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Leibniz, Gottfried Wilhelm
Die Theodicee, Abhandlung über die Güte Gottes
Essais de théodicée sur la bonté de dieu, la liberté de l'homme et l'origine du mal

Erstdruck: Amsterdam 1710

Dritter Theil

241. Somit bin ich endlich der moralischen Ursache des moralischen Uebels entledigt. Das physische Uebel, d.h. die Leiden, das Elend macht weniger Schwierigkeiten, da es eine Folge des moralischen Uebels ist. Poena est malum passionis, quod infligitur ob malum actionis (die Strafe ist ein Uebel im Leiden, was verhängt wird wegen eines Uebels im Handeln), nach Grotius. Man leidet, weil man gehandelt hat; man erleidet ein Uebel, weil man ein Uebel gethan hat.

Nostrorum causa malorum

Nos sumus.

(Wir selbst sind die Ursache unserer Leiden.)

Es ist richtig, dass man oft durch schlechtes Handeln Anderer leidet, allein wenn wir an dem Unrecht keinen Antheil haben, so müssen wir sicher annehmen, dass diese Leiden uns ein grösseres Glück bereiten. Die Frage des physischen Uebels, d.h. des Ursprungs der Leiden hat mit der Frage nach dem Ursprunge des metaphysischen Uebels, wofür die Missgeburten und andere scheinbare Unregelmässigkeiten im Universum Beispiele bieten, gemeinsame Schwierigkeiten. Man muss jedoch annehmen, dass auch die Leiden und die Missgeburten zur Ordnung gehören, und es ist gut, wenn man erwägt, dass es nicht allein besser ist, diese Mängel und Missgeburten zuzulassen, als die allgemeinen Gesetze zu verletzen, was Herr Malebranche manchmal geltend macht, sondern auch, dass selbst diese Missgestalten in den Regeln eingeschlossen und den allgemeinen Willensbestimmungen gemäss sind, wenn wir auch nicht im Stande sind, diese Uebereinstimmung klar darzulegen. Auch in der Mathematik zeigen sich manchmal scheinbare Unregelmässigkeiten, welche zuletzt in eine grosse Ordnung auslaufen, wenn man sie bis auf den Grund erkannt hat. Ich habe daher auch schon früher gesagt, dass nach meinen Grundsätzen alle einzelnen Ereignisse ohne Ausnahme Folgen der allgemeinen Willensbestimmungen sind.

242. Es darf nicht auffallen, wenn ich versuche, diese Dinge durch Vergleiche aufzugehen, welche der reinen Mathematik entlehnt sind, wo alles in Ordnung vor sich geht, und wo man Mittel hat, diese Ordnung durch eine scharfe Darlegung aufzuzeigen, welche uns so zu sagen den freudigen Anblick der Ideen Gottes gewährt. Man kann eine anscheinend durchaus unregelmässige Folge oder Reihe von Zahlen aufstellen, wo die einzelnen Zahlen verschiedentlich wachsen und abnehmen, ohne einen Schein von Ordnung und trotzdem wird der, welcher den Schlüssel zu diesen Zahlen kennt und den Ursprung und die Aufstellung dieser Zahlenreihe versteht, eine Regel angeben können, welche, richtig aufgefasst, zeigt, dass die Reihe durchaus regelmässig ist und sogar schöne Eigenthümlichkeiten hat. Noch sichtbarer kann man das bei Linien machen. Eine Linie kann vorwärts oder rückwärts gehen, in die Höhe und in die Tiefe, sich nach aussen und nach innen biegen, abbrechen und andere Veränderungen dieser Art haben, so dass man keinen Vers oder Grund sich darauf machen kann, namentlich wenn man nur einen Theil der Linie betrachtet und doch kann die Gleichung und Construktion derselben gegeben werden, in welcher ein Geometer den Grund und die Uebereinstimmung aller dieser vermeintlichen Unregelmässigkeiten erkennen würde. So hat man auch über die Unregelmässigkeiten der Missgeburten und anderer angeblichen Mängel im Universum zu urtheilen.

243. In diesem Sinne kann man die schönen Worte des Herrn Bernard benutzen (Brief 276 an Eugen III.): Ordinatissimum est, minus interdum ordinate fieri aliquid, d.h. es gehört zur Ordnung im Grossen, dass kleine Unordnungen geschehen und man kann sogar sagen, dass diese kleinen Unordnungen nur scheinbar solche im Ganzen seien und dass selbst die ser Schein verschwindet, wenn man das Glück derer beachtet, welche sich auf dem Wege der Ordnung halten.

244. Unter dem Worte: Missgeburten befasse ich noch eine Menge anderer scheinbarer Fehler. Wir kennen beinah nur die Oberfläche unserer Erde und dringen in deren Inneres nicht über einige hundert Lachter ein. Das in dieser Rinde der Erdkugel Gefundene scheint aus einigen grossen Revolutionen herzurühren. Anscheinend hat die Erdkugel einmal in Flammen gestanden und die Felsen, welche die Unterlage dieser Erdrinde bilden, sind die übrig gebliebenen Reihen eines grossen Schmelzprozesses. In deren Eingeweiden finden sich die Metalle und Mineralien, welche denen, die aus unsern Schmelzöfen kommen, sehr ähneln und das ganze Meer kann eine Art von oleum per deliquium (ein Oel durch Auflösung) sein, wie das Tartarus-Oel sich in einem feuchten Orte bildet; denn als die Oberfläche der Erde nach der grossen Feuersbrunst sich abgekühlt hatte, fiel die Feuchtigkeit, welche das Feuer in die Luft getrieben hatte, auf die Erde zurück, wusch deren Oberfläche ab und löste und nahm in sich das feste Salz auf, was in der Asche geblieben war und hat endlich jene grosse Höhlung in der Oberfläche unserer Erde ausgefüllt und so den Ozean mit einem salzigen Wasser gebildet.

245. Man muss indess annehmen, dass nach dem Feuer auch die Erde und das Wasser nicht geringere Verwüstungen bewirkt haben. Vielleicht ist die durch die Erkältung entstandene Rinde, welche grosse Höhlungen unter sich hatte, eingebrochen und wir wohnen nur auf deren Ruinen, wie Herr Thomas Burnet, ehemaliger Kaplan des Königs von Grossbritannien richtig bemerkt hat und mehrere Sündfluthen und Ueberschwemmungen haben Niederschläge zurückgelassen, deren gefundene Spuren und Ueberbleibsel zeigen, dass das Meer an Orten gewesen ist, die jetzt weit davon entfernt sind. Indess haben zuletzt diese Revolutionen aufgehört und die Erde hat ihre gegenwärtige Gestalt erhalten. Moses deutet diese grossen Veränderungen mit wenig Worten an; die Trennung des Lichts von der Finsterniss bedeutet die durch das Feuer bewirkte Schmelzung und die Abscheidung des Feuchten von dem Trockenen bezeichnet die Wirkungen der Ueberschwemmungen. Wer sieht aber nicht, dass diese Unordnungen die Dinge zu dem heutigen Zustande geführt haben, dass wir ihnen unsere Reichthümer und Bequemlichkeiten verdanken und dass nur durch diese Mittel die Erde mittelst unsrer Sorgfalt lebensfähig geworden ist? Diese Unordnung ist in Ordnung übergegangen. Die wahren oder scheinbaren Unordnungen, die wir in der Ferne sehen, sind die Flecken der Sonne und der Kometen; wir kennen nur den von ihnen herbeigeführten Nutzen und die hier bestehenden Regeln nicht. Es gab eine Zeit, wo die Planeten für Irrsterne galten, jetzt zeigt sich deren Bewegung regelmässig; vielleicht verhält es sich auch mit den Kometen so; die Nachwelt wird es wissen.

246. Zu den Unordnungen kann die Ungleichheit der Bedingungen nicht gerechnet werden, und Herr Jaquelot fragt ganz richtig diejenigen, welche alles durchaus gleich verlangen, ob denn auch die Felsen mit Blätter und Blumen gekrönt seien, und die Ameisen Pfauen sein sollten? Wenn überall die Gleichheit herrschen sollte, würden die Armen Bittschriften gegen die Reichen, und die Diener gegen die Herrn einreichen. Die Pfeifen einer Orgel dürfen ja auch nicht gleich sein. Herr Bayle wird vielleicht sagen, dass eine Beraubung des Guten etwas von der Unordnung Verschiedenes sei, und ebenso sei die Unordnung bei den leblosen Dingen, welche rein metaphysisch sei, verschieden von der Unordnung bei den vernünftigen Geschöpfen, bei denen sie in dem Unrecht und den Leiden bestehe. Er hat Recht, wenn er sie unterscheidet und ich, wenn ich sie verbinde. Gott vernachlässigt die leblosen Dinge nicht; sie haben kein Gefühl, aber Gott fühlt für sie. Er vernachlässigt die Thiere nicht, sie haben keinen Verstand, aber Gott hat ihn für sie. Er würde sich den geringsten wahrhaften Fehler vorhalten, der in dem Universum bestände, selbst wenn Niemand denselben bemerkte.

