abcphilde archiv                                                                                                                             manfred herok   2014 

Edmund Husserl
»Encyclopaedia Britannica«-Artikel
Husserliana IX
(1927)                                                                               1 - 2 - 3

 

I. Die reine Psychologie, ihr Erfahrungsfeld, ihre Methode, ihre Funktion

1. Reine Naturwissenschaft und reine Psychologie.
2. Das rein Psychische der Selbsterfahrung und Gemeinschaftserfahrung.
    Die universale Deskription intentionaler Erlebnisse.
3. Das abgeschlossene Feld des rein Psychischen.
    Phänomenologische Reduktion und echte innere Erfahrung.
4. Die eidetische Reduktion und die phänomenologische Psychologie als eidetische Wissenschaft.

1. Reine Naturwissenschaft und reine Psychologie

Die neuzeitliche Psychologie ist die Wissenschaft vom »Psychischen« im konkreten Zusammenhang der raumzeitlichen Realitäten, also von in der Natur sozusagen ichartig Vorkommendem mit all dem, was untrennbar dazugehört als psychisches Erleben (wie Erfahren, Denken, Fühlen, Wollen), als Vermögen und Habitus.
Die Erfahrung bietet das Psychische als bloße Seinsschicht an Menschen und Tieren.
Die Psychologie ist danach ein Zweig der konkreten Anthropologie bzw. Zoologie. Animalische Realitäten sind zunächst einer Grundschichte nach physische Realitäten. Als das gehören sie in den geschlossenen Zusammenhang der physischen Natur, der Natur im ersten und prägnantesten Sinn, welche das universale Thema einer reinen Naturwissenschaft ist, d. i. einer in konsequenter Einseitigkeit von allen außerphysischen Bestimmungen der Realitäten absehenden objektiven Wissenschaft von der Natur. In diese ordnet sich die wissenschaftliche Erforschung der animalischen Körper ein. Soll nun demgegenüber die animalische Welt hinsichtlich ihres Psychischen zum Thema werden, so ist zunächst zu fragen, wiefern in Parallele mit der reinen Naturwissenschaft eine reine Psychologie möglich ist. In einem gewissen Ausmaß ist eine rein psychologische Forschung selbstverständlich zu betätigen. Ihr verdanken wir die Grundbegriffe vom Psychischen nach seinen eigenwesentlichen Bestimmungen, Begriffe, die in die übrigen, die psychophysischen Grundbegriffe der Psychologie mit eingehen müssen. Keineswegs klar ist aber von vornherein, inwiefern die Idee einer reinen Psychologie als einer in sich scharf geschiedenen psychologischen Disziplin und als einer wirklichen Parallele zur rein physischen Naturwissenschaft einen rechtmäßigen und dann notwendig zu verwirklichenden Sinn hat.
 

2. Das rein Psychische der Selbsterfahrung und Gemeinschaftserfahrung.
Die universale Deskription intentionaler Erlebnisse

Für eine Begründung und Entfaltung dieser Leitidee bedarf es als ein Erstes der Klärung des Eigentümlichen der Erfahrung und insbesondere der reinen Erfahrung von Psychischem und dieses rein Psychischen selbst, das sie offenbart und das zum Thema der reinen Psychologie werden soll. Wir bevorzugen naturgemäß die unmittelbarste Erfahrung, die uns je unser eigenes Psychisches enthüllt.

