abcphilde archiv manfred herok 2014 |
Leibniz, Gottfried Wilhelm |
Erstdruck: Amsterdam 1710 |
280. Das System derer, welche sich Schüler des heiligen Augustin nennen, entfernt sich nicht ganz hiervon, sofern man einige hässliche Dinge in den Ausdrücken oder in der Lehre selbst ausscheidet. Bei den Ausdrücken finde ich das vorzüglich bei solchen Worten nöthig, wie nothwendig oder zufällig, möglich oder unmöglich, die manchmal eine Blösse bieten und viel Lärm veranlasst haben; deshalb hat Luther, wie der junge Herr Löscher in einer gelehrten Abhandlung über die Paroxismen des unbedingten Rathschlusses sehr richtig bemerkt, in seinem Buche über die Willensfreiheit gewünscht, ein paasenderes Wort für das, was er ausdrücken wollte, zu finden, als das Wort Nothwendigkeit. Im Allgemeinen scheint es richtiger und passender, zu sagen, dass der Gehorsam für die Gebote Gottes immer möglich sei, selbst bei den Nichtwiedergebornen; dass der Gnade immer Widerstand geleistet werden könne, selbst von dem heiligsten Wesen und dass die Freiheit entnommen sei, nicht blos dem Zwange, sondern auch der Nothwendigkeit, obgleich sie niemals ohne die untrügliche Gewissheit oder ohne die anreizende Bestimmung sei. 281. Auf der andern Seite könnte man indess in einem gewissen Sinne sagen, dass die Macht Gutes zu thun bei gewissen Gelegenheiten oft ganz fehle, selbst dem Gerechten und dass die Sünden oft nothwendig seien, selbst bei den Wiedergebornen; dass es manchmal unmöglich sei, nicht zu sündigen; dass die Gnade unwiderstehlich sei und dass die Freiheit der Nothwendigkeit nicht enthoben sei. Allein diese Ausdrücke sind weniger genau und weniger in den Umständen verletzend, in denen wir uns heutzutage befinden; auch sind sie an sich mehr dem Missbrauch ausgesetzt und sie haben ausserdem etwas von der gewöhnlichen Sprachweise im Verkehr an sich, wo die Worte in sehr biegsamen Bedeutungen gebraucht werden. Indess können sie unter Umständen gebraucht werden und nützlich sein und selbst die heiligen Schriften, sowie die heiligen und rechtgläubigen Schriftsteller haben sich der Ausdrücke bald von dieser, bald von jener Seite bedient, ohne dass dadurch ein wirklicher Gegensatz bezeichnet werden soll, so wenig wie zwischen dem heiligen Johannes und dem heiligen Paulus und ohne dass wegen dieser Zweideutigkeit der Ausdrücke nach der einen oder andern Seite ein Irrthum entsteht. Auch hat man sich so an diese verschiedene Art zu sprechen gewöhnt, dass man oft kaum sagen kann, welche Ausdrucksweise die natürlichste und selbst die gebräuchlichste sei (quis sensus magis naturalis, obvius, intentus). Da derselbe Schriftsteller an verschiedenen Stellen von verschiedenen Gesichtspunkten ausgeht und dieselbe Ausdrucksweise bald mehr oder weniger angenommen oder annehmbar wird, bevor oder nachdem ein grosser Mann oder eine Autorität, die man achtet und der man folgt, darüber entschieden hat, so kann man deshalb unter Umständen und zu Zeiten gewisse Ausdrücke entweder billigen oder untersagen, ohne dass dies den Sinn oder den Glauben beschädigt, wenn man auch keine genügende Erläuterung der Worte beifügt. 282. Es ist daher nur nothwendig, dass man diese Unterscheidungen, so wie die von mir oft betonten, zwischen dem Nothwendigen und dem Gewissen und zwischen der metaphysischen und moralischen Nothwendigkeit genau kenne. Ebenso verhält es sich mit der Möglichkeit und Unmöglichkeit, denn das Ereigniss, dessen Gegentheil möglich ist, ist zufällig und das, dessen Gegentheil unmöglich ist, ist nothwendig. Man unterscheidet auch mit Recht zwischen einem nahen und entfernten Können und nach diesen verschiedenen Bedeutungen sagt man, bald dass eine Sache geschehen könne, bald dass sie nicht geschehen könne. Man kann in einem gewissen Sinne sagen, es sei nothwendig, dass die Seligen nicht sündigen, dass die Teufel und die Verdammten sündigen, dass selbst Gott das Beste wähle, dass der Mensch dem folge, was ihn am meisten reizt. Aber diese Nothwendigkeit ist der Zufälligkeit nicht entgegengesetzt; sie gehört nicht zur sogenannten logischen, metaphysischen und geometrischen Nothwendigkeit, deren Gegentheil einen Widerspruch enthält. Herr Nicolas hat mitunter einen nicht übeln Vergleich gezogen. So hält man es für unmöglich, dass ein weiser und ernster Beamter z.B. nackt durch die Strassen laufen werde, um das Lachen zu erregen. Aehnlich ist es mit den Seligen; sie sind noch weniger fähig zu sündigen und die Nothwendigkeit, die sie daran verhindert, ist von derselben Art. Endlich ist der Wille wohl ein eben so zweideutiges Wort, wie das Können und die Nothwendigkeit. Denn ich habe schon gezeigt, dass die, welche den Satz aufstellen, dass man nicht ermangele das zu thun, was man wolle, wenn man es kann und die deshalb folgern, Gott wolle nicht das Heil Aller, darunter einen beschliessenden Willen verstehen; nur in diesem Sinne kann man den Satz aufrecht erhalten, dass der Weise niemals dasjenige will, von dem er weiss, dass es zu den Dingen gehört, die nicht geschehen können. Man kann statt dessen sagen, wenn man das Wort Wille in einem allgemeinem, mit dem Sprachgebrauch mehr übereinstimmenden Sinne nimmt, dass der Wille des Weisen vorgehend zu allem Guten geneigt sei, obgleich er zuletzt beschliesst, das Angemessenste zu thun. Deshalb wäre es sehr Unrecht, wenn man bei Gott diese ernste und starke Neigung, alle Menschen zu erretten, welche die heilige Schrift ihm beilegt, nicht annehmen oder ihm sogar eine ursprüngliche Abneigung zutheilen wollte, welche ihn von dem Heile mehrerer abwendete, odium antecedaneum. Man muss vielmehr behaupten, dass der Weise alles Gute als solches nach Verhältniss seines Wissens und Könnens erstrebe, aber dass er nur das ausführbar Beste verwirklicht. Wer dies zugiebt und doch Gott den vorgehenden Willen abspricht, alle Menschen zu erretten, irrt nur aus einem Missbrauch der Worte, sofern er nur sonst anerkennt, dass Gott Allen die genügende Hülfe gewährt, um gerettet zu werden, wenn sie den Willen haben, diese Hülfe zu benutzen. 283. Unter den Lehrsätzen, wie sie selbst von den Schülern des heiligen Augustinus festgehalten werden, kann ich mich nicht mit dem von der Verdammniss der nicht wiedergebornen Kinder befreunden, noch überhaupt mit der Verdammniss, welche blos auf der Erbsünde beruht. Ich kann auch nicht glauben, dass Gott diejenigen verdamme, denen das nöthige Licht nicht gewährt worden. Ich möchte mit mehreren Theologen glauben, dass die Menschen mehr Hülfe erhalten, als wir wissen, sollte es auch erst in der Stunde des Todes geschehen. Es scheint mir auch nicht nothwendig, dass bei Allen, die gerettet werden, es immer mittelst einer durch sich selbst wirksamen Gnade und unabhängig von Nebenumständen geschehen sei. Ich halte es auch nicht für nothwendig, alle Tugenden der Heiden für falsche zu erklären, und alle ihre Handlungen für sündhaft, obgleich es richtig ist, dass, was nicht von dem Glauben kommt, oder von der Richtung der Seele auf Gott, von der Sünde angesteckt ist, wenigstens der Möglichkeit nach. Endlich meine ich, dass Gott nicht gleichsam zufällig in Folge eines durchaus unbedingten Beschlusses oder mittelst eines Willens handeln könne, der keine vernünftigen Beweggründe hat. Auch bin ich überzeugt dass er bei der Vertheilung seiner Gnaden durch Gründe oder durch die Natur der Gegenstände bestimmt wird sonst würde er nicht der Weisheit entsprechend handeln, aber ich gebe zu, dass diese Gründe nicht nothwendig mit den guten oder weniger schlechten natürlichen Eigenschaften der Menschen zusammenhängen, als wenn Gott seine Gnaden nur nach diesen guten Eigenschaften vertheile, obgleich ich meine, wie ich schon oben mich erklärt habe, dass diese Eigenschaften wie alle andern Umstände mit in Betracht kommen, da in den Blicken der höchsten Weisheit nichts vernachlässigt werden kann. 284. Bei diesen Punkten und einigen wenigen andern, wo der heilige Augustin sich dunkel ausdrückt, dürfte man sich seinem Systeme anbequemen können; er behauptet, dass aus der Substanz Gottes nur ein Gott hervorgehen könne und dass also das Geschöpf aus Nichts geschaffen sei. (Augustinus über die Freiheit des Willens, I. Kap. 2.) Deshalb ist das Geschöpf unvollkommen, mangelhaft und verführbar. (De Genes, ad lit. Kap. 15; contra epistolam Manichäi, Kap. 36.) Das Uebel kommt nicht von der Natur, sondern von dem bösen Willen. (Augustinus in dem ganzen Buche über die Natur des Guten.) Gott kann nur das Mögliche befehlen. »Firmissime creditur Deum justum et bonum impossibilia non potuisse praecipere. (Es ist ganz fest zu glauben, dass der gerechte und gute Gott das Unmögliche nicht hat gebieten können.) (Das Buch über die Natur und die Gnade, Kap. 13. Kap. 69.) Nemo peccat in eo, quod caveri non potest. (Niemand sündigt in solchen Dingen, die man nicht vermeiden kann.) (Buch 3 über den freien Willen, Kap. 16. 17; Buch I. Retractat Kap. 11. 13. 15.«) Unter einem gerechten Gott kann Niemand unglücklich sein, als der, welcher es verdient. (Buch I. Kap. 32.) Der freie Wille könnte die Gebote Gottes ohne den Beistand der Gnade nicht erfüllen. (Brief an Hilar. in Caesaraugusta.) Wir wissen, dass die Gnade nicht nach dem Verdienste vertheilt wird. (Briefe 106. 107. 120.) Der Mensch in seiner Unschuld hatte den nöthigen Beistand um gut zu handeln, wenn er wollte; allein das Wollen hing von dem freien Entschluss ab, »habebat adjutorium, per quod posset et sine quo non vellet, sed non adjutorium, quo vellet.« (Er hatte den Beistand zum können und ohne den er nicht wollte, aber er hatte nicht den Beistand zum wollen.) (Das Buch über die Verderbniss, Kap. 11 und Kap. 10. 12.) Gott hat die Engel und die Menschen das versuchen lassen, was sie durch ihren freien Willen vermöchten und demnächst das, was seine Gnade und seine Gerechtigkeit vermag. (Daselbst, Kap. 10. II. 12.) Die Sünde hat den Menschen von Gott abgewendet, um sich den Geschöpfen zuzuwenden. (Lib. I qu. 2 ad Simplicium.) Mit Freuden sündigen ist die Freiheit eines Sclaven. (Enchiridion Kap. 103.) »Liberum arbitrium usque adeo in peccatore non periit, ut per illud peccent maxime omnes, qui cum delectatione peccant.« (Der freie Wille ist nicht so weit bei dem Sünder untergegangen, vielmehr sündigen durch diesen Alle, welche mit Lust sündigen.) (Buch 1 an Bonifacius. Kap. 2. 3.) 285. Gott spricht zu Moses: Ich werde mich dessen erbarmen, wessen ich mich erbarmen werde und ich werde Mitleid mit dem haben, mit wem ich Mitleid haben werde. (Exodus XXXIII. 19.) Es ist also nicht vom Vollendenden, noch von dem Laufenden, sondern von Gott, welcher die Barmherzigkeit ist. (Römer IX. 15. 