247. Herr Bayle billigt anscheinend nicht, dass die in den leblosen Dingen möglichen Unordnungen mit denen verglichen werden, welche den Frieden und das Glück der vernünftigen Geschöpfe stören und dass man die Gestattung des Lasters zum Theil damit begründe, dass Störungen in den Gesetzen der Bewegung vermieden werden sollen. Man könnte nach ihm (Antwort an Herrn Jaquelot, die nach seinem Tode erschienen, S. 183) daraus folgern, »dass Gott die Welt nur erschaffen habe, um seine unendliche Kenntniss der Baukunst und der Mechanik zu zeigen, und dass seine Eigenschaft der Güte und Liebe zur Tugend keinen Antheil an der Einrichtung dieses grossen Werkes gehabt habe. Dieser Gott würde nur auf seine Wissenschaft stolz sein, er würde lieber das ganze menschliche Geschlecht untergehen lassen, als dass er einige Atome schneller oder langsamer gehen liesse, als es die allgemeinen Gesetze verlangen.« – Herr Bayle würde diesen Einwurf nicht erhoben haben, wenn er das System der allgemeinen Harmonie, was ich aufstelle, gekannt hätte, wonach die Herrschaft der wirkenden Ursachen und die der Endursachen mit einander gleich laufen. Gott ist danach nicht blos der beste Monarch, sondern auch der grösste Baumeister; der Stoff ist so geordnet, dass die Gesetze der Bewegung zur bessern Leitung der Geister dienen, und dass somit sich schliesslich ergeben wird, dass Gott das möglichste Gute erlangt hat, wenn man das metaphysische, physische und moralische Gute zusammenrechnet.

248. Aber (wird Herr Bayle sagen) Gott kann doch eine Unzahl von Uebeln durch ein kleines Wunder beseitigen; weshalb thut er dies nicht ? Er gewährt doch den gefallenen Menschen so viel Hülfe, während eine kleine solche Hülfe, die er der Eva gewährt hätte, deren Fall gehindert und die Versuchung der Schlange unwirksam gemacht haben würde. Ich habe dieseArt von Einwürfen genügend durch die allgemeine Antwort erledigt, dass Gott keine andere Wahl für ein anderes Universum zu treffen hatte, weil er das beste erwählt hat und nur die hierbei unvermeidlichen Wunder gethan hat. Ich habe Herrn Bayle geantwortet, dass Wunder die natürliche Ordnung des Universum's stören; er hat entgegnet, dies sei eine Täuschung; das Wunder bei der Hochzeit in Canaan (zum Beispiel) machte keine andere Aenderung in der Luft des Zimmers, als dass es statt einiger Theilchen Wasser, einige Theilchen Weines in seine Poren aufnahm; allein man muss bedenken, dass wenn einmal der beste Plan für die Dinge gewählt worden, darin nichts geändert werden kann.

249. Was die Wunder anlangt (über welche ich schon früher einiges gesagt habe), so sind sie viel leicht nicht alle von gleicher Art; es scheint deren viele zu geben, welche Gott durch den Dienst unsichtbarer Substanzen, wie der Engel bewirkt. Auch Herr Malebranche glaubt dies, und diese Engel oder Substanzen handeln dabei nach den gewöhnlichen Gesetzen ihrer Natur, indem sie feinere und kräftigere Körper besitzen, als mit denen wir eingreifen können. Dergleichen Wunder sind es nur vergleichsweise und in Bezug auf uns, wie unsere Werke ja auch den Thieren für Wunder gelten würden, wenn sie darüber Bemerkungen zu machen fällig wären. So konnte die Umwandlung des Wassers in Wein eine solche Art Wunder sein. Dagegen übersteigen die Schöpfung, die Fleischwerdung des Sohnes Gottes und einige andere Handlungen Gottes alle Kräfte der Geschöpfe und sind wahrhafte Wunder oder sogar Mysterien. Wenn die Verwandlung des Wassers in Wein zu Canaan ein Wunder ersten Ranges sein sollte, so würde Gott dadurch wegen der allgemeinen Verbindung der Körper den Lauf der Welt geändert haben, oder er hätte selbst wieder wunderbarer Weise diese Verbindung hemmen und die bei dem Wunder nicht betheiligten Körper so wirksam sein lassen, als wäre kein Wunder geschehen, und nach dem vollzogenen Wunder hätte er wieder alles in den dabei betheiligten Körpern in den Stand versetzen müssen, zu dem sie ohne das Wunder gelangt sein würden, wodurch alles wieder in seinen ursprünglichen Lauf gebracht worden wäre. So verlangte dieses Wunder bei dieser Annahme mehr, als es scheint.

250. In Bezug auf das physische Uebel der Geschöpfe, d.h. in Bezug auf ihre Leiden bekämpft Herr Bayle sehr eifrig die, welche das dabei von Gott eingehaltene Verfahren durch besondere Gründe zu rechtfertigen suchen. Ich lasse hier die Leiden der Thiere bei Seite; Herr Bayle hält sich hauptsächlich an die Leiden der Menschen, weil er vielleicht glaubt, dass die Thiere keine Empfindung haben. Mehrere Cartesianer haben gerade durch die Ungerechtigkeit, welche in den Leiden der Thiere liegen würde, beweisen wollen, dass sie nur Maschinen seien, quoniam sub Deo justo nemo innocens miser est; weil es unmöglich sei, dass unter einem Herrn, wie Gott, ein Unschuldiger elend sein könne. Dieser Grundsatz ist gut, aber ich glaube nicht, dass man daraus die Gefühlslosigkeit der Thiere folgern kann, weil ich meine, dass, streng genommen, die Empfindung zur Bewirkung des Elends nicht zureicht, wenn sie nicht von Ueberlegung begleitet ist. Auch mit dem Glück verhält es sich so, ohne Ueberlegung giebt es keins.

O fortunatos nimium, sua qui bona norint.

(O die Ueberglücklichen, welche ihre Güter kennen.)

Man wird mit Grund die Schmerzen bei den Thieren nicht bezweifeln können; aber anscheinend sind ihre Freuden und Schmerzen nicht so lebhaft wie bei dem Menschen, denn da sie keine Ueberlegung anstellen können, so sind sie weder für den Kummer, welcher den Schmerz begleitet, noch für die Freude, welche die Lust begleitet, empfänglich. Die Menschen befinden sich manchmal in einem thierähnlichen Zustande, wo sie beinah nur nach ihrem Instinkt und den blos sinnlichen Eindrücken handeln; in solchem Zustande sind ihre Freuden und Schmerzen sehr klein.

251. Doch lassen wir die Thiere und kommen wir zu den vernünftigen Geschöpfen zurück. In Bezug auf sie behandelt Herr Bayle die Frage, ob es mehr physisches Uebel, als physisches Gute in der Welt gebe? (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 75, Thl. II.) Um sie richtig beantworten zu können, muss man erklären, worin dieses Gute und dieses Uebel besteht. Ich gebe zu, dass das physische Uebel nichts anderes, als das Missvergnügen ist, und ich begreife darunter den Schmerz, den Kummer und jede andere Art von Unbehagen. Aber besteht das physische Gute nur in dem Vergnügen? Herr Bayle scheint dieser Ansicht zu sein, allein ich meine, dass es auch in einem mittlern Zustand besteht, wie dem der Gesundheit. Man fühlt sich ganz wohl, wenn man keine Schmerzen hat; es ist schon ein Grad von Weisheit, wenn man nicht toll ist.

Sapientia prima est

Stultitia caruisse.

(Die nächste Weisheit ist es,

von Dummheit frei ist zu sein.)

So ist man schon lobenswerth, wenn man mit Recht nicht getadelt werden kann.

Si non culpabor, sat mihi laudis erit.

(Es ist mir schon Lobes genug,

wenn ich nicht getadelt werde.)