Die Einstellung des erfahrenden Blickes auf unser Psychisches vollzieht sich notwendig als eine Reflexion, als Umwendung des vordem anders gerichteten Blickes. Jede Erfahrung läßt solche Reflexion zu, aber auch jede sonstige Weise, in der wir mit irgend welchen realen oder idealen Gegenständen beschäftigt sind, etwa denkend oder in der Weise des Gemüts und Willens wertend, strebend. So, geradehin uns bewußt betätigend, sind in unserem Blick ausschließlich die jeweiligen Sachen, Gedanken, Werte, Ziele, Hilfsmittel, nicht aber das psychische Erleben selbst, in dem sie als solche uns bewußt sind. Erst die Reflexion macht es offenbar. Durch sie erfassen wir statt der Sachen schlechthin, der Werte, Zwecke, Nützlichkeiten schlechthin die entsprechenden subjektiven Erlebnisse, in denen sie uns »bewußt« werden, uns in einem allerweitesten Sinne »erscheinen«. Sie alle heißen daher auch »Phänomene«, ihr allgemeinster Wesenscharakter ist es, zu sein als »Bewußtsein von«, »Erscheinung-von« — von den jeweiligen Dingen, Gedanken (Urteilsverhalten, Gründen, Folgen), von den Plänen, Entschlüssen, Hoffnungen usw. Daher liegt im Sinne aller Ausdrücke der Volkssprachen für psychische Erlebnisse diese Relativität beschlossen, wahrnehmen von etwas, sich erinnern oder denken an etwas, etwas hoffen, befürchten, erstreben, sich entscheiden für etwas usw. Erweist sich dieses Reich der »Phänomene« als mögliches Feld einer reinen, ausschließlich auf sie bezogenen psychologischen Disziplin, so versteht sich nun deren Kennzeichnung als phänomenologische Psychologie. Der terminologisch aus der Scholastik herstammende Ausdruck für jenen Grundcharakter des Seins als Bewußtsein, als Erscheinung von etwas ist Intentionalität. In dem unreflektierten Bewußthaben irgendwelcher Gegenstände sind wir auf diese »gerichtet«, unsere »intentio« geht auf sie hin. Die phänomenologische Blickwendung zeigt, daß dieses Gerichtetsein ein den betreffenden Erlebnissen immanenter Wesenszug ist, sie sind »intentionale« Erlebnisse.

Überaus mannigfaltige Artungen und Besonderungen fallen unter die Allgemeinheit dieses Begriffs. Bewußtsein von etwas ist nicht ein leeres Haben dieses Etwas, jedes Phänomen hat seine eigene intentionale Gesamtform, zugleich aber einen Aufbau, der in der intentionalen Analyse immer wieder auf Komponenten führt, die selbst intentionale sind. So führt z. B. die im Ausgang von einer Wahrnehmung (etwa eines Würfels) geübte phänomenologische Reflexion auf eine vielfältige und doch synthetisch vereinheitlichte Intentionalität. Es treten die kontinuierlich sich abwandelnden Unterschiede in den Erscheinungsweisen wechselnder »Orientierung« hervor, des Rechts und Links, der Nähe und Ferne mit den zugehörigen Unterschieden der »Perspektive«. Ferner Erscheinungsunterschiede zwischen der jeweils »eigentlich gesehenen Vorderseite« und der »unanschaulichen« und relativ »unbestimmten«, jedoch »mitgemeinten« Rückseite. Im Achten auf das Strömen der Erscheinungsweisen und die Art ihrer »Synthesis« zeigt sich, daß jede Phase und Strecke schon für sich »Bewußtsein-von« ist, aber so, daß sich im stetigen Auftreten neuer Phasen das synthetisch einheitliche Bewußtsein von dem einen und selben Gegenstand herstellt. Der intentionale Aufbau eines Wahrnehmungsverlaufes hat seine feste Wesenstypik, die in ihrer außerordentlichen Komplikation notwendig verwirklicht werden muß, wenn ein körperliches Ding schlicht wahrgenommen sein soll. Ist das selbe Ding in anderen Weisen anschaulich, z. B. in der Weise der Wiedererinnerung, der Phantasie, der abbildlichen Darstellung, so kehren gewissermaßen alle intentionalen Gehalte der Wahrnehmung wieder, aber alle in entsprechenden Weisen eigentümlich abgewandelt. Auch für jede sonstige Gattung psychischer Erlebnisse gilt Ähnliches: das urteilende, das wertende, das strebende Bewußtsein ist nicht ein leeres Bewußthaben der jeweiligen Urteile, Werte, Ziele, Mittel. Sie konstituieren sich vielmehr in einer strömenden Intentionalität mit einer ihnen entsprechenden und festen Wesenstypik. — Für die Psychologie eröffnet sich hier die universale Aufgabe: die typischen Gestalten der intentionalen Erlebnisse, ihrer möglichen Abwandlungen, ihrer Synthesen zu neuen Gestalten, ihres strukturellen Aufbaus aus elementaren Intentionalitäten systematisch zu durchforschen und von da aus zu einer deskriptiven Erkenntnis des Ganzen der Erlebnisse, des Gesamttypus eines Lebens der Seele fortzuschreiten. — Offenbar liefert die konsequente Verfolgung dieser Aufgabe Erkenntnisse, die nicht nur für das eigene seelische Sein des Psychologen Gültigkeit haben.

