwort gilt zwar in der Ansicht vieler Leute für eine Niederlage und als etwas chimärisches, indess gebe ich hier ein Beispiel, was sie belehren kann.

30. Der berühmte Keppler und Herr Descartes nach ihm (in seinen Briefen) haben von der natürlichen Trägheit der Körper gesprochen; diese ist ein vollkommenes Bild und gleichsam das Modell von der ursprünglichen Beschränktheit der Geschöpfe, um zu ersehen, dass die Beraubung die Formel für die Unvollkommenheiten und das Unangemessene bildet, was sich ebenso in seiner Substanz, wie in seinen Handlungen findet. Man setze, dass die Strömung desselben Flusses mehrere Fahrzeuge mit sich führt, die blos in ihrer Ladung verschieden sind; die einen haben Holz, die andern Steine, die einen mehr, die andern weniger geladen. Die schwerer beladenen werden dann langsamer gehen, als die anderen, sofern nämlich der Wind oder die Ruder oder ähnliches ihnen nicht zu Statten kommt. Nun ist es eigentlich nicht ihre Schwere, welche sie aufhält, denn die Gefässe gehen bergab und nicht bergauf, sondern es ist dieselbe Ursache, welche auch die dichteren Körper schwerer macht, d.h. die weniger porös und mehr mit ihrem eigenthümlichen Stoffe angefüllt sind; denn die Lücken oder Poren erhalten nicht dieselbe Bewegung und können deshalb nicht in Rechnung kommen. Es ist also der Stoff selbst, welcher ursprünglich zur Langsamkeit oder zur Beraubung der Geschwindigkeit neigt; er vermindert sie nicht durch sich selbst, wenn er diese Geschwindigkeit schon empfangen hat, denn dies wäre eine Thätigkeit, aber er ermässigt durch seine Aufnahme die Wirkung des Eindrucks, wenn er ihn empfängt. Weil also bei jenem schwerer beladenen Fahrzeug mehr Stoff durch die gleiche Kraft der Strömung bewegt wird, muss es langsamer gehen. Die Erfahrungen über die durch den Stoss erfolgende Bewegung der Körper zeigt, dass man die doppelte Kraft braucht, um einen Körper von gleichem Stoffe aber doppelter Grösse die gleiche Geschwindigkeit zu geben, was nicht sein könnte, wenn der Stoff durchaus gleichgültig für Bewegung und Ruhe wäre und wenn er nicht jene natürliche Trägheit hätte, die ich hier besprochen und welche ihm eine Art Widerstand gegen sein Bewegtwerden giebt. Vergleichen wir nun die Kraft, welche der Strom auf die Schiffsgefässe äussert und ihnen mittheilt, mit der Thätigkeit Gottes, welche das Positive in den Geschöpfen hervorbringt und erhält und ihnen die Vollkommenheit, das Sein und die Kraft gewährt und stellen wir die Trägheit des Stoffes gleich der natürlichen Unvollkommenheit der Geschöpfe und die Langsamkeit des beladenen Schiffes gleich den Mängeln, welche in den Eigenschaften und der Thätigkeit der Geschöpfe bestehen, so wird man diesen Vergleich ganz treffend finden. Der Strom ist die Ursache von der Bewegung des schwereren Schiffes, aber nicht von seinem Zurückbleiben; Gott ist die Ursache von der Vollkommenheit in der Natur und in dem Handeln der Geschöpfe, aber die Beschränktheit der Empfänglichkeit bei dem Geschöpfe ist die Ursache der Mängel in seiner Thätigkeit. So konnten also Plato, der heilige Augustin und die Scholastiker mit Recht sagen, dass Gott die Ursache von dem Realen im Uebel sei, was dessen Positives darstellt, aber nicht von dem Formalen, welches in der Beraubung besteht; so wie man sagen kann, dass der Strom die Ursache des Materiellen in dem Zurückbleiben ist, aber nicht des Formalen, d.h. er ist die Ursache von der Geschwindigkeit des Schiffes überhaupt, aber nicht die Ursache von der Beschränkung derselben. Gott ist so wenig die Ursache der Sünde, wie der Strom die Ursache von dem Zurückbleiben des Schiffes ist. Die Kraft ist in Bezug auf den Stoff dasselbe, wie der Geist in Bezug auf das Fleisch; der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach und die Geister wirken... quantum non noxia corpora tardant (so weit nicht schädliche Körper ihn hemmen).

31. Es besteht deshalb ein ganz gleiches Verhältniss zwischen dieser und jener Handlung Gottes und diesem und jenem Leiden oder Aufnehmen des Geschöpfes, das sich im gewöhnlichen Lauf der Dinge nurnach Massgabe seiner sogenannten Empfänglichkeit verbessert. Wenn man daher sagt, dass das Geschöpf in seinem Sein und Handeln von Gott abhänge und dass selbst die Erhaltung nur eine fortwährende Schöpfung sei, so ist dies nur in so fern richtig, als Gott dem Geschöpf immer gewährt und stetig das in ihm hervorbringt, was Positives, Gutes und Vollkommenes in ihm enthalten ist, da alles Vollkommene ein von dem Vater des Lichts kommendes Geschenk ist; aber die Unvollkommenheiten und Mängel der Handlungen kommen von den ursprünglichen Schranken, welche das Geschöpf mit dem ersten Beginne seines Seins, aus den idealen Gründen, welche es beschränken, erhalten musste. Gott konnte ihm nicht alles gewähren, ohne es zu einem Gott zu machen; es mussten deshalb verschiedene Abstufungen in der Vollkommenheit der Dinge bestehen und ebenso alle Arten von Beschränkungen.

32. Diese Erwägungen werden auch einigen neuern Philosophen genügen, die Gott selbst zu dem allein Handelnden machen. Es ist richtig, dass das Handeln Gottes allein rein und ohne Mischung dessen ist, was man Leiden nennt, allein dies hindert nicht, dass auch das Geschöpf an dem Handeln Theil nimmt, weil das Handeln des Geschöpfes eine Modification seiner Substanz ist, die natürlich aus dieser folgt und welche nicht allein eine Veränderung in den Vollkommenheiten einschliesst, welche Gott demselben mitgetheilt hat, sondern auch in den Schranken, welche das Geschöpf hier selbst mitbringt, um das zu sein, was es ist. Daraus erhellt auch, dass es einen wirklichen Unterschied zwischen der Substanz und ihren Modificationen oder Accidenzien giebt, was allerdings gegen die Ansicht einiger Neuere geht, insbesondere gegen die des verstorbenen Herzog von Buckingham, welcher sich darüber in einer kürzlich wieder aufgelegten Abhandlung über die Religion ausgesprochen hat. Das Uebel gleicht also der Finsterniss und nicht blos das Nicht-Wissen, sondern auch der Irrthum und die Freiheit bestehen formaliter in einer Art von Beraubung. Das Folgende ist ein Beispiel für den Irrthum, was ich schon benutzt habe. Ich sehe einen Thurm, der aus der Ferne rund erscheint, obgleich er viereckig ist; der Gedanke, dass der Thurm so ist, wie er scheint, kommt natürlich von dem was ich sehe. Bleibe ich bei diesen Gedanken, so ist das eine Bejahung, ein falsches Urtheil, prüfe ich aber weiter, führt mein Nachdenken mich dahin, dass ich bemerke, wie der Schein mich täuscht, so bin ich von dem Irrthum zurückgekommen. An einem Orte bleiben, oder nicht weiter gehen; eine Bemerkung nicht beachten, dies alles sind Beraubungen.

33. Dasselbe gilt für die Bosheit und den bösen Willen. Der Wille strebt im Allgemeinen nach dem Guten; er soll nach der für uns passenden Vollkommenheit streben und, die höchste Vollkommenheit ist in Gott. Alle Genüsse haben in sich selbst ein gewisses Gefühl der Vollkommenheit; beschränkt man sich aber auf die sinnlichen, oder andere Genüsse, auf Kosten der grossen Güter, z.B. der Gesundheit, der Tugend, der Einigung mit Gott, der Glückseligkeit, so besteht der Mangel in der Beraubung dieser weiteren Bestrebungen. Im Allgemeinen ist die Vollkommenheit etwas Positives, eine unbedingte Realität; der Mangel ist beraubender Art, er kommt von der Beschränkung und er strebt nach neuen Beraubungen. Es ist deshalb ein eben so wahrer, wie alter Ausspruch, bonum ex causa integra, malum ex quolibet defectu (das Gute kommt aus einer wirklichen Ursache, das Uebel aus irgend einem Mangel); und desgleichen der, welcher sagt: malum causam habet non efficientem, sed deficientem (das Uebel hat keine bewirkende, sondern eine ermangelnde Ursache). Ich hoffe, man wird nach dem Gesagten den Sinn dieser Sätze besser verstehen.

34. Die physische Mitwirkung Gottes und der Geschöpfe, insofern sie mit Willen geschieht, vermehrt ebenfalls die Schwierigkeiten, welche in Bezug auf die Freiheit bestehen. Ich halte dafür, dass unser Wille nicht blos frei ist von dem Zwange, sondern auch von der Nothwendigkeit. Schon Aristoteles hat bemerkt, dass es in der Freiheit zwei Dinge giebt, die Freiwilligkeit und die Wahl; darin besteht unsere Herrschaft über unsere Handlungen. Wenn wir frei handeln, zwingt man uns nicht, wie es geschähe, wenn man uns in einen Abgrund stürzte oder uns von oben nach unten würfe. Man hindert uns, wenn wir überlegen, nicht an der Freiheit des Geistes, wie es geschehen würde, wenn man uns einen Trank eingäbe, der uns des Urtheils beraubte. Es giebt einen Zufall bei tausend Handlungen der Natur, wenn aber in dem Handelnden kein Urtheil besteht, so hat er keine Freiheit; und hätten wir ein Urtheil ohne einen Trieb zum Handeln, so wäre unsere Seele blos Verstand ohne Willen.

35. Man darf indess nicht glauben, dass unsere Freiheit in der Unbestimmtheit oder in einem völligen Gleichgewicht bestehe, so dass man nach der Seite des Ja eben so stark, wie nach der Seite des Nein, oder nach den mehreren Seiten verschiedener Richtungen gleich stark neigen müsste, sofern deren mehrere eingeschlagen werden können. Dieses Gleichgewicht im strengen Sinne ist unmöglich, denn triebe es uns nach A, B und C gleich stark, so könnte es uns nicht gleich stark nach A wie nach Nicht-A hintreiben. Auch widerspricht dieses Gleichgewicht durchaus der Erfahrung; vielmehr wird man, wenn man sich prüft, immer einen Umstand oder einen Grund finden, welcher uns zu der gewählten Seite bestimmt hat; obgleich man sehr oft das nicht bemerkt, was uns bestimmt, wie man ja auch nicht leicht bemerkt, weshalb man bei dem Herausgehen zuerst mit dem rechten oder mit dem linken Fusse durch die Thüre geschritten ist.

30. Doch ich komme zu den Schwierigkeiten. Die Philosophen sind heutzutage darin einstimmig, dass die Wahrheit kommender zufälliger Ereignisse bestimmt sei, d.h. dass die zukünftigen zufälligen Ereignisse kommend sind, oder dass sie sein und eintreten werden; denn es ist eben so gewiss, dass das Zukünftige sein wird, wie dass das Vergangene gewesen ist. So war es schon vor hundert Jahren wahr, dass ich heute schreiben würde, wie es nach hundert Jahren wahr sein wird, dass ich geschrieben habe. So ist das Zufällige, als zukünftiges genommen, nicht minder zufällig und die Bestimmtheit, die man Gewissheit nennen, wäre, wenn man sie kennte, mit der Zufälligkeit wohl verträglich. Oft nimmt man das Gewisse und das Bestimmte für ein und dasselbe, weil eine bestimmte Wahrheit gekannt sein kann, so dass man sagen kann, die Bestimmtheit sei eine gegenständliche Gewissheit.

37. Diese Bestimmtheit liegt in der Natur der Wahrheit und kann der Freiheit nicht schaden; allein es giebt andere Bestimmtheiten, die man von anderwärts entnimmt und zunächst von dem Vorauswissen Gottes, was Mehrere mit der Freiheit für unverträglich gehalten haben. Sie sagen, dass das, was vorausgesehen sei, in seinem Dasein nicht ausbleiben könne und sie haben hier Recht; allein daraus folgt nicht, dass das Vorausgesehene nothwendig ist; denn die nothwendige Wahrheit ist die, deren Gegentheil unmöglich ist oder den Widerspruch enthält. Nun ist aber die Wahrheit, welche sagt, dass ich morgen schreiben werde, nicht von dieser Art; sie ist keineswegs nothwendig. Allein angenommen, dass Gott sie voraussieht, so wird es nothwendig, dass sie eintritt, d.h. die Folge ist nothwendig, d.h. es ist nothwendig, dass sie wirklich wird, weil sie vorausgesehen worden, da Gott sich nicht irren kann. Dies ist das, was man die hypothetische Nothwendigkeit nennt. Allein um diese Nothwendigkeit handelt es sich nicht; es wird hier eine unbedingte Nothwendigkeit verlangt, um sagen zu können, dass eine Handlung nothwendig sei, dass sie nicht zufällig und nicht die Wirkung einer freien Wahl sei. Auch ist leicht einzusehen, dass das Vorauswissen an sich der Bestimmtheit der Wahrheit kommender zufälliger Dinge nichts hinzusetzt, ausgenommen, dass diese Bestimmtheit dann gekannt ist; dies vermehrt indess die Bestimmtheit, oder das Zukünftigsein (wie man es nennt) dieser Ereignisse, über welches wir bereits einig sind, nicht.

38. Diese Antwort ist ohne Zweifel sehr richtig; man gesteht, dass das Vorauswissen an sich die Wahrheit nicht bestimmter macht. Sie wird vorausgesehen, weil sie bestimmt ist, weil sie wahr ist; aber sie ist nicht wahr, weil sie vorausgesehen wird und darin hat die Kenntniss des Kommenden nichts, was nicht auch in der Kenntniss des Vergangenen und Gegenwärtigen enthalten ist. Indess könnte ein Gegner sagen: Ich gebe zu, dass das Vorauswissen an sich die Wahrheit nicht bestimmter macht, aber die Ursache des Vorauswissens thut es. Denn das Vorauswissen Gottes muss seine Grundlage in der Natur der Dinge haben und da diese Grundlage die Wahrheit zu einer vorherbestimmten macht, so verhindert sie damit, dass sie zufällig und frei ist.

39. Diese Schwierigkeit hat die Bildung zweier Parteien veranlasst; die derer, welche für die Vorherbestimmung sind und die, welche das mittlere Wissen vertheidigen. Die Dominikaner und Augustiner sind für die Vorherbestimmung, die Franziskaner und die neuern Jesuiten sind dagegen für das mittlere Wissen. Diese Parteien sind seit der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts und ein wenig später hervorgetreten. Molina selbst (welcher vielleicht mit Fonseca einer der ersten war, welcher diese Frage in ein System gebracht hat und von dem die Uebrigen Molinisten heissen) sagt in seinem Buche, was er über die Vereinigung der Willensfreiheit mit der Gnade um's Jahr 1570 geschrieben, dass die spanischen Gelehrten (er meint damit hauptsächlich die Thomisten), welche seit 20 Jahren geschrieben hätten, die Vorausbestimmung als für die freien Handlungen nothwendig aufgestellt hätten, weil sie kein anderes Mittel gewusst, um zu erklären, wie Gott ein sicheres Wissen von den kommenden zufälligen Ereignissen haben könne.