16.) Dies hindert nicht, dass Alle, welche guten Willen haben und darin beharren, sollten errettet werden. Aber Gott giebt ihnen das Wollen und das Vollbringen, er erbarmt sich derer, welcher er will und er verhärtet die, welche er verhärten will. (Röm. IX. 29.) Und doch sagt der nämliche Apostel, dass Gott wolle, dass alle Menschen errettet werden und zur Erkenntniss der Wahrheit gelangen. Ich möchte dies nicht so, wie Augustin es an einigen Stellen thut, auslegen, als wenn es nur solche Errettete gäbe, bei denen Gott das Heil wolle, oder als wenn er wollte erretten, non singulos generum, sed genera singulorum. (Als wollte er nicht Einzelne aus den Gattungen, sondern ganze Gattungen von Einzelnen erretten.) Ich möchte vielmehr sagen, dass es keinen giebt, den Gott nicht retten wolle, so weit es die wichtigern Gründe gestatten, in Folge deren Gott nur die erretten kann, welche den ihnen angebotenen Glauben annehmen und sich demselben vermöge der ihnen gewährten Gnade zuwenden, wie es der Unverletzlichkeit des Planes seiner Werke entsprach, welcher der beste war, der gefasst werden konnte. 286. Was die Vorherbestimmung zum Heile anlangt, so enthält sie, nach dem heiligen Augustin, auch die Anordnung der Mittel, welche zu dem Heile führen werden. »Praedestinatio Sanctorum nihil aliud est, quam praescientia et praeparatio beneficiorum Dei, quibus certissime liberantur, quicunque liberantur.« (Das Buch über die Perseverantia, Kap. 14.) (Die Vorherbestimmung der Heiligen ist nichts anderes, als das Vorauswissen und die Vorausbereitung der Wohlthaten Gottes, durch welche ganz sicher diejenigen erlöst werden, welche erlöst werden.) Er fasst daher die Vorherbestimmung in diesem Punkte nicht wie einen unbedingten Beschluss auf; es soll nach ihm eine Gnade bestehen, welche von keinem verhärteten Herzen zurückgewiesen werde, weil sie hauptsächlich gegeben werde, um die Härte des Herzens hinwegzunehmen. (Das Buch über die Vorherbestimmung, Kap. 8. Das Buch über die Gnade, Kap. 13. 14.) Indess finde ich nicht, dass der heilige Augustinus stark betone, dass diese Gnade, welche das Herz sich unterwirft, immer durch sich selbst wirksam sei und man könnte wohl, ohne ihn zu verletzen, behaupten, dass derselbe Grad der innern Gnade bei dem Einen siegreich ist, wo die Umstände sie unterstützen, und bei dem Andern nicht. 287. Der Wille steht in Verhältniss zu unserem Sinn für das Gute und folgt dabei dem Guten, was das Uebergewicht hat. »Si utrumque tantundem diligimus, nihil horum dabimus. Item quod amplius non delectat, secundum id operemur necesse est« in Kap. 5 an die Gallater. (Wenn man Beides gleich sehr liebt, so wird man keines von Beiden geben. Ebenso müssen wir, wenn etwas nicht mehr ergötzt, nothwendig danach handeln.) Ich habe schon dargelegt, wie wir trotz alle dem in Wahrheit eine grosse Gewalt über unsern Willen haben. Der heilige Augustinus fasst es etwas anders auf und in einer Weise, die nicht sehr weit führt; z.B. wenn er sagt, dass nichts ganz so in unserer Gewalt sei, wie die Thätigkeit unseres Willens, wofür er einen etwas identischen Grund angiebt. Denn, sagt er, diese Thätigkeit ist in dem Augenblick bereit, wo wir wollen. »Nihil tam in nostra potestate est, quam ipsa voluntas, ea enim mox ut volumus praesto est.« (Nichts ist so in unserer Gewalt, wie unser Wille, denn sofort, wenn wir wollen, ist er bereit.) (Buch 3 über den freien Willen, Kap. 3. Buch 5 über den Staat Gottes, Kap. 10.) Dies sagt indess nur, dass wir wollen, wenn wir wollen, aber nicht, dass wir das wollen, was wir zu wollen wünschen. Man kann eher mit ihm sagen: Aut voluntas non est, aut libera dicenda. (Entweder giebt es keinen Willen, oder er ist ein freier.) (Ueber die Freiheit 3. Kap. 3.) und dass das, welches untrüglich oder sicher den Willen zum Guten führt, seine Freiheit nicht aufhebt. »Perquam absurdum est, ut ideo dicamus, non pertinere ad voluntatem (libertatem) nostram, quod beati esse volumus, quia id omnino nolle non possumus nescio qua bona constrictione naturae. Nec dicere audemus ideo Deum non voluntatem (libertatem) sed necessitatem habere justitiae, quia non potest velle peccare. Certe Deus ipse numquid quia peccare non potest, ideo liberum arbitrium habere negandus est?« (Ueber die Natur und die Gnade, Kap. 46. 47. 48. 49.) (Es ist sehr verkehrt, zu behaupten, dass es nicht zu unserm Willen (Freiheit) gehöre, selig zu werden, weil wir dies überhaupt, ich weiss nicht durch welche gute Nöthigung der Natur, nicht zu wollen, nicht vermögen. Und wir wagen auch nicht zu sagen, dass bei Gott nicht der Wille (die Freiheit), sondern der Zwang der Gerechtigkeit bestehe, weil er zu sündigen, nicht wollen könne. Sollte wohl Gott, weil er nicht sündigen kann, deshalb der freie Wille abgesprochen werden?) Augustinus sagt auch sehr richtig, dass Gott die erste Regung verleihe, aber dass nachher der Mensch auch handle. Aguntur ut agant, non ut ipsi nihil agant (Ueber die Verderbniss, Kap. 2.) (Sie werden behandelt, damit sie handeln, nicht damit sie selbst nicht handeln.) 288. Ich habe dargelegt, dass der freie Wille die nächste Ursache für das Uebel der Schuld ist, und folgeweise auch für das Uebel der Strafe; obgleich es richtig ist, dass die ursprüngliche Unvollkommenheit der Geschöpfe, welche in den ewigen Gedanken Gottes vorgestellt ist, die erste und entfernteste Ursache davon ist. Herr Bayle stemmt sich jedoch immer gegen diesen Gebrauch des Wortes »Freiheit des Willens«; er will nicht, dass man ihn als die Ursache des Uebels hinstelle. Man muss seine Einwände hören; indess wird es vorher gut sein, die Natur der Freiheit noch etwas deutlicher darzulegen. Ich habe gezeigt, dass die Freiheit, wie man sie in den theologischen Schulen verlangt, in der Einsicht besteht, welche eine bestimmte Kenntniss des Gegenstandes der Ueberlegung einschliesst; ferner in der Freiwilligkeit, mit welcher wir uns bestimmen, und endlich in der Zufälligkeit, d.h. in dem Ausschluss der metaphysischen oder logischen Nothwendigkeit. Die Einsicht ist gleichsam die Seele der Freiheit und das Uebrige gleichsam der Körper und die Grundlage. Die freie Substanz bestimmt sich durch sich selbst und zwar durch das Motiv des durch den Verstand erkannten Guten, welches sie reizt oder zu sich neigen macht, ohne sie zu zwingen. Alle Bedingungen der Freiheit sind in diesen wenigen Worten befasst. Indess ist es doch gut, wenn ich zeige, dass die Unvollkommenheit in unserm Wissen, in unserer Freiwilligkeit und das unfehlbare Bestimmtwerden, was in unserer Zufälligkeit enthalten ist, weder die Freiheit noch die Zufälligkeit aufhebt. 289. Unser Wissen ist von zweierlei Art, deutlich oder verworren. Das deutliche Wissen findet in dem wahrhaften Vernunftgebrauch statt; dagegen gewähren die Sinne uns nur verworrene Vorstellungen. Wir können sagen, dass wir von der Sclaverei befreit sind, so weit wir mit einem deutlichen Wissen handeln und dass wir den Leidenschaften unterthan sind, so weit unsere Wahrnehmungen verworren sind. In diesem Sinne haben wir nicht die ganze wünschenswerthe Freiheit und wir können mit dem heiligen Augustinus sagen, dass wir, als der Sünde unterthan, nur die Freiheit eines Sclaven haben. Indess auch ein Sclave als solcher hat doch noch die Freiheit der Wahl seinem Zustande entsprechend, obgleich er sich meist in der[333] harten Nothwendigkeit befindet, dass er nur unter zwei Uebeln wählen kann, weil eine ihm überlegene Gewalt ihn nicht zu den Gütern gelangen lässt, die er ersehnt. Was nun die Bande und der Zwang bei den Sclaven bewirken, das geschieht bei uns durch unsere Leidenschaften, deren Gewalt zwar angenehm, aber nicht weniger verderblich ist. In Wahrheit wollen wir nur das Angenehme; aber unglücklicherweise ist das jetzt Angenehme oft ein wahres Uebel, was uns missfallen würde, wenn wir die Augen des Verstandes offen hätten. Deshalb hindert die schlechte Lage des Sclaven und die unsrige nicht unsere freie Wahl (so wenig, wie bei jenem) unter dem uns Angenehmsten, in dem Zustande, in dem wir uns befinden, gemäss unsern gegenwärtigen Kräften und Wissen. 290. Was nun die Freiwilligkeit anlangt, so gehört sie zu uns insoweit, als wir in uns den Anfang unsers Handelns haben, wie Aristoteles sehr richtig begriffen hat. Allerdings ziehen uns die äusseren Eindrücke oft von unserm Wege ab und man meint deshalb insgemein, dass wenigstens in dieser Hinsicht ein Theil von den Anfängen unserer Handlungen ausserhalb unserer liege. Auch ist man allerdings genöthigt, sich so auszudrücken, wenn man bei dem gewöhnlichen Sprachgebrauch bleiben will, was auch in einem gewissen Sinne ohne Verletzung der Wahrheit geschehen kann; aber will man sich genau ausdrücken, so erleidet unsere Freiwilligkeit keine Ausnahme und die äussern Dinge haben in der streng philosophischen Sprache keinen physischen Einfluss auf uns. 291. Zum bessern Verständniss bedenke man, dass eine strenge Freiwilligkeit uns mit allen jenen einfachen Substanzen gemein ist und dass diese Freiwilligkeit bei den verständigen oder freien verständigen Substanzen zu einer Herrschaft über ihre Handlungen wird. Am besten erklärt sich dies durch das System der vorherbestimmten Harmonie, welches ich bereits seit mehreren Jahren aufgestellt habe. Ich zeige darin, dass von Natur jede einfache Substanz Vorstellungen hat und dass ihre Besonderheit in dem fortwährenden Gesetze besteht, welches die Folge der ihr zugetheilten Vorstellungen bewirkt und welche Vorstellungen die eine aus der andern entstehen, um den der Substanz zugetheilten Körper vorzustellen und mittelst des Körpers das ganze Universum nach dem Gesichtspunkte, welcher dieser einfachen Substanz eigenthümlich ist, ohne dass sie irgend einen physischen Einfluss vom Körper zu empfangen braucht. Ebenso passt sich der Körper von seiner Seite durch seine eignen Gesetze dem Willen der Seele an und er gehorcht ihr deshalb nur so weit, als diese Gesetze ihn dazu bestimmen. Hieraus folgt, dass die Seele in sich selbst eine völlige Freiwilligkeit hat, so dass sie in ihren Handlungen nur von Gott und sich selbst abhängt. 292. Da dieses System früher nicht gekannt war, so hat man nach andern Mitteln zum Ausweg aus diesem Labyrinth gesucht und selbst die Cartesianer sind in der Freiheit des Willens manchen Schwierigkeiten begegnet. Sie halfen sich nicht mehr mit den scholastischen Fälligkeiten, sondern meinten, dass alle Handlungen der Seele durch die Aussendinge je nach den Eindrücken der Sinne bestimmt zu werden scheinen und dass endlich alles in dem Universum durch die Vorsehung Gottes geleitet werde. Daraus entsprang aber der Einwand, dass es also keine Freiheit gebe. Hierauf entgegnete Herr Descartes, dass unsere Vernunft uns allerdings dieser Vorsehung versichere, aber dass wir auch unserer Freiheit durch eine innere Erfahrung, die wir machen, sicher seien; man müsse deshalb beides glauben, wenn man auch keinen Weg absehe, beide zu versöhnen. 