abcphilde archiv                                                                                                                             manfred herok   2014 

Edmund Husserl
»Encyclopaedia Britannica«-Artikel
Husserliana IX
(1927)                                                                               1 - 2 - 3

 

II. Phänomenologische Psychologie und transzendentale Phänomenologie

6. Descartes' transzendentale Wendung und Lockes Psychologismus.
7. Das transzendentale Problem.
8. Die psychologistische Lösung als transzendentaler Zirkel.
9. Die transzendental-phänomenologische Reduktion und der transzendentale Schein der Verdoppelung.
10. Die reine Psychologie als Propädeutik zur transzendentalen Phänomenologie.

 

6. Descartes' transzendentale Wendung und Lockes Psychologismus

Die Idee einer rein phänomenologischen Psychologie hat nicht nur die soeben dargelegte reformatorische Funktion für die empirische Psychologie. Aus tiefliegenden Gründen kann sie als Vorstufe für die Freilegung des Wesens einer transzendentalen Phänomenologie dienen. Auch historisch ist diese Idee nicht aus den eigenen Bedürfnissen der Psychologie selbst erwachsen. Ihre Geschichte führt uns bis auf J. Lockes denkwürdiges Grundwerk zurück und auf die bedeutsame Auswirkung der von ihm ausgehenden Impulse durch J. Berkeley und D. Hume. Schon bei Locke war aber die Beschränkung auf das rein Subjektive von außerpsychologischen Interessen bestimmt. Die Psychologie stand im Dienste des durch Descartes erweckten Transzendentalproblems. In seinen meditationes war der Gedanke zu dem für die erste Philosophie leitenden geworden: daß alles Reale und schließlich diese ganze Welt für uns seiende und soseiende nur ist als Vorstellungsinhalt unserer eigenen Vorstellungen, als urteilsmäßig vermeinte und bestenfalls evident bewährte unseres eigenen Erkenntnislebens. Hier lag die Motivation zu allen, ob echten oder unechten Transzendentalproblemen. Descartes' Zweifelsmethode war die erste Methode der Herausstellung der »transzendentalen Subjektivität«, sein »ego cogito« führte auf deren erste begriffliche Fassung. Bei Locke wandelt sich Descartes' transzendental reine mens in die reine Seele (human mind), deren systematische Erforschung durch innere Erfahrung Locke in transzendentalphilosophischem Interesse in Angriff nimmt. Er ist so der Begründer des Psychologismus als einer Transzendentalphilosophie durch eine Psychologie aus innerer Erfahrung. Das Schicksal der wissenschaftlichen Philosophie hängt an einer radikalen Überwindung jedes Psychologismus, die nicht nur seinen prinzipiellen Widersinn bloßlegt, sondern auch seinem transzendental bedeutsamen Wahrheitskern genugtut. Die Quelle seiner beständigen historischen Kraft schöpft er aus einer Doppeldeutigkeit aller Begriffe von Subjektivem, die alsbald mit der Aufrollung der transzendentalen Frage erwächst. Die Enthüllung dieser Zweideutigkeit bedeutet in eins mit der scharfen Trennung zugleich eine Parallelisierung der rein phänomenologischen Psychologie (als der wissenschaftlich strengen Gestalt der Psychologie rein aus innerer Erfahrung) und der transzendentalen Phänomenologie als der echten Transzendentalphilosophie. Zugleich rechtfertigt sich so die Vorausschickung der reinen Psychologie als Zugangsmittel zur echten Philosophie. Wir beginnen mit der Klärung des echten Transzendentalproblems, das in der zunächst unklaren Labilität seines Sinnes so sehr geneigt macht (und das trifft schon Descartes), es auf ein abwegiges Geleise zu verschieben.