40. Er selbst glaubt ein anderes Mittel gefunden zu haben. Er erwägt, dass es dreierlei Gegenstände des göttlichen Wissens gäbe; die möglichen, die wirklichen und die bedingten Ereignisse, welche letztere eintreten, wenn die betreffende Bedingung wirklich wird. Das Wissen des Möglichen nennt er das Wissen der einfachen Einsicht; das der Ereignisse, die in dem Gange des Universums wirklich eintreten, nennt er das Wissen des Schauens (vision). So wie es nun ein Mittleres zwischen dem einfach Möglichen und dem reinen und unbedingten Ereigniss giebt, so kann man nach Molina auch ein mittleres Wissen zwischen dem des Schauens und dem der Einsicht annehmen. Man führt hierfür das bekannte Beispiel David's an, welcher das göttliche Orakel fragt, ob die Einwohner der Stadt Kegila, in welche er sich einschliessen wollte, ihn dem Saul ausliefern würden, im Fall Saul sie belagern sollte. Gott bejahte dies und David fasste deshalb einen andern Entschluss. Nun meinen einige Vertheidiger dieses mittleren Wissens, dass Gott, bei seinem Voraussehen dessen, was die Menschen freiwillig thun würden, im Fall sie in diese und jene Um stände versetzt würden und bei seinem Wissen, dass sie ihre Freiheit schlecht gebrauchen würden, beschliesse ihnen die Gnade und die günstigen Umstände zu versagen. Dies könne er mit Recht, da ja diese Umstände und diese Hülfen ihnen nichts genützt haben würden. Molina begnügt sich indess, darin im Allgemeinen einen Grund für die Beschlüsse Gottes zu erkennen, die sich auf das gründen, was das freie Geschöpf unter diesen und jenen Umständen gethan haben würde.

41. Ich gehe nicht in alles Einzelne dieser Streitfrage ein; die hier gegebene Probe wird genügen. Einige Aeltere, mit denen der heilige Augustin und seine ersten Schüler nicht zufrieden waren, scheinen Ansichten gehabt zu haben, welche denen des Molina sich sehr näherten. Die Thomisten und die welche sich Schüler des heiligen Augustin nennen (ihre Gegner nennen sie aber Jansenisten) bekämpfen aus philosophischen und theologischen Gründen diese Lehre. Einige behaupten, dass jenes mittlere Wissen in dem Wissen der einfachen Einsicht mit enthalten sei; doch geht der Haupteinwurf gegen die Begründung dieses Wissens. Denn welche Grundlage, sagen sie, konnte Gott für sein Wissen dessen haben, was die Kegiliten thun würden. Eine einfache zufällige und freie Handlung habe in sich nichts, was einen Anhalt für ein gewisses Wissen geben könne; man müsste es denn als durch die Beschlüsse Gottes, wie durch die Ursachen, welche von diesen Beschlüssen abhängen, vorher bestimmt auffassen. Deshalb bestehe die für die freien und wirklichen Handlungen vorhandene Schwierigkeit auch für die freien bedingten, d.h. Gott werde sie nur als bedingt durch ihre Ursachen und seine Beschlüsse kennen, welche die ersten Ursachen der Dinge seien und man könne sie nicht davon abtrennen, um ein zufälliges Ereigniss in einer Weise zu kennen, die von der Kenntniss seiner Ursachen unabhängig sei. Deshalb müsse man alles auf die Vorausbestimmung Gottes zurückführen; ein solches mittleres Wissen Gottes werde (sagt man) zu nichts nützen. Auch behaupten die Theologen, welche sich als die Anhänger des heiligen Augustin erklären, dass dieses Vorgehen der Molinisten die Quelle für die Gnade Gottes in die guten Eigenschaften der Menschen verlegen würde, was der Ehre Gottes und der Lehre des heiligen Paulus zuwiderlaufe.

42. Es würde zu lang und ermüdend werden, wenn ich auf die beiderseitigen Repliken und Dupliken eingehen wollte; es wird genügen, wenn ich darlege, wie ich das Wahre in beiden Parteien auffasse. Ich komme zu dem Ende auf mein Prinzip von einer unendlichen Vielheit möglicher Welten zurück, welche in dem Bereiche der ewigen Wahrheiten, d.h. in der göttlichen Einsicht vorgestellt sind, wo alle künftigen bedingten mit befasst sein müssen. Denn der Fall der Belagerung von Kegila gehört zu einer möglichen Welt, welche nur in alle dem, was mit dieser Annahme verknüpft ist, von der vorhandenen abweicht und die Vorstellung dieser möglichen Welt enthält alles, was in diesem Fall eintreten würde. Damit haben wir ein Prinzip für das sichere Wissen zukünftiger zufälliger Ereignisse, mögen sie wirklich eintreten, oder nur in einem besondern Fall eintreten müssen. Denn in dem Gebiete des Möglichen werden sie, so wie sie sind, vorgestellt, d.h. als zufällige und freie. Deshalb darf weder das Vorherwissen der zukünftigen zufälligen Ereignisse, noch die Grundlage von der Gewissheit dieses Vorherwissens uns bedenklich machen oder als der Freiheit nachtheilig angesehen werden. Selbst wenn es wahr wäre, dass die zufälligen künftigen freien Handlungen vernünftiger Geschöpfe völlig unabhängig von Gottes Beschlüssen und den äusseren Ursachen seien, würden sie doch vorausgesehen werden können. Denn Gott würde sie in dem Bereiche des Möglichen so wie sie sind, kennen, bevor er beschloss, sie zum Dasein zuzulassen.

43. Wenn indess das Vorherwissen Gottes auf die Abhängigkeit oder Unabhängigkeit unserer freien Handlungen ohne Einfluss ist, so ist dies doch nicht auch mit seiner Vorherbestimmung der Fall und mit der Folgenreihe der Ursachen, welche nach meiner Ansicht zur Bestimmung des Willens beitragen. Wenn ich daher auch in dem ersten Punkt für die Molinisten bin, so bin ich doch bei dem zweiten für die Anhänger der Vorherbestimmung, nur mit der Einschränkung, dass diese niemals eine nothwendig bestimmende ist. Mit einem Worte, ich meine, der Wille hat immer mehr zu der Seite geneigt, welche er demnächst ergreift, entsprechend dem berühmten Ausspruch: Astra inclinant, non necessitant (die Gestirne treiben, aber zwingen nicht), obgleich hier der Fall nicht ganz derselbe ist. Denn das Ereigniss, zu welchen die Gestirne treiben (um mit der Menge zu sprechen, als wenn die Sterndeutung etwas Wahres enthielte), trifft nicht immer ein, während der Wille die Seite, zu der er am meisten neigt, immer erfasst. Auch würden die Gestirne nur einen Theil der Antriebe bilden, die für das Ereigniss zusammentreffen; wenn man aber von dem stärksten Antrieb des Willens spricht, so meint man das Ergebniss aller Antriebe zusammen, ohngefähr wie ich oben von dem nachfolgenden Willen Gottes gesprochen habe, welcher aus allen vorgehenden Willen hervorgeht.

44. Indess bewirkt die objektive Gewissheit oder die Bestimmung keine Nothwendigkeit der bestimmten Wahrheit. Alle Philosophen erkennen dies an, indem sie gestehen, dass die Wahrheit aller zukünftigen zufälligen Ereignisse bestimmt sei und dass sie trotzdem zufällig bleiben; nämlich weil der Fall keinen Widerspruch in sich enthalten würde, wenn der Erfolg nicht einträte; denn darin besteht das zufällige. Um dies besser einzusehen, muss man bedenken, dass es zwei grosse Prinzipien für unser Begründen giebt; das eine ist das Prinzip des Widerspruchs, wonach von zwei einander entgegengesetzten Sätzen einer wahr sein muss und der andere falsch; das andere ist das Prinzip des bestimmenden Grundes, wonach nichts sich ereignet, ohne eine Ursache oder wenigstens einen bestimmten Grund, d.h. ohne Etwas, welches dazu dient, die Begründung a priori dafür zu geben, weshalb etwas so und nicht in einer andern Weise besteht. Dieses grosse Prinzip gilt für alle Ereignisse und man wird nie einen entgegengesetzten Fall anführen können; und obgleich diese bestimmten Gründe uns meistentheils nicht vollständig bekannt sind, so sehen wir doch immer ein, dass dergleichen vorhanden sein müssen.[128] Ohne dieses grosse Prinzip könnte man nie das Dasein Gottes beweisen und eine Unzahl von sehr wichtigen und sehr nützlichen Begründungen würden ohne dieses Prinzip für uns verloren sein; auch verträgt es keine Ausnahme, sonst wäre seine Kraft geschwächt. Es giebt auch nichts schwächeres, als jene Systeme, wo alles schwankend und voller Ausnahme ist. Es trifft dies auch nicht das Prinzip, was ich ebenfalls billige, und demgemäss alles auch allgemeinen Regeln geschieht, welche sich einander mehr oder weniger beschränken.

45. Man darf sich deshalb nicht mit einigen Scholastikern, welche etwas auf Chimären eingehen, einbilden, dass die zukünftigen zufälligen freien Handlungen von dieser allgemeinen Regel über die Natur der Dinge ausgenommen seien. Es besteht immer ein überwiegender Grund, welcher den Willen zu seiner Wahl führt und es genügt für seine Freiheit, dass dieser Grund nur treibt aber nicht zwingt. Dies ist auch die Ansicht der Alten, des Plato, des Aristoteles, des heiligen Augustin. Der Wille wird immer nur durch die Vorstellung des Guten, welche die entgegengesetzten Vorstellungen überwiegt, getrieben; man nimmt dies selbst bei Gott, den guten Engeln und bei den seligen Seelen an und man erkennt trotzdem an, dass sie nicht minder frei seien. Gott unterlässt nicht, das Bessere zu wählen; aber er ist nicht gezwungen, dies zu thun und es besteht selbst in dem Gegenstande der Wahl Gottes keine Nothwendigkeit, weil sie unter mehreren möglichen geschieht und der Wille nur durch die überwiegende Güte des Gegenstandes bestimmt wird. Es ist dies deshalb kein Mangel bei Gott und den Heiligen; im Gegentheil würde es ein grosser Fehler, oder vielmehr eine offenbare Widersinnigkeit sein, wenn es selbst bei den Menschen hienieden anders wäre und wenn sie ohne treibenden Grund handeln könnten. Deshalb wird man kein Beispiel dieser Art finden und selbst wenn man aus Eigensinn sich entscheidet, um seine Freiheit zu beweisen, so ist das Vergnügen oder der Vortheil, welchen man an einem solchen affektirten Handeln findet, einer der Gründe, die dazu veranlassen.

46. Es besteht deshalb eine Freiheit des Zufälligen oder gewissermassen Gleichgültigen; sofern man unter dem Gleichgültigen versteht, dass uns Nichts zu der einen oder der andern Seite zwingt; allein sie ist niemals die Folge eines Gleichgewichts, d.h. wo auf beiden Seiten alles gleich wäre. Eine Unzahl grosser und kleiner, innerer und äusserer Beweggründe treffen in uns zusammen, deren man sich meistentheils nicht bewusst wird, und ich habe schon gesagt, dass bei dem Verlassen eines Zimmers selbst Gründe uns bestimmen, mit einem bestimmten Fusse vorauszugehen, ohne dass wir darauf achten. Denn es giebt nicht überall einen Sclaven, wie in dem Hause des Trimalchio bei Petronius, welcher uns zuruft: Mit dem rechten Fusse voran. Alles von mir Gesagte stimmt auch vollständig mit den Lehren der Philosophen, wonach eine Ursache ohne Geneigtheit zur Thätigkeit, nicht wirken kann; diese Neigung ist es, welche eine Vorherbestimmung enthält, mag der Handelnde sie von aussen empfangen haben oder in Folge dessen, was er selbst vorher gethan hat.

47. Man braucht deshalb auch nicht mit einigen andern Thomisten auf eine neue unmittelbare Vorherbestimmung Gottes zurückzugreifen, welche das freie Geschöpf aus seiner Unbestimmtheit heraustreten macht, und auf einen Beschluss Gottes, es vorher zu bestimmen, vermittelst welchem Gott erkennt, was er thun werde; es genügt, dass das Geschöpf durch seinen vorgehenden Zustand im Voraus bestimmt ist, welcher es mehr zu der einen, wie zu der andern Seite neigen lässt und dass all diese Verbindungen der Handlungen des Geschöpfes und aller Geschöpfe in dem Verstande Gottes vorgestellt und durch das Wissen der einfachen Einsicht desselben gekannt waren, ehe er beschloss, ihnen das Dasein zu gewähren. Hieraus erhellt, dass man das Vorherwissen Gottes rechtfertigen kann, auch ohne das mittlere Wissen der Molinisten und ohne die Vorherbestimmung, wie sie ein Bannés oder ein Alvarez (im Uebrigen sehr gründliche Schriftsteller) gelehrt haben.

48. Die Molinisten waren durch diese falsche Vorstellung eines Gleichgewichts der Antriebe in grosse Verlegenheit gekommen. Man fragte sie nicht blos, wie man möglicherweise dies wissen könne, wozu eine durchaus unbestimmte Ursache sich bestimmen werde, sondern auch, wie es möglich sei, dass eine Bestimmtheit schliesslich daraus hervorgehe, für die es keine Quelle gebe. Denn mit Molina zu sagen, »dies sei eben das Privilegium der freien Ursache«, ist nichts gesagt und heisst so viel, als ihr das Privilegium zu ertheilen, chimärisch zu sein. Man sieht mit Vergnügen, wie diese Molinisten sich um einen Ausgang aus diesem Labyrinth abquälen, aus dem es doch keinen giebt. Einige lehren, es geschehe, bevor der Wille sich wirklich entscheide, um aus diesem Zustand des Gleichgewichts herauszukommen und der Pater Ludwig von Dole citirt in seinem Buche über die Mithülfe Gottes, Molinisten, die mittelst dieser Wendung sich zu helfen suchen, da sie einräumen müssen, dass die Ursache zum Handeln geneigt sein müsse. Allein sie gewinnen damit nichts, als dass sie die Schwierigkeit nur verschieben; da man sie ebenso fragen wird, wie die freie Ursache dazu komme, sich wirklich zu entschliessen. Sie kommen deshalb niemals ohne das Anerkenntniss heraus, dass in dem vorgehenden Zustande des freien Geschöpfes eine vorgehende Bestimmung enthalten sei, welche es dahin neigen macht, dass es sich bestimmt.

49. Deshalb ist auch der Fall mit dem Esel Buridan's zwischen zwei Wiesen, der nach beiden Wiesen getrieben wird, eine Erfindung, die in dem Universum und in der Ordnung der Natur nicht vorkommen kann, obgleich Herr Bayle anderer Ansicht ist. Wäre der Fall möglich, so müsste man allerdings sagen, dass der Esel vor Hunger sterben werde; allein im Grunde trifft die Frage das Unmögliche, es müsste denn Gott ausdrücklich einen solchen Fall hervorbringen. Denn das Universum kann nicht durch eine, den Esel mitten durch, vertikal seiner Länge nach schneidende Ebene getheilt werden, so dass beide Theile einander gleich und ähnlich seien, wie dies bei einer Ellipse und jeder ebenen Figur aus der Zahl der von mir genannten »beiderseitsrechten« mittelst irgend einer durch den Mittelpunkt gehenden Linie geschehen kann. Weder diese Theile des Universums, noch die Eingeweide des Thieres sind einander ähnlich, noch liegen sie gleich zu beiden Seiten dieser vertikalen Ebene. Es wird deshalb immer vieles im und ausserhalb des Esels geben, was, obgleich wir es nicht bemerken, ihn bestimmt, sich mehr nach der einen Seite, wie nach der andern zu wenden. Obgleich der Mensch frei ist, was der Esel nicht ist, so bleibt es doch aus demselben Grunde auch bei dem Menschen wahr, dass der Fall eines vollkommenen Gleichgewichts beider Seiten unmöglich ist und dass ein Engel oder wenigstens Gott immer darlegen könnte, weshalb der Mensch die eine Seite gewählt, indem er eine Ursache oder einen treibenden Grund anzeigen könnte, welche den Menschen die eine Seite hat ergreifen lassen, obgleich dieser Grund oft sehr zusammengesetzt und für uns unbegreiflich sein könnte, weil die Verkettung der mit einander verknüpften Ursachen sehr weit geht.