Von diesem Standpunkte aus sind alle nicht missfälligen Empfindungen, alle Uebungen unserer Kräfte, die uns nicht beschwerlich fallen und deren Hemmniss für uns unbehaglich wäre, physische Güter, auch wenn sie uns kein Vergnügen machen, da deren Beraubung ein physisches Uebel ist. Auch bemerkt man das Gut der Gesundheit und ähnliches Gute nur, wenn man deren beraubt ist. Auf diesem Standpunkte möchte ich behaupten, dass selbst für dieses Leben die Güter die Uebel und das Angenehme das Unangenehme übertreffen. Herr Descartes hat deshalb ganz Recht, wenn er schreibt (Brief 9, Bd. I), dass die natürliche Vernunft uns lehre, wir hätten in diesem Leben mehr Güter als Uebel.

252. Dazu kommt, dass zu häufiges und zu grosses Vergnügen ein grosses Uebel sein würde. Deshalb hat Hippocrates es mit der Epilepsie verglichen und Scoppius thut wohl scheinbar nur so, als wenn er die Sperlinge beneidete, um in seinem gelehrten aber mehr als redseligen Werke angenehm zu schwätzen. Fleischspeisen von starkem Geschmack schaden der Gesundheit und mindern die Feinheit einer ausgebildeten Empfindung. Die körperlichen Vergnügen sind überhaupt eine Art Verschwendung an Geist, obgleich sie bei dem Einen besser, als bei dem Andern wieder gut gemacht werden.

253. Um zu beweisen, dass das Uebel das Gute übersteige, beruft man sich auf Herrn de la Mothe le Vayer (Brief 134), der nicht noch einmal auf die Welt kommen mochte, wenn er dieselbe Rolle wieder spielen müsste, welche die Vorsehung ihm schon jetzt aufgelegt habe. Indess würde man, wie gesagt, wohl den Vorschlag jenes annehmen, welcher wünschte den Faden der Parze wieder anknüpfen zu können, wenn man dabei nur eine neue Rolle bekomme, sollte sie auch nicht besser sein, als die erste. Deshalb folgt aus dem von Herrn de la Mothe le Vayer Gesagten keineswegs, dass er nicht noch einmal nach der gespielten Rolle verlange, sofern sie nur eine neue wäre; in welchem Sinne Herr Bayle es zu verstehn scheint.

254. Die geistigen Freuden sind die reinsten und die nützlichsten, um die Freude lange dauern zu lassen. Cardan war, obschon ein Greis, mit seiner Lage so zufrieden, dass er sich verschwor mit einem jungen, sehr reichen, aber unwissenden Manne nicht tauschen zu wollen. Auch Herr de la Mothe le Vayer erwähnt dies, ohne es zu tadeln. Das Wissen dürfte Reize haben, welche von denen, die sie nicht empfunden haben, nicht begriffen werden können. Ich verstehe darunter kein bloses Wissen von Thatsachen ohne deren Gründe, sondern ein Wissen wie das des Cardan, der wirklich ein grosser Mann, trotz allen seinen Fehlern, war und ohne diese seines Gleichen nicht gehabt hätte.

Felix qui potuit rerum cognoscere causas?

Ille metus omnes et inexorabile fatum

Subjecit pedibus.

(Glücklich wer die Ursachen der Dinge zu erkennen vermocht hat; er hat jede Furcht und selbst das unerbittliche Schicksal seinen Füssen unterworfen.)

Es ist keine Kleinigkeit mit Gott und der Welt zufrieden zu sein, das nicht zu fürchten, was uns be stimmt ist, und über das sich nicht zu beklagen, was uns begegnet. Die Kenntniss der wahren Prinzipien gewährt uns diesen Vortheil, der ein ganz anderer ist, als der, welchen die Stoiker und Epikuräer aus ihrer Philosophie zogen. So gross wie der Unterschied zwischen der wahren Moral und ihrem Scheine ist, ist der zwischen der Freude und der Geduld; denn die Ruhe jener ist nur auf die Nothwendigkeit gestützt, während die unsrige auf der Vollkommenheit, auf der Schönheit der Dinge, auf unserer eigenen Glückseligkeit beruht.

255. Was soll ich aber über die körperlichen Schmerzen sagen? Können sie nicht so heftig werden, dass sie die Ruhe des Weisen unterbrechen? Aristoteles nimmt dies an, während die Stoiker und selbst die Epikuräer anderer Meinung waren. Herr Descartes hat den Streit dieser Philosophen erneuert; er sagt in dem oben erwähnten Briefe, »dass man selbst unter den traurigsten Vorfällen und den peinigendsten Schmerzen immer zufrieden sein könne, sofern man seine Vernunft zu gebrauchen verstehe.« Herr Bayle sagt darüber (Antwort etc. Thl. III, Kap. 157, S. 991), »dass dies nichts heisse, als ein Mittel angeben, was beinah Niemand sich bereiten könne.« Ich halte indess die Sache nicht für unmöglich und die Menschen können mittelst Nachdenkens und Uebung dahin gelangen. Denn wenn ich auch nicht von den wahren Märtyrern und denen die einen übernatürlichen Beistand empfangen haben, sprechen will, so hat es doch auch falsche Märtyrer gegeben, welche jene nachgeahmt haben; jener spanische Sclave, welcher den karthagischen Gouverneur tödtete, um seinen Herrn zu rächen und welcher selbst unter den grössten Qualen grosse Freude darüber bezeigte, kann die Philosophen beschämen. Weshalb sollte man nicht eben so weit, wie dieser gehen. Man kann vom Vortheil wie vom Nachtheil sagen:

Cuivis potest accidere, quod cuiquam potest.

(Was jedem begegnen kann, kann jedem begegnen.)

256. Selbst heutzutage geben uns ganze Nationen, wie die Huronen, die Irokesen, die Galibi's und andere amerikanische Völkerschaften eine gute Lehre hierfür. Man kann nicht ohne Erstaunen lesen, mit welcher Unerschrockenheit und beinah Unempfindlichkeit sie ihren Feinden trotzen, welche sie bei schwachem Feuer braten und stückweise aufzehren. Könnten diese Völker unter Bewahrung ihrer körperlichen Vorzüge und ihres Muthes diese mit unsern Kenntnissen verbinden, so würden sie uns in jeder Art übertreffen.

Extat ut in mediis turris aprica casis.

(Er steht wie ein steiler Thurm inmitten der Hütten.)

Sie würden in Bezug auf uns das sein, was ein Riese gegen einen Zwerg ist, ein Berg gegen einen Hügel.

Quantus Eryx et quantus Athos, gandetque nivali

Vertice se attollens pater Apenninus ad auras.

(So gross wie der Eryx, so gross wie der Athos und der Vater Apenninus, der mit seinem schneeigen Gipfel in die Lüfte sich erhebt.)

257. Alles was in diesen, auf ein höchst sonderbares Ehrgefühl sich steifenden Wilden eine wunderbare Kraft des Körpers und des Gemüths vermag, könnte bei uns durch Erziehung, durch sehr herbe Kasteiungen, durch eine vorherrschende auf die Vernunft sich gründende Freudigkeit, durch viele Uebung in Bewahrung einer gewissen Geistesgegenwart mitten in den Zerstreuungen und störendsten Eindrücken erreicht werden. Etwas ähnliches berichtet man von den alten Assassinen Unterthanen und Zöglinge des Alten oder vielmehr des Herrn (Senior) der Berge. Eine solche Schule (nur für einen bessern Zweck) wäre für unsere Missionäre gut, die nach Japan zurückkehren wollen. Die Gymnosophisten der alten Indier hatten vielleicht auch manches Annähernde, und jener Calanus, welcher, als Schauspie für Alexander den Grossen, sich lebendig verbrennen liess, war jedenfalls durch die grossen Beispiele seiner Lehrer ermuthigt und durch grosse Leiden darauf geübt worden, den Schmerz nicht zu fürchten. Die Frauen derselben Indier, die noch heute mit den Körpern ihrer Männer verbrannt sein wollen, scheinen auch noch etwas von dem Muthe jener alten Philosophen ihres Landes an sich zu haben. Man wird allerdings nicht so bald einen religiösen Orden gründen, dessen Zweck ist, die Menschen auf einen so hohen Grad von Vollkommenheit zu erheben; solche Leute ständen zu hoch über den übrigen und wären den Mächten zu fürchterlich. Da man nur selten in solche äusserste Lagen kommt, wo man einer so starken Geisteskraft bedarf, so wird man schwerlich dazu auf Kosten unserer ursprünglichen Bequemlichkeiten Anstalt treffen, obgleich man damit unendlich mehr gewinnen, als verlieren würde.