293. Das heisst, den Gordischen Knoten durchhauen und auf den Schlusssatz eines Beweises nicht durch dessen Lösung antworten, sondern dadurch, dass man ihm einen entgegengesetzten Beweis entgegenstellt. Allein dies entspricht nicht den Regeln philosophischer Erörterungen. Trotzdem sind die meisten Cartesianer dabei geblieben, obgleich die innere Erfahrung, welche sie anführen, nicht das beweist, was sie behaupten, wie Herr Bayle sehr gut gezeigt hat. Herr Regis (Philosophie, Bd. I. Metaphysik, Buch 2, Thl. 2, Kap. 22) umschreibt die Lehre des Descartes folgendermassen: »Die Mehrzahl der Philosophen haben geirrt, weil die einen die Beziehung zwischen den freien Handlungen der Menschen und der Voraussicht Gottes nicht begreifen konnten und deshalb leugneten, dass Gott die erste wirkende Ursache der freien Willenshandlungen sei, obgleich dies eine Gotteslästerung ist, und weil die Andern die Beziehung zwischen der Wirksamkeit Gottes und den freien Handlungen nicht begreifen konnten und deshalb leugneten, dass die Menschen mit der Freiheit begabt seien, was eine Gottlosigkeit ist. Man findet die Mitte zwischen diesen beiden äussersten Ansichten, wenn man (Ebendaselbst S. 485) sagt, dass man zwar nicht alle Beziehungen zwischen der Freiheit und der Vorsehung Gottes begreifen könne, aber doch sich stets verpflichtet fühle anzuerkennen, dass wir frei und auch von Gott abhängig sind; denn beide Wahrheiten sind gleich gekannt, die eine durch die Erfahrung, die andere durch die Vernunft, und die Klugheit verlangt, dass man keine Wahrheit, deren man sicher ist, verpasse, weil man nicht alle Beziehungen begreifen könne, die sie mit andern bekannten Wahrheiten hat.« 294. Herr Bayle hat hier an dem Rande richtig bemerkt, »dass diese Ausdrücke des Herrn Regis nicht zeigen, dass wir Beziehungen zwischen den Handlungen des Menschen und der Vorsehung Gottes kennen, welche mit unserer Freiheit unverträglich erschienen.« Er fügt hinzu, es seien dies vorsichtig gefasste Ausdrücke, welche den Stand der Frage nur abschwächten. Er sagt: »Die Schriftsteller meinen, dass die Schwierigkeit blos aus unserm Mangel an Einsicht herkomme, während sie vielmehr sagen sollten, dass sie von der Einsicht komme, die wir haben und die wir (nach der Ansicht des Herrn Bayle) mit unsern Mysterien nicht vereinigen können.« Dies ist es gerade, was ich im Anfang dieses Werkes gesagt habe, nämlich, dass, wenn die Mysterien mit der Vernunft nicht zu vereinen wären und unlösbare Einwürfe beständen, wir die Mysterien keineswegs für unbegreiflich halten, sondern sie als falsch erkennen müssten; denn es ist richtig, dass es sich hier um kein Mysterium handelt, sondern nur um die natürliche Religion. 295. Indess sehe man, wie Herr Bayle diese inneren Erfahrungen bekämpft, auf welche die Cartesianer die Freiheit stützen, wobei er indess mit Erwägungen beginnt, denen ich nicht beistimmen möchte. Er sagt (Wörterbuch, Art. Helen, Buchstabe: TD): »Diejenigen, welche nicht genau prüfen, was in ihrem Innern vorgeht, überreden sich leicht, dass sie frei seien, und dass wenn ihr Wille sich zum Bösen wendet, es ihr eigner Fehler sei und durch eine Wahl geschehe, über welche sie selbst entschieden. Die anders Urtheilenden sind Personen, welche mit Sorgfalt die Anlässe und die Umstände ihrer Handlungen studirt und über den Fortgang der Bewegungen in ihren Seelen viel nachgedacht haben. Diese Personen bezweifeln ihren freien Willen und gehen so weit, dass sie ihre Vernunft und ihren Geist für Sclaven halten, welche der Gewalt nicht widerstehen können, welche sie dahinreisst, wohin sie nicht gehen möchten. Sie waren es vorzüglich, welche Gott für die Ursache ihrer schlechten Handlungen erklärten.« 296. Diese Worte erinnern mich an die des Kanzlers Bacon, welcher sagt, dass die Philosophie halb genossen uns von Gott abführe, aber diejenigen zu ihm zurückführe, welche sich in sie vertiefen. Dasselbe gilt für die, welche über ihre Handlungen nachdenken; anfangs scheint ihnen alles, was man thut, nur auf einen Anstoss von Aussen zu gescheiten; und dass alles, was wir denken, von Aussen durch die Sinne komme und auf die leere Tafel unseres Geistes sich einschreibe, tanquam in tabula rasa (wie auf eine abgewischte Tafel). Allein ein tieferes Nachdenken lehrt uns, dass alles (selbst das Empfinden der Leidenschaften) aus dem eignen Grunde komme und zwar mit einer vollen Freiwilligkeit. 297. Dennoch führt Herr Bayle Dichter an, welche unternahmen, die Menschen von ihrer Schuld zu befreien, indem sie alle Fehler auf Gott zurückführten. So spricht die Medea bei Ovid: Frustra, Medea, repugnas Nescio quis Deus obstat, ait. (Vergeblich, o Medea, weigerst Du Dich; ich weiss nicht, welcher Gott mir entgegensteht.) Und etwas später lässt Ovid sie hinzufügen: Sed trahit invitam nova vis; aliudque cupido, Mens aliud suadet; video meliora proboque, Deteriora sequor. (Aber eine neue Gewalt zieht mich wider meinen Willen; Anderes fordert die Begierde, Anderes der Verstand; ich sehe und billige das Bessere und folge doch dem Schlechteren.) Aber man könnte ihm hier Virgil entgegenstellen, bei dem Nisus mit viel mehr Recht sagt: ...Di ne hunc ardorem mentibus addunt Euryale; an sua cuique Deus fit dira cupido? (Nicht die Götter geben den Geistern diesen Eifer Euryalus; wird nicht seine wilde Begierde einen jedem zum Gotte?) 298. Herr Wittich scheint geglaubt zu haben, dass unsere Unabhängigkeit wirklich nur scheinbar sei; denn er lässt in seiner Abhandlung de providentia Dei actuali (über die wirkliche Vorsehung Gottes) den freien Willen darin bestehen, dass wir bei den, unserer Seele sich darbietenden Dingen in der Art uns zu ihnen verhalten, dass sie bejaht oder verneint, geliebt oder gehasst werden, ohne dass wir fühlen, dass eine äussere Gewalt uns dazu bestimme. Er fügt hinzu, dass wir am freisten handeln, wenn Gott selbst unser Wollen veranlasse und dass je mehr die Thätigkeit Gottes in uns wirksam und mächtig sei, wir um so mehr Herren unserer Handlungen seien, »Quia enim Deus ipsum operatur velle, quo efficatius operatur, eo magis volumus; quod autem, cum volumus, facimus, id maxime habemus in nostra potestate.« (Denn weil Gott das Wollen selbst bewirkt, so wollen wir um so mehr, je kräftiger er wirkt; und was wir, wenn wir wollen, thun, das haben wir am meisten in unserer Gewalt.) Es ist wahr, dass wenn Gott ein Wollen in uns hervorbringt, er auch eine freie Handlung hervorbringt, allein es handelt sich hier wohl nicht um die allgemeine Ursache, oder um die Hervorbringung des Wollens, die bei dem Menschen stattfindet, so weit er ein Geschaffenes ist; denn das, was an einem solchen Wollen positiv ist, wird in Wahrheit von Gott ununterbrochen durch seine Mitwirkung geschaffen, wie jede andere unbedingte Realität der Dinge. Es handelt sich jedoch hier um die Gründe des Wollens und um die Mittel, deren Gott sich bedient, wenn er uns einen guten Willen verleiht, oder uns gestattet, einen schlechten zu haben. Hier sind es immer wir, die den Willen hervorbringen, sei er gut oder schlecht, denn es ist unsere Handlung; allein es sind immer Gründe vorhanden, welche uns zum Handeln bestimmen, ohne deshalb unsere Selbstbestimmung und unsere Freiheit aufzuheben. Die Gnade giebt nur Eindrücke, die zur Erregung des Wollens durch entsprechende Motive beitragen; ein solches Motiv wäre z.B. ein Aufmerken, ein dic cur hic (Sage, warum gerade hier), ein vorgängiges Vergnügen. Man sieht deutlich, dass dieses der Freiheit nichts schadet, so wenig, wie ein Freund es thut, welcher einen Rath giebt, oder Beweggründe anführt. Herr Wittich hat deshalb so wenig, wie Herr Bayle die Frage gelöst und das Zurückgreifen auf Gott dient zu nichts. 299. Ich will aber eine andere, viel verständigere Stelle bei demselben Herrn Bayle anführen, wo er das angebliche deutliche Gefühl der Freiheit, welches dieselbe nach den Cartesianern beweisen soll, besser bekämpft. Seine Worte sind wahrhaft voll Geist und der Beachtung werth; sie finden sich in der Antwort auf die Fragen etc. Kap. 140 (Thl. III, S. 761 u. f.). Sie lauten: »Unser deutliches und bestimmtes Gefühl von unserm Dasein, lässt es für uns unbestimmt, ob wir durch uns selbst bestehen oder ob wir unser Dasein von einem Andern empfangen haben. Nur durch Ueberlegung können wir dies bestimmen, d.h. indem wir über unsere Ohnmacht uns, so viel als wir möchten, zu erhalten, nachdenken und über unser Unvermögen, uns von unserer Abhängigkeit von den uns umgebenden Wesen zu befreien u.s.w. Es ist sogar sicher, dass die Heiden (auch von den Socinianern gilt dies, weil sie die Schöpfung leugnen) niemals zur Kenntniss des wahrhaften Satzes gelangt sind, wonach wir aus Nichts geschaffen worden sind und dass wir in jedem Augenblick unseres Daseins aus dem Nichts erhoben werden. Sie haben deshalb fälschlich geglaubt, dass alle Substanzen in der Welt durch sich selbst bestehen und niemals vernichtet werden können; dass sie somit nur in Bezug auf ihre Zustände von andern Dingen abhängen, welche Zustände durch die Thätigkeit einer äusseren Ursache zerstört werden können. Kommt dieser Irrthum nicht offenbar davon, dass wir die schöpferische Thätigkeit, die uns erhält, nicht empfinden und dass wir nur fühlen, dass wir bestehen? und dass wir es in einer Weise fühlen, die uns immer in der Unwissenheit über die Ursache unseres Daseins erhalten würde, wenn nicht ein anderes Licht uns zu Hülfe käme? Man muss also auch sagen, dass die deutliche und bestimmte Empfindung, die wir von unsern Handlungen haben, uns nicht erkennen lässt, ob wir selbst sie uns geben oder ob wir sie von derselben Ursache empfangen, welche uns das Dasein giebt. Man muss die Ueberlegung oder das Nachdenken zu Hülfe nehmen, um dies zu unterscheiden. Nun stelle ich aber fest, dass durch blos philosophisches Nachdenken man nie darüber zu einer begründeten Gewissheit gelangen kann, dass wir die wirkende Ursache unseres Wollens sind; denn bei genauer Prüfung wird jedermann erkennen, dass im Fall wir in Bezug auf den Willen uns blos leidend verhielten, wir die nämlichen Erfahrungsempfindungen haben würden, wie wenn wir glauben frei zu sein. Nehmen wir zum Scherz einmal an, Gott habe die Gesetze für die Einheit der Seele und des Körpers so geregelt, dass alle Zustände in der Seele ohne Ausnahme nothwendig mit einem Dazwischentreten von Zuständen des Gehirns verknüpft seien. Man wird dann begreifen, dass uns nur das begegnen wird, was wir empfinden und es wird dann in der Seele diese Reihe von Gedanken von der Wahrnehmung der sinnlichen Dinge ab eintreten, welche ihr erster Schritt ist bis zu unseren festesten Wollen, welche ihre letzten Schritte sind. In dieser Reihe werden sich befinden das Empfinden von Vorstellungen, von Beziehungen, von Unentschlossenheiten, von Regungen des Willens und von wirklichem Wollen. Denn, mag der Akt des Wollens durch eine äussere Ursache uns eingedrückt sein, oder mögen wir ihn selbst hervorbringen, so bleibt es gleich wahr, dass wir wollen und dass wir fühlen, dass wir wollen und da diese äussere Ursache so viel Vergnügen, als sie will, in das Wollen mischen kann, was sie uns einfügt, so werden wir manchmal fühlen können, dass die Akte unseres Wollens uns ausserordentlich gefallen und dass sie uns dahin führen, wohin unsere stärkste Neigung uns treibt. Wir werden dabei keinen Zwang fühlen; man kennt den Satz: voluntas non potest cogi. (Der Wille kann nicht erzwungen werden.) Sieht man nicht klar ein, dass ein Wetterhahn, dem man immer plötzlich (aber so, dass das Vorgehen der Natur, oder wenn man will, das Vorgehen eines wirklichen Antriebs mit dem Wunsche, sich zu bewegen, übereinstimmte) die Bewegung nach bestimmten Punkten des Horizontes eingäbe, mit der Lust, sich dahin zu drehen, überzeugt sein würde, dass er sich von selbst drehe, um seinen vorhabenden Wunsch zu erfüllen? Er dürfte natürlich nicht wissen, dass es Winde giebt und dass eine äussere Ursache allein sowohl seine Richtung, wie seine Wünsche wechseln mache. In solch einem Zustande befinden wir uns von Natur; wir wissen nicht, ob nicht eine unsichtbare Ursache es bewirkt, dass wir der Reihe nach von einem Gedanken zu dem andern übergehen. Es ist deshalb natürlich, dass die Menschen von ihrer Selbstbestimmung überzeugt sind. Allein man hat doch zu prüfen, ob sie sich hier nicht eben so täuschen, wie bei unzähligen andern Dingen, welche sie gleichsam instinktmässig behaupten, ohne darüber philosophisch nachgedacht zu haben. Daher die zwei Hypothesen über das, was im Menschen vorgeht; nach der einen ist er nur ein leidendes Wesen, nach der andern hat er thätige Kräfte. Man kann mit Grund die zweite der ersten nicht vorziehen, so lange man sich dabei nur auf das Gefühl zum Beweis berufen kann, denn wir werden gleichstark fühlen, dass wir dies oder jenes wollen, mögen alle einzelnen Wollen unserer Seele durch eine äussere unsichtbare Ursache eingefügt werden, oder mögen wir selbst sie bilden.