50. Deshalb beweist auch der von Herrn Descartes angeführte Grund nichts, wo er sich für die Unabhängigkeit unserer freien Handlungen auf ein angebliches lebhaftes inneres Gefühl stützt. Wir können eigentlich unsere Unabhängigkeit nicht fühlen und wir sind uns nicht immer der oft unmerklichen Ursachen bewusst, von denen unser Entschluss abhängt. Es wäre dies ebenso, als wenn man von der Magnetnadel sagte, es mache ihr Vergnügen, sich nach Norden zu richten; denn sie würde glauben, dass dies ohne eine andere Ursache geschehe, weil sie die unmerklichen Bewegungen des magnetischen Stoffes nicht empfindet. Indess werden wir später sehen, in welchem Sinne es wahr ist, dass die menschliche Seele durchaus ihr eigenes natürliches Prinzip für ihre Handlungen ist, welches von ihr selbst abhängt und unabhängig von allen anderen Geschöpfen ist.

51. Was das Wollen selbst betrifft, so passt es nicht, es den Gegenstand des freien Willens zu nennen.
Wir wollen handeln, richtig gesprochen, und wir wollen nicht wollen, sonst könnte man auch sagen, dass wir den Willen zu wollen haben wollen und dies ginge in's Endlose. Wir folgen auch nicht immer dem letzten Urtheile des praktischen Verstandes, wenn wir uns zu wollen bestimmen, aber wir folgen bei unserem Wollen immer dem Endergebniss aller Antriebe, welche von Seiten der Vernunft, wie der Leidenschaften kommen, und zwar oft ohne ein ausdrückliches Urtheil des Verstandes.

52. Alles ist deshalb im Voraus bei dem Menschen gewiss und bestimmt, wie überall anderwärts und die menschliche Seele ist eine Art geistiger Automat, obgleich die zufälligen Handlungen überhaupt und die freien Handlungen insbesondere deshalb nicht nothwendig im Sinne einer unbedingten Nothwendigkeit sind, welche in Wahrheit mit der Zufälligkeit sich nicht vertragen würde. So wird diese Zufälligkeit und Freiheit weder durch die Zukünftigkeit an sich, sei sie auch ganz gewiss, aufgehoben, noch durch die untrügliche Voraussicht Gottes, noch durch die Vorausbestimmung der Ursachen, noch durch die Beschlüsse Gottes. Man erkennt dies in Bezug auf die Zukünftigkeit und Voraussicht an, wie schon dargelegt worden ist und da der Beschluss Gottes lediglich in dem Entschluss besteht, den er, nachdem er alle möglichen Welten verglichen, für die Auswahl der besten fasst, um sie durch das allmächtige Wort fiat (es werde) mit all ihrem Inhalt zum Dasein zuzulassen, so erhellt, dass dieser Beschluss in der Verfassung der Dinge nichts ändert und dass er sie ganz in dem Zustande lässt, in dem sie während ihrer reinen Möglichkeit waren, d.h. dass er weder in ihrer Essenz oder Natur, noch selbst in ihren Accidenzen etwas ändert, die bereits vollständig in dem Gedanken dieser möglichen Welt vorgestellt waren. So bleibt das, was zufällig und frei ist, es nicht minder in den Beschlüssen Gottes, wie in seiner Voraussicht.

53. So könnte also selbst Gott (wird man sagen) in dieser Welt nichts ändern? Gewiss kann er für jetzt sie unbeschadet seiner Weisheit nicht ändern, da er diese Welt und was sie enthält, vorausgesehen hat und weil er sogar den Entschluss gefasst hat, sie in's Dasein überzuführen, da er weder sich täuschen, noch etwas bereuen kann und ihm es nicht zukommt, einen unvollkommenen Entschluss zu fassen, der nur einen Theil und nicht das Ganze im Auge hätte. Indem also alles von Anfang ab geregelt ist, so ergiebt dies lediglich die hypothetische Nothwendigkeit, welche Jedermann anerkennt, in Folge deren nach der Voraussicht Gottes oder nach seinem Entschlusse nichts geändert werden kann, und dennoch bleiben die Ereignisse an sich selbst zufällige.
Denn [wenn man diese Voraussetzung von der Zukünftigkeit der Sache und von der Voraussicht oder dem Entschlusse Gottes bei Seite lässt, eine Voraussetzung, welche schon bewirkt, dass die Sache eintreten werde und nach welcher man sagen muss: Unumquodque, quando est, oportet esse, aut unumquodque si quidem erit, oportet futurum esse. (Jedwedes muss sein, wenn es ist, oder jedwedes muss, wenn es sein wird, ein zukünftiges sein.)] das Ereigniss hat in sich nichts, was es noth wendig machte und welches nicht vorstellen liesse, dass jede andere Sache statt ihrer eintreten könnte. Ebenso treibt nur die Verknüpfung der Ursachen mit ihren Wirkungen die freie Thätigkeit, ohne sie zu zwingen, wie ich dargelegt habe; sie bewirkt deshalb nicht einmal eine hypothetische Nothwendigkeit, wenn man nicht etwas von Aussen damit verbindet, nämlich den Satz selbst, dass der überwiegende Antrieb immer sich verwirklicht.

54. Man wird auch einwenden, dass wenn alles geregelt sei, Gott keine Wunder bewirken könne. Allein man bedenke, dass die in der Welt vorkommenden Wunder auch als eingehüllt und als möglich vorgestellt in dieser, im Zustand der reinen Möglichkeit aufgefassten Welt enthalten waren; und Gott, welcher nachher diese Wunder gethan hat, hat gleich damals beschlossen, sie zu verwirklichen, als er diese Welt erwählt hatte. Man kann noch einwerfen, dass die Gelübde und Gebete, die Verdienste und Verschuldungen, die guten und die schlechten Handlungen dann zu nichts nützen, weil nichts sich ändern könne. Dieser Einwand bringt gemeiniglich am meisten in Verlegenheit, und doch ist er ein reines Sophisma. Diese Gebete und Gelübde, diese guten und schlechten Handlungen, die heute geschehen, waren schon in Gottes Wissen, als er den Entschluss fasste, die Dinge zu regeln. Was in dieser wirklichen Welt geschieht, war schon in der Vorstellung der nur erst möglichen Welt mit ihren Wirkungen und Folgen enthalten; sie waren darin vorgestellt, in ihrer, sei es natürlichen, sei es übernatürlichen Erwirkung der Gnade Gottes, sowohl die Züchtigungen verlangend, wie die Belohnungen; alles so, wie es in dieser wirklichen Welt erfolgt, nachdem Gott sie erwählt hat. Das Gebet und die gute Handlung waren damals eine ideale Ursache oder Bedingung, d.h. ein treibender Grund, welcher zur Gnade Gottes oder zur Belohnung mit verhelfen konnte, wie jene Gebete und guten Handlungen es jetzt in Wirklichkeit thun; und da alles in der Welt weise verknüpft ist, so erhellt, dass Gott in Voraussicht dessen, was frei geschehen werde, danach auch das Uebrige der Dinge im Voraus geregelt hat, oder (was dasselbe ist) er hat diese mögliche Welt gewählt, wo alles in dieser Weise geregelt war.

55. Diese Erwägungen schlagen zugleich das nieder, was die Alten »das faule Sophisma« nannten (logos argos) welches beschliesst, nichts zu thun; denn (sagt man) wenn das, was ich erbitte, geschehen soll, so wird es geschehen, auch wenn ich nichts thue und wenn es nicht eintreffen soll, so wird es nie eintreffen, trotz aller Mühe, die ich mir gebe. Man könnte diese Nothwendigkeit, welche man innerhalb der Ereignisse getrennt von ihren Ursachen sich vorstellt, das Fatum Mahomedanum nennen, wie ich schon früher gesagt habe, weil die Türken aus einem ähnlichen Grunde angeblich die Orte nicht vermeiden, wo die Pest wüthet. Die Antwort ist indess sehr leicht; da die Wirkung sicher ist, so ist es auch die Ursache, die sie bewirken soll und wenn die Wirkung erfolgt, so geschieht es vermöge einer ihr entsprechenden Ursache. Deshalb wird eure Faulheit vielleicht bewirken, dass ihr nichts von dem Gewünschten erreicht und dass ihr in die Uebel gerathet, die ihr durch ein sorgfältiges Handeln vermieden haben würdet. Man sieht daher, dass die Verknüpfung der Ursachen mit den Wirkungen, anstatt eine unerträgliche Schicksalsnothwendigkeit zu bewirken, vielmehr ein Mittel bietet, sie zu beseitigen. Ein deutsches Sprüchwort sagt, dass der Tod immer eine Ursache haben will, und nichts ist wahrer. Du wirst an dem und dem Tag sterben! (man nehme an, dass dies so sei und dass Gott es voraussieht) gut; ohne Zweifel wird es geschehen, aber nur weil Du das thun wirst, was dahin führt. Ebenso ist es mit den Züchtigungen Gottes, die auch von ihren Ursachen abhängen, und es wird hier an der Stelle sein, jenen berühmten Ausspruch des heiligen Ambrosius zu citiren (in Kap. 1 Evangel. Lucae): Der Herr weiss seinen Ausspruch zu ändern, wenn Du dein Vergehen zu ändern weisst. (Novit Dominus mutare sententiam, si tu noveris mutare delictum); welcher Ausspruch nicht von der Missbilligung, sondern von der Androhung zu verstehen ist, wie die, welche Jonas von Seiten Gottes den Niniviten machte. Und jene gemeine Rede, si non prädestinatus, fac ut prädestineris (wenn es Dir nicht vorher bestimmt ist, so mache, dass es Dir vorher bestimmt werde), darf nicht buchstäblich genommen werden, da ihr wahrer Sinn dahin geht, dass der, welcher an seiner Vorausbestimmung zweifelt, nur das was er soll, zu thun braucht, um der Gnade Gottes theilhaftig zu werden. Das Sophisma, wonach man sich um Nichts sorgen solle, kann manchmal gut sein, um gewisse Leute mit gebeugtem Haupte der Gefahr entgegen gehen zu machen und man erzählt dies besonders von den türkischen Soldaten; indess scheint der Maslach hieran mehr Theil zu haben, als jenes Sophisma, abgesehen davon, dass dieser entschlossene Geist der Türken sich in unsern Tagen sehr verleugnet hat.

56. Ein gelehrter holländischer Arzt, Johann von Bewerwyk, hatte den Einfall über den Terminus vitae (die Grenze des Lebens) zu schreiben und die verschiedenen Antworten, Briefe und Ausführungen gelehrter Männer seiner Zeit darüber zu sammeln. Diese Sammlung ist gedruckt worden und man staunt, wenn man sieht, wie oft hier die Meinungen gewechselt haben und wie man eine Frage verwickelt hat, welche bei richtiger Auffassung die leichteste von der Welt ist. Wie kann man sich da wundern, dass es eine grosse Anzahl von Zweifeln giebt, aus denen das menschliche Geschlecht nicht herauskommen kann. Die Wahrheit ist, dass man sich gern verirrt; es ist dies eine Art Spaziergang des Geistes, bei welchem man sich nicht der Aufmerksamkeit, der Ordnung und den Regeln unterwerfen will. Wir sind anscheinend so an das Spiel und Geschwätz gewöhnt, dass wir selbst bis in die ernsthaftesten Beschäftigungen hinein und wenn wir am wenigsten daran denken, mit uns spielen.

57. Ich fürchte, dass in den neulichen Streit zwischen den Theologen des Augsburgischen Bekenntnisses, de Termino poenitentiae peremtorio (über den schliesslichen letzten Zeitpunkt für die Reue), welcher so viele Abhandlungen in Deutschland veranlasst hat, auch manche Missverständnisse, wenn auch anderer Art, sich eingeschlichen haben. Die durch das Gesetz vorgeschriebenen Fristen heissen bei den Juristen Fatalia. Man kann gewissermassen sagen, dass der letzte unveränderliche Zeitpunkt für die Reue und Besserung des Menschen, bei Gott bestimmt sei, da bei ihm alles bestimmt ist. Gott weiss, wenn ein Sünder so verhärtet ist, dass nunmehr nichts mehr für ihn zu thun ist; nicht deshalb, weil es nun nicht mehr möglich wäre, dass er Busse thäte, oder weil die zureichende Gnade ihm nach Ablauf einer gewissen Frist versagt sein müsste, da die Gnade es nie an sich fehlen lässt, sondern weil es eine Zeit geben wird, nach deren Ablauf er sich nicht mehr den Wegen des Heiles nähern wird. Allein wir haben niemals sichere Kennzeichen für diese Frist und wir dürfen niemals einen Menschen für unbedingt verdammt halten; dies wäre ein verwegenes Urtheil. Es ist besser, immer noch hoffen zu dürfen und bei dieser Gelegenheit, wie bei tausend anderen, ist unsere Unwissenheit uns nützlich.

Prudens futuri temporis exitum

Caliginosa nocte premit Deus.

(Gott verhüllt weislich den Ausfall

der kommenden Zeit in dunkle Nacht.)

58. Alles Zukünftige ist ohne Zweifel bestimmt, allein da wir dieses Bestimmte und das Vorgesehene und Beschlossene nicht kennen, so sollen wir unsere Pflicht der von Gott empfangenen Vernunft gemäss erfüllen nach den Regeln, die er uns vorgeschrieben hat. Dann sollen wir ruhig im Gemüthe sein und Gott die Sorge für den Erfolg überlassen; denn er wird immer das Beste thun, nicht blos für das Ganze, sondern auch im besonderen für die, welche ihm wahrhaft vertrauen, d.h. eine wahrhafte Frömmigkeit, einen lebendigen Glauben und eine eifrige Liebe haben, die uns nichts von dem versäumen lassen, was bezüglich unserer Pflicht und seines Dienstes von uns abhängt. Wir können Gott allerdings keinen Dienst leisten, denn er bedarf nichts, aber in unserer Sprache ist es ein ihm dienen, wenn wir seinen vermuthlichen Willen zu erfüllen trachten, indem wir zu dem von uns erkannten Guten beitragen, so weit es uns möglich ist. Wir müssen immer annehmen, dass sein Wille dies verlangt, bis wir aus dem Geschehenen entnehmen, dass Gott stärkere Gründe gehabt habe, wenn sie uns auch vielleicht unbekannt sind, welche ihm das von uns erstrebte Gute haben hinten anstellen lassen gegen ein grösseres, was er sich vorgesetzt hat und was er nicht unterlassen hat, noch unterlassen wird, zu verwirklichen.

59. Ich habe gezeigt, wie die Bethätigung des Willens von dessen Ursachen abhängt, so wie dass diese Abhängigkeit unserer Handlungen für Uns das Angemessenste ist und dass man ohnedem in eine widersinnige und unerträgliche Schicksalsnothwendigkeit gerathen würde, d.h. in das Fatum Mahomedanum, welches das schlimmste von Allem ist, weil es die Vorsicht und die Ueberlegung aufhebt. Indess ist es zweckmässig, dass ich zeige, wie diese Abhängigkeit unsern freiwilligen Handlungen im Grunde eine wunderbare Selbstbestimmung in uns nicht verhindert, welche in einem gewissen Sinne die Seele von dem physischen Einfluss aller andern Geschöpfe unabhängig macht. Diese Selbstbestimmung, die bis jetzt wenig gekannt ist, gewährt uns die möglichst grösste Herrschaft über unsere Handlungen und ist eine Folge des Systems der vorherbestimmten Harmonie, die ich hier etwas erläutern muss. Die scholastischen Philosophen glaubten, es gebe einen gegenseitigen physischen Einfluss zwischen Seele und Körper, allein seitdem man erkannt hat, dass der Gedanke und der ausgedehnte Stoff keine Verbindung mit einander haben und dass beide erschaffene Dinge sind, welche toto genere (der ganzen Gattung nach) sich von einander unterscheiden, so haben mehrere teuere eingesehen, dass es zwischen der Seele und dem Körper keine physische Mittheilung giebt, wenn auch die metaphysische Mittheilung immer besteht, welche bewirkt, dass die Seele und der Körper dasselbe Unterliegende bilden, oder das, was man eine Person nennt. Wenn diese physische Mittheilung bestände, so würde in Folge derselben die Seele den Grad der Schnelligkeit und die Richtung einiger in dem Körper enthaltenen Bewegungen verändern und umgekehrt würde der Körper die Folge der Gedanken in der Seele verändern. Allein man wird diese Wirkung aus keiner Vorstellung, die man von dem Körper und von der Seele fasst, entnehmen können, obgleich uns nichts bekannter ist, als unsere Seele, weil sie uns innerlich ist, d.h. an sich selbst innerlich.