258. Allein schon dieses selbst ist ein Beweis, dass das Gute das Uebel schon jetzt übertrifft, weil man eines so starken Mittels nicht bedarf. Schon Euripides hat gesagt:

Pleiô ta chrêsta tôn kakôn einai brotois.

(Der Güter haben die Sterblichen mehr, als der Uebel.)

Homer und einige andere Dichter waren anderer Meinung und die grosse Menge stimmt ihnen bei, weil das Uebel unsere Aufmerksamkeit mehr als das Gute erregt. Aber auch dies zeigt, dass das Uebel das seltnere ist. Man darf deshalb den Klagen des Plinius nicht zu viel Glauben schenken, welcher die Natur für eine Rabenmutter und den Menschen für das elendeste und eitelste aller Geschöpfe erklärt. Diese beiden Bezeichnungen widersprechen sich; man ist nicht sehr elend, wenn man ganz von sich eingenommen ist. Allerdings verachten die Menschen die menschliche Natur nur zu sehr, wahrscheinlich weil sie keine andern Geschöpfe neben sich sehen, die ihre Eifersucht erregen könnten, aber trotzdem überschätzen sie sich und sind im Einzelnen sehr leicht mit sich zufrieden. Ich trete deshalb Meric Casaubonus bei, welcher in seinen Noten zu dem Xenophanes des Diogenes von Laerte die schönen Gedanken des Euripides lobt und meint, er habe Dinge gesagt, quae spirant theopneustos pectus (welche eine gotterfüllte Brust verrathen). Seneca spricht beredt (Buch 4, Kap. 5 über die Wohlthaten etc.) von den Gütern, mit denen die Natur uns überhäuft habe. Herr Bayle stellt ihm in seinem Wörterbuch beim Artikel Xenophanes mehrere Autoritäten entgegen, namentlich die des Dichters Diphilos in der Sammlung des Stobäus, dessen griechische Worte lateinisch wohl so lauten würden:

Fortuna cyathis bibere nos datis jubens

Infundit uno terna pro bono mala.

(Indem das Schicksal uns aus den gegebenen Bechern trinken heisst

Giesst sie uns dreifache Uebel ein für das eine Gut.)

259. Herr Bayle meint, dass, wenn es sich hier nur um das Uebel der Schuld, oder um das moralische Uebel bei den Menschen handelte, der Prozess bald zu Gunsten von Plinius entschieden sein und Euripides seine Sache verlieren würde. Dem trete ich nicht entgegen; unsere Laster übertreffen unsere Tugenden; dies ist die Folge der Erbsünde. Indess übertreibt auch hier die Menge die Sache und selbst einige Theologen erniedrigenden Menschen so sehr, dass sie dem Schöpfer der Menschen Unrecht thun. Ich stimme deshalb nicht mit denen, welche glaubten, unserer Religion grosse Ehre zu erweisen, indem sie sagten, dass die Tugenden der Heiden nur splendida peccata, glänzende Laster, seien. Es ist dies ein Witz vom heiligen Augustin, der sich nicht auf die heilige Schrift stützt und die Vernunft beleidigt. Indess handelt es sich hier nur um das physische Uebel und Gute und man muss im Einzelnen das Glück und Unglück dieses Lebens mit einander vergleichen. Herr Bayle möchte beinah die Rücksicht der Gesundheit beseitigen; er vergleicht sie mit den in Dunst aufgelösten Körpern, die man, wie z.B. die Luft, nicht fühlt und den Schmerz vergleicht er mit Körpern von grosser Dichtheit, die selbst bei kleinem Umfange schwer wiegen.
Allein gerade der Schmerz lässt die Wichtigkeit der Gesundheit erkennen, wenn wir derselben beraubt sind. Ich habe schon gesagt, dass zu viel körperliche Genüsse ein wahres Uebel sein würden und es soll dies auch nicht anders sein; es ist zu wichtig, dass der Geist frei bleibe. Lactantius hatte gesagt (die göttlichen Einrichtungen Buch 3, Kap. 18), die Menschen seien so empfindlich, dass sie sich über das kleinste Uebel beklagen, als wenn es alles genossene Gute aufzehrte. Herr Bayle meint, es genüge, dass die Menschen dieses Gefühl haben, um sie für unglücklich zu halten, weil das Gefühl der Maassstab für das Gute und Uebel sei. Ich entgegne, dass das gegenwärtige Gefühl nichts weniger, als der wahre Maassstab für vergangenes oder kommendes Gute oder Uebel ist. Ich gebe zu, dass man sich übel fühlt, wenn man solche schmerzliche Betrachtungen macht, allein dies hindert nicht, dass man doch vorher sich wohl befunden hat, und dass alles in allem gerechnet das Gute nicht das Uebel übersteigen wird.

260. Ich wundere mich nicht, wenn die Heiden, wenig zufrieden mit ihren Göttern, sich über den Prometheus und Epimetheus beklagt haben, weil sie ein so schwaches Geschöpf, wie den Menschen, geschmiedet hätten und dass sie der Fabel des alten Silen, des Ernährers des Bacchus, zugestimmt haben, welcher von dem König Midas gefangen genommen wurde und als Preis seiner Befreiung demselben jenen angeblich schönen Ausspruch lehrte, das erste und letzte Gut sei, nicht geboren zu werden und das nächste, möglichst schnell aus diesem Leben zu schreiten. (Cicero, Tusculanische Gespräche. Buch I.) Plato glaubte, die Seelen seien in einem glücklicheren Zustande gewesen und mehrere alte Schriftsteller, unter anderem auch Cicero in seiner Tröstung (nach dem Bericht des Lactantius), haben geglaubt, dass die Seelen für ihre Sünden in den Körper wie in ein Gefängniss gesperrt worden seien. Sie geben damit einen Grund für unsere Leiden an und bestätigen ihr Vorurtheil gegen das menschliche Leben; denn es giebt kein schönes Gefängniss. Indess wage ich, abgesehen davon, dass selbst nach diesen Heiden die Uebel dieses Lebens aufgewogen, ja überwogen sein werden durch das Gute des frühern und spätern Lebens, zu sagen, dass wir bei einer unbefangenen Prüfung der Sache finden werden, dass das eine so viel wiegt, wie das andere und dass das Leben gewöhnlich ganz leidlich ist. Verbindet man damit die Beweggründe der Religion, so werden wir mit der von Gott gesetzten Ordnung zufrieden sein. Um richtiger über unsere Güter und Uebel zu urtheilen, lese man Cardanus de utilitate ex adversis capienda (über den aus dem Unglück zu ziehenden Nutzen) und Novarini de occullis Dei beneficiis (über die verborgenen Wohlthaten Gottes).

261. Herr Bayle bespricht auch das Unglück der Grossen, welche für die glücklichsten Menschen gelten; der stete Gebrauch der guten Seiten ihrer Lage macht sie für das Gute unempfindlich, aber sehr empfindlich für das Uebel. Vielleicht sagt man: desto schlimmer für sie; wenn sie die Vortheile der Natur und des Glücks nicht zu geniessen verstehen, ist das der Fehler der einen oder des andern? Es giebt indess auch weisere Grosse, welche die ihnen von Gott gewährte Gunst besser auszunützen verstehen und selbst aus ihren eignen Fehlern Vortheil ziehen. Herr Bayle beachtet dies nicht; er hört lieber den Plinus, welcher meint, dass der vom Glück um meisten begünstigte Kaiser Augustus wenigstens eben so viel Uebles wie Gutes empfunden habe. Allerdings hat er viel Kummer in seiner Familie erlebt und die Gewissensbisse wegen Zerstörung des Freistaats haben ihn vielleicht gequält; allein er war wohl zu weise, um sich über das Erste zu betrüben und Maecenas hat ihm deutlich dargelegt, wie Rom eines Herrn bedurft habe. Wäre Augustus in diesem Punkte nie bekehrt worden, so würde Virgil nie von einem Verurtheilten gesagt haben:

Vendidit hic auro patriam, Dominum que potentem

Imposuit, fixit leges pretio atque refixit.

(Es hat dieser sein Vaterland für Gold verkauft und einen mächtigen Herrn ihm auferlegt; um Geld gab er Gesetze und nahm sie zurück.)