 

7. Das transzendentale Problem

Zum wesentlichen Sinn des transzendentalen Problems gehört seine Universalität, in der es die Welt und alle sie erforschenden Wissenschaften in Frage stellt. Es erwächst in einer allgemeinen Umwendung jener »natürlichen Einstellung«, in der wie das gesamte alltägliche Leben so auch die positiven Wissenschaften verbleiben. In ihr ist uns die Welt das selbstverständlich seiende Universum der Realitäten, beständig vorgegeben in fragloser Vorhandenheit. So ist sie das allgemeine Feld unserer praktischen und theoretischen Betätigungen. Sowie das theoretische Interesse diese natürliche Einstellung aufgibt und in einer allgemeinen Blickwendung sich auf das Bewußtseinsleben richtet, in dem die Welt für uns eben »die« Welt, die für uns vorhandene ist, sind wir in einer neuen Erkenntnislage. Jeder Sinn, den sie für uns hat (dessen werden wir nun inne), ihr unbestimmt allgemeiner wie ihr nach realen Einzelheiten sich bestimmender Sinn, ist in der Innerlichkeit unseres eigenen wahrnehmenden, vorstellenden, denkenden, wertenden Lebens bewußter und sich in unserer subjektiven Genesis bildender Sinn; jede Seinsgeltung ist in uns selbst vollzogen, jede sie begründende Evidenz der Erfahrung und Theorie in uns selbst lebendig und habituell uns immerfort motivierend. Das betrifft die Welt in jeder Bestimmung, auch in der selbstverständlichen, daß, was ihr zugehört, »an und für sich« ist, wie es ist, ob ich oder wer immer seiner zufällig bewußt wird oder nicht.

Ist einmal die Welt in dieser vollen Universalität auf die Bewußtseinssubjektivität bezogen worden, in deren Bewußtseinsleben sie eben als »die« Welt des jeweiligen Sinnes auftritt, so erhält ihre gesamte Seinsweise eine Dimension der Unverständlichkeit bzw. Fraglichkeit. Dieses »Auftreten«, dieses Für-uns-sein der Welt als der nur subjektiv zur Geltung gekommenen und zur begründeten Evidenz gebrachten und zu bringenden, bedarf der Aufklärung. Das erste Innewerden der Bewußtseinsbezogenheit der Welt in seiner leeren Allgemeinheit gibt kein Verständnis dafür, wie das mannigfaltige, kaum erschaut ins Dunkel zurücksinkende Bewußtseinsleben es zu solchen Leistungen bringt, wie es das sozusagen macht, daß in seiner Immanenz irgend etwas als an sich seiend auftreten kann und nicht nur als Vermeintliches sondern als sich in einstimmiger Erfahrung Ausweisendes. Offenbar überträgt sich das Problem auf jederlei »ideale« Welten und ihr »An-sich-sein« (z. B. die der reinen Zahlen oder der »Wahrheiten an sich«). Die Unverständlichkeit greift in besonders empfindlicher Weise unsere Seinsart selbst an. Wir (Einzelne und in Gemeinschaft) sollen es sein, in deren Bewußtseinsleben die reale Welt, die für uns vorhanden ist, als solche Sinn und Geltung gewinnt. Wir als Menschen sollen aber selbst zur Welt gehören. Nach unserem weltlichen Sinn werden wir also wieder auf uns und unser Bewußtseinsleben verwiesen, als worin sich für uns dieser Sinn erst gestaltet. Ist hier und überall ein anderer Weg der Aufklärung denkbar als der, das Bewußtsein selbst und die in ihm bewußt werdende »Welt« als solche zu befragen, da sie eben als von uns je gemeinte nirgendwoher sonst als in uns Sinn und Geltung gewonnen haben und gewinnen kann?

Machen wir noch einen wichtigen Schritt, der das »transzendentale« (den bewußtseinsrelativen Seinssinn des »Transzendenten« betreffende) Problem auf die prinzipielle Stufe erhebt. Er liegt in der Erkenntnis, daß die aufgewiesene Bewußtseinsrelativität nicht nur das Faktum unserer Welt angeht, sondern in eidetischer Notwendigkeit jede erdenkliche Welt überhaupt. Denn variieren wir in freier Phantasie unsere faktische Welt, sie in beliebige erdenkliche Welten überführend, so variieren wir uns, deren Umwelt sie ist, unweigerlich mit, wir wandeln uns je in eine mögliche Subjektivität, deren Umwelt je die erdachte Welt wäre, als Welt ihrer möglichen Erfahrungen, möglichen theoretischen Evidenzen, ihres möglichen praktischen Lebens. Diese Variation läßt freilich die rein idealen Welten der Art, die ihr Sein in der eidetischen Allgemeinheit haben, zu deren Wesen ja die Invarianz gehört, unberührt, aber es zeigt sich doch in der möglichen Variierbarkeit des solche Identitäten erkennenden Subjekts, daß ihre Erkennbarkeit, also ihre intentionale Bezogenheit nicht nur unsere faktische Subjektivität angeht. Mit der eidetischen Fassung des Problems wandelt sich auch die erforderliche Bewußtseinsforschung in eine eidetische.