60. Herr Descartes hat kapituliren und einen Theil der körperlichen Bewegungen von der Seele abhängig machen wollen. Er meinte eine Regel der Natur zu kennen, welche nach ihm dahin führt, dass immer dieselbe Menge von Bewegung in den Körpern sich erhalte. Er glaubte, dass die Seele dieses Gesetz für die Körper nicht verletzen könne, allein er meinte, dass die Seele dennoch es vermöge, die Richtungen der Bewegungen in dem Körper zu ändern, ohngefähr wie ein Reiter sein Pferd, obgleich er ihm keine Kraft einflösst, es doch leitet, indem er dieser Kraft des Pferdes eine beliebige Richtung giebt. Allein da dies mittelst des Zügels, des Gebisses, der Sporen und anderer materiellen Hülfen geschieht, so lässt sich dies begreifen; dagegen hat die Seele keine Instrumente, deren sie sich zu diesem Zwecke bedienen könnte; es ist also nichts in der Seele und im Körper, d.h. in den Gedanken oder in der Masse, welches diesen Austausch von einem zum andern erklären könnte; kurz, dass die Seele die Menge der Kraft und dass sie die Richtung derselben änderte, sind zwei gleich unerklärliche Vorgänge.

61. Ueberdem hat man seit Descartes zwei wichtige Wahrheiten hier entdeckt; nach der einen ist die Menge der absoluten Kraft, die in Wahrheit sich gleich erhält, verschieden von der Menge der Bewegung, wie ich anderwärts dargelegt habe und nach der andern erhält sich auch dieselbe Richtung in allen Körpern zusammengenommen, welche auf einander in irgend einer Weise des Stosses einwirken. Hätte Herr Descartes diese Regel gekannt, so würde er auch die Richtungen der Körper eben so unabhängig von der Seele, wie die Kräfte der Körper angenommen haben und dies würde ihn wahrscheinlich geradeswegs zur Hypothese der vorausbestimmten Harmonie geführt haben, wie mich diese Regeln dahin geführt haben, indem ich, abgesehen davon, dass der physische Einfluss der einen dieser Substanzen auf die andern unerklärlich ist, erkannt habe, dass die Seele ohne eine gänzliche Störung der Naturgesetze nicht physisch auf ihren Körper wirken kann. Auch habe ich nicht geglaubt, dass man hier auf Philosophen hören könnte, die, trotz ihrer sonstigen Geschicklichkeit, einen Gott, wie bei einer Theater-Maschinerie herbeiholen, um die Entwickelung des Stückes herbeizuführen, indem sie behaupten, dass Gott sich ganz ausdrücklich damit beschäftige, dass er den Körper so bewege, wie die Seele es will, und dass er der Seele solche Vorstellungen gewährt, wie der Körper es verlangt. Dazu kommt, dass dieses System, was man das der gelegentlichen Ursachen nennt (weil Gott danach auf die Körper bei Gelegenheit der Seele und umgekehrt wirkt), ein fortwährendes Wunder behufs Herstellung des Verkehrs zwischen den beiden Substanzen einführt und doch die Störung in den für jede dieser beiden Substanzen geltenden Naturgesetzen nicht beseitigt, welche deren, nach der gewöhnlichen Meinung bestehender gegenseitiger Einfluss veranlassen würde.

62. So war ich schon ausserdem im allgemeinen von dem Prinzip der Harmonie überzeugt; und folglich auch von der vorhergegangenen Einrichtung und von der in voraus eingerichteten Harmonie aller Dinge unter einander, sowohl zwischen der Natur und der Gnade, wie zwischen den Beschlüssen Gottes und unsern von ihm vorausgesehenen Handlungen, und zwischen allen Theilen des Stoffes und selbst zwischen Zukünftigem und Vergangenem, ganz in Uebereinstimmung mit der höchsten Weisheit Gottes, dessen Werke in der möglichst denkbaren Uebereinstimmung stehen. Um so mehr musste ich daher zu diesem Systeme gelangen, welches besagt, dass Gott die Seele gleich anfänglich so geschaffen habe, dass sie sich das hervorbringen und der Reihe nach vorstellen muss, was in dem Körper geschieht und dass auch der Körper der Art geschaffen ist, dass er von selber das thut, was die Seele verlangt. Sonach müssen die Gesetze, welche die Gedanken der Seele in der Ordnung der Endzwecke und nach der Entwickelung der Vorstellungen verknüpfen, Bilder hervorbringen, welche sich begegnen mit den Eindrücken der Körper auf unsere Organe und damit übereinstimmen; und ebenso müssen die Gesetze der Bewegungen in dem Körper, welche sich in der Ordnung der wirkenden Ursachen folgen, sich auch mit den Gedanken der Seele begegnen und der Art mit diesen übereinstimmen, dass der Körper genöthigt ist, zu der Zeit, wo die Seele es will, zu handeln.

63. Auch ist diese Harmonie für die Freiheit nicht blos nicht nachtheilig, sondern ihr durchaus günstig. Herr Jaquelot hat in seinem Buche über die Uebereinstimmung der Vernunft mit dem Glauben sehr gut gezeigt, dass dieses sich so verhält, als wenn jemand, der alles wüsste, was ich den andern Tag meinem Diener befehlen werde, einen Automaten machte, welcher diesem Diener genau gliche und welcher den andern Tag pünktlich das ausführte, was ich ihm befehlen würde. Offenbar würde dies mich nicht hindern, frei alles zu befehlen, was mir gefiele, obgleich die Handlung des mich bedienenden Automaten nichts freies an sich haben würde.

64. Uebrigens hängt nach diesem System alles was in der Seele vorgeht, nur von ihr ab, und da ihr nächstfolgender Zustand nur von ihr und ihrem gegenwärtigen Zustande bestimmt wird, so kann ihr keine grössere Unabhängigkeit, als in diesem Systeme gegeben werden. Allerdings bleibt noch einige Unvollkommenheit in der Verfassung der Seele. Alles, was der Seele begegnet, hängt von ihr ab, allein nicht immer von ihrem Willen; dies wäre zu viel; denn vieles davon wird nicht einmal von ihrem Verstande erkannt, oder genauer gesagt, weil in ihr nicht blos eine Reihe deutlicher Vorstellungen besteht, welche ihr Reich ausmachen, sondern noch eine Folge verworrener Vorstellungen oder Leidenschaften, welche ihre Sclaverei ausmacht. Hierüber darf man sich nicht wundern; die Seele würde eine Gottheit sein, wenn sie nur deutliche Vorstellungen hätte. Dennoch hat sie auch über diese verworrenen Vorstellungen einige Macht, obgleich nur in indirekter Weise; denn wenn sie auch ihre Leidenschaften nicht auf der Stelle ändern kann, so kann sie aus der Ferne mit ausreichendem Erfolg darauf hinarbeiten, ja sich auch neue Leidenschaften und selbst neue Gewohnheiten beibringen. Sie hat selbst über die deutlichen Empfindungen eine ähnliche Gewalt, indem sie indirekt in sich Meinungen und Begehren wecken, oder die Entstehung dieser und jener in sich verhindern und ihr Urtheil anhalten oder geltend machen kann. Wir können im Voraus uns schon die Mittel verschaffen, um uns gelegentlich auf dem schlüpfrigen Pfad voreiliger Urtheile anzuhalten; wir vermögen einen Zwischenfall aufzufinden, welcher uns unsern Entschluss aufschieben lässt, selbst dann, wenn die Sache zum Urtheil reif zu sein scheint, und obgleich unsere Meinungen und unsere Willensakte nicht geradezu von unserem Willen abhängen (wie ich schon bemerkt habe), so lassen sich doch mitunter Massregeln treffen, um das, was man gegenwärtig nicht will, oder nicht glaubt, mit der Zeit zu wollen und selbst zu glauben. Von solcher Tiefe ist der menschliche Geist.

65. Um nämlich die Frage über die Freiwilligkeit abzuschliessen, so muss man anerkennen, dass streng aufgefasst die Seele in sich selbst das Prinzip aller ihrer Handlungen und selbst aller ihrer Leidenschaften hat und dass das Gleiche für alle einfachen Substanzen gilt, welche in der ganzen Natur verbreitet sind, obgleich die Freiheit nur in den vernünftigen besteht. Im gewöhnlichen Sinne jedoch und dem Scheine folgend, muss man sagen, dass die Seele gewissermassen von dem Körper und von den Sinneseindrücken abhängig ist, wie man ja sich auch so, wie Ptolemäus und Tycho de Brahe im gewöhnlichen Leben ausdrückt, aber dabei wie Copernikus denkt, wenn es sich um den Aufgang und Untergang der Sonne handelt.

66. Man kann indess dieser gegenseitigen Abhängigkeit des Körpers und der Seele von einander einen wahrhaften und philosophischen Sinn beilegen. Danach hängt die eine Substanz von der andern ideal insofern ab, als der Grund von dem, was in der einen sich zuträgt, in dem aufgezeigt werden kann, was in dem andern besteht. Dies hat schon bei den Beschlüssen Gottes stattgefunden, als Gott im Voraus die Harmonie zwischen beiden geregelt hat, wie ja auch der Automat mit seiner Thätigkeit als Diener, von mir ideal abhängen würde, in Folge des Wissens desjenigen, welcher meine kommenden Befehle voraussieht und danach den Automaten so eingerichtet hat, dass er mich pünktlich den andern Tag in allem bedienen kann. Die Kenntniss meines Willens am nächsten Tage hatte diesen grossen Künstler veranlasst, danach den Automaten zu fertigen; mein Einfluss dabei wäre ein objectiver, seiner ein physischer, da Gott, in so weit als die Seele vollkommen ist und deutliche Vorstellungen hat, den Körper der Seele angepasst hat und im voraus es so eingerichtet hat, dass der Körper getrieben wird, ihre Befehle zu vollführen. So weit aber die Seele unvollkommen ist, und ihre Vorstellungen verworren sind, hat Gott die Seele dem Körper angepasst, so dass die Seele sich durch die Leidenschaften bestimmen lässt, welche aus den körperlichen Eindrücken entstehen. Dies ergiebt dieselbe Wirkung und denselben Anschein, als wenn die eine unmittelbar von der andern abhinge und zwar mittelst eines physischen Einflusses. Diese verworrenen Vorstellungen sind es eigentlich, wodurch die Seele sich die sie umgebenden Körper vorstellt. Dasselbe gilt für alles, was man unter den gegenseitigen Einwirkungen der einfachen Substanzen begreift. Jede gilt als wirksam auf die andere nach dem Maasse ihrer Vollkommenheit; nur geschieht dies blos ideal und nach den Gründen der Dinge, wie sie Gott gleich im Anfang nach der in jedem enthaltenen Vollkommenheit oder Unvollkommenheit zu einander geregelt hat. Dabei bleibt das Handeln und das Erleiden zwischen den Geschöpfen immer wechselseitig, weil ein Theil der Gründe, welche bestimmt das erklären, was geschieht und welche dieses Geschehen zum Dasein gebracht haben, in der einen dieser Substanzen ist, und der andere Theil dieser Gründe in der andern, indem die Vollkommenheiten und Unvollkommenheiten immer gemischt und zwischen beiden getheilt sind. Deshalb schreiben wir der einen Substanz das Handeln, und der andern das Erleiden zu.

67. Welche Abhängigkeit bei den freien Handlungen man nun auch annehmen mag, ja wenn selbst hier eine unbedingte und mathematische Nothwendigkeit bestände (was nicht der Fall ist), so würde doch nicht folgen, dass nicht so viel Freiheit bestände, um die Belohnungen und die Strafen gerecht und vernünftig zu machen. Gewöhnlich nimmt man allerdings an, dass die Nothwendigkeit einer Handlung alles Verdienst und alle Schuld bei derselben aufhebe, desgleichen jedes Recht zu loben und zu tadeln, zu belohnen und zu strafen; allein diese Folgerung ist nicht durch aus richtig. Ich stimme durchaus nicht mit Bradwardin, Wiclef, Hobbes und Spinoza, welche anscheinend diese streng mathematische Nothwendigkeit annahmen, die ich wohl hinreichend und auch deutlicher, wie gewöhnlich, widerlegt zu haben glaube; allein trotzdem muss man immer der Wahrheit die Ehre geben und einem Satze nichts zur Last legen, was nicht aus ihm folgt. Ueberdem beweisen deren Gründe zu viel, weil sie auch die bedingte Nothwendigkeit aufheben und das faule Sophisma rechtfertigen würden, denn die unbedingte Nothwendigkeit der Folge auf die Ursache würde hierbei der untrüglichen Gewissheit einer bedingten Nothwendigkeit nichts hinzufügen.

68. Man muss also erstens anerkennen, dass man einen Wüthenden tödten kann, wenn man anders sich gegen ihn nicht vertheidigen kann. Ebenso wird man es erlauben müssen und oft selbst für nöthig anerkennen, dass giftige oder sehr schädliche Thiere getödtet werden, obgleich diese es doch nicht durch ihre Schuld sind.

69. Zweitens bestraft man ein Thier, trotzdem, dass ihm die Vernunft und Freiheit fehlt, wenn man glaubt, dass dies es bessern werde; so bestraft man Pferde und Hunde und zwar mit vielem Erfolg. Ebenso helfen uns Belohnungen die Thiere regieren, und wenn ein Thier Hunger hat, so bringt die ihm gereichte Nahrung es zu Handlungen, die man ohnedem nie von ihm erreicht haben würde.

70. Drittens wird man die Thiere auch mit dem Tode bestrafen (wo es sich nicht mehr um die Besserung des zu bestrafenden Thieres handelt), wenn dies als Beispiel und zur Abschreckung für die andern dienen und sie von Beschädigungen abhalten kann. Rorarius sagt in seinem Buche über die Vernunft der Thiere, dass man in Afrika die Löwen kreuzige, um die andern Löwen von den Städten und bewohnten Ortschaften abzuhalten und dass er bei seiner Reise durch das Land der Jülicher gesehen, wie man die Wölfe gehängt habe, nm die Schäfereien besser zu schützen. In den Dörfern werden die Raubvögel an die Hofthore genagelt, weil man glaubt, dass dann ähnliche Vögel nicht so leicht sich einfinden werden. Alle diese Vornehmen haben ihren guten Grund, wenn sie Nutzen leisten.

