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SCHELLING : Quelle der ewigen Wahrheiten III
[Leibniz]
Mit Bayle erklärt sich nun Leibniz, was die Unabhängigkeit der ewigen Wahrheiten vom göttlichen Willen betrifft, einverstanden, nicht aber ebenso mit den äußersten unter den Scotisten, oder überhaupt mit denen, die ein von Gott in jedem Sinne unabhängiges Reich ewiger Wahrheiten, oder eine für sich und außer allem Zusammenhang mit Gott bestehende Natur der Dinge aufstellen. Wenn der Wille Gottes nur die Ursache der Wirklichkeit der Dinge zu sein vermag, so kann die Quelle ihrer Möglichkeit nicht auch in diesem Willen, sie kann aber ebensowenig eine von Gott unbedingt und in jedem Betracht unabhängige sein. »Meines Erachtens,« sagt Leibniz (in der Theodizee), »ist der göttliche Wille die Ursache der Wirklichkeit, der göttliche Verstand aber die Quelle der Möglichkeit der Dinge, dieser ist es, der die Wahrheit der ewigen Wahrheiten macht, ohne dass der Wille daran teilhat. Alle Realität, — also, will er sagen, auch die, welche wir den ewigen Wahrheiten zuschreiben müssen — alle Realität muß auf etwas gegründet sein, das existiert. Freilich ist wahr — was schon ein Teil der Scholastiker geltend gemacht hat — dass auch der Gottesleugner ein vollkommener Geometer sein kann. Aber wenn kein Gott wäre, gäbe es kein Objekt der Geometrie, und ohne Gott gäbe es nicht nur nichts, das existiert, sondern auch nichts Mögliches. Das verhindert nicht, dass die, welche von der Verbindung aller Dinge unter sich und mit Gott keine Kenntnis haben, gewisse Wissenschaften verstehen können, ohne ihre erste Quelle zu wissen, die in Gott ist«*). Da Leibniz dies nur von gewissen Wissenschaften folgt, so hat er offenbar die Philosophie ausgenommen. Ultima ratio tam essentiarum quam existentiarum in Uno, ist Leibnizens allgemeiner Ausspruch in der Abhandlung de rerum originatione radicali. Zwischen »ganz unabhängig sein von Gott« und bestimmt sein durch göttliche Willkür ist etwas in der Mitte. Dieses Mittlere ist in der Unabhängigkeit vom göttlichen Verstande. Leibniz bedient sich dieser Unterscheidung namentlich, um wegen des Übels und des Bösen in der Welt jeden Vorwurf vom göttlichen Willen zu entfernen. Die Ursache des Übels, sagt er, ist in der idealen Natur der Dinge begründet, welche vom göttlichen Willen nicht abhängt, sondern nur im göttlichen Verstande ist.
*) Erdmannsche Ausgabe von Leibniz, S. 561. § 184.
[Verstand Gottes]
Aber dieser Verstand nun wie verhält er sich zu den ewigen Wahrheiten? Entweder bestimmt er von sich aus und ohne an etwas gebunden zu sein, was in den Dingen notwendig und ewig sein soll; in diesem Fall ist nicht einzusehen, wie er sich von dem Willen unterscheide, es heißt auch hier: stat pro ratione voluntas. Ist es der Verstand Gottes, der, ohne durch irgend etwas bestimmt oder eingeschränkt zu sein, die Möglichkeiten der Dinge, die in der Wirklichkeit zu Notwendigkeiten werden, sich ausdenkt, so wird man auch so der Willkür nicht entgehen. Oder ist der Sinn dieser: der Verstand schafft diese Möglichkeiten nicht, er findet sie vor, er entdeckt sie als schon da seiende, dann muß es etwas von diesem Verstand Verschiedenes und von ihm selbst Vorausgesetztes sein, worin diese Möglichkeiten begründet sind und worin er dieselben erblickt. Dieses aber somit vom göttlichen Verstände Unabhängige, und woran wir diesen selbst gebunden zu denken hätten, wie sollen wir es benennen? Quelle des Allgemeinen und Notwendigen in den Dingen kann es selbst nichts Individuelles mehr sein, wir wir den Verstand denken müssen; denn auch der Leibnizische Ausdruck l'entendement divin kann nur von einer göttlichen Fakultät verstanden werden. Unabhängig aber von allem Individuellen, ja diesem entgegengesetzt, selbst das Allgemeine und der Sitz der allgemeinen und notwendigen Wahrheiten, das alles läßt sich nur von der Vernunft sagen. Wir wären also auf eine vom göttlichen Willen unabhängig existierende ewige Vernunft