« 300. Es sind dies treffliche und kräftige Ausführungen gegen die gewöhnlichen Systeme, allein sie treffen nicht das System der vorherbestimmten Harmonie, welches uns weiter führt, als es früher geschehen konnte. Herr Bayle stellt es z.B. als Thatsache hin, »dass unser rein philosophisches Nachdenken uns niemals zu einer wohlbegründeten Gewissheit darüber führen könne, dass wir die wirkende Ursache unserer einzelnen Wollen seien;« allein dies kann ich nicht zugestehen; da mein System unzweifelhaft zeigt, dass im natürlichen Laufe jede Substanz die einzige Ursache aller ihrer Handlungen ist, und dass sie frei ist von jedem physischen Einfluss irgend einer andern Substanz, die gewöhnliche Mithülfe Gottes ausgenommen. Dieses System lässt uns daher erkennen, dass unsere Freiwilligkeit eine wahre ist und nicht blos eine scheinbare, wie Herr Wittich meint. Herr Bayle behauptet auch mit den nämlichen Gründen (Kap. 170, S. 1132), dass wenn es ein astrologisches Fatum gäbe, dasselbe die Freiheit nicht aufheben würde; ich würde es ihm zugeben, wenn die Freiheit nur in einer scheinbaren Freiwilligkeit bestände. 301. Die Freiwilligkeit unserer Handlungen kann daher nicht mehr bezweifelt werden; Aristoteles hat sie gut definirt, wenn er sagt, dass eine Handlung freiwillig sei, wenn ihr Anfang in dem Handelnden enthalten ist. Spontaneum est, cujus primipium est in agente. (Freiwillig ist das, dessen Anfang in dem Handelnden ist.) In dieser Weise sind alle unsere Handlungen und unser Wollen von uns abhängig. Allerdings sind wir nicht geradezu die Herrn über unsere Handlungen, obgleich wir deren Ursache sind, denn wir wählen nicht unser Wollen, wie wir unser Handeln durch unser Wollen wählen. Indess haben wir selbst eine gewisse Macht über unser Wollen, weil wir mittelbar dazu beitragen können, dass wir ein andermal das wollen, was wir jetzt wollen möchten, wie ich eben gezeigt habe; dies ist, genau genommen, kein leeres oder bloses Wollen und auch hierdurch haben wir eine besondere und selbst wahrnehmbare Macht über unsere Handlungen und unser Wollen, welche aus einer Verbindung der Freiwilligkeit mit der Einsicht hervorgeht. 302. Bis hier habe ich die beiden Bedingungen der Freiheit auseinandergesetzt, welche Aristoteles behandelt hat, nämlich die Freiwilligkeit und die Einsicht, welche beide in unsern Ueberlegungen beisammen sind, während die Thiere der zweiten Bedingung entbehren. Die Scholastiker verlangen jedoch noch eine dritte, welche sie die Unentschiedenheit nennen, und man kann sie allerdings zulassen, wenn dieselbe so viel wie Zufälligkeit bedeutet, denn ich habe schon oben gesagt, dass die Freiheit die unbedingte oder metaphysische oder logische Nothwendigkeit von sich ausschliesst. Allein ich habe schon wiederholt erklärt, dass diese Unentschiedenheit, diese Zufälligkeit, diese Nicht-Nothwendigkeit, wenn ich so sagen darf, welche ein wesentlicher Bestandtheil der Freiheit ist, nicht hindert, dass man die stärkste Neigung für die Seite habe, die man wählt. Die Freiheit verlangt keineswegs, dass man für die beiden entgegengesetzten Seiten durchaus und gleichmässig gleichgültig sei. 303. Ich lasse daher die Unentschiedenheit in dem Sinne einer Zufälligkeit oder Nicht-Nothwendigkeit zu, allein ich nehme keine völlige Gleichgültigkeit an, wie ich wiederholt gesagt habe und ich glaube, dass man niemals wählt, wenn man völlig gleichgültig ist. Eine solche Wahl wäre ein reiner Zufall, ohne bestimmten, erkennbaren oder verborgenen Grund. Ein solcher Zufall, eine solche unbedingte und wirkliche Zufälligkeit ist eine Chimäre, welche in der Natur nirgends sich findet. Alle Weisen erklären den Zufall nur für einen Schein, wie das Glück; mir die Unkenntniss der Ursachen ist seine Quelle. Gäbe es aber eine solche unbestimmte Unentschiedenheit oder vielmehr, wählte man, ohne etwas, was uns zur Wahl bestimmte, so wäre der Zufall eine Art Wirklichkeit, ähnlich dem, der nach Epikur in dem kleinen Abweg der Atome geschieht, welcher auch ohne Anlass und Grund erfolgen soll. Epikur hatte ihn aufgenommen, um der Nothwendigkeit zu entgehen und Cicero hat ihn mit Recht deshalb verspottet. 304. Mit diesem Abwege verfolgte Epikur einen Zweck; er wollte uns von dem Schicksal befreien; aber es kann nichts Wirkliches der Art in der Natur vorkommen, es ist eine der unmöglichsten Chimären. Herr Bayle widerlegt sie sehr gut, wie wir bald sehen werden und es ist daher auffallend, dass er selbst anderwärts anscheinend etwas diesem angeblichen Abweg Aehnliches zulässt. Denn er sagt über den Esel des Buridan (Wörterbuch, Artikel Buridan, Cit 13), »die, welche die Willensfreiheit im eigentlichen Sinne festhalten, lassen in dem Menschen eine Macht sich zu bestimmen zu, sei es nach rechts oder links, selbst wenn die Beweggründe für beide entgegengesetzte Seiten völlig gleich sind. Denn nach ihnen kann die Seele ohne andern Grund, als nur um ihre Freiheit zu gebrauchen, sagen: loh will lieber dies, wie jenes, wenn ich auch nichts sehe, was mir das eine werthvoller macht, als das andere.« 305. Alle, welche eine eigentliche Willensfreiheit annehmen, werden deshalb Herrn Bayle diese Willens-Bestimmung nicht zugeben, welche von einer unbestimmten Ursache ausgeht. Der heilige Augustinus und die Thomisten halten alles für bestimmt; ihre Gegner nehmen auch ihre Zuflucht zu Umständen, welche unsere Wahl bestimmen. Die Erfahrung spricht durchaus nicht für die Chimäre einer völligen Gleichgültigkeit. Man kann hier dasselbe benutzen, was Herr Bayle die Weise der Cartesianer nannte, welche die Freiheit durch das lebhafte Gefühl unserer Unabhängigkeit beweisen wollten. Denn wenn man auch nicht immer den Grund einer Neigung kennt, die uns unter zwei anscheinend gleichen Seiten wählen lässt, so wird doch immer ein, wenn auch unmerklicher Eindruck bestehen, welcher uns bestimmt. Der blose Wille, seine Freiheit zu gebrauchen, führt zu nichts Besonderem oder zu etwas, was uns zur Wahl des einen oder andern bestimmt. 306. Herr Bayle fährt fort: »Es giebt wenigstens zwei Wege, durch welche der Mensch sich aus den Fesseln des Gleichgewichts befreien kann; der eine, welchen ich schon erwähnt habe, ist, sich mit der angenehmen Vorstellung zu schmeicheln, dass man bei sich der Herr sei und nicht von den Dingen abhänge.« Allein dieser Weg ist verstopft; man mag immer wollen, den Herrn bei sich zu spielen; dies gewährt nichts Bestimmendes und begünstigt die eine Seite nicht mehr, als die andere. Herr Bayle fährt fort; »Er wird das Folgende vornehmen: Ich will dieses jenem vorziehen, weil es mir beliebt, so zu verfahren.« Aber die Worte: weil es mir beliebt, weil dies mein Vergnügen ist, enthalten[344] schon eine Neigung zu dem Gegenstand, welcher gefallt. 307. Er hat daher kein Recht, so fortzufahren: »Dann wäre das, was ihn bestimmte, nicht dem Gegenstände entnommen; der Beweggrund wäre nur den Vorstellungen entnommen, welche die Menschen von ihrer eignen Vollkommenheit oder von ihren natürlichen Fähigkeiten haben. Der zweite Weg wäre der des Zufalls; der kürzere Strohhalm würde entscheiden.« Dieser Weg kann wohl eingeschlagen werden, aber er führt nicht zum Ziele; es ist dies eine Veränderung der Frage, denn dann entscheidet nicht der Mensch; oder wenn man behauptet, dass es immer der Mensch sei, welcher durch das Loos entscheide, so ist der Mensch wenigstens nicht mehr im Gleichgewicht, weil das gezogene Loos es nicht mehr ist und der Mensch sich davon abhängig gemacht hat. Es bestehen in der Natur immer Gründe, welche das, was durch Zufall oder durch das Loos geschieht, verursachen. Ich bin etwas verwundert, dass ein so scharfsinniger Kopf, wie Herr Bayle, hier so von der Sache hat abspringen können. Ich habe anderwärts die wahre Antwort gegeben, welche das Sophisma des Buridan erledigt; nämlich dass der Fall eines vollkommenen Gleichgewichts unmöglich ist; das Universum kann nie in zwei gleiche Theile getheilt sein, so dass alle Eindrücke von dem einen Theile denen vom andern das Gleichgewicht halten. 308. Wir wollen sehen, was Herr Bayle selbst anderwärts gegen die chimärische Unbestimmtheit oder die unbedingte Gleichgültigkeit sagt. Cicero hatte (in seinem Buche über das Fatum) gesagt, dass Carneades etwas scharfsinnigeres, als jenen Abweg der Atome gefunden, indem er die Ursache einer vermeintlichen und völlig unbestimmten Unentschiedenheit in die Willensbewegungen der Seele legte, weil diese keiner äussern Ursache bedürfen, sondern von unserer Natur kommen. Allein Herr Bayle entgegnet (Wörterbuch, Artikel: Epikur, S. 1143): sehr gut, »dass alles, was von der Natur einer Sache komme, bestimmt sei. So bleibe also immer die Bestimmtheit und der Schlupfwinkel des Carneades wolle nichts sagen.