Seelenleben ist uns nicht nur zugänglich durch Selbsterfahrung sondern auch durch Fremderfahrung. Diese neuartige Erfahrungsquelle bietet nicht nur Gleichartiges mit der Selbsterfahrung sondern auch Neues, sofern sie die Unterschiede des »Eigenen« und »Fremden«, sowie die Eigenheiten des Gemeinschaftslebens für uns alle bewußtseinsmäßig und zwar als Erfahrung begründet. Eben damit ergibt sich die Aufgabe, auch das Gemeinschaftsleben phänomenologisch nach all den zugehörigen Intentionalitäten verständlich zu machen.
 

3. Das abgeschlossene Feld des rein Psychischen.
Phänomenologische Reduktion und echte innere Erfahrung

Die Idee einer phänomenologischen Psychologie ist durch die ganze Weite des aus der Selbsterfahrung und der in ihr fundierten Fremderfahrung entspringenden Aufgabenkreises umzeichnet. Aber es ist noch nicht klar, ob eine in Ausschließlichkeit und Konsequenz fortgeführte phänomenologische Erfahrung uns ein derart abgeschlossenes Seinsfeld verschafft, daß eine ausschließlich darauf bezogene, von allem Psychophysischen reinlich abgelöste Wissenschaft erwachsen kann. Hier bestehen in der Tat Schwierigkeiten, welche den Psychologen selbst nach Brentanos Entdeckung der Intentionalität die Möglichkeit einer solchen rein phänomenologischen Psychologie verdeckt haben. Sie betreffen schon die Herstellung einer wirklich reinen Selbsterfahrung und damit eines wirklich rein psychischen Datums. Es bedarf einer besonderen Zugangsmethode zum rein phänomenologischen Feld. Diese Methode der »phänomenologischen Reduktion« ist also die Grundmethode der reinen Psychologie, die Voraussetzung aller ihrer spezifisch theoretischen Methoden. Letztlich beruht alle Schwierigkeit auf der Art, wie schon die Selbsterfahrung der Psychologen überall mit äußerer Erfahrung, der vom außerpsychischen Realen, verflochten ist. Das erfahrene »Äußere« gehört nicht zur intentionalen Innerlichkeit, obschon doch die Erfahrung selbst dazu gehört als Erfahrung vom Äußeren. Ebenso für jederlei sonstiges Bewußtsein, das auf ein Weltliches gerichtet ist. Es bedarf also einer konsequenten epoche des Phänomenologen, wenn er sein Bewußtsein als reines Phänomen gewinnen will, einzelweise, aber auch als das Ganze seines reinen Lebens. D. h. er muß im Vollzug der phänomenologischen Reflexion jeden Mitvollzug der im unreflektierten Bewußtsein betätigten objektiven Setzungen inhibieren und damit jedes urteilsmäßige Hereinziehen der für ihn geradehin »daseienden« Welt.
Die jeweilige Erfahrung von diesem Haus, von diesem Leib, von einer Welt überhaupt ist und bleibt aber ihrem eigenen Wesensgehalt nach, also unabtrennbar, Erfahrung »von diesem Haus«, diesem Leib, dieser Welt, und so für jederlei Bewußtseinsweise, die objektiv gerichtet ist. Es ist ja unmöglich, ein intentionales Erlebnis zu beschreiben, auch wenn es ein illusionäres ist, ein nichtiges Urteilen und dgl., ohne das in ihm Bewußte als solches mit zu beschreiben.
Die universale Epoche hinsichtlich der bewußt werdenden Welt (ihre »Einklammerung«) schaltet aus dem phänomenologischen Feld die für das betreffende Subjekt schlechthin seiende Welt aus, aber an ihre Stelle tritt die so und so bewußte (wahrgenommene, erinnerte, beurteilte, gedachte, gewertete etc.) Welt »als solche«, die »Welt in Klammern« oder, was dasselbe, es tritt an die Stelle der Welt bzw. des einzelnen Weltlichen schlechthin der jeweilige Bewußtseinssinn in seinen verschiedenen Modis (Wahrnehmungssinn, Erinnerungssinn usw.).