71. Weil viertens endlich die Erfahrung lehrt, dass die Furcht vor Strafe und die Hoffnung auf Lohn die Menschen vom Bösen abhält und zum Guten antreibt, so könnte man schon dieser Mittel sich mit Fug und Recht bedienen, selbst wenn die Menschen mit Nothwendigkeit handelten, möchte diese Nothwendigkeit sein, welche sie wolle. Man kann einwenden, dass wenn das Uebel und das Gute nothwendig seien, es unnütz sei, Mittel gegen oder für dieselben anzuwenden; allein ich habe bereits die Antwort darauf früher bei dem faulen Sophisma gegeben. Wäre das Gute und das Uebel auch ohne diese Mittel ein Nothwendiges, so wären diese Mittel unnütz, aber dem ist nicht so. Diese Güter und diese Uebel treten nur mit Hülfe der Mittel ein und wenn jene Güter und Uebel nothwendige wären, so würden diese Mittel einen Theil der Ursachen bilden, welche sie nothwendig machten, weil die Erfahrung uns lehrt, dass oft die Furcht oder die Hoffnung das Uebel verhindern und das Gute befördern. Dieser Einwand ist also genau gleichen Inhaltes, wie das faule Sophisma, welches man der Gewissheit ebenso entgegenstellt, wie der Nothwendigkeit kommender Ereignisse. Man kann also sagen, dass diese Einwendungen ebenso gegen die bedingte wie gegen die unbedingte Nothwendigkeit sich richten und dass sie ebensoviel gegen die einen, wie gegen die andern beweisen, d.h. überhaupt nichts beweisen.

72. Der grosse Streit zwischen dem Bischof Bramhall und Herrn Hobbes, welcher begann, als beide in Paris waren und welcher nach ihrer Rückkehr in England fortgeführt wurde, ist in des Hobbes kleineren Schriften in einem Hauptband gesammelt, welcher 1656 in London herausgekommen ist. Diese Schriften sind alle englisch abgefasst und so viel ich weiss, nicht übersetzt und auch in die Sammlung der lateinischen Schriften von Herrn Hobbes nicht aufgenommen worden. Ich hatte jene Schriften gelesen und später wieder durchgesehen und dabei gleich bemerkt, dass Herr Hobbes die unbedingte Nothwendigkeit der Dinge durchaus nicht bewiesen, aber genügend gezeigt hatte, dass die Nothwendigkeit keineswegs alle Regeln der göttlichen und menschlichen Gerechtigkeit umstürzen und die Ausübung dieser Tugend keineswegs ganz verhindern würde.

73. Indess giebt es eine Art Gerechtigkeit und gewisse Belohnungen und Strafen, welche nicht so anwendbar auf diejenigen erscheinen, welche in Folge einer unbedingten Nothwendigkeit ihre Handlungen vollziehen, im Fall es eine solche geben sollte. Dies ist diejenige Gerechtigkeit, welche nicht die Besserung noch das Beispiel, noch selbst die Wiedergutmachung des Uebels zum Ziele hat. Diese Gerechtigkeit beruht nur auf der Angemessenheit, welche eine gewisse Genugthuung in der wegen einer schlechten Handlung zu leistenden Busse verlangt. Die Socinianer und Hobbes mit einigen Andern lassen diese strafende Gerechtigkeit nicht zu, welche eigentlich eine rächende ist und welche Gott sich für viele Fälle vorbehalten hat. Indess gewährt er dieselbe auch denen, welche das Recht zur Leitung Anderer haben und wo er dieselbe vermittelst dieser Personen ausübt, vorausgesetzt, dass sie aus Vernunft und nicht aus Leidenschaft handeln. Die Socinianer meinen, dass für diese Gerechtigkeit der Grund fehle; allein sie stützt sich immer auf eine Angemessenheit, welche, nicht blos den Beleidigten befriedigt, sondern auch die Weisen, welche sie sehen, gleich wie eine gute Musik oder ein gutes Bauwerk die wohlgearteten Gemüther befriedigt. Auch gehört es, da der weise Gesetzgeber gedroht und gleichsam eine Züchtigung versprochen hat, zu seiner Beständigkeit, dass er die Handlung nicht ganz unbestraft lasse, selbst wenn die Strafe Niemandem mehr zur Besserung gereichen sollte. Aber selbst wenn er es nicht versprochen hätte, so genügt es, dass eine Angemessenheit ihn zu solchem Versprechen veranlassen konnte, weil auch der Weise nur das verspricht, was angemessen ist.
Man kann sogar sagen, dass es sich hier um eine Art Entschädigung für den Geist handelt, welchen die Unordnung verletzen würde, wenn die Züchtigung ausbliebe, welche dazu dient, die Ordnung wieder herzustellen. Man kann auch noch das zu Rathe ziehen, was Grotius gegen die Socinianer über die Genugthuung von Jesus Christus geschrieben, und was Crellius darauf geantwortet hat.

74. Deshalb dauern die Strafen der Verdammten fort, selbst wenn diese dadurch von dem Bösen nicht mehr abgehalten werden können und deshalb dauert ebenso der Lohn der Seligen fort, wenn er auch denselben nicht mehr zur Stärkung im Guten dienen kann. Man kann indess sagen, dass sich die Verdammten immer neue Schmerzen durch neue Sünden zuziehen und dass die Seligen sich immer neue Freuden durch neue Fortschritte im Guten verschaffen, da beides sich auf das Prinzip der Angemessenheit gründet, vermittelst derer die Dinge so eingerichtet sind, dass die schlechte Handlung sich immer eine Züchtigung zuziehen muss. Man kann auf Grund des Gleichlaufens der beiden Reiche, des Reiches der Endzwecke und des Reiches der wirkenden Ursachen, annehmen, dass Gott in dem Universum eine Verbindung zwischen der Strafe und dem Lohn und der schlechten und guten Handlung eingerichtet hat, wonach das erste immer von dem zweiten angezogen wird und dass die Tugend und das Laster sich ihren Lohn und ihre Strafe in Folge der natürlichen Folge der Dinge selbst bereiten, welches noch eine andere Art vorherbestimmter Harmonie, als die enthält, welche sich in dem Verkehr zwischen Körper und Seele zeigt. Denn zuletzt ist, wie ich schon gesagt habe, alles was Gott thut, harmonisch in Vollkommenheit. Vielleicht könnte diese Angemessenheit in Bezug auf diejenigen wegfallen, welche ohne die wahre Freiheit, welche von der unbedingten Nothwendigkeit ausgenommen ist, handeln und es könnte in diesem Falle die blos bessernde Gerechtigkeit, ohne die rächende genügen. Dies ist die Meinung des berühmten Conring in einer von ihm über das, was recht ist, veröffentlichten Abhandlung. Auch betreffen die Gründe, aus denen Pomponatius in seinem Buche über das Schicksal die Nützlichkeit der Züchtigungen und der Belohnungen, selbst wenn unser Handeln sich lediglich nach einer Schicksalsnothwendigkeit vollzöge, bewiesen hat in der That nur die Besserung und nicht die Genugthuung, kolasin ou timôrian. (Die Züchtigung, nicht die Strafe). Ueberdem geschieht es nur des äussern Scheines wegen, dass man die Thiere, welche an gewissen Verbrechen Theil gehabt, tödtet; so wie man ja auch die Häuser der Aufständischen zerstört, um Schrecken zu verbreiten. Also ist dies eine That der bessernden Gerechtigkeit, woran die rächende keinen Theil hat.

75. Indess will ich diese mehr interessante als nothwendige Frage jetzt nicht erörtern, da ich gezeigt habe, dass eine solche Nothwendigkeit bei den freien Handlungen nicht statt hat. Doch ist es immer gut, wenn man zeigt dass die unvollkommene Freiheit allein, d h die, welche blos dem Zwange nicht unterliegt, zur Begründung derjenigen Art von Züchtigungen und Belohnungen genügen würde, welche nur auf Beseitigung des Uebels und auf Besserung gerichtet sind. Es erhellt hieraus auch, dass jene geistreichen Leute, welche alles für nothwendig erklären, Unrecht haben, wenn sie sagen dass Niemand gelobt oder getadelt, belohnt oder bestraft werden dürfe. Sie sprechen anscheinend nur so, um ihren Scharfsinn geltend zu machen und ihr Vorgeben geht dahin, dass, wenn alles nothwendig ist, dann nichts in unserer Gewalt sei. Allein dieser Vorwand ist nicht begründet; auch die nothwendigen Handlungen würden noch in so weit in unserer Gewalt sein, dass man sie begehen oder unterlassen könnte, wenn die Furcht vor Tadel oder Schmerz und die Hoffnung auf Lob oder Lust unsern Willen dazu bestimmen würden, gleichviel ob sie ihn mit Notwendigkeit dazu bestimmten, oder ob sie ihn dazu bestimmen, indem sie ihm die Freiwilligkeit, die Zufälligkeit und die Freiheit unbeschränkt beliessen. Es würden also selbst dann Lob und Tadel, Lohn und Strafe einen grossen Theil ihres Nutzens behalten wenn eine wahrhafte Nothwendigkeit in unserm Handeln bestände. Wir können ja selbst die natürlichen guten und schlechten Eigenschaften loben und tadeln, an denen der Wille keinen Theil hat, sei es bei einem Diamant oder bei einem Menschen; und der, welcher über Cato von Utica sagte, dass er vermöge seines natürlichen Temperaments gut handle und dass ihm ein anderes Benehmen unmöglich sei, glaubte ihn damit noch mehr zu loben.

76. Die Schwierigkeiten, welche ich bis jetzt zu beseitigen versucht habe, sind beinah alle, sowohl der natürlichen, wie der geoffenbarten Religion gemeinsam; jetzt komme ich aber zu einem offenbarten Satze welcher die Erwähnung und Verwerfung der Menschen in Bezug auf die Einrichtung und die Anwendung der Gnade Gottes rücksichtlich dessen Handlungen des Erbarmens oder der Gerechtigkeit betrifft. Indess habe ich durch die Erledigung der bisherigen Einwendungen mir einen Weg geöffnet, wo ich auch die übrigen beseitigen kann. Dies bestätigt die frühere Bemerkung in § 43 der Einleitung, dass eher ein Streit zwischen den wahren Aussprüchen der natürlichen Theologie und den falschen Behauptungen, wie sie der Schein bietet, besteht als zwischen dem offenbarten Glauben und der Vernunft; denn beinah keines der Bedenken gegen die Offenbarung ist für diese Materie ein neues; jedes entspringt aus denselben Einwürfen, welche man den durch die Vernunft erkannten Wahrheiten entgegenstellen kann.

77. Da indess die Theologen von beinah allen Parteien in dieser Materie über die Vorherbestimmung und die Gnade getheilter Ansichten sind und auf dieselben Einwürfe, je nach ihren verschiedenen Grundsätzen, oft verschiedene Antworten geben, so können nicht wohl die zwischen ihnen bestehenden Unterschiede unerwähnt bleiben. Im Allgemeinen kann man sagen dass die Einen Gott mehr in einer metaphysischen die Andern mehr in einer moralischen Weise auffassen und ich habe schon anderwärts bemerkt, dass die Gegen-Remonstranten das erstere, die Remonstranten das letztere thun. Indessen in richtiger Weise muss man ebenso von der einen Seite die Unabhängigkeit Gottes und die Abhängigkeit der Geschöpfe, wie von der andern Seite die Gerechtigkeit und Güte Gottes festhalten, welche ihn von sich selbst und seinen Willen von seiner Einsicht und Weisheit abhängig machen.

78. Einige geschickte und wohlgesinnte Schriftsteller wollen die Kraft der Gründe beider Hauptparteien[149] darlegen, um sie zu einer gegenseitigen Toleranz zu bestimmen. Sie meinen, dass der ganze Streit auf die Hauptfrage über das Ziel Gottes zurückgehe, welches er hauptsächlich bei Fassung seiner Beschlüsse bezüglich des Menschen gehabt habe; ob er sie blos gefasst habe, um dadurch seinen Ruhm zu offenbaren, indem er seine Eigenschaften zeigte und indem er, um dahin zu gelangen, den grossen Plan der Schöpfung und der Vorsehung gefasst habe, oder ob Gott mehr auf die freiwilligen Bewegungen der vernünftigen Geschöpfe Rücksicht genommen, welche er schaffen wollte, indem er das betrachtete, was sie in den verschiedenen Umständen und Lagen wollen und thun würden, in welche er sie versetzen könnte, um dann einen dem entsprechenden Entschluss zu fassen. Mir scheint, dass die beiden Antworten, welche man auf diese Frage so giebt, als wären sie einander entgegen gesetzt, leicht mit einander zu vereinigen sind. Danach wären also beide Parteien im Grunde mit einander einig und es bedürfte keiner Toleranz, wenn es blos auf diese Frage ankäme. In Wahrheit hat Gott, als er die Welt zu schaffen beschloss, nur seine Vollkommenheiten in der wirksamsten und in der seiner Grösse, seiner Weisheit und Güte angemessensten Weise offenbaren wollen; allein gerade deshalb hatte er alles Handeln der Geschöpfe zur Zeit in dem blosen Zustand der Möglichkeit zu erwägen, um den angemessensten Plan zu fassen. Dies Verfahren gleicht dem eines grossen Baumeisters, welcher die Befriedigung oder den Ruhm, einen schönen Palast erbaut zu haben, zum Ziele hat und welcher nun alles erwägt, was zu diesem Bau erforderlich ist, die Gestalt, die Materialien, den Platz, die Lage, die Mittel, die Arbeiter, die Kosten, bevor er einen bestimmten Entschluss fasst; da der Weise bei seinen Plänen das Ziel nicht von den Mitteln trennt und sich kein Ziel vorsetzt, wenn er der Mittel dazu nicht sicher ist.

79. Ich weiss nicht, ob es vielleicht noch Personen giebt, welche in der Meinung, dass Gott der unbeschränkte Herr über alles sei, daraus folgern, dass alles ausserhalb seiner, ihm gleichgültig sei, dass er nur sich bedenke, ohne sich um anderes zu kümmern und dass er so die Einen glücklich, die Andern unglücklich gemacht habe ohne Grund, ohne Auswahl, ohne Rechtfertigung. Solche Lehre von Gott würde indess ihm seine Weisheit und Güte nehmen. Es genügt, dass Gott sich selbst berücksichtigt und dass er nicht vernachlässigt, was er sich selbst schuldet, um anzunehmen, dass er auch seine Geschöpfe berücksichtigt und dass er sie in einer, der Ordnung am meisten entsprechenden Weise verwendet. Je mehr ein Fürst für seinen Ruhm besorgt ist, um so mehr wird er auf das Glück seiner Unterthanen bedacht sein, selbst wenn er der unbeschränkteste aller Monarchen wäre und seine Unterthanen geborene Sclaven oder Hörige (wie die Juristen sagen) und Leute wären, die aller Willkür unterworfen wären. Selbst Calvin und einige andere der grössten Vertheidiger des unbedingten göttlichen Beschlusses, haben sehr bestimmt erklärte dass Gott für seine Auswahl und die Vertheilung seiner Gnade grosse und gerechte Gründe gehabt habe, wenn wir dieselben auch nicht in ihren Einzelheiten kennen. Man muss auch in Liebe anerkennen, dass die strengsten Anhänger der Vorherbestimmung zu viel Vernunft und zu viel Frömmigkeit besitzen, als dass sie diese Ansicht verlassen könnten.

80. Man hat deshalb selbst mit Leuten von nur einiger Vernunft hierüber (wie ich hoffe) keinen Streit zu führen; allein immer wird es unter ihnen viele, Universalisten und Partikularisten genannt, geben je nach dem, was sie über die Gnade und den Willen Gotteslehren. Indess möchte ich glauben, dass wenigstens der hitzige Streit zwischen denselben über die Absicht Gottes, alle Menschen zu erretten und über das davon Abhängige (wenn man davon die Lehre über die Hülfen, oder den Beistand der Gnade trennt) mehr die Ausdrücke, als die Sache betrifft. Denn es genügt die Erwägung, dass Gott, wie auch jeder wohlwollende weise Mensch, allem ausführbaren Guten zuneigt und dass diese Neigung mit dem Werthe des Gutes zunimmt und zwar (indem ich die Frage genau und an sich auffasse) vermittelst eines vorausgehenden Willens, wie man sagt, der aber nicht immer sich ganz verwirklicht, weil dieser Weise noch viele andere Rücksichten zu nehmen hat. Erst das Ergebniss aller dieser Willensrichtungen zusammen ergiebt, wie ich früher gesagt, den vollen und entscheidenden Willen. Man kann deshalb mit den Alten sehr wohl sagen, dass Gott nach seinem vorgehenden Willen alle Menschen erretten wollte, aber nicht mit seinem nachfolgenden Willen, welcher allein sich immer verwirklicht. Wenn die, welche diesen allgemeinen Willen bestreiten, nicht gestatten wollen, dass diese vorgehende Geneigtheit Wille genannt werde, so bemühen sie sich nur um eine Frage des Namens.