« 309. Er zeigt ausserdem (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 90, Thl. II, S. 229), 310. Ich muss zu dieser Ausführung einige Bemerkungen machen. Eine sehr klare Erkenntniss des Besten bestimmt den Willen, aber sie zwingt ihn nicht, streng genommen. Man muss immer zwischen dem Nothwendigen und dem Gewissen oder Untrüglichen unterscheiden, wie ich schon wiederholt bemerkt habe, und die metaphysische Nothwendigkeit von der moralischen unterscheiden. Auch glaube ich, dass nur der Wille Gottes immer dem Urtheile des Verstandes folgt; aber alle verständigen Geschöpfe sind den Leidenschaften unterworfen oder wenigstens den Wahrnehmungen, welche nicht ganz das sind, was ich adaequate Vorstellungen nenne. Diese Leidenschaften sind zwar in dem Seligen immer auf das wahre Gute gerichtet, in Folge der Gesetze der Natur und des Systems der in Bezug darauf vorher eingerichteten Dinge, aber diese Richtung findet doch nicht immer in der Weise statt, dass sie eine vollkommene Kenntniss davon erlangen. Es ist mit ihnen, wie mit uns, die wir oft die Gründe für unsere Instinkte nicht verstehen. Die Engel und die Seligen sind Geschöpfe, wie wir, wo immer einige verworrene Vorstellungen mit deutlichen Kenntnissen gemischt sind. Suarez hat etwas Aehnliches über sie gesagt. Er meint (Abhandlung über das Gebet, Buch I, Kap. II), Gott habe schon im Voraus die Dinge so geordnet, dass ihre Gebete, wenn sie mit voller Hingebung geschehen, sich immer erfüllen. Dies ist eine Probe von einer vorherbestimmten Harmonie. Nach meiner Ansicht mischen sich ausser Urtheilen des Verstandes, die uns eine klare Kenntniss gewähren, auch verworrene Sinneswahrnehmungen mit ein, welche Leidenschaften und selbst unmerkliche Neigungen erwecken, die wir nicht immer gewahr werden. Diese Erregungen durchkreuzen oft die Urtheile des praktischen Verstandes. 311. Was nun die Parallele zwischen der Beziehung des Verstandes zum Waliren und der des Willens zum Guten anlangt, so enthält die klare und deutliche Vorstellung einer Wahrheit in ihr selbst thatsächlich die Bejahung dieser Wahrheit und der Verstand ist dadurch gezwungen. Allein sei die Vorstellung des Guten, die man hat, welche sie wolle, so ist doch die Anstrengung zum Handeln in Gemässheit des Urtheils, welche meines Erachtens das Wesen des Willens ausmacht, davon verschieden und da es einer Zeit bedarf, um diese Anstrengung zu ihrer Vollendung zu bringen, so kann sie auch gehemmt und selbst verändert werden mittelst einer neuen Vorstellung oder Neigung, die jener in die Quere kommt, das Denken davon abwendet und selbst den Geist mitunter ein entgegengesetztes Urtheil fällen lässt. Deshalb hat unsere Seele so viel Mittel der erkannten Wahrheit zu widerstehen und deshalb ist der Uebergang vom Denken zum Herzen so lang, namentlich wenn der Verstand zu einen gutem Theile nur in dunklen Gedanken sich bewegt, die das Gefühl wenig erregen, wie ich anderwärts erklärt habe. Das Band zwischen dem Urtheil und dem Willen ist deshalb nicht so nothwendig, als man denken sollte. 312. Herr Bayle fährt sehr gut fort (S. 221): »Es kann also kein Fehler der menschlichen Seele sein, dass sie keine völlige Gleichgültigkeit gegen das Gute überhaupt haben kann; vielmehr wäre diese Gleichgültigkeit ein Missstand, und es wäre eine grosse Unvollkommenheit, wenn man wirklich sagen könnte: Es ist mir gleich, ob ich glücklich oder unglücklich bin; ich bin nicht mehr geneigt, das Gute zu lieben, als wie es zu hassen; ich kann eben so gut das eine, wie das andere thun. Ist es also eine löbliche und nützliche Eigenschaft, dass man dem Guten überhaupt zugeneigt ist, so kann es kein Fehler sein, wenn man sich zu jedem besonderen Guten, was offenbar als für uns gut erkannt worden ist, gezwungen findet; vielmehr scheint es eine nothwendige Folge zu sein, dass wenn die Seele in Bezug auf das Gute überhaupt nicht die völlig unbestimmte Freiheit hat, sie dieselbe auch nicht für die besondern Güter hat, so lange sie mit Gewissheit urtheilt, dass es Güter für sie seien. Was würden wir von einer Seele denken, die nach Fällung eines solchen Urtheils, sich mit Kocht der Stärke rühmte, dass sie diese Güter nicht liebte, oder gar sie hasste und welche sagte: Ich weiss genau, dass es Güter für mich sind; ich habe alle dazu nöthige Einsicht, aber trotzdem will ich sie nicht lieben, ich will sie hassen; mein Entschluss ist gefasst; ich vollziehe ihn, nicht weil ein Grund mich dazu treibt (d.h. ein anderer Grund als blos der, welcher sich stützt auf: dies gefällt mir so), sondern weil es mir beliebt, so zu verfahren. Was sollten wir wohl von einer solchen Seele denken? Würden wir sie nicht für unvollkommner und unglücklicher halten, als wenn sie diese Freiheit der Gleichgültigkeit nicht hätte.« 313. »Die Lehre, welche den Willen dem letzten Akte des Verstandes unterwirft, giebt nicht allein einen besseren Begriff von dem Zustand der Seele, sondern sie zeigt auch, dass auf diesem Wege der Mensch leichter dem Glücke zuzuführen ist, als auf dem der Unentschiedenheit. Denn dann genügt es, wenn sein Geist über seine wahren Interessen aufgeklärt wird; dann wird sofort sein Wille sich den von der Vernunft gesprochenen Urtheilen anbequemen. Giebt es dagegen einen Willen, welcher von der Vernunft oder von der Beschaffenheit der genau erkannten Gegenstände unabhängig ist, so wäre der Mensch das unfügsamste von allen Geschöpfen und man wäre nie sicher, dass man ihn bestimmen könne, den bessern Theil zu erwählen. Dann können alle Rathschläge, alle Gründe der Welt sehr nutzlos bleiben; er wird aufgeklärt, er wird überzeugt werden; dessenungeachtet wird sein Wille trotzen und unbeweglich, wie ein Felsen, bleiben. Virgil, Aeneide Buch 6, Vers 470 sagt: Nec magis incepto vultum sermone movetur Quam si dura silex aut stet Marpesia cautes. (Es wird durch die begonnene Rede sein Gesicht nicht mehr verändert Als wie ein harter Stein, oder wie starr der marpesische Fels steht.) Eine Laune, ein reiner Eigensinn wird ihn gegen alle Arten von Gründen verhärten; es wird ihm nicht belieben, das klar erkannte Gute zu loben, er wird sich in dessen Hass gefallen. Finden Sie, mein Herr, dass eine solche Fähigkeit das reichste Geschenk wäre, was Gott dem Menschen hätte machen können und das alleinige Werkzeug unseres Glückes? Wäre es nicht vielmehr ein Hemmniss unseres Glückes? Liegt darin ein Ruhm, dass man sagen kann: Ich habe alle Gründe meiner Vernunft verachtet und ich habe blos aus dem Beweggründe, weil es mir so gefällt, einen ganz andern Weg eingeschlagen? Welcher Kummer würde nicht das Herz zerreissen, wenn der gewählte Weg zum Nachtheil ausschlüge? Eine solche Freiheit würde daher dem Menschen mehr schädlich als nützlich sein, denn der Verstand könnte möglicherweise die Güte eines Gegenstandes nicht so genügend darlegen, um dem Willen die Kraft, ihn zu verwerfen, zu benehmen. Es wäre dann unvergleichlich besser für den Menschen, wenn er immer mit Nothwendigkeit durch das Urtheil des Verstandes bestimmt würde, als dass der Wille dessen Thätigkeit hemmen könnte; der Mensch würde dann viel sicherer und leichter sein Ziel erreichen.« 314. Ich bemerke noch zu dieser Ausführung, dass es sehr wahr ist, wie eine Freiheit von unbestimmbarer Gleichgültigkeit, welche durch keinen Grund bestimmt werden könnte, eben so schädlich, ja abschreckend sein würde, als sie unpraktisch und chimärisch wäre. Ein Mensch, welcher so sich benehmen oder verfahren wollte, als handelte er ohne Beweggrund, würde sicherlich für einen Ueberspannten gehalten werden. Es ist aber auch wahr, dass dergleichen unmöglich ist, wenn man es in der ganzen Strenge der Ausdrücke nimmt. Sobald man ein Beispiel geben will, lässt man davon ab und geräth in den Fall eines Menschen, welcher sich nicht ohne Grund, sondern vielmehr aus einer Neigung, oder einer Leidenschaft, oder nach einem Urtheile bestimmt. Sobald man sagt: »Ich verachte den Ausspruch meiner Vernunft, nur weil es mir so beliebt und weil es mir gefällt, so zu verfahren,« so ist dies eben so viel, als wenn man sagte: Ich ziehe meine Neigung meinem Interesse, mein Belieben meinem Nutzen vor. 315. Man gliche dann einem eigensinnigen Menschen, der sich einbildete, es sei für ihn beschämend, wenn er dem Rathe seiner Freunde und Diener folge und welcher die Befriedigung, ihnen zu widersprechen, dem Nutzen vorzöge, den er aus deren Rath ziehen könnte. Indess kann es kommen, dass selbst ein weiser Mann unregelmässig und gegen sein Interesse handelt, um einen Andern, der ihn zwingen und regieren will, entgegen zu treten, oder um diejenigen irre zu führen, welche sein Benehmen beobachten. Es ist sogar mitunter gut, wenn man dem Brutus in dem Verbergen seiner Pläne nachahmt und selbst den Verrückten spielt, wie David es vor dem König der Philister that. 316. Herr Bayle fügt noch vieles Treffende bei, um zu zeigen, dass ein Handeln gegen das Urtheil des Verstandes eine grosse Unvollkommenheit sein würde. Er bemerkt (S. 225), dass selbst nach den Molinisten, der Verstand, welcher seine Obliegenheit gut erfülle, das zeige, was das Bessere sei. Er lässt Gott (Kap. 91, S. 227) unsern ersten Eltern im Paradiese sagen: »Ich habe euch ein Wissen, die Fähigkeit, über die Dinge zu urtheilen und die volle Gewalt über euern Willen gegeben. Ich werde euch Anweisungen und Befehle ertheilen; aber der freie Wille, den ich euch gewährt, ist von solcher Art, dass ihr (je nach der Gelegenheit) mir gehorchen, oder nicht gehorchen könnt. Man wird euch in Versuchung führen; wenn ihr dann einen guten Gebrauch von eurer Freiheit macht, so werdet ihr glücklich sein und wenn ihr einen schlechten Gebrauch von ihr macht, so werdet ihr unglücklich werden. Ueberlegt euch, ob ihr mich um eine neue Gnade bitten wollt, entweder dahin, dass ich euch gestatte, eure Freiheit zu missbrauchen, wenn ihr mit derselben einen Entschluss fasst, oder dahin, dass ich euch davon abhalte. Ueberlegt es euch wohl, ich gebe euch 24 Stunden Bedenkzeit. – Sehen sie nicht deutlich ein (fügt Herr Bayle hinzu), dass die Vernunft unserer Voreltern, welche durch die Sünde noch nicht verdunkelt war, sie beschliessen liess, Gott als den Gipfel der Gunst, womit er sie beehrt, zu bitten, nicht zu gestatten, dass sie sich in's Verderben durch den schlechten Gebrauch ihrer Kraft brächten? Und wäre Adam, wenn er durch ein falsches Ehrgefühl sich selbst zu leiten, die göttliche Leitung abgelehnt hätte, welche seine Glückseligkeit ihm bewahrt hätte, nicht das Original für die Phaetons und die Icarusse gewesen sein? Er wäre dann beinah so gottlos gewesen, wie der Ajax des Sophokles, welcher ohne den Beistand der Götter siegen wollte und sagte, dass nur die Grossthuer mit solchem Beistand ihre Feinde zur Flucht brächten.« 317. Herr Bayle zeigt auch (Kap. 80), dass man sich nicht minder glücklich schätzt oder vielmehr sich selbst mehr Beifall spendet, weil man von Oben unterstützt worden, als wenn man das Glück seiner eignen Wahl verdankt. Und wenn es glücklich abgeht, dass man einen verworrenen Instinkt der sich plötzlich erhoben, reiflich erwogenen Gründen vorgezogen habe, so fühle man darüber eine ausserordentliche Freude, denn man meint, dass entweder Gott, oder ein Engel oder ein ich weiss nicht was das man sich unter dem schwankenden Namen des Glücks vorstellt, uns dazu getrieben habe. So rühmten Sulla und Caesar in Wahrheit sich mehr ihres Glückes, wie ihres eigenen Benehmens. Die Heiden, und besonders deren Dichter (vor allem Homer), Hessen ihre Helden durch Einwirkungen der Götter bestimmt werden. Der Held der Aeneide schreitet nur vorwärts unter der Leitung eines Gottes. Es war ein feines Lob, wenn man den Kaisern sagte, dass sie siegten durch ihre Truppen und durch ihre Götter, welche sie ihren Generalen geliehen hätten. Te copias, te consilium et tuos praebente Deos, sagt Horaz. (Indem du die Truppen, den Rathschlag und deine Götter gewährtest.) Die Generale kämpften unter den Auspicien (den Weissagungen aus dem Vogelflug) der Kaiser, als wenn sie nur auf deren Glück sich verliessen, da die Auspicien nicht von den untergeordneten Offizieren gehandhabt werden konnten. Man rühmt sich der Gunst des Himmels, man schätzt es höher, glücklich, als geschickt zu sein. Es giebt keine Menschen, die sich für so glücklich halten, wie die Mystiker, welche glauben, dass sie ruhig sein können, weil Gott in ihnen handelt. 