 

8. Die psychologistische Lösung als transzendentaler Zirkel

Die Herausarbeitung der Idee einer phänomenologisch reinen Psychologie hat die Möglichkeit erwiesen, in konsequenter phänomenologischer Reduktion das Eigenwesentliche der Bewußtseinssubjekte in eidetischer Allgemeinheit zu enthüllen, nach allen seinen möglichen Gestalten. Das befaßt auch diejenigen der Recht begründenden und bewährenden Vernunft und damit alle Gestalten möglicherweise erscheinender und als an sich seiend durch zusammenstimmende Erfahrung auszuweisender und in theoretischer Wahrheit zu bestimmender Welten. Danach scheint diese phänomenologische Psychologie in ihrer systematischen Durchführung die gesamte Korrelationsforschung für Sein und Bewußtsein und von vornherein in prinzipieller (eben eidetischer) Allgemeinheit in sich zu fassen, also die Stätte aller transzendentalen Aufklärungen zu sein. Demgegenüber darf aber nicht übersehen werden, daß die Psychologie in allen ihren empirischen und eidetischen Disziplinen »positive Wissenschaft« ist, Wissenschaft in der natürlichen Einstellung, in der die schlechthin vorhandene Welt der thematische Boden ist. Was sie erforschen will, sind die in der Welt vorkommenden Seelen und Seelengemeinschaften. Die phänomenologische Reduktion dient als psychologische nur dazu, das Psychische der animalischen Realitäten in seiner reinen Eigenwesentlichkeit und seinen rein eigenwesentlichen Zusammenhängen zu gewinnen. Es behält, auch in der eidetischen Forschung, den Seinssinn von weltlich Vorhandenem, nur bezogen auf mögliche reale Welten. Der Psychologe ist auch als eidetischer Phänomenologe transzendental naiv, er nimmt die möglichen »Seelen« (Ichsubjekte), ganz dem relativen Wortsinn gemäß, als solche schlechthin als vorhanden gedachter Menschen und Tiere einer möglichen Raumwelt. Lassen wir aber anstatt des natürlich-weltlichen das transzendentale Interesse theoretisch maßgebend werden, so erhält die gesamte Psychologie den Stempel des transzendental Problematischen, sie kann also der Transzendentalphilosophie keinerlei Prämissen beistellen. Die Bewußtseinssubjektivität, die als seelische ihr Thema ist, kann nicht diejenige sein, auf die transzendental zurückgefragt werden soll.