gewiesen, deren Schranken oder Gesetze der göttliche Verstand in seinen eignen Hervorbringungen oder Entwürfen nicht überschreiten könnte. Aber einmal auf diesem Punkt, und bezaubert von dem über alles Individuelle uns hinweghebenden Allgemeinen — sollten wir auf diesem Punkt stehen bleiben, und nicht vielmehr des Individuellen uns ganz zu entledigen suchen? Und dies um so mehr, als wenn man zwischen dieser Vernunft und Gott unterscheidet, zwei voneinander Unabhängige angenommen werden müssen, deren keines von dem andern abzuleiten ist, während die Wissenschaft vor allem und zuerst auf Einheit des Prinzips dringt. Warum also nicht sagen, dass Gott selbst nichts anderes ist als diese ewige Vernunft, eine Meinung, die, einmal als unwidersprechlich und unter gescheiten Leuten sich von selbst verstehend adoptiert, unendlicher Beschwerden überhebt und alles Schwerbegreifliche mit einemmal entfernt?
[Kant]
Mit dieser Entwicklung sind wir auf dem von Kant zuerst gleichsam eroberten Standpunkt gekommen, der ihm als der höchste Preis seines ebenso unermüdlichen, wie redlichen Forschens zuteil geworden, wenn er auch diesen Standpunkt nur eben erreicht hat, ohne von ihm aus selbst weiter fortzuschreiten. Ich kann mich über Kants Lehre vom Ideal der Vernunft kurz fassen, da ich sie früher, in der Absicht, später darauf zu verweisen, zum Gegenstand einer ausführlichen Abhandlung gemacht habe, die ich die Ehre hatte ebenfalls hier vorzulesen.*) Kant zeigt also, dass zur verstandesmäßigen Bestimmung der Dinge die Idee der gesamten Möglichkeit oder eines Inbegriffs aller Prädikate gehört. Dies versteht die nachkantische Philosophie, wenn sie von der Idee schlechthin, ohne weitere Bestimmung spricht; diese Idee selbst nun aber existiert nicht, sie ist eben, wie man zu sagen pflegt, bloße Idee; es existiert überhaupt nichts Allgemeines, sondern nur Einzelnes, und das allgemeine Wesen existiert nur, wenn das absolute Einzelwesen es ist. Nicht die Idee ist dem Ideal, sondern das Ideal ist der Idee Ursache des Seins, wie man auch insgemein zu sagen pflegt, dass durch das Ideal die Idee verwirklicht ist. In dem Satz: das Ideal ist die Idee, hat also das ist nicht die Bedeutung der bloßen logischen copula. Gott ist die Idee heißt nicht: er ist selbst nur Idee, sondern: er ist der Idee (der Idee in jenem hohen Sinn, wo sie der Möglichkeit nach alles ist), er ist der Idee Ursache des Seins, Ursache, dass sie Ist, aitia tou einai, im aristotelischen Ausdruck.
[Rationalismus]
Man wird vielleicht gegen diesen Fortgang einwenden, dass er viel mehr ein Sprung sei und uns von der Leibnizischen Zeit unmittelbar in die Gegenwart versetze. Denn das System, in dem die Vernunft alles ist, sei ja eben das neueste. Allein es würde daraus nicht folgen, was man folgern will. In dem Zeitraum von Leibniz bis auf Kant war Rationalismus die allgemeine Denkart der Zeit und nur durch kein philosophisches System repräsentiert (denn damals fehlte es bekanntlich daran), also genötigt, auf mehr populäre Weise sich geltend zu machen und sich auf die Theologie zu werfen. Dieser theologische Rationalismus, der freilich selbst noch nicht wußte, was er in letzter Instanz wollte, ging (es läßt sich dies genau geschichtlich nachweisen) unmittelbar aus der Wolffschen Schule hervor. Wenn aber dieser Rationalismus erst in der neuesten Zeit dazu gelangt ist, sich als philosophisches System aufzustellen, so dankt er dies freilich der späteren Entwicklung, aber seine eigentlichen Wurzeln hat er darum nicht in dieser, sondern in der ihr vorausgegangenen Zeit. Denn eine einmal allgemein gewordene und einem ganzen Zeitalter gleichsam zur andern Natur gewordene Denkart wird nur von wenigen überwunden, die sich als Ausnahmen darstellen, und läßt sich nicht sofort durch ein philosophisches System aufheben, vielmehr begibt sich das Gegenteil, dass die angenommene Denkart jenes aufhebt, indem sie es sich dienstbar macht und nur das so geknebelte sich gefallen läßt.