318. Uebrigens, sagt Herr Bayle Kap. 83, »ist ein stoischer Philosoph, welcher alles aus der Schicksalsnothwendigkeit ableitet, für die Freude einer guten Wahl eben so empfindlich, wie andere Leute. Jeder verständige Mensch hat durchaus keinen Gefallen an langen Ueberlegen, nach welchem er erst das beste und sittliche wählt, vielmehr ist es für ihn eine ungemeine Genugthuung, dass er sich so in der Liebe zur Tugend befestigt halten kann, um, ohne nur im geringsten zu zaudern, die Versuchungen abzuweisen. Ein Mann von dem man eine Handlung verlangt, die seiner Pflicht, Ehre und seinem Gewissen widerspricht und welcher auf der Stelle antwortet, dass er dessen nicht fähig sei und der in Wahrheit dazu sich nicht fähig fühlt, ist mehr mit sich zufrieden, als wenn einer sich Zeit zur Ueberlegung ausbäte, und einige Zeit über das, was er thun sollte, schwankte. Man ist oft ärgerlich, dass man über etwas nicht zum Entschluss kommen kann und man wäre froh, wenn der Rath eines Freundes oder eine Hülfe von Oben uns zu einer guten Wahl nöthigte.« Alles dies zeigt uns den Vorzug, welchen ein entschiedenes Urtheil über jene Unentschiedenheit hat, die uns in Ungewissheit lässt. Schliesslich habe ich hinreichend dargelegt, dass nur die Leidenschaft oder die Unwissenheit uns in Ungewissheit halten kann und dass deshalb Gott nie in einer solchen sich befindet. Je mehr man ihm sich nähert, um so vollkommener ist die Freiheit und um so mehr bestimmt sie sich durch das Gute und die Vernunft. Man wird immer die Gemüthsstimmung eines Cato, dem nach Vellejus eine ungerechte Handlung unmöglich war, der eines Menschen vorziehen, welcher schwanken kann. 319. Ich habe mit Vergnügen diese Ausführungen des Herrn Bayle gegen die unbestimmte Unentschiedenheit angeführt und unterstützt, theils um den Gegenstand aufzuklären, theils um ihm selbst entgegenzutreten, theils um zu zeigen, dass er die angebliche, Gott auferlegte Nothwendigkeit nicht beklagen sollte, wonach derselbe das möglichst Beste wählen muss; denn Gott muss entweder in einer unbestimmten Unentschiedenheit und wie es sich trifft handeln, oder er muss aus Eigensinn oder aus einer andern Leidenschaft handeln oder endlich aus einer überwiegenden Neigung der Vernunft folgen, die ihn zum Besten führt. Nun können aber Leidenschaften, welche von der verworrenen Wahrnehmung eines scheinbaren Guten entstehen, bei Gott nicht statt haben, und die unbestimmte Unentschiedenheit ist eine Chimäre; deshalb kann nur der stärkste Vernunftgrund die Wahl Gottes regeln. Es ist eine Unvollkommenheit unserer Freiheit, wonach wir das Schlechte statt des Guten wählen können, so wie auch ein grösseres Uebel statt eines leichtern und ein geringeres Gut statt eines grösseren. Dies kommt von dem Schein des Guten und Schlechten, der uns täuscht, während Gott immer zu dem wahren und grössten Gute neigt, d.h. zu dem unbedingt wahren Guten, dessen Erkenntniss ihm nicht abgeht. 320. Diese falsche Vorstellung von der Freiheit, welche jene sich bilden, die nicht zufrieden sind, sie, ich will nicht sagen vom Zwange, sondern sogar von der Nothwendigkeit auszunehmen, sondern sie auch von der Gewissheit und der Bestimmtheit ausnehmen möchten, d.h. von der Vernunft und der Vollkommenheit, hat einigen Scholastikern gefallen; Männern, die sich oft in ihre Spitzfindigkeiten verwickeln und das Stroh der Ausdrücke für das Korn der Dinge nehmen. Sie bilden sich einen chimärischen Begriff, aus dem sie vermeintlich Nützliches ableiten und den sie durch Künste zu vertheidigen suchen. Die vollständige Gleichgültigkeit ist solcher Art; bewilligt man sie dem Willen, so giebt man ihm ein Privilegium, dem ähnlich, was einige Cartesianer und Mystiker in der Natur Gottes finden, nämlich die Macht, das Unmögliche zu vollbringen, Unsinniges zu bewirken und zwei sich widersprechende Sätze zu gleichzeitig-wahren zu machen. Soll ein Entschluss aus einer unbedingt-gänzlichen Gleichgültigkeit hervorgehen, so müsste er naturgemäss aus Nichts hervorgehen. Man behauptet, dass dieser Entschluss von Gott nicht komme; er hat deshalb seine Quelle weder in der Seele noch im Körper, noch in den Umständen, weil dies alles als unbestimmt gilt und doch tritt der Entschluss ein; er ist da, ohne Vorbereitung, ohne Antrieb, ohne dass ein Engel und selbst Gott sehen und zeigen kann, wie er entsteht. Dies ist nicht blos ein Hervorgehen aus Nichts, sondern eines durch sich selbst. Diese Lehre führt etwas ebenso Lächerliches ein, wie die erwähnten Abweichungen der Atome von Epikur, nach welchem einer dieser kleinen, gerade ausgehenden Körper plötzlich von seinem Wege abweicht und zwar ohne Grund, blos weil der Wille es verlangt. Und nun halte man fest, dass Epikur dies nur zu Hülfe genommen, um jene angebliche Freiheit als volle Unbestimmtheit sich zu erhalten, deren Chimäre anscheinend sehr alt ist. Man kann mit Recht von ihr sagen: Chimaeram parit. (Die Chimäre erzeugt eine neue.) 321. Herr Marchetti hat dies sehr hübsch in seiner gereimten italienischen Uebersetzung des Lucrez dargestellt, die er noch nicht hat veröffentlichen wollen; die Stelle in Buch 2 lautet: »Aber wenn die Anfänge nicht im geringsten von ihrem geraden Wege abweichen, wer sieht da nicht, dass zuletzt all ihre Bewegungen sich wieder vereinen und dass aus dem Alten immer das Neue nach fester Ordnung entsteht, wenn nicht die Anfänge der Bewegung durch ihre Abweichung einen neuen Anfang begründen, welcher den Bund des Schicksals zerreisst und nicht Ursache auf Ursache in's Endlose folgen lässt. Deshalb, sage ich, besteht für die hier Lebenden der freie Wille, durch den wir wandeln, wohin jeden seine Lust führt; wir weichen dadurch ab in unsern Bewegungen und halten weder feste Zeiten noch feste Orte dabei ein, sondern so, wie jeden sein Sinn geleitet. In diesen Dingen herrscht unzweifelhaft der Wille eines Jeden und von ihm erhalten die Glieder ihre Bewegung.« Es ist komisch, dass ein Mann, wie Epikur, erst die Götter und alle unkörperlichen Substanzen beseitigt und dann sich einbilden kann, der Wille, den er selbst aus Atomen bildet, werde eine Macht über die Atome haben und sie von ihren Wegen abführen können, ohne dass er angeben kann, wie dies möglich sein soll. 322. Carneades hat, ohne auf die Atome zurückzugehen, gleich in der menschlichen Seele den Grund für die vermeintliche Unentschiedenheit finden wollen, indem er das sofort als Grund nahm, wofür Epikur erst den Grund aufsuchte. Carneades gewann damit nichts, nur konnte er die unaufmerksamem Leute leichter dadurch täuschen, indem er das Verkehrte von einer Sache, wo es zu offenbar war, auf eine andere übertrug, wo es leichter zu verhüllen war, d.h. vom Körper auf die Seele; denn die meisten Philosophen haben wenig deutliche Begriffe über die Seele. Epikur setzte sie aus Atomen zusammen und konnte allerdings mit Recht den Ursprung ihrer Bestimmtheit in dem suchen, was er für den Ursprung der Seele selbst hielt. Deshalb haben Cicero und Herr Bayle ihn mit Unrecht so hart getadelt, dagegen den Carneades davon ausgenommen, ja sogar denselben gelobt, obgleich er ebenso unvernünftig ist. Ich begreife nicht, wie der scharfsinnige Herr Bayle sich so sehr mit einer verdeckten Widersinnigkeit hat abfinden lassen können, so dass er dies für die grösst-mögliche That des menschlichen Geistes bei diesem Gegenstand erklärt; als wenn die Seele, der Sitz der Vernunft, wie ein Körper im Stande wäre, zu handeln, ohne dabei durch einen innern oder äussern Grund oder Ursache bestimmt zu werden; oder als wenn der grosse Grundsatz, dass nichts ohne Grund geschieht, sich blos auf die Körper bezöge. 323. Es ist richtig, dass die Form oder die Seele den Vorzug vor dem Stoffe hat; dass sie die Quelle ihres Handelns ist, indem sie in sich den Anfang der Bewegung oder des Wechsels hat; mit einem Wort, dass sie to autokinêton ist, wie Plato sie nennt (dass sich selbst Bewegende); während der Stoff nur leidend ist und eines Anstosses bedarf, um thätig zu werden. Agitur ut agat. (Er wird bewegt, damit er bewege.) Aber wenn die Seele durch sich selbst thätig ist (wie dies wirklich der Fall ist), so ist sie es eben dadurch, dass sie für das Handeln nicht durchaus gleichgültig sich verhält, wie der Stoff, und dass sie in sich etwas findet, wonach sie sich bestimmt. Nach dem System der vorherbestimmten Harmonie findet die Seele in sich selbst, und in ihrer idealen, ihrem Dasein vorgehenden Natur, die Gründe für ihr Sich-bestimmen und für alles, was sie umgeben wird, geregelt. Dadurch war sie von aller Ewigkeit ab in ihrem Zustande der reinen Möglichkeit zum freien Handeln so bestimmt, wie sie es dann in der Zeit wirklich ausführt, wenn sie zum Dasein gelangt. 324. Herr Bayle bemerkt selbst ganz richtig, dass die Freiheit des Unbestimmtseins (so, wie man sie zulassen muss) die Neigungen nicht ausschliesse und kein völliges Gleichgewicht verlange (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 139, S. 748 u. f.) und dass man die Seele mit einer Wage vergleichen könne, wo die Gründe und Neigungen die Gewichte vorstellen. Man kann nach ihm die Vorgänge bei unsern Entschliessungen in der Weise erklären, dass der menschliche Wille einer Wage in der Kühe gleiche, bei welcher die Gewichte in beiden Wagschalen gleich sind, und die sich immer bald auf diese Seite, bald auf die andere neigt, je nachdem die Schalen belastet werden. Ein neuer Grund macht das Gewicht schwerer; ebenso eine neue Vorstellung, die lebhafter fühlt als die alte; die Frucht vor einer grossen Strafe wiegt schwerer, als das Vergnügen; wenn zwei Leidenschaften sich den Platz streitig machen, so bleibt immer die stärkere der Meister, sofern die andere nicht durch die Vernunft oder eine andere hinzutretende Leidenschaft verstärkt wird. Wenn man die Waaren beim Sturm über Bord wirft, um sich das Leben zu retten, so ist die Handlung, welche die Schulen eine gemischte nennen, eine freiwillige und ohne Zwang; trotzdem siegt die Liebe zum Leben unzweifelhaft über die Liebe zu den Gütern. Der Kummer liegt in der Erinnerung an die verlorenen Güter und man hat um so mehr Mühe, sich zu entscheiden, je mehr die entgegengesetzten Gründe sich gleich stehen, so wie ja auch die Wagschale um so schneller sinkt, je grösser der Unterschied der Gewichte ist. 325. Da man indess oft verschiedene Wege einschlagen kann, so könnte man die Seele anstatt mit einer Wage, eher mit einer Kraft vergleichen, welche gleichzeitig nach mehreren Richtungen treibt, aber nur dahin gelangt, wo es ihr am leichtesten wird, oder wo sie den geringsten Widerstand findet. Wenn z.B. die Luft in einem Glase sehr stark zusammengepresst wird, so zerbricht sie es, um herauszugelangen. Sie drängt nach jedem Punkte des Glases, aber sie wirft sich zuletzt auf den schwächsten. So drängen auch die Neigungen die Seele nach allen Gütern, die sich ihr darbieten; es sind dies die vorhergehenden mehreren Willen, wo dann der aus ihnen sich ergebende nachfolgende Wille sich nach dem bestimmt, was am meisten reizt. 