Damit klärt und ergänzt sich unsere erste Bestimmung der phänomenologischen Erfahrung und ihrer Seinssphäre. Im Rückgang von den in der natürlichen Einstellung gesetzten Einheiten auf die mannigfaltigen Bewußtseinsweisen, in denen sie erscheinen, sind, als von diesen Mannigfaltigkeiten unabtrennbar, auch die Einheiten — aber als »eingeklammerte« — dem rein Psychischen zuzurechnen und dann jeweils in den Erscheinungscharakteren, in denen sie sich darbieten. Die Methode der phänomenologischen Reduktion (auf die reinen »Phänomene«, das rein Psychische) besteht danach 1) in der methodischen und streng konsequenten epoche bei jeder in der seelischen Sphäre auftretenden objektiven Setzung, sowohl am einzelnen Phänomen als an dem ganzen seelischen Bestand überhaupt; 2) in der methodisch geübten Erfassung und Beschreibung der mannigfaltigen »Erscheinungen« als Erscheinungen ihrer gegenständlichen Einheiten und der Einheiten als Einheiten der ihnen jeweils in den Erscheinungen zuwachsenden Sinnbestände. Es zeigt sich damit eine doppelte »noetische« und »noematische« Richtung der phänomenologischen Beschreibungen an. — Die phänomenologische Erfahrung in der methodischen Gestalt der phänomenologischen Reduktion ist die einzig echte »innere Erfahrung« im Sinne jeder wohlbegründeten psychologischen Wissenschaft. In ihrem eigenen Wesen liegt offenbar die Möglichkeit, kontinuierlich unter methodischer Erhaltung der Reinheit fortgeführt zu werden in infinitum. Die reduktive Methode überträgt sich von der Selbsterfahrung auf die Fremderfahrung, sofern im vergegenwärtigten Leben des Anderen die entsprechende Einklammerung und Beschreibung nach Erscheinung und Erscheinendem im subjektiven Wie (»Noesis« und »Noema«) vollzogen werden kann. In weiterer Folge reduziert sich die in der Gemeinschaftserfahrung erfahrene Gemeinschaft nicht nur auf die seelisch vereinzelten intentionalen Felder sondern auf die Einheit des intersubjektiven, sie alle verbindenden Gemeinschaftslebens in seiner phänomenologischen Reinheit (intersubjektive Reduktion). So ergibt sich die volle Erweiterung des echten psychologischen Begriffes von »innerer Erfahrung«.