81. Es giebt aber eine ernstere Frage bezüglich der Vorherbestimmung zum ewigen Leben, so wie zu jeder andern von Gott ausgegangenen Bestimmung, nämlich ob diese seine Bestimmung unbedingt ist oder Rücksichten nimmt. Es giebt eine Bestimmung zum Guten und zum Uebel; und da das Uebel entweder ein moralisches oder physisches ist, so stimmen die Theologen aller Parteien darin überein, dass es keine Bestimmung zum moralischen Uebel gebe, d.h. dass Niemand zur Sünde bestimmt sei. Aber in Bezug auf das grösste physische Uebel, d.h. die Verdammniss, kann man zwischen Bestimmung und Vorherbestimmung unterscheiden, weil die Vorherbestimmung eine unbedingte und vorgehende Bestimmung in Betracht der guten und schlechten Handlungen der Betreffenden in sich zu enthalten scheint. So kann man sagen, dass die Verworfenen zur Verdammniss bestimmt seien, weil sie als Hartnäckige gekannt seien; aber man kann nicht eben so gut sagen, dass die Verworfenen zur Verdammniss vorher bestimmt seien, denn es giebt keine unbedingte Verwerfung, da ihre Grundlage in der vorausgesehenen schliesslichen Hartnäckigkeit besteht.

82. Es giebt allerdings Schriftsteller, welche behaupten, dass Gott zwar sein Erbarmen und seine Gerechtigkeit aus Gründen, die seiner würdig, aber uns unbekannt seien, habe offenbaren wollen und deshalb vor aller Erwägung der Sünde, selbst vor der des Adam, die Einen auserwählt und die Andern verworfen habe und dass er in Folge dieses Beschlusses es für gut befunden habe, die Sünde zuzulassen, um diese beiden Tugenden auszuüben und dass er in Jesu Christo den Einen die Gnade gewährt habe, um sie zu retten und den Andern sie versagt, um sie strafen zu können. Man nennt deshalb diese Schriftsteller Supralapsarii (die über den Sündenfall noch Hinausgreifenden), weil der Beschluss zu strafen nach ihnen der Kenntniss von dem späteren Dasein der Sünde vorausgeht. Indess ist jetzt die verbreitetste Ansicht unter den sogenannten Reformirten, die auch von der Synode zu Dortrecht begünstigt wird, die der Infralapsarier; sie stimmt sehr mit der Ansicht des heiligen Augustinus, welcher sagt, dass Gott aus gerechten, aber uns verborgenen Gründen beschlossen gehabt, die Sünde des Adam und die Verderbniss des menschlichen Geschlechts zuzulassen, und dass sein Erbarmen dann ihn einige aus der verdorbenen Menge habe auswählen lassen, die durch das Verdienst Jesu Christi aus Gnade gerettet werden sollten, während seine Gerechtigkeit ihn die übrigen durch die verdiente Verdammniss habe strafen lassen. Deshalb hiessen bei den Scholastikern nur die Erretteten Prädestinati (Vorherbestimmte) und die Verstossenen Praesciti (Vorhergewusste). Allerdings sprechen einige Infralapsarier und Andere einigemale von der Vorherbestimmung zur Verdammniss nach dem Beispiel von Fulgentius und des heiligen Augustin selbst; sie mei nen aber damit nur die Bestimmung und es nützt nichts, über Worte zu streiten, obgleich man deshalb jenen Godescalcus gemisshandelt hat, welcher gegen Ende des neunten Jahrhunderts Aufsehen erregte und den Namen Fulgentius annahm zum Zeichen, dass er diesem Schriftsteller folge.

83. Bezüglich der Bestimmung der Erwählten zum ewigen Leben streiten sich sowohl die Protestanten, wie die Römisch-Katholischen sehr unter einander darüber, ob die Erwählung unbedingt geschehen sei, oder ob sie sich auf die Voraussicht des schliesslichen lebhaften Glaubens gegründet habe. Die Evangelischen,
d.h. die dem Augsburgischen Bekenntniss Zugethanen, nehmen das letztere an; sie meinen, dass man nicht auf die verborgenen Ursachen der Erwählung zurückzugehen brauche, da ein offenbarer Grund in der heiligen Schrift, nämlich der Glaube an Jesum Christum angegeben sei; nach ihnen ist die Voraussicht der Ursache auch die Voraussicht der Wirkung. Die sogenannten Reformirten sind anderer Ansicht; sie geben zu, dass das Heil von dem Glauben an Jesus Christus kommt, allein sie sagen, dass die in der Ausführung der Wirkung vorgehende Ursache oft in der Absicht die spätere sei, wie da, wo die Ursache in dem Mittel und die Wirkung in dem Ziele liege. Es fragt sich also, ob der Glaube oder die Erwählung das Frühere in der Absicht Gottes gewesen, d.h. ob Gott mehr die Rettung der Menschen, als sie gläubig zu machen in Absicht gehabt hat.

84. Hieraus erhellt, dass die Entscheidung der Frage theils zwischen den Supralapsariern und Infralapsariern, theils zwischen Letztern und den Evangelischen auf der richtigen Auffassung der Ordnung in den Beschlüssen Gottes beruht. Vielleicht könnte der Streit mit einem Male geschlichtet werden, wenn mau sagte, dass bei richtiger Auffassung, alle Beschlüsse Gottes, um die es sich hier handelt, gleichzeitige seien und zwar nicht blos bezüglich der Zeit, was alle Welt annimmt, sondern auch in Signo rationis (im Sinne der Begründung) oder in der Ordnung der Natur. Auch hat die Concordienformel hinter einigen Stellen aus Augustin, wirklich in demselben Beschluss der Erwählung das Heil und die zu ihm führenden Mittel zusammengefasst. Um diese Gleichzeitigkeit der Bestimmungen oder Beschlüsse, um die es sich handelt, zu zeigen, muss man auf die Aushülfe zurückgehen, die ich öfters benutzt habe, wonach Gott, bevor er etwas beschlossen, unter andern möglichen Folgen der Dinge auch die in Betracht genommen, welche er später gebilligt hat. In der Vorstellung derselben ist enthalten, dass die ersten Eltern sündigen und ihre Nachkommenschaft verderben, dass Jesus Christus das menschliche Geschlecht wieder kauft und dann einige mit Hülfe verschiedener Gnaden zum schliesslichen Glauben und Heil gelangen und dass andere mit oder ohne solche oder andere Gnaden nicht dahin gelangen, sondern in der Sünde verharren und verdammt werden und dass Gott dieser Folge seine Billigung erst gewährt, nachdem er in all ihre Einzelheiten eingegangen und er also nichts bestimmtes über diejenigen ausspricht, welche gerettet oder verdammt sein werden, bevor er nicht alles erwogen und selbst mit andern möglichen Folgen verglichen hat. Also bezieht sich das, was Gott ausspricht, auf die ganzen Folgen auf einmal, deren Eintreten in das Sein er beschliesst. Um weitere Menschen, oder auf andere Weise zu erretten, hätte er eine ganz andere Reihenfolge überhaupt erwählen müssen, denn in jeder derselben ist alles mit einander verknüpft. Bei dieser Auffassung der Sache, welche die dem Weisen würdigste ist und wo alle Handlungen auf das engste mit einander verknüpft sind, bedarf es nur eines einzigen, alles umfassenden Beschlusses, nämlich eine solche Welt zu schaffen; ein solcher Beschluss umfasst alle einzelnen Beschlüsse, ohne dass dieselben geordnet sind, obgleich man im Uebrigen sagen kann, dass jeder besondere vorhergehende Willensakt, welcher in das ganze Ergebniss eingeht, seinen Werth und seine Ordnung in dem Maasse hat, in welchem dieser Akt dem Guten zuneigt. Indess werden diese vorgehenden Willensakte keine Beschlüsse genannt, weil sie noch nicht unabänderlich sind, da der Erfolg von dem gesammten Ergebniss abhängt. Bei dieser Auffassung laufen alle hier sich erhebenden Schwierigkeiten auf die hinaus, welche ich schon bei Prüfung des Ursprungs des Uebels besprochen und gehoben habe.

85. Es bleibt nur noch eine wichtige Erörterung, welche ihre Schwierigkeiten hat; sie betrifft die Vertheilung der Mittel und Umstände, welche zum Heil und zur Verdammniss beitragen und befasst unter anderem auch die Frage von der Hülfe der Gnade (de auxiliis gratiae), über welche Rom (seit der Versammlung de Auxiliis unter Clemens VIII., wo diese Frage zwischen den Dominikanern und Jesuiten verhandelt wurde) nicht leicht die Veröffentlichung von Büchern gestattete. Alle Welt ist einverstanden, dass Gott vollkommen gut und gerecht ist, dass seine Güte ihm so wenig als nur möglich gestattet zur Schuld der Menschen, und so viel als möglich zu deren Errettung beizutragen (möglich, sage ich, so weit die Ordnung der Dinge es überhaupt gestattet); dass ferner seine Gerechtigkeit ihn hindert, die Unschuldigen zu verdammen und gute Handlungen unbelohnt zu lassen und dass er selbst in den Strafen und Belohnungen ein gerechtes Verhältniss einhält. Indessen erscheint diese Vorstellung, die man von der Güte und Gerechtigkeit Gottes haben soll, nicht genügend in dem, was wir von seinen Handlungen rücksichtlich des Heiles und der Verdammniss der Menschen kennen, und hierin liegen die Schwierigkeiten in Betreff der Sünde und der Mittel dagegen.

86. Die erste Schwierigkeit liegt darin, wie die Seele von der ersten Sünde, welche die Wurzel der wirklichen Sünden ist, habe angesteckt werden können, ohne dass Gott darin ungerecht gehandelt, dass er dieselbe dieser Gefahr ausgesetzt. Diese Schwierigkeit hat drei Ansichten über den Ursprung der Seele selbst veranlasst; nach der einen haben die menschlichen Seelen früher in einer anderen Welt oder in einem anderen Leben bestanden, wo sie gesündigt haben und dafür zu dem Gefängniss in dem menschlichen Körper verurtheilt worden sind. Es ist dies eine Platonische Ansicht, welche dem Origenes beigelegt wird und die auch jetzt noch ihre Anhänger hat. Heinrich Morus, ein englischer Gelehrter, hat in einem Buche ausdrücklich etwas dieser Art behauptet. Manche, welche dieses vorgehende Dasein annehmen, sind sogar bis zur Seelenwanderung fortgeschritten. Der jüngere Helmont war dieser Ansicht und auch der scharfsinnige Verfasser der 1678 unter dem Namen Wilhelm Wander veröffentlichten »metaphysischen Gedanken« neigt in seiner Darstellung dazu. – Die zweite Ansicht ist die der Traduction (Ueberführung), als wenn die Seele der Kinder erzeugt (per traducem) (durch einen Ueberführenden) wäre von der Seele, oder den Seelen derer, von denen der Körper der Kinder erzeugt ist. Der heilige Augustin wurde dazu geführt, um die Erb-Sünde besser zu erklären. Diese Lehre wird auch von den meisten der Theologen des Augsburgischen Bekenntnisses festgehalten; indess gilt sie doch nicht allgemein bei denselben, da die Universitäten von Jena, Helmstädt und andere seit lange gegen diese Lehre sind. – Die dritte und jetzt am meisten angenommene Ansicht ist die von der Erzeugung. Sie wird in den meisten Schulen gelehrt, aber sie hat rücksichtlich der Erbsünde die meiste Schwierigkeit.

87. Mit diesem theologischen Streit über den Ursprung der menschlichen Seele hat sich der philosophische über den Ursprung der Formen verknüpft. Aristoteles und seine Schule nennen Form das Prinzip der Thätigkeit, was in dem Handelnden enthalten ist. Dieses innerliche Prinzip ist entweder substantiell und heisst, wenn es in einem organischen Körper sich befindet, Seele; oder es ist accidentell, wo man es Beschaffenheit zu nennen pflegt. Derselbe Philosoph hat auch der Seele den Gattungsnamen der Entelechie oder der Handlung gegeben. Dieses Wort Entelechie kommt von dem griechischen Wort, was vollkommen bedeutet; deshalb drückt es der berühmte Hermolaus Barbarus im Lateinischen wörtlich durch perfectihabia (der Vollkommenheitsbesitz) aus, weil die Hand lung eine Vollendung der Macht ist. Er hätte jedoch nicht den Teufel deshalb zu befragen brauchen, wie er gethan haben soll, wenn er nur dies erfahren wollte. Ferner nimmt der Philosoph von Stagira zwei Arten von Handlung an, die dauernde und die einander folgende Handlung. Die dauernde oder fortwährende Handlung ist die substantielle oder accidentelle Form; die erstere (wie z.B. die Seele) ist durchaus beharrend, wenigstens nach meiner Ansicht, während die accidentelle es nur für eine Zeit ist. Allein die durchaus vorübergehende Handlung, deren Natur eben nicht dauernd ist, besteht in der Thätigkeit selbst. Ich habe anderwärts gezeigt, dass der Begriff der Entelechie nicht ganz zu verachten ist, und dass, wenn sie dauernd ist, sie nicht blos eine einfache wirkliche Fähigkeit enthält, sondern auch das, was man Kraft, Aeusserung, Versuch nennen kann, denen die Handlung selbst folgen muss, wenn Nichts sie hindert. Die Fähigkeit ist nur eine Eigenschaft oder mitunter ein Zustand; dagegen ist die Kraft, wenn sie nicht ein Theil der Substanz selbst ist (d.h. die Kraft, welche nicht ursprünglich, sondern abgeleitet ist), eine Bestimmung, welche für sich und von der Substanz trennbar ist. Ich habe auch, wie man denken kann, dargelegt, dass die Seele eine ursprüngliche Kraft ist, welche durch die abgeleiteten Kräfte oder Eigenschaften modifizirt und verändert wird, und in den einzelnen Handlungen zur Ausübung kommt.

88. Nun haben die Philosophen sich über den Ursprung der substantiellen Formen sehr gequält, denn wenn man sagt, dass das aus der Form und dem Stoff Zusammengesetzte hervorgebracht sei und dass die Form nur mit hervorgebracht sei, so will dies nichts sagen. Die gewöhnliche Meinung war, dass die Formen aus der Macht des Stoffes gezogen worden, was man Eduction (Ausziehung) nennt. Dies war im Ganzen auch noch nichts gesagt, aber man erläuterte es etwas durch den Vergleich mit den Gestalten; so wird die Gestalt einer Bildsäule nur durch Wegnahme des überflüssigen Marmors hervorgebracht. Diese Vergleichung könnte gelten, wenn die Form nur in einer einfachen Begrenzung wie bei der Gestalt bestände. Manche meinten, dass die Formen vom Himmel gekommen und erst nach den Körpern geschaffen werden. Julius Scaliger hat angedeutet, dass die Formen wohl mehr aus der thätigen Macht der wirkenden Ursache hervorgegangen (d.h. aus der Macht Gottes bei der Schöpfung, oder aus der Macht anderer Formen bei der Zeugung), und nicht aus der leidenden Macht des Stoffes; indess ist dies ein Rückgang auf die Traduction, wenn es sich um eine Erzeugung handelt. Daniel Sennert, ein berühmter Arzt und Physiker in Wittenberg, hat diese Ansicht festgehalten, insbesondere für die beseelten Körper, welche sich durch Samen vermehren. Ein gewisser Julius Cesar della Galla, ein in den Niederlanden wohnender Italiener und ein Arzt in Gröningen, Namens Johann Freitag haben sehr heftig sich dem entgegengestellt; indess hat Johann Sperling, Professor in Wittenberg, seinen Meister vertheidigt, weshalb er zuletzt von Johann Zeisold, Professor in Jena, angegriffen wurde, welcher die Erschaffung der menschlichen Seele vertheidigte.