Um an diesem entscheidenden Punkte zu einsichtiger Klarheit zu kommen, ist der thematische Sinn der transzendentalen Frage scharf im Auge zu behalten und zu erwägen, wie sich ihm gemäß die Regionen des Fraglichen und Unfraglichen scheiden. Das transzendentalphilosophische Thema ist eine konkrete und systematische Aufklärung jener mannigfaltigen intentionalen Bezogenheiten, die einer möglichen Welt überhaupt als Umwelt einer entsprechenden möglichen Subjektivität wesensmäßig zugehören, für die sie die vorhandene, praktisch und theoretisch zugängliche wäre. Diese Zugänglichkeit bedeutet für die Subjektivitäten hinsichtlich aller Kategorien für sie vorhandener Weltobjekte und Weltstrukturen Regelungen ihres möglichen Bewußtseinslebens, die in ihrer Typik erst enthüllt werden müssen. Solche Kategorien sind »leblose Dinge«, aber auch Menschen und Tiere mit ihren seelischen Innerlichkeiten. Von hier aus soll sich der volle und ganze Seinssinn einer möglichen vorhandenen Welt im Allgemeinen und hinsichtlich aller für sie konstitutiven Kategorien klären. Wie jede sinnvolle Frage setzt diese transzendentale einen Boden unfraglichen Seins voraus, in dem alle Mittel der Lösung beschlossen sein müssen. Dieser Boden ist hier die Subjektivität desjenigen Bewußtseinslebens, in dem eine mögliche Welt überhaupt als vorhandene sich konstituiert. Andererseits ist es eine selbstverständliche Grundforderung vernünftiger Methode, daß dieser als unfraglich seiend vorausgesetzte Boden nicht mit solchem vermengt wird, was die transzendentale Frage in ihrer Universalität als in Frage stehend meint. Das Reich dieser Fraglichkeit ist das gesamte der transzendentalen Naivität, umfaßt also jede mögliche Welt als die in natürlicher Einstellung schlechthin in Anspruch genommene. Danach sind alle positiven Wissenschaften transzendental einer Epoché zu unterwerfen so wie alle ihre Gegenstandsgebiete, also auch die Psychologie und das gesamte in ihrem Sinne Psychische. Es wäre also ein transzendentaler Zirkel, die Beantwortung der transzendentalen Frage auf die Psychologie zu stützen, einerlei ob auf empirische oder eidetisch-phänomenologische. Die Subjektivität und das Bewußtsein — hier stehen wir vor der paradoxen Zweideutigkeit —, auf das die transzendentale Frage rekurriert, kann also wirklich nicht diejenige Subjektivität und das Bewußtsein sein, von dem die Psychologie handelt.

 

9. Die transzendental-phänomenologische Reduktion und der transzendentale Schein der Verdoppelung

»Wir« sollten also doppelt sein, psychologisch als wir Menschen Vorhandenheiten in der Welt, Subjekte seelischen Lebens und zugleich transzendental als die Subjekte eines transzendentalen weltkonstituierenden Lebens? Diese Doppelheit klärt sich durch evidente Aufweisung. Die seelische Subjektivität, das konkret gefaßte »ich« und »wir« der alltäglichen Rede, wird in ihrer reinen psychischen Eigenheit erfahren durch die Methode phänomenologisch-psychologischer Reduktion. In eidetischer Abwandlung schafft sie den Boden für die rein phänomenologische Psychologie. Die transzendentale Subjektivität, auf die im transzendentalen Problem hingefragt und die in ihm als Seinsboden vorausgesetzt ist, ist keine andere als wiederum »ich selbst« und »wir selbst«, aber nicht als die wir uns in der natürlichen Einstellung des Alltags und der positiven Wissenschaft vorfinden, apperzipiert als Bestandstücke der für uns vorhandenen objektiven Welt: vielmehr als Subjekte des Bewußtseinslebens, in dem sich diese und alle Vorhandenheit — für »uns« — durch gewisse Apperzeptionen »macht«. Als Menschen, seelisch wie leiblich in der Welt vorhanden, sind wir für »uns«; wir sind Erscheinendes eines sehr mannigfaltigen intentionalen Lebens, »unseres« Lebens, worin sich also dieses Vorhandene apperzeptiv mit seinem ganzen Sinnesgehalt »für uns« macht. Das vorhandene (apperzipierte) Ich und Wir setzt ein (apperzipierendes) Ich und Wir voraus, für das es vorhanden ist, das aber nicht selbst wieder im selben Sinn vorhanden ist. Zu dieser transzendentalen Subjektivität haben wir direkten Zugang durch eine transzendentale Erfahrung. Wie schon die seelische Erfahrung zur Reinheit einer reduktiven Methode bedarf, so auch die transzendentale.