Augustus würde diese Verse auf sich und Cäsar bezogen haben, die von dem, einem Freistaat gegebenen Herrn sprechen. Aber es scheint, dass er sie sehr wenig auf seine Herrschaft bezogen hat, welche er mit der Freiheit für verträglich und für ein nothwendiges Heilmittel gegen die öffentlichen Uebelstände hielt; wie ja auch die heutigen Fürsten das, was in des Herrn von Cambray Telemach von den getadelten Fürsten vorkommt, nicht auf sich beziehen. Ein jeder glaubt, in seinem guten Rechte zu sein. Tacitus, ein unpartheiischer Schriftsteller, vertheidigt Augustus mit zwei Worten im Anfange seiner Annalen. Augustus hat indess besser als irgend jemand über sein Glück urtheilen können; er scheint zufrieden gestorben zu sein, aus einem Grunde, welcher zeigt, dass er mit seinem Leben zufrieden war; denn im Sterben sagte er einen griechischen Vers zu seinen Freunden, der so viel bedeutet, wie: Klatscht, was damals bei dem glücklichen Erfolge eines gut gespielten Schauspiels von einem Schauspieler gesagt zu werden pflegte. Sueton berichtet es:

Dote kroton kai pantes hymeis meta charas ktypêsate.

(Klatscht Beifall und pocht Alle vor Vergnügen.)

262. Aber wenn selbst mehr Uebel wie Gutes dem Menschengeschlecht zugefallen sein sollte, so genügt es doch in Bezug auf Gott, dass es in der ganzen Welt unvergleichlich mehr Gutes wie Uebles giebt. Der Rabbiner Maimonides (dessen Verdienste man nicht genügend anerkennt, wenn man sagt, dass er der erste Rabbiner sei, welcher keine beleidigenden Reden führe) hat über diese Frage von dem Uebergewicht des Guten über das Schlechte in der Welt auch sehr richtig geurtheilt. Er sagt in seinem Doctor perplexorum (Der Arzt für Verlegenheiten) (Thl. III, Kap. 12): »In den Seelen schlecht unterrichteter Menschen erheben sich oft Gedanken, wonach sie glauben, dass es mehr Elend als Gutes in der Welt gebe und in den Dichtungen und Gesängen der Heiden wird es oft für ein Wunder genommen, wenn etwas Gutes statt der regelmässigen und steten Uebel, sich ereignet. Auch herrscht dieser Irrthum nicht blos in der Menge, sondern auch die, welche für weise gelten wollen, haben sich ähnlich ausgesprochen. Ein berühmter Schriftsteller, Namens Alrasi, hat in seinen Sepher Elobuth oder in seine Gotteslehre unter andern Verkehrtheiten auch die aufgenommen, dass es mehr Uebles als Gutes gebe; wenn man die Erholungen und Freuden, welche der Mensch in Zeiten der Ruhe geniesse, vergleiche mit den Schmerzen, Qualen, Unruhen, Mängeln, Sorgen, Kummer und Betrübniss, mit denen er beladen sei, so werde man finden, dass unser Leben ein grosses Uebel und eine wahre Pein sei, welche uns zur Strafe aufgelegt sei.« Herr Maimonides fügt hinzu, dieser grobe Irrthum komme daher, dass man sich einbilde, die Natur sei nur für die Menschen geschaffen und dass man alles ausserhalb seiner Person für nichts achte. Geht daher etwas gegen den eignen Wunsch, so soll alles in der Welt schlecht gehen.

263. Herr Bayle sagt, dass diese Bemerkung des Maimonides nicht bis zu ihrem Schluss gelange, weil die Frage die sei, ob unter den Menschen das Uebel das Gute überrage? Indess finde ich bei Betrachtung der Worte des Rabbiners, dass die Frage von ihm allgemein aufgefasst ist und dass er diejenigen widerlegen will, welche die Frage durch einen beschränkten Grund entscheiden wollen, der von den Uebeln des Menschengeschlechts abgeleitet wird, als wenn alles nur für den Menschen geschaffen worden sei. Auch der von ihm widerlegte Schriftsteller scheint von dem Guten und Uebeln im Allgemeinen gesprochen zu haben. Maimonides kann mit Recht behaupten, dass, wenn man die Kleinheit des Menschen in Bezug auf des Universum erwäge, sich klar ergebe, dass das Uebergewicht des Uebels, im Fall es bei den Menschen bestände, deshalb nicht auch bei den Engeln, noch bei den Himmelskörpern, noch bei den Elementen und den Mischungen des Leblosen, noch unter mehreren Arten der Thiere zu bestehen brauche. Ich habe anderwärts dargethan, dass wenn auch die Zahl der Verdammten die der Erretteten übersteigen sollte (was jedoch nicht durchaus gewiss ist), man einräumen kann, dass es für das menschliche Geschlecht, so weit wir es kennen, mehr Uebles als Gutes giebt. Allein ich habe zu bedenken gegeben, dass es trotzdem unvergleichlich mehr physisches und moralisches Gutes als Uebles bei den vernünftigen Geschöpfen überhaupt geben könne und dass der Staat Gottes, welcher alle diese Geschöpfe befasst, zwar nicht der vollkommenste Zustand sei, aber dass mit Berücksichtigung des metaphysischen Guten und Uebeln, was sich in allen Substanzen, sowohl den beseelten, wie unbeseelten findet und welches in dieser Ausdehnung auch das physische und moralische Gute mit befassen würde, das Universum, so wie es ist, als das beste von allen Systemen anerkannt werden müsse.

264. Schliesslich will Herr Bayle, dass unsere Fehler bei Erwägung unserer Leiden nicht mit in Rechnung genommen werden sollen. Er hat recht, wenn es sich einfach um Abschätzung dieser Leiden handelt; allein nicht, wenn es sich fragt, ob man Gott die Schuld davon geben solle, obgleich dies hauptsächlich die Schwierigkeiten bei Herrn Bayle veranlasst, wenn er die Vernunft oder Erfahrung der Religion entgegenstellt. Ich kenne seine stete Entgegnung, dass das Zurückgehen auf unsern freien Willen nichts sage, weil seine Einwürfe auch beweisen wollen, dass der Missbrauch des freien Willens ebenso auf die Rechnung Gottes gesetzt werden müsse, weil er ihn gestatte und daran einen Antheil gehabt habe. Er stellt es als Regel auf, dass man, um einer Schwierigkeit mehr oder weniger nicht ein System aufgeben dürfe; hauptsächlich macht er dies zu Gunsten der Methode der Strengen und der Lehre der Supralapsarier geltend. Er meint, man könne deren Meinung annehmen, obgleich sie die Schwierigkeiten ungemindert lasse, da auch die übrigen Systeme, wenn sie auch einzelnes davon beseitigten, doch nicht diese sämmtlich lösen könnten. Indess bleibe ich dabei, dass das von mir dargelegte wahrhafte System allen genug thut. Aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, könnte mir diese Regel des Herrn Bayle nicht gefallen und ich würde ein System, was einen grossen Theil der Schwierigkeiten hebt, dem, welches gar nichts leistet, vorziehen. Die Erwägung, dass aus der Schlechtigkeit der Menschen beinah all ihr Unglück hervorgeht, lehrt wenigstens, dass sie kein Recht haben, sich darüber zu beklagen. Keine Gerechtigkeit hat sich über den Ursprung der Bosheit eines Verbrechens zu bemühen, wenn es sich nur um dessen Strafe handelt; etwas anderes ist es, wenn es auf deren Verhinderung ankommt. Man weiss sehr wohl, dass das Temperament, die Erziehung, der Umgang und sogar der Zufall oft viel Antheil daran haben; aber ist der Mensch deshalb weniger strafbar?

265. Es besteht allerdings noch eine andere Schwierigkeit. Wenn Gott auch nicht den Bösen Rechenschaft über ihre Bosheit abzulegen hat, so ist er doch wohl sich selbst und denen, die ihn ehren und lieben, schuldig, sein Vorgehen in Bezug auf die Gestattung des Lasters und Verbrechens zu rechtfertigen. Indess hat Gott dies schon so weit gethan, als es für uns hienieden nöthig ist, denn er hat uns das Licht der Vernunft gegeben und damit das Mittel allen Schwierigkeiten Genüge zu thun. Ich habe dies hoffentlich in dieser Abhandlung gethan und die Sache in dem, die ser Abhandlung vorgehenden Theile so weit aufgeklärt, als es mittelst allgemeiner Gründe möglich ist. Nachdem so die Gestattung der Sünde gerechtfertigt worden, machen die andern Uebel, welche deren Folge sind, keine Schwierigkeit und ich bin berechtigt, mich hier auf das Uebel der Schuld zu beschränken und daraus das Uebel der Strafe zu begründen, wie die heilige Schrift thut und wie es beinah alle Kirchenväter und die Prediger thun; und damit man nicht sage, dass dies nur gut sei für die predica (Predigt), so genügt die Erwägung, dass nach den von mir gegebenen Lösungen, diese Methode als die richtigste und gemässeste erscheinen muss. Denn Gott hatte schon vor seinem wirklichen Beschlüsse unter den möglichen Dingen bemerkt, dass der Mensch seine Freiheit missbrauchen und sein Unglück herbeiführen werde; allein er konnte nicht umhin, die Verwirklichung derselben zuzulassen, weil der beste allgemeine Plan dies forderte. Man braucht deshalb nicht mit Herrn Jurien zu sagen, dass man Lehrsätze aufstellen müsse, wie der heilige Augustin und predigen wie Pelagius.