89. Allein die Ueberführung (traductio), wie die Herausziehung (eductio) sind beide für den Ursprung der Seele unbrauchbar. Aber nicht so für die accidentellen Formen, da sie nur in Modificationen der Substanz bestehen und ihr Ursprung sich durch die Eduction erklären lässt, d.h. durch die Veränderung der Begrenzungen, wie bei der Entstehung der Gestalten. Allein etwas ganz anderes ist es, wenn es sich um den Ursprung der Substanzen handelt, deren Entstehen und Untergehen gleich schwer zu erklären ist. Sennert und Sperling getrauten sich nicht die Substanz und die Unzerstörbarkeit der Thierseelen oder anderer ersten Formen anzunehmen, obgleich sie sie für untheilbar und unkörperlich anerkannten. Allein sie verwechselten die Unzerstörbarkeit mit der Unsterblichkeit, unter welcher man bei dem Menschen versteht, dass nicht blos seine Seele, sondern auch seine Persönlichkeit fortbestehe; d.h. wenn man sagt, dass die menschliche Seele unsterblich sei, so lässt man dasjenige fortbestehen, was dieselbe Person ausmacht, und welche damit ihre moralischen Eigenschaften behält, weil ihr Gewissen oder das innere rückbezügliche Bewusstsein dessen, was sie ist, bleibt. Nur deshalb kann sie gezüchtigt oder belohnt werden. Aber bei den Thierseelen hat dieser Fortbestand der Persönlichkeit nicht statt; ich nenne sie deshalb lieber unvergänglich, als unsterblich. Dessenungeachtet hat dieses Missverständniss eine starke Folgewidrigkeit anscheinend in der Lehre der Thomisten und anderer tüchtiger Philosophen veranlasst. Sie erkannten die Unkörperlichkeit oder Untheilbarkeit aller Seelen an, ohne doch die Unzerstörbarkeit derselben damit zuzugestehen und zum grossen Nachtheil der Unsterblichkeit der menschlichen Seele. Johannes Scotus, d.h. der Schotte (was früher Iberier, oder »in Irland geboren« bedeutetete), ein berühmter Schriftsteller aus der Zeit von Louis Debonnaire und seiner Söhne, war für den Fortbestand aller Seelen, und es wäre nach meiner Meinung eben so wenig unpassend, wenn man, wie man die Atome des Epikur oder des Gassendi fortbestehen lässt, alle wahrhaft einfachen und untheilbaren Substanzen fortbestehen liesse, welche die einzigen wahren Atome in der Natur sind. Auch Pythagoras kann mit Recht bei Ovid sagen: Morte carent animae. (Die Seelen sind vom Tode frei.)

90. Da ich haltbare Grundsätze liebe, mit so wenig Ausnahmen, als möglich, so scheint mir das Folgende in jeder Rücksicht das Haltbarste in dieser wichtigen Frage zu sein. Ich meine, dass die Seelen und überhaupt die einfachen Substanzen nur durch eine Schöpfung anfangen und nur durch eine Vernichtung aufhören können, und da die Bildung organischer beseelter Körper nur unter Annahme einer vorausgehenden, schon organischen Bildung erklärlich ist, so folgere ich, dass das, was wir Erzeugung eines Thieres nennen, nur eine Umgestaltung und Vermehrung ist, weil derselbe Körper schon belebt war und weil er dieselbe Seele hatte. Umgekehrt schliesse ich aus der Erhaltung der Seele, wenn sie einmal erschaffen worden, dass auch das Thier erhalten wird und dass der Tod nur scheinbar und nur eine Einhüllung ist, da in der Ordnung der Natur anscheinend es keine ganz vom Körper getrennte Seelen giebt, und da das, was nicht auf natürliche Weise beginnt, auch nicht durch natürliche Kräfte wieder aufhören kann.

91. Wenn eine so schöne Ordnung und so allgemeine Regeln für die Thiere bestehen, so scheint es nicht vernünftig, dass der Mensch davon ganz ausgeschlossen sein sollte und dass bei ihm alles auf seine Seele Bezügliche nur durch Wunder geschehe. Auch habe ich mehr als einmal gesagt, dass in Folge Gottes Weisheit in seinen Werken alles harmonisch sein müsse und dass die Natur mit der Gnade gleichlaufend sei. Ich glaube deshalb, dass alle Seelen, die einmal menschliche Seelen werden werden, wie auch die der andern Arten von Geschöpfen, in dem Samen und in den Vorfahren bis zu Adam schon bestanden und daher seit Anfang der Dinge immer in der Weise eines organischen Körpers bestanden haben. In diesem Punkte scheinen Herr Swammerdam, der Pater Malebranche, Herr Bayle, Herr Pitcarne, Herr Hartsocker und viele andere gelehrte Männer meine Ansicht zu theilen; auch ist diese Lehre durch die mikroskopischen Beobachtungen des Herrn Leuwenhoek und anderer guter Beobachter genügend bestätigt worden. Aber aus vielen Gründen scheint es mir auch wahrscheinlich, dass sie nur als empfindende oder thierische Seelen bestanden haben, welche mit der Wahrnehmung und Empfindung begabt waren, aber der Vernunft entbehrten und dass sie bis zur Erzeugung des Menschen, dem sie angehören sollten, in diesem Zustande verblieben sind und erst dann die Vernunft erhalten haben, mag es nun ein natürliches Mittel geben, um eine blos fühlende Seele zur Stufe einer vernünftigen Seele zu erheben (was ich mir schwer denken kann) oder mag Gott dieser Seele die Vernunft durch eine besondere That oder (wenn man will) durch eine Art von umleitender Schöpfung verliehen haben, was um so eher annehmbar erscheint, als uns die Offenbarung von vielen[160] andern unmittelbaren Einwirkungen Gottes auf unsere Seelen belehrt. Diese Erklärung dürfte die hier in der Philosophie, wie in der Theologie auftretenden Bedenken beseitigen, weil dann die Schwierigkeit, dass Formen entstehen sollen, ganz verschwindet und weil es der Gerechtigkeit Gottes viel mehr entspricht, wenn man der schon physisch oder seelisch durch Adam's Sünde verdorbenen Seele eine neue Vollkommenheit in der Vernunft verleiht, als wenn man eine vernünftige Seele durch Erschaffung oder sonst wie in einen Körper einführt, in dem sie moralisch verdorben werden soll.

92. Wenn nun die Seele einmal unter der Herrschaft der Sünde steht und bereit ist, eine solche wirklich zu begehen, sobald der Mensch im Stande sein wird, seine Vernunft zu gebrauchen, so entsteht die neue Frage, ob eine solche Stimmung eines durch die Taufe nicht wiedergeborenen Menschen zu seiner Verdammniss genüge, selbst wenn er auch nie zur Begehung einer wirklichen Sünde kommen sollte, wie dies ja vorkommen kann und oft vorkommt, wenn der Mensch vor seinem vernünftigen Alter stirbt oder wenn er stumpfsinnig wird, ehe er von seiner Vernunft hat Gebrauch machen können. Man meint, dass der heilige Gregorius von Nazianz es bestreite (Rede über die Taufe); aber der heilige Augustin ist für die Bejahung und behauptet, dass die Erbsünde allein genüge, um die Flammen der Hölle zu verdienen, ob gleich dieser Ausspruch sehr hart ist, um nichts schlimmeres zu sagen. Wenn ich hier von der Verdammniss und der Hölle spreche, so verstehe ich darunter Schmerzen und nicht blos die einfache Beraubung der Glückseligkeit; ich verstehe darunter die sinnliche Strafe (pönam sensus) und nicht allein die Strafe des Verlustes (pönam damni). Gregor von Rimini, General der Augustiner, ist mit einigen Andern dem Augustinus gefolgt, gegen die von den Schülern seiner Zeit angenommene Meinung; er hiess deshalb der Henker der Kinder, tortor infantum. Die Scholastiker haben ihnen, anstatt sie in die Flammen der Hölle zu schicken, einen besonderen Rand angewiesen, wo sie nicht leiden und nur durch die Beraubung des beseligenden Schauens bestraft werden. Auch die Offenbarungen der heiligen Brigitta (wie sie heissen), welche in Rom sehr geschätzt werden, sprechen für diese Annahme. Salmeron und Molina und vor ihnen Ambrosius Catharin und Andere bewilligen ihnen eine gewisse natürliche Seligkeit und der Cardinal Sfondrat, ein gelehrter und frommer Mann, billigt dies und ist zuletzt so weit gegangen, dass er ihren Zustand als den einer glücklichen Unschuld dem Zustande eines geretteten Sünders vorzieht, wie aus seinem Nodus praedestinationis solutus (der gelöste Knoten in der Vorherbestimmung) hervorgeht. Indess scheint dies ein wenig zu viel zu sein. Es ist richtig, dass eine gehörig aufgeklärte Seele nicht sündigen wird, selbst wenn sie damit alle mögliche Lust erlangen könnte; allein der Fall wo man zwischen der Sünde und der wahrhaften Seligkeit zu wählen hat, ist ein chimärischer Fall und die Erlangung der Seligkeit (wenn auch erst nach der Busse) ist mehr werth, als ihrer für immer beraubt zu bleiben.

93. Viele französische Prälaten und Theologen entfernen sich gern von Molina und halten sich zu dem heiligen Augustin und zu der Ansicht dieses grossen Mannes, welcher die in dem Alter der Unschuld und vor der Taufe Verstorbenen zu den ewigen Flammen verdammt. Dies erhellt aus dem oben genannten Briefe, welchen fünf hohe Prälaten an den Papst Innocenz XII. gegen das Buch des Cardinal Sfondrat richteten, welches nach dessen Tode herausgekommen ist. Sie wagten aber nicht, die Lehre von der blos beraubenden Strafe der ungetauft gestorbenen Kinder zu verdammen, da Thomas von Aquino und andere bedeutende Männer dies gebilligt hatten. Ich spreche nicht von denen, die man von einer Seite Jansenisten und von der andern Schüler des heiligen Augustin nennt, denn sie erklären sich unbedingt und stark für die Ansicht dieses Kirchenvaters. Allein diese Ansicht ist weder in der Vernunft noch in der Schrift hinreichend begründet und von einer erschreckenden Härte. Herr Nicolas entschuldigt sie schlecht in seinem Buche über die Einheit der Kirche, was gegen Herrn Jurien gerichtet ist, obgleich Herr Bayle in seiner Antwort auf die Fragen etc. Thl. 3, Kap. 178 diesem beitritt. Herr Nicolas entschuldigt sie damit, dass auch noch andere Lehrsätze der christlichen Religion hart erscheinen. Allein einmal darf man ohne Beweis dergleichen Lehrsätze nicht vermehren, und dann sind diese andern von Herrn Nicolas angegebenen Lehrsätze über die Erbsünde und die Ewigkeit der Höllenstrafen nur scheinbar hart und ungerecht, während die Verdammniss der ohne wirkliche Sünde und ohne Wiedergeburt verstorbenen Kinder in Wahrheit hart sein würde, da es eine Verdammniss wahrhaft Unschuldiger sein würde. Ich glaube deshalb, dass die Partei, welche diese Ansicht festhält, niemals voll die Oberhand, selbst in der römischen Kirche, erhalten wird. Die evangelischen Theologen pflegen über diesen Gegenstand sehr gemässigt sich auszudrücken, indem sie diese Seelen dem Urtheil und der Gnade ihres Schöpfers anheimgeben. Auch kennen wir nicht alle Wege, deren Gott in ausserordentlicher Weise sich zur Erleuchtung der Seelen bedienen kann.

94. Man kann sagen, dass die, welche blos auf Grund der Erbsünde verdammen, und folglich auch die ungetauften oder ausserhalb des Bandes mit Christus gebliebenen Kinder verdammen, die Neigung des Menschen und das Vorherwissen Gottes, ohne es zu bemerken, benutzen, obgleich sie im Uebrigen beides nicht annehmen. Sie wollen nicht, dass Gott seine Gnade denen versage, von denen er voraussieht, dass sie derselben widerstehen werden und ebensowenig dass dieses Voraussehen und diese Neigung die Ursache der Verdammniss dieser Personen sei und doch behaupten sie, dass die aus der Erbsünde hervorgegangene Neigung, wo Gott voraussieht, dass in Folge deren das Kind sofort sündigen werde, wenn es zur Vernunft gelangt sein werde, genüge, um das Kind schon im Voraus zu verdammen. Die, welche das eine behaupten und das andere verwerfen, bewahren nicht die Uebereinstimmung und die Verknüpfung in ihren Lehrsätzen.

95. Die Schwierigkeiten bei denen, welche zum vernünftigen Alter kommen, sind kaum geringer, im Fall diese sich in die Sünde stürzen und der Neigung ihrer verdorbenen Natur folgen, sofern sie die Hülfe der Gnade erhalten, um an dem Rande des Abgrundes anzuhalten, oder um aus dem Abgrund, in den sie gestürzt, sich wieder herauszuhelfen. Denn es scheint hart, sie für das zu verdammen, was zu thun sie nicht die Macht zu hindern hatten. Diejenigen, welche schon die der Unterscheidung unfähigen Kinder verdammen, haben allerdings auch bei den Erwachsenen kein Bedenken und man möchte sagen, dass sie sich durch den Gedanken an die Leiden der Menschen verhärtet haben. Allein dies ist bei den übrigen Gelehrten nicht der Fall und ich trete ganz denen bei, welche allen Menschen eine zur Befreiung von der Sünde hinreichende Gnade bewilligen, sofern sie nur zur Benutzung derselben geneigt sind und sie nicht freiwillig verwerfen wollen. Man entgegnet, dass es eine unzählige Menge von Menschen gegeben hat und noch giebt, sowohl unter den civilisirten Völkern, wie unter den rohen, welche nie eine Kenntniss von Gott und Jesu Christo erlangt haben, deren man doch bedürfe, um auf dem gewöhnlichen Wege errettet zu werden. Ohne sie indess mit dem Vorgeben einer blos philosophischen Sünde entschuldigen und ohne selbst an einer blosen beraubenden Strafe festzuhalten, was hier zu erörtern nicht der Ort ist, kann vielmehr die Thatsache bezweifelt werden; denn wir wissen nicht, ob sie nicht gewöhnliche oder ausserordentliche Hülfen empfangen, die uns nur unbekannt sind. Der Grundsatz: Quod facienti quod in se est, non denegatur gratia necessaria (wer das, was an ihm liegt, thut, dem wird die nöthige Gnade nicht versagt) hat für mich eine ewige Wahrheit. Thomas von Aquino, der Erzbischof Bradwardin und Andere haben angedeutet, dass hierbei sich etwas zutrage, was wir nicht wissen. (Thomas Frage 14 über die Wahrheit Artikel 11 zu I und anderwärts. Bradwardin: Ueber den Grund Gottes, nicht weit vom Anfange.) Auch mehrere, selbst in der römischen Kirche sehr anerkannte Theologen haben gelehrt, dass eine aufrichtige That der Liebe Gottes in Bezug auf alle Fälle für das Heil genüge, wenn die Gnade von Jesu Christo diese Liebe bei Gott anregt. Der Pater Franz Xaver antwortete den Japanesen, dass wenn ihre Vorfahren ihr natürliches Licht gut gebraucht hätten, so werde Gott denselben die für ihre Rettung nöthige Gnade gewährt haben und der Bischof von Genf Franz von Sales billigt vollständig diese Antwort. (Buch 4: Von der Liebe Gottes, Kap. 3.)