Wir wollen hier so vorgehen, daß wir die »transzendentale Reduktion« einführen als auf gestuft auf die psychologische Reduktion, als eine weitere an dieser jederzeit zu vollziehende Reinigung und abermals mittels einer gewissen Epoche. Diese ist eine bloße Konsequenz der universalen Epoche, welche zum Sinn der transzendentalen Frage gehört. Fordert die transzendentale Relativität jeder möglichen Welt deren universale »Einklammerung«, so fordert sie auch die der reinen Seelen und der auf sie bezogenen rein phänomenologischen Psychologie. Dadurch verwandeln sich diese in transzendentale Phänomene.
Während also der Psychologe innerhalb der für ihn natürlich geltenden Welt die vorkommende Subjektivität auf die rein seelische Subjektivität — in der Welt — reduziert, reduziert der transzendentale Phänomenologe durch seine absolut universale Epoche diese psychologisch reine auf die transzendental reine Subjektivität, auf diejenige, welche die Weltapperzeption und darin die objektivierende Apperzeption »Seele animalischer Realitäten« vollzieht und in sich in Geltung setzt. Z. B. meine jeweiligen reinen Wahrnehmungserlebnisse, Phantasieerlebnisse usw. sind psychologische Gegebenheiten der psychologischen inneren Erfahrung in der Einstellung der Positivität. Sie verwandeln sich in meine transzendentalen Erlebnisse, wenn ich die Welt, mein Menschsein inbegriffen, durch radikale Epoche als bloßes Phänomen setze und nun dem intentionalen Leben nachgehe, worin die gesamte Apperzeption »der« Welt, im besonderen die Apperzeption meiner Seele, meiner psychologisch realen Wahrnehmungserlebnisse usw. sich gestaltet. Der Gehalt dieser Erlebnisse, ihr Eigenwesentliches bleibt dabei voll erhalten, wenn schon er nun sichtlich ist als Kern einer vordem psychologisch immer wieder betätigten aber nicht in Rechnung gezogenen Apperzeption. Für den Transzendentalphilosophen, der durch einen vorausgehenden universalen Willensentschluß in sich die feste Habitualität der transzendentalen »Einklammerung« gestiftet hat, ist auch diese in der natürlichen Einstellung nie fehlende Verweltlichung des Bewußtseins ein für allemal unterbunden. Demgemäß ergibt für ihn die konsequente Bewußtseinsreflexion immer wieder transzendental Reines, und zwar anschaulich in der Weise einer neuartigen, der transzendentalen »inneren« Erfahrung. Aus der methodischen transzendentalen Epoche entsprungen, eröffnet sie das endlose transzendentale Seinsfeld. Es ist die Parallele zum endlosen psychologischen Feld, sowie seine Zugangsmethode die Parallele ist zur rein psychologischen, derjenigen der psychologisch-phänomenologischen Reduktion. Und wieder ebenso ist das transzendentale Ich und die transzendentale Ichgemeinschaft, gefaßt in der vollen Konkretion des transzendentalen Lebens, die transzendentale Parallele zum Ich und Wir im gewöhnlichen und psychologischen Sinn, wieder konkret gefaßt als Seele und Seelengemeinschaft mit dem zugehörigen psychologischen Bewußtseinsleben. Mein transzendentales Ich ist also evident ›verschieden‹ vom natürlichen Ich, aber keineswegs als ein zweites, als ein davon getrenntes im natürlichen Wortsinn, wie umgekehrt auch keineswegs ein in natürlichem Sinne damit verbundenes oder mit ihm verflochtenes. Es ist eben das (in voller Konkretion gefaßte) Feld der transzendentalen Selbsterfahrung, die jederzeit durch bloße Änderung der Einstellung in psychologische Selbsterfahrung zu wandeln ist. In diesem Übergang stellt sich notwendig eine Identität des Ich her; in transzendentaler Reflexion auf ihn wird die psychologische Objektivierung als Selbstobjektivierung des transzendentalen Ich sichtlich, und so findet es sich als wie es in jedem Moment natürlicher Einstellung sich eine Apperzeption auferlegt hat. Ist der Parallelismus der transzendentalen und psychologischen Erfahrungssphären als eine Art Identität des Ineinander des Seinssinnes aus bloßer Einstellungsänderung verständlich geworden, so auch die daraus sich ergebende Folge des gleichen Parallelismus und des im Ineinander implicite Beschlossenseins der transzendentalen und der psychologischen Phänomenologie, deren volles Thema die doppelsinnige reine Intersubjektivität ist. Es ist dabei nur in Rechnung zu ziehen, daß die rein-seelische Intersubjektivität, sowie sie der transzendentalen Epoche unterworfen wird, ebenfalls zu ihrer Parallele, der transzendentalen Intersubjektivität führt. Offenbar besagt der Parallelismus nichts weniger als theoretische Gleichwertigkeit. Die transzendentale Intersubjektivität ist der konkret eigenständige absolute Seinsboden, aus dem alles Transzendente (darunter alles real weltlich Seiende) seinen Seinssinn schöpft als Sein eines in bloß relativem und damit unvollständigem Sinne Seienden, als den einer intentionalen Einheit, die in Wahrheit ist aus transzendentaler Sinngebung, einstimmiger Bewährung und wesensmäßig zugehöriger Habitualität bleibender Überzeugung.