Zu jeder Seele gehört nicht nur die Einheit ihres mannigfaltigen intentionalen Lebens mit all den von ihm als einem »objektiv« gerichteten unabtrennbaren Sinneseinheiten. Unabtrennbar ist von diesem Leben das in ihm erlebende Ichsubjekt als der identische, alle Sonderintentionalitäten zentrierende »I c h p o l« und als Träger der ihm aus diesem Leben zuwachsenden Habitualitäten. So ist dann auch die reduzierte Intersubjektivität, in Reinheit und konkret gefaßt, eine im intersubjektiven reinen Bewußtseinsleben sich betätigende Gemeinschaft von reinen Personen.

 

4. Die eidetische Reduktion und die phänomenologische Psychologie als eidetische Wissenschaft

Inwiefern sichert die Einheit des phänomenologischen Erfahrungsfeldes die Möglichkeit einer darauf ausschließlich bezogenen, also rein phänomenologischen Psychologie? Nicht ohne weiteres einer empirisch reinen, einer von allem Psychophysischen abstrahierenden Tatsachenwissenschaft. Anders steht es mit einer apriorischen Wissenschaft. Jedes in sich abgeschlossene Feld möglicher Erfahrung gestattet eo ipso den universalen Übergang von der Faktizität zur Wesensform (Eidos). So auch hier. Wird die phänomenologische Faktizität irrelevant, dient sie nur exemplarisch und als Unterlage für eine freie aber anschauliche Variation der faktischen Einzelseelen und Seelengemeinschaften in a priori mögliche (erdenkliche) und richtet sich nun der theoretische Blick auf das sich in der Variation notwendig durchhaltende Invariante, so erwächst damit bei systematischem Vorgehen ein eigenes Reich des »Apriori«. Es tritt damit der wesensnotwendige Formstil hervor (das E i d o s), der durch alles mögliche seelische Sein in den Einzelheiten, den synthetischen Verbänden und abgeschlossenen Ganzheiten hindurchgehen muß, wenn es überhaupt »denkmöglich«, das ist anschaulich vorstellbar soll sein können. Psychologische Phänomenologie ist in dieser Art zweifellos als »eidetische Phänomenologie« zu begründen, sie ist dann ausschließlich auf die invarianten Wesensformen gerichtet. Z. B. die Phänomenologie der Körperwahrnehmung ist nicht ein Bericht über die faktisch vorkommenden oder zu erwartenden Wahrnehmungen, sondern Herausstellung des invarianten Strukturensystems, ohne das Wahrnehmung eines Körpers und eine synthetisch zusammenstimmende Mannigfaltigkeit von Wahrnehmungen als solchen eines und desselben Körpers undenkbar wären. Schuf die phänomenologische Reduktion den Zugang zu den »Phänomenen« wirklicher und dann auch möglicher innerer Erfahrung, so verschafft die in ihr fundierte Methode der »eidetischen Reduktion« den Zugang zu den invarianten Wesensgestalten der rein seelischen Gesamtsphäre.

 