96. Dies habe ich früher dem geschätzten Herrn Pelisson entgegnet und ihm gezeigt, dass die römische Kirche weiter geht, als die Protestanten und dass erstere die, welche ausser Gemeinschaft, ja selbst ausserhalb des Christenthums stehen, nicht unbedingt verdammt und sie nicht nach dem ausdrücklichen Glauben misst. Herr Pelisson hat dies in seiner sehr verbindlichen Antwort eigentlich nicht widerlegt, die in dem vierten Theile seiner »Betrachtungen« stellt und mit welcher er, mir zu Ehren, mein Schreiben mit hat abdrucken lassen. Ich gab ihm damals das zur Erwägung, was ein berühmter portugiesischer Theologe, Namens Johann Payva Andradius, der zum trientinischen Concil abgesandt war, während dieses Concils gegen Chemnitz geschrieben hat. Gegenwärtig brauche ich nur den Jesuiten Pater Spee, einen der ausgezeichnetsten Männer dieser Gesellschaft, zu nennen, welcher ebenfalls dieser allgemeinen Ansicht über die Wirksamkeit der göttlichen Liebe ist, wie aus der Vorrede zu dem schönen Buche erhellt, welches er in deutscher Sprache über die christlichen Tugenden verfasst hat. Er spricht davon, wie von einem sehr wichtigen frommen Geheimniss und ergeht sich sehr bestimmt über die Kraft der göttlichen Liebe, wodurch sie auch ohne Dazwischenkunft der katholischen Sakramente die Sünde unwirksam machen kann, vorausgesetzt, dass sie nicht verachtet werde, da dies mit dieser Liebe sich nicht mehr vertragen würde. Eine sehr hohe Person von einem so erhabenen Charakter, als man ihn in der römischen Kirche finden kann, hat mir die erste Mittheilung davon gemacht. Der Pater Spee stammte (nebenbei gesagt) aus einer vornehmen westfälischen Familie und er ist in dem Geruch eines Heiligen verstorben, wie der Herr bezeugt, welcher dieses Buch in Cöln mit Genehmigung seiner Oberen veröffentlicht hat.

97. Die Schrift dieses vortrefflichen Mannes muss noch jetzt Personen von Kenntnissen und Verstand von Werth sein, da er der Verfasser des Buches ist, was den Titel führt: Cautio criminalis circa processus contra sagas (die criminelle Kaution bei Prozessen gegen die Hexen), was viel Aufsehen gemacht und in mehrere Sprachen übersetzt worden ist. Der Kurfürst von Mainz Johann Philipp von Schönborn, der Onkel des gegenwärtigen Erzbischofs, welcher ruhmvoll in den Fussstapfen seines würdigen Vorgängers wandelt, hat mir erzählt, dass dieser Pater sich in Franken befand, als man dort mit Wuth alle angeblichen Hexen verbrannte; derselbe habe mehrere bis zu dem Scheiterhaufen begleitet und aus ihren Geständnissen und den über sie gemachten Ermittelungen erkannt, dass sie ganz unschuldig gewesen. Der Pater sei davon so gerührt gewesen, dass er trotz der damals mit der Verkündung der Wahrheit verknüpften Gefahren sich doch zur Abfassung dieses Werkes entschlossen habe (ohne jedoch sich zu nennen). Dasselbe erregte grosses Aufsehen und belehrte in diesem Punkte den Kurfürsten, der damals noch einfacher Kanonikus war, dann Bischof von Würzburg wurde und endlich auch Erzbischof von Mainz. Er untersagte sofort bei Antritt seiner Regierung alle diese Scheiterhaufen und ihm folgten der Herzog von Braunschweig und später die meisten Fürsten und Staaten Deutschlands.

98. Diese Abschweifung war vielleicht am Ort, weil dieser Schriftsteller es verdient, mehr bekannt zu werden. Ich komme jetzt auf den Gegenstand zurück und füge noch hinzu, dass ich annehme, wie heute eine Kenntniss Jesu Christi dem Fleische noch zum Heile nöthig ist, da dies in der That das sicherste Mittel der Belehrung ist und man kann daher sagen, dass Gott diese Kenntniss allen verleihen wird, welche das thun, was menschlicher Weise von ihnen abhängt, selbst wenn es von Gott durch ein Wunder geschehen müsste. Auch können wir nicht wissen, was bei dem Nahen des Todes in den Seelen vorgeht. Wenn selbst mehrere gelehrte und bedeutende Theologen daran festhalten, dass die Kinder eine Art Glauben durch die Taufe empfangen, obgleich sie sich dessen später nicht mehr entsinnen, wenn man sie darüber befragt, weshalb sollte man da nicht behaupten können, dass etwas Aehnliches, ja selbst Bestimmteres auch bei den Sterbenden geschehen könne, die wir nach ihrem Tode überdem nicht mehr befragen können. Es stehen daher Gott unzählige Wege offen, auf denen er seiner Güte Genüge leisten kann und alles, was wir dagegen einwenden können, läuft nur darauf  hinaus, dass wir die Wege, die er benutzt, nicht kennen, was aber nicht als ein gültiger Einwurf gelten kann.

99. Ich komme zu denen, welchen zwar nicht die Macht fehlt, sich zu bessern, aber der gute Wille; sie verdienen offenbar keine Entschuldigung, aber es verbleibt auch hier immer eine grosse Schwierigkeit in Bezug auf Gott, weil es ja nur von ihm abhängt, ihnen diesen guten Willen zu verleihen. Er ist der Herr über das Wollen; die Herzen der Könige und der übrigen Menschen sind in seiner Hand. Die heilige Schrift geht sogar so weit, dass sie sagt, Gott verhärte manchmal die Bösen, um in deren Bestrafung seine Macht zu zeigen. Diese Verhärtung darf indess nicht so verstanden werden, als wenn Gott solchen Menschen in ausserordentlicher Weise eine Art von Gegen-Gnade einflösste, d.h. einen Widerwillen gegen das Gute oder selbst eine Neigung zum Bösen, wie die von ihm gewährte Gnade eine Neigung zum Guten ist; vielmehr hat Gott in Anbetracht der Reihe der Dinge, die er eingerichtet hat, es aus hohem Gründen für angemessen befunden, zu erlauben, dass z.B. Pharao sich in Umständen befand, welche seine Bosheit steigerten und die göttliche Weisheit hat aus diesem Uebel ein Gutes ableiten wollen.

100. So läuft das Ganze oft auf die Umstände hinaus, die einen Theil der Verknüpfung der Dinge ausmachen. Es giebt unzählige Beispiele von kleinen Umständen, welche der Besserung oder der Verschlimmerung dienen. Nichts ist so bekannt, wie das Tolle, Lege (Nimm und lies), welchen Ruf der heilige Augustin aus einem Nachbarhause hörte, als er überlegte, welche Partei er bei den in Sekten getheilten Christen ergreifen solle, indem er sich sagte: Quod vitae sectabor iter? (Welchen Lebensweg soll ich einschlagen?). Dieser Ruf liess ihn auf's Gerathewohl die vor ihm liegende heilige Schrift aufschlagen und das lesen, was ihm vor die Augen kam. Es waren Worte, die ihn zu dem Entschluss brachten, die Manichäer zu verlassen. Der gute Herr Stenonis, ein Däne, Titularbischof von Titianopolis apostolischer Vikar (wie man sagt) für Hannover und Umgegend zu der Zeit, wo der regierende Herzog noch dem römischen Glauben angehörte, sagt uns, dass ihm etwas Aehnliches geschehen sei. Er war ein grosser Anatomiker und stark in der Naturkenntniss; allein leider verliess er diese Richtung und wurde aus einem grossen Naturforscher ein mittelmässiger Theolog. Er wollte von den Wundern der Natur gar nichts mehr hören und es bedurfte eines besondern Befehls des Papstes in virtute sanctae obedientiae (auf Grund heiligen Gehorsams), um die Beobachtungen von ihm zu erhalten, um welche Herr Thevenot ihn bat. So erzählte er, dass das, was ihn viel mit bestimmt habe, der römischen Kirche sich zuzuwenden, die Stimme einer Dame in Florenz gewesen sei, welche ihm aus einem Fenster zugerufen habe: »Mein Herr, gehen Sie nicht auf dieser Seite, sondern auf der andern.« Diese Stimme erschütterte mich (sagte er) weil ich gerade da über die Religion nachdachte. Diese Dame wusste, dass er jemand in ihrem Hause suchte und weil sie sah, dass er nach einem anderen zuging, so wollte sie ihm die Wohnung seines Freundes zeigen.

101. Der Jesuitenpater Johann Davidius hat ein Buch mit dem Titel: Veridicus Christianus (der wahrsprechende Christ) geschrieben, was eine Art von Bücherspiel ist. Man kann nach dem Vorgange des: Tolle Lege des heiligen Augustin die Stellen oft auf's Gerathewohl herausgreifen, wie bei einem Andachtsspiele. Indess tragen die zufälligen Umstände, in die wir ohne unsern Willen gerathen, nur zu viel zu dem bei, was dem Menschen das Heil gewährt oder nimmt. Man denke sich ein Paar polnische Zwillinge; der eine wird von den Tartaren geraubt, an die Türken verkauft, zum Abfall von seinem Glauben gebracht, in die Gottlosigkeit gestürzt und er stirbt in Verzweiflung; der andere wird glücklicherweise gerettet, geräth in gute Hände, wo er gehörig unterrichtet wird; und von den grossen Wahrheiten der Religion tief ergriffen, übt er die Tugenden, welche sie empfiehlt und stirbt mit den Gesinnungen eines guten Christen. Man wird das Unglück des ersteren beklagen, den vielleicht nur ein kleiner Umstand daran gehindert hat, sich ebenso, wie sein Bruder zu retten und man erschrickt, dass ein so kleiner Zufall über sein Schicksal für alle Ewigkeit entscheiden soll.

102. Man sagt vielleicht, dass Gott durch sein mittleres Wissen vorausgesehen, dass der erstere, auch wenn er in Polen geblieben wäre, ebenso schlecht und verdammlich geworden sein würde und es mag mitunter sich treffen, dass so etwas wirklich stattfindet. Aber wird man dergleichen als eine allgemeine Regel hinstellen und behaupten, dass auch nicht einer unter den zur Verdammniss bestimmten Heiden gerettet worden sein würde, wenn er unter die Christen gekommen wäre? Hiesse dies nicht unserm Herrn widersprechen, welcher sagt, dass Tyrus und Sodom seine Prophezeihungen mehr gewürdigt haben würden, als Capernaum, wenn sie das Glück gehabt hätten, sie zu hören?

103. Aber selbst wenn man den Gebrauch des mittleren Wissens gegen allen Anschein hier gestatten wollte, so setzt dasselbe doch immer voraus, dass Gott erwäge, was der Mensch in diesen und jenen Umständen thun werde und es bleibt immer wahr, dass Gott ihn in heilbringendere Umstände hätte versetzen und ihm innere oder äussere Hülfen hätte gewähren können, welche selbst den grössten Vorrath von Bosheit hätten besiegen können, der sich in solchen Seelen befindet. Man sage nicht, dass Gott dazu keine Verpflichtung habe, denn dies genügt nicht; es müssten vielmehr die erheblichsten Gründe ihn daran verhindern, Allen seine volle Güte zukommen zu lassen; also muss es hier eine Wahl geben, aber ich meine, dass man den Grund dazu nicht durchaus in der guten oder schlechten Anlage der Menschen zu suchen habe; denn wenn man mit Einigen annimmt, dass Gott bei seiner Wahl des Welt-Planes, welcher das meiste Gute erzeugt, aber welcher die Sünde und die Verdammniss mit enthält, durch seine Weisheit zur Auswahl der besten Naturen bestimmt worden ist, um sie zum Gegenstand seiner Gnade zu machen, so scheint die Gnade Gottes dann nicht genügend freiwillig, und der Mensch müsste sich dann selbst durch eine Art von angeborenem Verdienst auszeichnen; eine Annahme, die von den Grundsätzen des heiligen Paulus und selbst von denen der allerhöchsten Vernunft sehr abweichend erscheint.

104. Es ist allerdings richtig, dass bei Gott Gründe für seine Wahl bestehen und dass dabei auch der Gegenstand derselben, d.h. die Natur des Menschen beachtet werden muss, allein diese Wahl dürfte wohl keinen für uns begreiflichen oder unserm Stolze schmeichelnden Regeln unterliegen. Einige berühmte Theologen meinen, dass Gott denen, von welchen er voraussieht, dass sie weniger Widerstand leisten werden, mehr Gnade oder in eine günstigere Weise gewähre und dass er die übrigen ihrem Eigenwillen überlasse. Es mag sich wohl so verhalten und diese Aushülfe entfernt sich unter denen, wonach der Mensch sich selbst durch das Vortheilhafte in seinem Naturell auszeichnet, am meisten von der Lehre des Pelagius. Indess möchte ich aus ihr keine allgemeine Regel machen, und zuletzt ist wohl, damit wir nicht Grund haben uns zu rühmen, nöthig, dass die Gründe für die Auswahl Gottes uns unbekannt bleiben. Sie sind auch zu mannigfaltig, um von uns gekannt zu sein und möglicherweise zeigt Gott mitunter die Macht seiner Gnade dadurch, dass sie den hartnäckigsten Widerstand überwindet, damit Niemand zu verzweifeln, aber auch Niemand sich zu überschätzen brauche. Der heilige Paulus scheint diesen Gedanken gehabt zu haben, indem er sich selbst in dieser Rücksicht als Beispiel hinstellt. Gott, sagte er, hat sich meiner erbarmt, um ein grosses Beispiel von seiner Geduld zu geben.

105. Vielleicht sind alle Menschen im Grunde gleich schlecht und sie können sich deshalb durch ihr gutes oder weniger schlechtes Naturell von einander nicht unterscheiden; aber sie sind nicht alle in gleicher Weise schlecht, da zwischen den Seelen, wie die vorherbestimmte Harmonie ergiebt, eine ursprüngliche individuelle Verschiedenheit besteht. Die einen neigen mehr oder weniger zu einem bestimmten Gut oder zu einem bestimmten Uebel, oder zu deren Gegentheilen, alles nach ihren natürlichen Zuständen; aber der allgemeine Plan für das Universum, welchen Gott aus hohem Gründen gewählt hat, macht, dass die Menschen sich in verschiedenen Umständen befinden und dass die, welche die für ihr Naturell günstigsten treffen, in leichterer Weise, weniger schlecht, und die tugendhaftesten und glücklichsten werden; jedoch immer durch den Beistand der Eindrücke der inneren Gnade, welche Gott damit verbindet. Manchmal gelingt dies im Laufe des menschlichen Lebens selbst einem ausgezeichneten Naturell weniger, weil der erforderliche Kulturzustand oder die Gelegenheit fehlt. Man kann sagen, dass die Menschen nicht nach ihrer Vorzüglichkeit erwählt und geordnet werden, sondern nach der Angemessenheit, in der sie sich zu Gottes Plan befinden, wie man ja auch einen weniger guten Stein zu einem Bau oder einer Einrichtung benutzt, weil er gerade in eine gewisse Lücke passt.

106. Indess zeigen alle diese Versuche, Gründe für einen Gegenstand aufzufinden, wo man sich nicht an bestimmte Hypothesen fest zu halten braucht, dass es tausenderlei Mittel giebt, um das Verhalten Gottes zu rechtfertigen. Alles Unpassende, was wir sehen, alle Schwierigkeiten, die man sich machen kann, sind kein Hinderniss, in vernünftiger Weise zu glauben, wenn man es nicht auch ausserdem in beweisbarer Weise wüsste, wie ich schon dargelegt und wie es später sich noch mehr ergeben wird, dass es nichts so erhabenes giebt, wie die Weisheit Gottes, nichts so reines, wie seine Heiligkeit und nichts so unermessliches, wie seine Güte

Quelle:

Gottfried Wilhelm Leibniz: Die Theodicee. Leipzig 1879, S. 97-173.

 

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