326. Dieses Uebergewicht unter den Neigungen hindert aber nicht, dass der Mensch sein Herr ist, wenn er nur versteht, von seiner Macht Gebrauch zu machen. Sein Reich ist das der Vernunft; er hat sich nur zeitig für den Widerstand gegen die Leidenschaften vorzubereiten; dann wird er selbst den Sturm der heftigsten hemmen können. Man nehme an, Augustus sei im Begriff den Befehl zur Hinrichtung des Fabius Maximus zu geben und er benutzt den ihm von einem Philosophen gegebenen Rath, das griechische Alphabet herzusagen, bevor er etwas in der Erregung seines Zornes thue. Diese Ueberlegung vermag das Leben des Fabius und den Ruhm des Augustus zu retten. Aber ohne eine glückliche Ueberlegung, die man mitunter einer ganz besondern göttlichen Güte verdankt, oder ohne eine im Voraus erworbene Geschicklichkeit, die, wie bei. Augustus, uns eine der Zeit und dem Orte angemessene Ueberlegung vornehmen lässt, wird die Leidenschaft den Sieg über die Vernunft davon tragen. Der Kutscher ist der Herr der Pferde, wenn er sie lenkt, wie er soll und kann; allein bei Gelegenheiten vernachlässigt er sich und dann muss er eine Zeit lang die Zügel schiessen lassen. Fertur equis auriga, nec audit currus habenas. (Der Kutscher wird von den Pferden fortgerissen und der Wagen folgt nicht den Zügeln.) 327. Man muss anerkennen, dass wir immer genügende Gewalt über unsern Willen haben, allein man denkt nicht immer an deren Anwendung. Dies ergiebt, wie ich wiederholt gesagt, dass die Macht der Seele über ihre Leidenschaften eine Macht ist, die nur in mittelbarer Weise geübt werden kann, ohngefähr wie Bellarmin wollte, dass die Päpste ein Recht über das Zeitliche der Könige haben sollten. In Wahrheit hängen die äusseren Handlungen, so weit sie nicht über unsere Kräfte gehen, unbedingt vom Willen ab, aber die einzelnen Wollen hängen von dem Willen nur mittelst gewisser geschickter Umwege ab, welche uns das Mittel, unsere Entschlüsse aufzuhalten oder zu ändern, gewähren. Wir sind die Herrn bei uns, aber nicht, wie Gott es in der Welt ist, der nur zu sprechen braucht; sondern so, wie ein weiser Fürst es in seinem Staate ist, oder wie es ein guter Handwerker über seine Dienstboten ist. Herr Bayle fasst es mitunter anders auf, als wenn es eine unbeschränkte Macht wäre, die von jenen Gründen und Mitteln ganz unabhängig wäre, die wir haben müssten, um uns der Freiheit des Willens rühmen zu können. Aber selbst Gott hat eine solche Macht nicht und soll sie in diesem Sinne über sein Wollen nicht haben. Er kann seine Natur nicht ändern und nur nach der Ordnung handeln; wie könnte da der Mensch sich plötzlich umwandeln? Ich habe es schon gesagt; das Reich Gottes, das Reich des Weisen ist das der Vernunft. Indess hat nur Gott stets das wünschenswertheste Wollen und deshalb braucht er keine Macht, um dieses zu ändern. 328. Wenn die Seele die Herrin bei sich ist (sagt Herr Bayle S. 753), so braucht sie nur zu wollen und es werden sofort die Noth und die Pein, welche dem Siege über die Leidenschaft anhängen, verschwinden. Für diese Wirkung würde es nach seiner Meinung genügen, für die Gegenstände der Leidenschaften sich eine Gleichgültigkeit zu geben (S. 758); aber warum thun die Menschen dies nicht (sagt er), wenn sie die Herrn bei sich sind? – Allein dieser Einwurf gleicht dem Falle, wo ich frage, weshalb der Familienvater sich nicht Gold gebe, wenn er es braucht? Er kann es erwerben, aber nur durch Geschicklichkeit, und nicht, wie zu den Zeiten der Feen oder des Königs Midas, durch einen blosen Befehl seines Willens oder durch eine blose Berührung. Man müsste dann nicht blos Herr bei sich sein, sondern Herr von allen Dingen, um alles sich zu geben, was man will, denn man findet nicht alles bei sich. Auch in der Arbeit bei sich muss man es so machen, wie in der Arbeit auf andere Dinge; man muss die Verfassung und die Eigenschaften seines Gegenstandes kennen, und danach seine Thätigkeit einrichten. Man bessert sich deshalb nicht und erwirbt einen bessern Willen nicht in einem Augenblick und durch einen einfachen Akt des Willens. 329. Es ist gut, wenn ich bemerke, dass die Noth und die Pein, welche den Sieg über die Leidenschaften begleiten, bei Manchem sich in Lust verwandeln, in Folge der grossen Zufriedenheit, welche sie in dem lebhaften Gefühl der Kraft ihres Geistes und der göttlichen Gnade finden. Die Aacetiker und wahren Mystiker können davon aus Erfahrung sprechen und selbst ein wahrer Philosoph weiss davon zu erzählen. Man kann diesen glücklichen Zustand erreichen und es ist dies eines der Hauptmittel, deren die Seele sich zur Befestigung ihrer Herrschaft bedienen kann. 330. Während die Scotisten und Molinisten die völlige Unbestimmtheit zu begünstigen scheinen (scheinen, sage ich, denn ich zweifle, ob sie es noch thun werden, wenn sie sie ganz kennen gelernt haben), sind die Thomisten und Anhänger des Augustinus für die Vorherbestimmung. Denn man muss nothwendig das eine oder das andere. Thomas von Aquino ist ein Schriftsteller, welcher alles ernstlich zu behandeln pflegt; der spitzfindige Scotus sucht ihm entgegenzutreten und verdunkelt oft die Sache, statt sie aufzuklären. Die Thomisten folgen gewöhnlich ihrem Meister, und lassen keine Selbstbestimmung der Seele zu, ohne irgend eine Vorherbestimmung, welche dazu beiträgt. Aber die Vorherbestimmung der neueren Thomisten kann nicht gerade die sein, welche man braucht. Durand de Saint Pourçain, welcher oft seine eigenen Meinungen hatte, und welcher gegen die einzelne Beihülfe Gottes war, ist doch für eine gewisse Vorherbestimmung eingetreten und hat angenommen, dass Gott aus dem Zustand der Seele und ihrer Umgebung den Grund der von ihm ausgebenden Bestimmung entnehme. 331. Die alten Stoiker haben hierbei den Thomisten ziemlich nahe gestanden; sie waren sowohl für das Bestimmt-werden, wie gegen die Nothwendigkeit; obgleich man ihnen nachgesagt hat, dass sie alles für nothwendig erklärten. Cicero sagt in seinem Buche über das Fatum, dass Democrit, Heraclid, Empedocles, Aristoteles angenommen hätten, das Schicksal bestimme mit Nothwendigkeit, dass aber Andere dem entgegengetreten (wahrscheinlich meint er Epikur und die Akademiker) und dass Chrysipp einen Mittelweg eingeschlagen. Ich glaube, dass Cicero sich über Aristoteles täuscht, welcher den Zufall und die Freiheit sehr gut erkannt hat und selbst zu weit geht, wenn er sagt (ich glaube aus Unaufmerksamkeit), dass die Sätze über das kommende Zufällige keine bestimmte Wahrheit an sich hätten, in welchem Punkte er mit Recht von den meisten Scholastikern verlassen worden ist. Selbst Cleanthes, der Lehrer von Chrysipp, war nur für die bestimmte Wahrheit der kommenden Ereignisse, aber leugnete deren Nothwendigkeit. Wenn die Scholastiker, welche so richtig von dieser Bestimmtheit der kommenden zufälligen Ereignisse überzeugt waren (z.B. die Patres von Coimbra, die Verfasser eines berühmten Lehrbuchs der Philosophie), die Verbindung der Dinge, wie das System der allgemeinen Harmonie sie darlegt, gekannt hätten, so würden sie eingesehen haben, dass man die vorgehende Gewissheit, oder die Bestimmtheit des Kommenden nicht zugestehen kann, wenn man nicht eine Vorherbestimmung der Sache durch ihre Ursachen und Gründe anerkennt. 332. Cicero hat versucht, den Mittelweg des Chrysipp uns zu erklären; allein Justus Lipsius bemerkt in seiner Philosophie der Stoiker, dass die Stelle bei Cicero verstümmelt sei und dass Aulus Gellius uns die Ansicht des stoischen Philosophen vollständig erhalten habe (Attische Nächte, Buch 6, Kap. 2), welche abgekürzt lautet: Das Schicksal ist die unvermeidliche und ewige Verknüpfung aller Ereignisse. Man entgegnet, dass dann die Willenshandlungen nothwendig wären, und dass die Verbrecher dann zu ihrer That gezwungen seien und daher nicht gestraft werden dürften. Chrysipp antwortet, dass das Schlechte von der ersten Verfassung der Seelen komme, welche ein Theil der durch das Schicksal bestimmten Reihe des Geschehens sei, dass die von Natur gut eingerichteten Seelen den äusseren Ursachen bessern Widerstand leisten, aber dass die, deren natürliche Fehler durch die Zucht nicht verbessert worden, sich verführen liessen. Er unterscheidet dann weiter (nach Cicero) zwischen Haupt- und Nebenursachen und gebraucht das Gleichniss mit einem Cylinder, dessen Beweglichkeit und Schnelligkeit, oder Leichtigkeit der Bewegung hauptsächlich von seiner Gestalt herkomme, während er sich langsamer bewegen würde, wenn er uneben wäre. Trotzdem muss er angestossen werden, und ebenso muss es die Seele durch Gegenstände der Sinne und sie empfängt diese Eindrücke der Verfassung gemäss, in der sie sich befindet. 333. Cicero meint, dass Chrysipp sich so verwickele, dass er wohl oder übel die Nothwendigkeit des Schicksals bestätige. Herr Bayle hat so ziemlich die gleiche Ansicht (Wörterbuch, Artikel Chrysipp, Buchst. H). Er sagt, dass dieser Philosoph aus der Klemme nicht herauskomme, weil der Cylinder nur glatt oder rauh sei, je nachdem der Meister ihn gemacht habe; also werde Gott, die Vorsehung, das Schicksal, die Ursache des Uebels in einer Weise sein, welche dasselbe zu einem nothwendigen mache. Justus Lipsius antwortet, dass nach den Stoikern das Uebel von dem Stoffe komme; das ist (nach meiner Ansicht) so viel, als hätte er gesagt, dass der Stein, auf welchem der Handwerker gearbeitet, manchmal zu grob und ungleich sei, als dass ein guter Cylinder dar auf gearbeitet werden könnte. Herr Bayle citirt gegen Chrysipp die Fragmente von Onomäus und Diogenianus, welche Eusebius uns in seiner evangelischen Vorbereitung erhalten hat (Buch 6, Kap. 7 u. 8) und hauptsächlich stützt sich Herr Bayle auf die Widerlegung, welche Plutarch in seinem Buche gegen die Stoiker gegeben und die Herr Bayle in dem Artikel Paulinianer, Buchst. G aufgenommen hat. Allein diese Widerlegung will nicht viel sagen. Plutarch meint, dass es besser wäre, Gott die Macht zu nehmen, als dass man annehme, er gestatte das Uebel; er will nicht zugeben, dass das Uebel das Mittel für ein grösseres Gut sein könne, während ich schon dargelegt habe, dass Gott allmächtig bleiben kann, wenn er auch nicht mehr thun könne, als das Beste zu erschaffen, welches die Gestattung des Uebels mit sich führt. Ich habe bereits wiederholt gezeigt, dass das für einen Theil Unangemessene dennoch zur Vollkommenheit des Ganzen beitragen kann. 334. Chrysipp