5. Die prinzipielle Funktion der rein phänomenologischen Psychologie für eine exakte empirische Psychologie

Die phänomenologisch reine Psychologie ist das unbedingt notwendige Fundament für den Aufbau einer »exakten« empirischen Psychologie, die nach dem Vorbild der exakten rein physischen Naturwissenschaft seit deren neuzeitlichen Anfängen gesucht worden ist. Der prinzipielle Sinn der Exaktheit dieser Naturwissenschaft liegt in ihrer Fundierung auf das apriorische, in eigenen Disziplinen (reine Geometrie, reine Zeitlehre, Bewegungslehre usw.) entfaltete Formensystem einer denkmöglichen Natur überhaupt. Durch die Verwertung dieses apriorischen Formensystems für die faktische Natur gewinnt die vage induktive Empirie Anteil an der Wesensnotwendigkeit und die empirische Naturwissenschaft selbst den neuen methodischen Sinn, für alle vagen Begriffe und Regeln die diesen notwendig zu unterlegenden rationalen Begriffe und Gesetze zu erarbeiten. So wesentlich naturwissenschaftliche und psychologische Methode auch unterschieden bleiben, darin besteht ihre notwendige Gemeinsamkeit, daß auch die Psychologie, wie jede Wissenschaft, ihre »Strenge« (»Exaktheit«) nur schöpfen kann aus der Rationalität des »Wesensmäßigen«. Die Enthüllung der apriorischen Typik, ohne die Ich, bzw. Wir, Bewußtsein, Bewußtseinsgegenständlichkeit und somit seelisches Sein überhaupt undenkbar wäre — mit all den wesensnotwendigen und wesensmöglichen Formen von Synthesen, die von der Idee einer einzelseelischen und gemeinschaftsseelischen Ganzheit unabtrennbar sind — schafft ein ungeheures Feld der Exaktheit, das sich, und hier sogar unmittelbar (ohne das Zwischenglied der Limes-Idealisierung), in die empirische Seelenforschung überträgt. Allerdings ist das phänomenologische Apriori nicht das vollständige der Psychologie, sofern der psychophysische Zusammenhang als solcher sein eigenes Apriori hat. Es ist aber klar, daß dieses Apriori das der rein phänomenologischen Psychologie voraussetzt, wie nach der anderen Seite das reine Apriori einer physischen (und speziell organischen) Natur überhaupt.

Der systematische Aufbau einer phänomenologisch reinen Psychologie erfordert:

1) die Deskription der zum Wesen eines intentionalen Erlebnisses überhaupt gehörigen Einheiten, wozu auch das allgemeinste Gesetz der Synthesis gehört: jede Verknüpfung von Bewußtsein mit Bewußtsein ergibt ein Bewußtsein.

2) die Erforschung der Einzelgestalten intentionaler Erlebnisse, die in einer Seele überhaupt in Wesensnotwendigkeit auftreten müssen oder auftreten können; in eins damit die Erforschung der Wesenstypik der zugehörigen Synthesen, der kontinuierlichen und diskreten, der endlich geschlossenen oder in offener Unendlichkeit fortzusetzenden.

3) die Aufweisung und Wesensdeskription der Gesamtgestalt eines Seelenlebens überhaupt, also die Wesensart eines universalen »Bewußtseinsstromes«.

4) eine neue Untersuchungsrichtung bezeichnet der Titel »Ich« (noch unter Abstraktion von dem sozialen Sinn dieses Wortes) hinsichtlich der ihm zugehörigen Wesensformen der »Habitualität«, also das Ich als Subjekt bleibender »Überzeugungen« (Seinsüberzeugungen, Wertüberzeugungen, Willensentscheidungen usw.), als personales Subjekt von Gewohnheiten, von wohlgebildetem Wissen, von Charaktereigenschaften.

Überall führt schließlich diese »statische« Wesensdeskription zu Problemen der Genesis und zu einer universalen nach eidetischen Gesetzen das ganze Leben und die Entwicklung des personalen Ich durchherrschenden Genesis. So baut sich auf die erste »statische Phänomenologie« in höherer Stufe die dynamische oder genetische Phänomenologie. Sie behandelt als erste fundierende Genesis die der Passivität, in der das Ich als aktives unbeteiligt ist. Hier liegt die neue Aufgabe einer universalen eidetischen Phänomenologie der Assoziation, eine späte Rehabilitation der großen Vorentdeckungen
D. Humes, mit dem Nachweis der apriorischen Genesis, aus der für eine Seele eine reale Raumwelt in habitueller Geltung sich konstituiert. Es folgt die Wesenslehre der Entwicklung personaler Habitualität, in der das rein seelische Ich innerhalb invarianter Strukturformen als personales Ich ist und seiner in habitueller Fortgeltung bewußt ist als sich immerzu fortbildendes. Eine besondere zusammenhängende Untersuchungsschicht höherer Stufe bildet die statische und dann die genetische Phänomenologie der Vernunft.

 

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