266. Diese Methode, welche das Uebel der Strafe von dem Uebel der Schuld ableitet, wird kaum getadelt werden können und rechtfertigt hauptsäch das grösste physische Uebel, nämlich die Verdammniss. Ernst Sonner, früher Professor der Philosophie in Alttorf (eine in dem Gebiet der freien Reichsstaat Nürnberg errichtete Universität), welcher als ein vorzüglicher Aristoteliker, aber als ein geheimer Socinianer erkannt worden ist, hatte eine kleine Abhandlung unter dem Titel: Beweis gegen die Ewigkeit der Höllenstrafen geschrieben.
Sie war auf den abgedroschenen Satz gegründet, dass eine unendliche Strafe in keinem Verhältnisse zu einer endlichen Schuld stehe. Diese anscheinend in Holland gedruckte Schrift wurde mir mitgetheilt und ich antwortete, dass noch etwas zu erwägen sei, was dem seligen Herrn Sonner wohl entgangen sei, nämlich dass es genüge, wenn die Dauer der Schuld die Dauer der Strafe veranlasse. Indem die Verdammten schlecht blieben, könnten sie nicht aus ihrem Elend befreit werden und deshalb brauche man zur Rechtfertigung der Fortdauer ihrer Leiden nicht anzunehmen, dass die Sünde eine unendliche Grosse durch den unendlichen beleidigten Gegenstand, nämlich Gott, angenommen habe, ein Satz, den ich noch nicht genügend geprüft hatte, um ihn geltend zu machen. Ich weiss, dass die gemeine Ansicht der Scholastiker nach dem Meister der Sentenzen dahin geht, dass es in jenem Leben weder Verdienst noch Schuld gebe; allein ich glaube nicht, dass sie für einen Glaubensartikel gelten kann, wenn man sie streng nimmt. Herr Fecht, ein berühmter Theologe in Rostock, hat sie in seinem Buche über den Zustand der Verdammten sehr gut widerlegt. Er sagt (§ 59), diese Lehre sei ganz falsch; Gott könne seine Natur nicht ändern; die Gerechtigkeit sei ihm wesentlich; der Tod habe die Pforte der Gnade geschlossen, aber nicht die der Gerechtigkeit.

267. Mehrere einsichtige Theologen haben die Dauer der Strafen der Verdammten so gerechtfertigt, wie ich es hier gethan. Johann Gebhard, ein berühmter Theologe Augsburgischen Bekenntnisses, bringt (§ 60 seiner theologischen Loci, bei der Stelle über die Hölle) neben andern Gründen auch den, dass die Verdammten stets einen bösen Willen behalten und der Gnade entbehren, die ihn zu einem guten machen könnte. Zacharias Ursinns, ein Heidelberger Theologe, stellt (in seiner Abhandlung über den Glauben) die Frage, weshalb  die Sünde eine ewige Strafe verdiene und nachdem er den gewöhnlichen Grund angeführt, dass der Beleidigte ein Unendlicher sei, führt er auch den andern an, quod non cessante peccato, non potest cessare poena. (Dass wenn die Sünde nicht aufhöre, auch die Strafe nicht aufhören könne.) Und der Jesuitenpater Drexler sagt in seinem Buche Nicetas, oder die besiegte Unenthaltsamkeit (Buch 2, Kap. 11, § 9): Nec mirum torquatos semper torqueri, continue blasphemant, et sic, quod semper peccant, semper plectuntur. (Es kann nicht auffallen, dass die Verdammten eine ewige Strafe leiden, denn sie lästern Gott ohne Unterlass und da sie somit immer sündigen, müssen sie auch immer gestraft werden.) Denselben Grund erwähnt und billigt er in seinem Werke über die Ewigkeit (Buch 2, Kap. 15), indem er sagt: Sunt qui dicant, nec displicet responsum: Scelerati in locis infernis semper peccant, ideo semper puniuntur. (Manche sagen, was mir nicht missfällt, dass die Verdammten in der Hölle immerfort sündigen und deshalb immerfort bestraft werden.) Hieraus erhellt, dass diese Ansicht unter den Gelehrten der römischen Kirche sehr verbreitet ist. Er führt allerdings noch einen spitzfindigeren Grund an, welcher dem Papst Gregor dem Grossen entlehnt ist (Buch 4 der Dialektik, Kap. 44), wonach die Verdammten ewig bestraft werden, weil Gott durch eine Art mittleres Wissen vorausgesehen, dass dieselben immer gesündigt haben würden, wenn sie immer auf der Erde leben würden. Indess lässt sich gegen diese Hypothese manches sagen. Herr Fecht führt auch noch mehrere berühmte protestantische Theologen für die Ansicht von Gebhard an, obgleich er auch mehrere nennt, die andrer Ansicht sind.

268. Herr Bayle hat selbst verschiedentlich für mich Stellen von zwei bedeutenden Theologen seiner Partei angeführt, welche sich dem, was ich gesagt, sehr nähern. Herr Jurien meint (S. 379 seines Buchs über die Einheit der Kirche) gegen das Buch des Herrn Nicolas, »dass die Vernunft aussage, dass ein Geschöpf, was nicht aufhöre strafbar zu sein, auch nicht anfhören könne, elend zu sein.« Herr Jaquelot meint in seinem Buche über den Glauben und die Vernunft (S. 220), »dass die Verdammten ewig des Ruhmes der Seligen beraubt bleiben müssen und dass diese Beraubung sehr wohl der Ursprung und die Ursache aller ihrer Leiden vermöge der Erwägungen sein könne, welche diese Geschöpfe über ihre Verbrechen, die sie eines ewigen Glückes beraubt hätten, anstellen würden. Es sei bekannt, welchen peinlichen Aerger, welche Schmerzen der Neid denen bereite, welche der Gitter sich beraubt sehen oder welchen eine grosse Ehre angetragen worden, die sie zurückgewiesen haben, namentlich wenn sie Andere sähen, denen sie gewährt worden.«

Diese Wendung weicht etwas von dem ab, was Herr Jurien gesagt, aber beide stimmen darin überein, dass die Verdammten selbst die Ursache von der Fortdauer ihrer Qualen seien. Auch der Origenist des Herrn Clerc ist nicht ganz anderer Meinung, wenn er in seiner ausgewählten Bibliothek sagt (Thl. 7, S. 341), »Gott, welcher vorausgesehen, dass der Mensch fallen werde, verdammt ihn nicht deshalb, sondern nur weil er, obgleich er sich bessern kann, dies nicht thut, d.h. weil er freiwillig seine schlechten Gewohnheiten bis zu dem Ende seines Lebens beibehält.« Wenn er diese Begründung über dieses Leben hinaus fortsetzt, so wird er die Fortdauer der Strafen der Bösen der Fortdauer ihrer Schuld zuschreiben.

269. Herr Bayle sagt (Antwort etc. Kap. 175, S. 1188), »dass diese Lehre der Origenisten ketzerisch sei, da sie sage, dass die Verdammniss sich nicht blos auf die Sünde stütze, sondern auf die freiwillige Nichtbereuung;« aber ist diese freiwillige Nichtbereuung nicht eine Fortsetzung der Sünde? Indess möchte ich dies nicht einfach deshalb sagen, weil der Mensch sich wieder erheben könne und es nicht thue; vielmehr würde ich hinzufügen, es geschehe deshalb, weil der Mansch nicht die Hülfe der Gnade benutze, um sich wieder zu erheben. Wenn auch nach diesem Leben diese Hülfe aufhören sollte, so bleibt doch in dem Menschen, welcher sündigt, auch nach seiner Verdammniss eine Freiheit, die ihn schuldig macht und eine, wenn auch entfernte Kraft, sich zu erheben, wenn sie auch niemals zu der Erhebung selbst gelangen sollte. Dieser Grad von Freiheit, welche von der Nothwendigkeit, aber nicht von der Gewissheit ausgenommen ist, könne sehr wohl bei den Verdammten ebenso wie bei den Seligen fortbestehen, nur bedürften die Verdammten der Hülfe nicht wie in diesem Leben, denn sie wissen dann nur zu sehr, was man hier nur glauben soll.