 

10. Die reine Psychologie als Propädeutik zur transzendentalen Phänomenologie

Durch die Aufklärung der wesensmäßigen Doppeldeutigkeit der Bewußtseinssubjektivität und der auf diese zu beziehenden eidetischen Wissenschaft wird die historische Unüberwindlichkeit des Psychologismus aus tiefsten Gründen verständlich. Seine Kraft liegt in einem wesensmäßigen transzendentalen Schein, der unenthüllt fortwirken mußte. Verständlich wird auch durch die gewonnene Aufklärung auf der einen Seite die Unabhängigkeit der Idee einer transzendentalen Phänomenologie und ihrer systematischen Durchführung von derjenigen einer phänomenologisch reinen Psychologie, auf der anderen Seite doch die propädeutische Nützlichkeit eines vorausgeschickten Entwurfes reiner Psychologie für ein Aufsteigen zur transzendentalen Phänomenologie, eine Nützlichkeit, die die vorliegende Darstellung geleitet hat. Was das eine anlangt, ist es offensichtlich, daß sich an die Aufdeckung der transzendentalen Relativität sogleich die phänomenologische und eidetische Reduktion knüpfen läßt, und so erwächst die transzendentale Phänomenologie direkt aus der transzendentalen Anschauung. In der Tat war dieser direkte der historische Weg. Die reine phänomenologische Psychologie als eidetische Wissenschaft in der Positivität lag ja überhaupt nicht vor. Was fürs Zweite den propädeutischen Vorzug des indirekten Weges zur transzendentalen Phänomenologie über die reine Psychologie anlangt, so bedeutet die transzendentale Einstellung eine Art Änderung der ganzen Lebensform, die alle bisherige Lebenserfahrung völlig übersteigt, also vermöge ihrer absoluten Fremdartigkeit schwer verständlich sein muß. Ähnliches gilt für eine transzendentale Wissenschaft. Die phänomenologische Psychologie, obschon auch relativ neu und in der Methode intentionaler Analyse ganz neuartig, hat immerhin doch die Zugänglichkeit aller positiven Wissenschaften. Ist sie mindest der scharf präzisierten Idee nach einmal klar geworden, so bedarf es nur der Klärung des echten Sinnes transzendentalphilosophischer Problematik und der transzendentalen Reduktion, um sich der transzendentalen Phänomenologie als einer bloßen Wendung ihres Lehrgehaltes ins Transzendentale zu bemächtigen. In diese zwei Stufen verteilen sich die zwei Grundschwierigkeiten des Eindringens in die neue Phänomenologie, nämlich die des Verständnisses der echten Methode »innerer Erfahrung«, die schon zur Ermöglichung einer »exakten« Psychologie als rationaler Tatsachenwissenschaft gehört, und die des Verständnisses der Eigentümlichkeit transzendentaler Fragestellung und Methode. An sich betrachtet ist allerdings das transzendentale Interesse das höchste und letzte wissenschaftliche Interesse, und so ist es das Richtige, wie historisch so weiterhin, die transzendentalen Theorien im eigenständigen absoluten System der Transzendentalphilosophie auszubilden und in ihr selbst mit der Aufweisung der Wesensart natürlicher gegenüber transzendentaler Einstellung die Möglichkeit der Umdeutung aller transzendentalen phänomenologischen Lehren in solche der natürlichen Positivität herauszustellen.

 

III. Transzendentale Phänomenologie und Philosophie
       als universale Wissenschaft in absoluter Begründung     >>>

 

Husserl123

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