Eine große und unausweichliche Unbequemlichkeit haftet jedoch auch dieser Auskunft an. Denn wie auf der einen Seite der bloße göttliche Wille das Notwendige und Allgemeine der Dinge nicht erklärt: so unmöglich ist es, aus reiner bloßer Vernunft das Zufällige und die Wirklichkeit der Dinge zu erklären. Es bliebe zu dem Ende nichts übrig, als anzunehmen, dass die Vernunft sich selbst untreu werde, von sich selbst abfalle, dieselbe Idee, welche erst als das vollkommenste, und dem keine Dialektik etwas weiteres anhaben könne, dargestellt worden, dass diese Idee, ohne irgend einen Grund dazu in sich selbst zu haben, recht eigentlich, wie die Franzosen sagen, sans rime ni raison, sich in diese Welt zufälliger, der Vernunft undurchsichtiger, dem Begriff widerstrebender Dinge zerschlage. Dieser Versuch, wenn er gemacht würde, wäre ein merkwürdiges Beispiel, was man einer befangenen Zeit bieten darf; ihn beurteilen? ja etwa mit den terentianischen Worten: haec si tu postules (ein solches sich selbst Verrücken der Vernunft) certa ratione facere, nihilo plus agas, quam si des operam, ut cum ratione insanias.
[Gott als das allgemeine Wesen]
Es ist also nun wohl das Verhältnis so bestimmt, dass Gott das allgemeine Wesen ist, aber noch weder wie, noch infolge welcher Notwendigkeit er es ist.
Was nun das Wie betrifft, so versteht sich außer dem schon Gesagten, dass Gott das All der Möglichkeit ewiger Weise, also vor allem Tun, daher auch vor allem Wollen ist. Und doch ist nicht Er selbst dieses All. In ihm selbst ist kein Was, er ist das reine Daß — actus purus. Aber um so mehr, wenn in ihm selbst kein Was und nichts Allgemeines ist, durch welche Notwendigkeit geschieht es, dass was selbst oder in sich ohne alles Was ist, dass dieses das allgemeine Wesen, das alles begreifende Was ist?
Es kann nichts helfen zu sagen: vom bloß Individuellen ohne das Allgemeine würde es keine Wissenschaft geben. Hê epistêmê tou katholon. Denn warum eben soll Wissenschaft sein? und nimmer kann die Möglichkeit unsres Wissens die Ursache davon sein, dass der, in welchem schlechterdings nichts Allgemeines, und der eben dadurch über alles, was wir sonst Einzelnes nennen, weit erhaben ist (denn dieses trägt immer noch sehr viel Allgemeines in sich) — dass dieser, welcher das absolute Einzelwesen ist, das allgemeine Wesen ist. Da er es nicht wollend, und auch nicht infolge seines Wesens oder Selbstes ist — denn dieses, als das Absonderlichste (to malista chôriston), d.h. als Individuellste, ist es vielmehr das, aus dem nichts Allgemeines folgen kann —, so kann er das Alles Begreifende nur sein infolge einer über ihn selbst hinausreichenden Notwendigkeit. Aber welcher Notwendigkeit? Versuchen wir es auf diese Weise. Sagen wir, diese Notwendigkeit sei die des Einsseins von Denken und Sein — diese sei das höchste Gesetz, und dessen Sinn dieser, dass was immer Ist auch ein Verhältnis zum Begriff haben muß, was Nichts ist, d.h. was kein Verhältnis zum Denken hat, auch nicht wahrhaft Ist.
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