270. Der berühmte Prälat der englischen Kirche, welcher kürzlich ein Buch über den Ursprung des Uebels veröffentlicht hat, zu welchem Herr Bayle Anmerkungen in dem zweiten Theile seiner Antwort auf die Fragen etc. gemacht hat, spricht sehr sinnreich über die Strafen der Verdammten. Mini schildert die Ansichten dieses Prälaten (nach dem Verfasser der Neuigkeiten aus der Republik der Wissenschaften Juni 1703), als wenn er »aus den Verdammten eben so viele Narren machte, die zwar ihr Elend lebhaft empfänden, aber dennoch ihr Verhalten rühmten und lieber dasein, ja so, wie sie seien, dasein wollten, als gar nicht zu sein. Sie lieben ihren Zustand, so elend er auch ist, wie die Menschen im Zorn, die Verliebten, die Ehrgeizigen, die Neidischen sich selbst in dem gefallen, was nur zur Vermehrung ihres Elendes dient. Man nehme hinzu, dass die Gottlosen ihren Geist der Art an falsche Urtheile gewöhnt haben, dass sie gar keine andern fassen können und ohne Unterlass aus einem Irrthume zu dem andern übergehen. So können sie nicht umhin, sich ewig die Dinge zu wünschen, die sie nie erreichen können und deren Entbehrung sie in unbeschreibliche Verzweiflung stürzt, ohne dass die Erfahrung sie jemals klug macht, da sie durch ihre eignen Fehler sich ihren Verstand ganz verdorben und zu jedem gesunden Urtheil unfähig gemacht haben.«

271. Schon die Alten haben angenommen, dass der Teufel freiwillig fern von Gott, mitten in seinen Qualen bleibe und sich durch keine Unterwerfung loskaufen möge. Sie haben einen Einsiedler sich erdichtet, der in seiner Vision von Gott die Zusage erhalten, dass er den Fürsten der bösen Engel wieder aufnehmen wolle, wenn er seine Fehler erkenne, aber dass der Teufel diesen Mittler in einer sonderbaren Weise abgewiesen habe. Wenigstens sind die Theologen meist einverstanden, dass der Teufel und die Verdammten Gott hassen und lästern und ein solches Verhalten muss nothwendig die Fortsetzung ihres Elendes zur Folge haben. Man kann hierüber die gelehrte Abhandlung des Herrn Fecht über den Zustand der Verdammten nachlesen.

212. Es gab Zeiten, wo man es nicht für unmöglich hielt, dass ein Verdammter erlöst werde. Die Geschichte von dem Papst Gregor den Grossen ist bekannt, wonach durch seine Gebete die Seele des Kaisers Trajan aus der Hölle heraufgeholt worden, dessen Güte so gefeiert war, dass man den neuen Kaisern wünschte, den Augustus an Glück und den Trajan an Güte zu übertreffen. Deshalb bemitleidete der heilige Papst den letztem und Gott, sagt man, gab seinen Bitten nach, verbot ihm aber, in Zukunft ähnliche Bitten zu wiederholen. Nach dieser Fabel hatten die Bitten des heiligen Gregor die Kraft der Heilmittel des Aesculap, welcher damit Hippolyt aus der Unterwelt wieder hervorholte, und wenn er mit solchen Bitten fortgefahren wäre, würde Gott darob sich erzürnt haben, wie Jupiter bei Virgil:

At pater omnipotens aliquem indignatus ab umbris

Mortalem infernis ad lumina surgere vitae

Ipse repertorem medicinae talis et artis

Fulmine Phoebigenam Stygias detrusit ad undas.

(Aber der allmächtige Vater in seinem Unwillen, dass ein Sterblicher aus dem unterirdischen Schatten zum Licht des Lebens emporsteige, warf selbst den Erfinder solcher Arznei und Kunst, den Sohn des Phoebos mit seinen Blitze in die Wellen des Styx hinab.)

Godescalcus, ein Mönch des neunten Jahrhunderts, welcher die sämmtlichen Theologen seiner Zeit und selbst die unserer Zeit in Streit miteinander gebracht, wollte dass die Verworfenen Gott bitten sollten, ihre Strafen erträglicher zu machen; allein so lange man lebt, ist man noch nicht verwerten. Die Stelle aus der Messe für die Todten ist verständiger; sie verlangt die Minderung der Strafen der Verdammten und nach der Hypothese, welche ich hier dargelegt habe, hätte sie ihnen einen bessern Verstand wünschen sollen. Origenes benutzte die Stelle im 77. Psalm, Vers 10: »Gott wird nicht vergessen, mitleidig zu sein und wird in seinem Zorn nicht all sein Erbarmen unter drücken.«
Der heilige Augustin antwortet (in seinem Enchiridion Kap. 112), es sei möglich, dass die Strafen der Verdammten ewig dauerten und doch gemildert werden könnten. Wenn der Text diesen Sinn hätte, so würde die Minderung ohne Ende fortgehen, was die Dauer anlangt und doch würden sie ein
non plus ultra (nicht weiter) in Betreff der Grösse der Minderung haben, wie es in der Geometrie asymptotische Figuren giebt, wo eine unendliche Länge immer einen endlichen Abstand einhält. Wenn das Gleichniss mit dem schlechten Reichen den Zustand eines wahrhaft Verdammten bezeichnete, so würden die Hypothesen, wonach die Verdammten so närrisch und schlecht sein sollen, nicht gelten. Allein die Liebe, welche der Reiche zu seinen Brüdern hat, scheint nicht zu dem Grad von Schlechtigkeit zu passen, welchen man bei den Verdammten annimmt. Der heilige Gregor der Grosse (IX. Mor. 39) meint, der Reiche habe gefürchtet, deren Verdammniss könnte die seinige steigern, allein diese Furcht passt nicht recht zu der Sinnesweise eines vollendeten Bösewichts. Bonaveutura sagt in seiner Schrift über den Meister der Sentenzen, dass der böse Reiche gewünscht, die ganze Welt verdammt zu sehen; allein da dies nicht geschehen sollte, so hätte er lieber das Heil für seine Brüder, wie für andere gewünscht. Diese Ansicht hat wenig für sich; vielmehr würde die von ihm gewünschte Sendung des Lazarus zur Errettung vieler Menschen gedient haben und wer sich so sehr an der Verurtheilung Anderer erfreut, dass er eine solche für die ganze Welt wünscht, wird vielleicht die Verurtheilung der Einen mehr als der Andern wünschen, allein abgesehen davon, wird er nicht geneigt sein, auch nur einen zu retten. Wie dem auch sein mag, so bleibt doch all dies Einzelne zweifelhaft, da Gott uns nur das offenbart hat, was nöthig ist, um das grösste allen Unglücks zu fürchten aber nicht das, was nöthig ist, um es zu begreifen.

213. Da es nunmehr gestattet ist, den Missbrauch des freien Willens und den bösen Willen zu benutzen, um andre Uebel damit zu rechtfertigen, nachdem Gottes Zulassung dieses Missbrauchs in überzeugender Weise gerechtfertigt worden, so ist damit auch das gewöhnliche System der Theologen gerechtfertigt und wir können erst nunmehr den Ursprung des Uebels sicher in der Freiheit der Geschöpfe finden. Wir kennen die erste Schlechtigkeit, die des Teufels und seiner Engel; der Teufel sündigt von Anfang an und Gottes Sohn ist erschienen, um die Werke des Teufels zu zerstören; I. Johannis III. 8. Der Teufel ist der Vater der Bosheit, ein Mörder von Anfang an; er hat nicht in der Tugend ausgehalten; Johannis VIII. 44. Deshalb hat Gott der Engel, welche gesündigt haben, nicht geschont, sondern sie mit den Ketten der Finsterniss hinabgestürzt und sie dahin überliefert, um für das Gericht aufbewahrt zu werden; 2. Petri II. 4. Er hat die Engel, welche ihre eigne Wohnung nicht bewahrt haben, in der Dunkelheit in ewigen Banden verwahrt (d.h. in dauerhaften) bis zu dem jüngsten Gericht; Jud. V. 6. Man kann hieraus abnehmen, dass der eine dieser Briefe von dem Verfasser des Andern eingesehen worden ist.

274. Es scheint, dass der Verfasser der Offenbarung Johannis das hat aufklären wollen, was die übrigen kanonischen Schriftsteller dunkel gelassen hatten. Er berichtet von einer Schlacht, die im Himmel geschlagen worden zwischen Michael und seinen Engeln und dem Drachen und dessen Engeln. Letztere blieben aber nicht die stärkeren und ihre Stelle war nicht mehr im Himmelreich. Der grosse Drache, die alte Schlange, Teufel oder Satan genannt, welche alle Welt verführt, wurde zur Erde niedergeschleudert und ihre Engel mit ihr; Offenbarung Johannis XII. 7. 8. 9. Wenn man auch diese Erzählung nach der Flucht der Frau in die Wüste stellt und man damit eine der Kirche günstige Revolution hat andeuten wollen, so scheint doch der Verfasser damit gleichzeitig sowohl den alten Sturz des ersten Feindes, wie den neuen Sturz eines neuen Feindes haben bemerklich machen wollen. Die Lüge oder die Bosheit kommt von dem, was dem Teufel eigenthümlich ist, ek tôn idiôn, von seinem Wollen, weil es in dem Buche der ewigen Wahrheiten, welches alle Möglichkeiten selbst noch vor dem Beschlüsse Gottes enthielt, geschrieben stand, dass dieses Geschöpf sich freiwillig zum Bösen wenden werde, wenn es geschaffen sein werde. Ebenso verhält es sich mit Eva und Adam; sie haben freiwillig gesündigt, wenn auch der Teufel sie verführt hat. Gott überliefert die Bösen einem verworfenen Sinne, Römer I. 28, indem er sie sich selbst überlässt, indem er ihnen die Gnade versagt, die er ihnen nicht schuldet und die er selbst ihnen zu verweigern hat.

275. Es heisst in der Schrift, dass Gott verhärte; Exod. IV. 21 und VII. 3, Esaias LXIII. 17; dass Gott den Geist der Lüge sende, (I. Könige XXII. 23; eine Wirksamkeit des Irrthums, um der Lüge zu glauben). 2. Thessal. II. 11; dass er den Propheten getäuscht habe, Ezech. XIV. 9; dass er dem Zemei befohlen habe, zu schmähen, 2. Samuel. XVI. 10; dass die Kinder Eli's die Stimme ihres Vaters nicht hören wollten, weil Gott sie zum Sterben bringen wollte, 1. Samuel. II. 25; dass Gott dem Hiob sein Gut genommen, obgleich es durch die Bosheit der Räuber geschehen war, Hiob I. 21; dass er Pharao erweckt habe, um ihm seine Macht zu zeigen, Exod. IX. 16, Rom. IX. 17; dass er einem Töpfer gleiche, welcher ein Gefäss zur Unehre mache, Rom. IX. 21; dass er die Wahrheit den Weisen und Einsichtigen verberge, Matthäus XI. 25; dass er durch Gleichnisse spreche, damit die draussen Stehenden bei ihrem Sehen nichts bemerkten und bei ihrem Hören nichts verständen, weil sie sich sonst bekehren könnten und ihre Sünden ihnen verziehen werden könnten, Marc. IV. 12, Luc. VIII. 10; dass Jesus durch einen unabänderlichen Rathschluss und die Vorsehung Gottes überliefert worden, Apostelgeschichte II. 23; dass Pontius Pilatus und Herodes mit den Heiden und dem Volke Israel das gethan, was die Hand und der Rathschluss Gottes schon vorher bestimmt hatten, Apostelgesch. IV. 27, 28; dass es von dem Ewigen komme, wenn die Feinde ihre Herzen verhärteten, um in Schlachtordnung gegen Israel zu marschiren, damit er sie vernichte, ohne ihnen Gnade zu gewähren, Jos. XI. 20; dass der Ewige mitten über Egypten einen Taumel ergossen und die Bewohner in allen ihren Werken sich habe irren lassen, wie ein betrunkner Mensch, Esaias IX. 14; dass Robeam nicht die Stimme des Volkes gehört, weil dies so durch den Ewigen gefügt worden, I. Könige XII. 15; dass er die Herzen der Egypter veränderte, so dass sie sein Volk hassten, Psalm CV. 25. – Indessen wollen alle diese und ähnliche Ausdrücke nur sagen, dass alles, was Gott gemacht, der Unwissenheit, dem Irrthume, der Bosheit und andern schlechten Handlungen nur als Anlass dient und einen Beitrag gewährt, während Gott es wohl vorhergesehen und sich dessen nur zu seinen Zwecken bedient; denn höhere Gründe seiner vollkommenen Weisheit haben ihn bestimmt, diese Uebel zu gestatten und selbst dabei thätig zu sein. Sed non sineret bonus fieri male, nisi Omnipotens etiam de malo posset facere bene, um mit dem heiligen Augustin zu sprechen. (Der Gute würde das Schlechte nicht gestatten, wenn der Allmächtige nicht auch aus dem Schlechten das Gute entstehen lassen könnte.) Indess ist dies schon ausführlicher in dem ersten Theile auseinandergesetzt worden.

277. Gott hat den Menschen nach seinem Bilde geschaffen, Gen. I. 20, er hat ihn aufrecht gemacht, Eccles. VII. 30. Aber er hat ihn auch frei gemacht. Der Mensch hat diese Freiheit gemissbraucht, er ist gefallen, aber es bleibt ihm auch nach seinem Falle noch eine Art von Freiheit. Moses sagt von Seiten Gottes: »Ich nehme heute den Himmel und die Erde zu Zeugen gegen euch, dass ich vor euch das Leben und den Tod gestellt habe, die Segnung und die Verwünschung; wählet also das Leben. Deut. XXX. 19. Also spricht der Ewige; ich stelle euch vor den Weg des Lebens und den Weg des Todes. Jerem. XXI. 8. Er hat dem Menschen die Kraft seines Entschlusses gelassen, indem er ihm seine Befehle und seine Verordnungen gegeben. Wenn Du willst, so kannst Du die Befehle befolgen (oder sie werden Dich schützen). Er hat vor Dich das Feuer und das Wasser hingestellt, damit Du Deine Hand ausstrecken kannst, wonach Du willst.« Sirach XV. 14. 15. 16. Der gefallene und nicht wiedergeborene Mensch ist unter der Herrschaft der Sünde und des Satans, weil es ihm da gefällt, er ist freiwillig ein Sclave in Folge seiner bösen Gelüste. In dieser Weise ist die Freiheit und die Unfreiheit des Willens ein und dasselbe.

218. »Dass mir Niemand sage, Gott hat mich versucht, denn Niemand wird versucht, wenn er durch seine eignen Gelüste angelockt und geködert wird« (Jacob, I. 14, Und der Satan hilft dazu mit); »er macht den Verstand der Ungläubigen blind.« 2. Cor. IV. 1. Aber der Mensch hat durch seine Begierden sich dem Dämon überliefert; die Lust, welche er am Bösen findet, ist der Angelhaken, an dem er sich fangen lässt. Schon Plato hat es gesagt, und Cicero wiederholt: Plato voluptatem dicebat escam malorum. (Plato nannte die Wollust die Lockspeise des Bösen.) Die Gnade stellt ihr ein grösseres Vergnügen entgegen, wie der heilige Augustin sagt. Jedes Vergnügen ist das Gefühl einer Vollkommenheit; man lobt einen Gegenstand in dem Maasse, als man dessen Vollkommenheit empfindet und nichts übertrifft die göttlichen Vollkommenheiten. Daraus folgt, dass die Barmherzigkeit und Liebe Gottes das grösste Vergnügen, was sich denken lässt, in dem Maasse gewähren, als man von diesen Gedanken durchdrungen ist, die dem Men schen allerdings nicht geläufig sind, weil sie mit Dingen beschäftigt und befasst sind, die sich auf ihre Leidenschaften beziehen.

279. Da nun unsere Verderbniss nicht durchaus unbesieglich ist und da wir nicht nothwendig sündigen, selbst wenn wir in der Sclaverei der Sünde sind, so muss man eben so sagen, dass wir nicht unüberwindlich unterstützt werden, und so wirksam auch die Gnade Gottes sein mag, so kann ihr widerstanden werden. Wenn sie aber in Wahrheit siegreich wird, so ist es im Voraus gewiss und untrüglich, dass man ihren Reizen nachgeben wird, sei es weil sie in sich selbst ihre Kraft hat oder dass in den entsprechenden Umständen das Mittel zu ihrem Triumphe sich findet. Man muss also immer zwischen dem Untrüglichen und dem Nothwendigen unterscheiden.

 

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