hatte schon etwas der Art nicht blos in seinem vierten Buche über die Versehung bei Aulus Gellius erwähnt (Buch 6, Kap. 1), wo er sagt, dass das Uebel dazu diene, das Gute zu erkennen (welcher Grund hier nicht zureicht) aber es geschieht von ihm noch besser da, wo er das Gleichniss mit einem Theaterstück benutzt, indem er in seinem 2. Buche über die Natur (wie Plutarch selbst berichtet) sagt, dass mitunter Stellen in einem Lustspiele vorkommen, die an sich nichts taugen, aber trotzdem dem ganzen Gedicht etwas Gefälliges geben. Er nennt diese Stellen Epigramme oder Inschriften. Wir kennen die Natur der alten Comödie nicht genug, um diese Angaben bei Chrysipp ganz zu verstehen, aber da Plutarch im Thatsächlichen ihm Recht giebt, so würde dieses Gleichniss nicht übel gewesen sein. Plutarch antwortet erstens: Die Welt sei nicht wie ein dem Vergnügen dienendes Schauspiel; allein dies ist eine schlechte Antwort, da die Vergleichung blos den Punkt betrifft, dass ein schlechter Theil das Ganze besser machen kann. Er antwortet zweitens, dass diese schlechte Stelle nur ein kleiner Theil der Comödie sei, während das menschliche Leben von Uebeln wimmle. Auch diese Antwort will nichts sagen, weil er bedenken musste, dass was wir kennen, doch nur ein sehr kleiner Theil der ganzen Welt ist. 335. Ich komme indess auf den Cylinder des Chrysipp zurück. Er hat Recht, wenn er sagt, dass das Laster von der ursprünglichen Verfassung einiger Geister herkomme. Man entgegnet ihm, dass aber Gott sie geschaffen habe, und dagegen hat er nur auf die Unvollkommenheit der Natur sich berufen, die es Gott nicht gestattet, es besser zu machen. Diese Erwiderung ist nichts werth, weil der Stoff an sich für jede Form gleichgültig ist und Gott auch ihn geschaffen hat. Das Uebel kommt vielmehr von diesen Formen selbst, aber abstrakt aufgefasst, d.h. nicht von den Ideen Gottes, die er so wenig durch einen Akt seines Willens geschaffen hat, wie die Zahlen und Gestalten und so wenig (mit einem Wort) wie alle möglichen Wesenheiten, die man für ewig und nothwendig halten muss. Denn sie finden sich in der idealen Region des Möglichen, d.h. in dem göttlichen Verstande. Gott ist deshalb nicht der Urheber der Wesenheiten, insofern sie nur Möglichkeiten sind; aber es giebt nichts Wirkliches, dessen Dasein er nicht beschlossen und geschaffen hat. Das Uebel hat er gestattet, weil es in dem besten Plan mit eingehüllt ist, der in der Region des Möglichen sich findet und welchen die höchste Weisheit nicht umhin konnte zu wählen. 336. Selbst Herr Bayle lobt die Stelle bei Chrysipp (Artik. Chrysipp, Buchst. T), welche Aulus Gellius an demselben Orte bietet, wo dieser Philosoph behauptet, dass das Uebel durch Mitbegleitung gekommen sei. Auch dies erklärt sich durch mein System; denn ich habe gezeigt, dass das Uebel, was Gott zugelassen hat, kein Gegenstand seines Wollens gewesen, weder als Zweck, noch als Mittel, sondern nur als Bedingung, weil es in dem Besten mit eingehüllt war. Er hätte erstens hinzufügen müssen, dass durch die freie Wahl Gottes Einiges von dem Möglichen wirklich ist und zweitens, dass auch die vernünftigen Geschöpfe frei handeln, in Folge ihrer ursprünglichen Natur, wie sie bereits in den ewigen Ideen bestand und endlich dass das Gute als Motiv den Willen reizt, aber nicht zwingt. 337. Die Vorzüge der Freiheit, die bei den Geschöpfen besteht, sind ohne Zweifel bei Gott im höchsten Grade vorhanden, allein doch nur, so weit sie wahrhaft Vorzüge sind und nicht eine Unvollkommenheit zur Voraussetzung haben. Denn die Fähigkeit, sich zu täuschen und zu verirren, ist ein Nachtheil und die Herrschaft über die Leidenschaften, ist in Wahrheit ein Vortheil, aber er setzt eine Unvollkommenheit voraus, nämlich die Leidenschaften selbst, deren Gott nicht fällig ist. Scotus hat Recht, wenn er sagt, dass wenn Gott nicht frei und von der Nothwendigkeit entbunden wäre, auch kein Geschöpf es sein würde. Allein Gott kann nicht in irgend einem Punkte unbestimmt sein; er kann weder nicht-wissen noch zweifeln, noch sein Urtheil anhalten; sein Wille ist immer gefasst und er kann nur für das Beste gefasst sein. Gott kann niemals einen ersten einzelnen Willen haben, d.h. der von den Gesetzen und dem allgemeinen Willen unabhängig wäre; ein solcher wäre unvernünftig. Er kann sich nicht über Adam, über Peter, über Judas, über irgend einen Einzelnen bestimmen, ohne einen Grund dafür zu haben und dieser Grund führt nothwendig zu einem allgemeinen Ausspruch. Der Weise handelt immer nach Grundsätzen, immer nach Regeln und nie nach Ausnahmen, ausser wenn die Regeln mit entgegengesetzten Richtungen auf einander treffen, wo die stärkste entscheidet, weil ohnedem sie sich gegenseitig hemmen würden, oder ein Drittes daraus hervorgehen würde. In all diesen Fällen ist es immer wieder eine Regel, welche die Ausnahme für die andere Regel begründet, ohne dass es jemals ursprüngliche Ausnahmen bei Demjenigen giebt, welcher immer regelmässig handelt. 338. Wenn gewisse Leute meinen, dass die Erwählung und Verwerfung von Seiten Gottes vermöge einer unbedingten, despotischen Gewalt geschehe, nicht blos ohne scheinbaren Grund, sondern in Wahrheit ohne allen, selbst ohne einen verborgenen Grund, so ist dies eine Ansicht, welche ebenso die Natur der Dinge wie die göttlichen Vollkommenheiten zerstört. Ein solcher unbedingt unbedingter Beschluss (so zu sagen) wäre ohne Zweifel unerträglich; auch Luther wie Calvin waren weit davon entfernt; der erstere meint, das zukünftige Leben werde uns die gerechten Gründe der Auswahl Gottes begreifen lassen und der zweite versichert ausdrücklich, dass diese Gründe gerechte und heilige seien, wenn wir sie auch nicht kennten. Ich habe daher schon die Abhandlung Calvin's über die Vorherbestimmung angeführt, deren eigne Worte lauten: »Gott hatte vor dem Fall Adam's überlegt, was er zu thun habe, und zwar aus Gründen, die uns verborgen sind ... Es bleibt also dabei, dass Gott gerechte Ursachen für die Verwerfung eines Theiles der Menschen gehabt hat, die wir nur nicht kennen.« 339. Diese Wahrheit, dass alles, was Gott thue, vernünftig sei und nicht besser gemacht werden könne, ergreift sogleich alle Gutgesinnten und erzwingt sich gleichsam deren Beistimmung. Trotzdem ist es ein Schicksal der scharfsinnigsten Philosophen, dass sie in der Hitze und dem Fortgange des Streites, ohne daran zu denken, die obersten Grundsätze des gesunden Verstandes zu erschüttern anfangen, weil sie in Worte gehüllt sind, die man missversteht. Wir haben oben gesehen, wie der ausgezeichnete Herrn Bayle mit all seinem Scharfsinn, den von mir erwähnten Satz, welcher eine sichere Folge von der höchsten Vollkommenheit Gottes ist, wiederholt bekämpft. Er hat gemeint, damit die Sache Gottes zu vertheidigen und ihn von einer vermeintlichen Notwendigkeit zu befreien, indem er ihm die Freiheit lässt, wonach er unter mehreren Gütern auch das Geringste wählen kann. Ich habe schon den Herrn Diroys und Andere erwähnt, welche auch von solcher sonderbaren Meinung gewesen sind, die leider zu verbreitet gewesen ist. Ihre Vertheidiger bemerken nicht, dass sie damit Gott eine falsche Freiheit bewahren, oder vielmehr ihm beilegen wollen, welche in der Freiheit unvernünftig zu handeln besteht. Dies heisst, seine Werke verbesserungsbedürftig machen, und versetzt uns in die Unmöglichkeit, etwas vernünftiges für die Gestattung des Uebels zu sagen, ja selbst nur zu hoffen, etwas vernünftiges zu finden. 340. Diese verkehrte Ansicht hat den Ausführungen des Herr Bayle viel geschadet und ihn gehindert, sich aus mancher Verlegenheit zu ziehen. Dies zeigt sich auch bei den Gesetzen für das Reich der Natur. Er hält sie für willkürlich und gleichgültig und wirft ein, dass Gott sein Ziel im Reich der Gnade hätte besser erreichen können, wenn er sich nicht an die Beobachtung dieser Gesetze gehalten hätte und sich öfters eine Abweichung von denselben gestattet hätte, oder wenn er andere gemacht hätte. Er nahm dies vorzüglich für das Gesetz an, welches die Einheit der Seele mit dem Körper bestimmt, da er mit den modernen Cartesianern überzeugt ist, dass die Vorstellungen der sinnlichen Eigenschaften, welche Gott (nach ihnen) der Seele bei Gelegenheit der Bewegungen des Körpers giebt, diese Bewegungen nicht darstellen oder ihnen ähnlich sind. Danach ist es also rein willkürlich, dass Gott uns die Vorstellung der Hitze, der Kälte, des Lichts und anderer, welche wir erfahren, gegeben hat; er hätte uns bei dieser Gelegenheit auch ganz andre geben können. Ich habe mich oft gewundert, dass so kluge Männer an Gedanken haben Geschmack finden können, die so wenig philosophisch sind und den fundamentalen Grundsätzen der Vernunft widersprechen. Nichts zeigt mehr das Unvollendete eines Philosophen, als wenn er einräumen muss, dass etwas nach seinem System vorgeht, wofür es keinen Grund giebt; dann haben auch die Abweichungen der Atome des Epikur ihr Recht. Mag Gott oder die Natur wirken, so wird diese Wirksamkeit immer ihren Grund haben. Bei der Natur werden diese Gründe entweder aus nothwendigen Wahrheiten oder aus Gesetzen, welche Gott für die vernünftigsten befanden hat, hervorgehen und bei Gott aus der Wahl der höchsten Vernunft, welche sein Handeln bestimmt. 341. Der berühmte Cartesianer Regis hatte in seiner Metaphysik (Thl. 2, Buch 2, Kap. 29) behauptet, dass die Fähigkeiten, welche Gott dem Menschen verliehen, die besten gewesen, die in Gemässheit der Ordnung der Natur Gott habe gewähren können. Er sagt: »Betrachtet man die Macht Gottes und die Natur der Menschen nur an ihnen selbst, so kann man leicht annehmen, dass Gott den Menschen hätte vollkommener machen können; betrachtet man aber die Menschen nicht für sich und getrennt von den übrigen Geschöpfen, sondern als ein Glied des Universum's, und als einen Theil, welcher den allgemeinen Gesetzen der Bewegung unterworfen ist, so wird man anerkennen müssen, dass der Mensch so vollkommen, wie möglich ist.« Er fügt hinzu, dass nach unsern Begriffen Gott kein passenderes Mittel für die Erhaltung unseres Körpers habe anwenden können, als den Schmerz. Herr Regis sagt im Allgemeinen ganz richtig, dass Gott es nicht habe besser machen können, als er es gethan, wenn er auf das ganze Rücksicht genommen. Wenn es auch anscheinend an manchen Orten des Universum's vollkommnere vernünftige Geschöpfe, als die Menschen geben möge, so habe doch Gott Recht gehabt, wenn er alle Arten von Wesen geschaffen habe; die einen vollkommner, als die andern. Es ist vielleicht möglich, dass es irgendwo eine Art von Geschöpfen giebt, die dem Menschen sehr ähnlich sind, welche aber vollkommner als wir sind; ja das menschliche Geschlecht kann mit der Zeit zu einer grössern Vollkommenheit gelangen, als wir uns jetzt vorstellen können. So hindern also die Gesetze der Bewegung nicht die höhere Vollkommenheit der Menschen, aber der Platz, welchen Gott dem Menschen in Raum und Zeit angewiesen hat, beschränkt die ihm zu ertheilenden Vollkommenheiten. 342. Ich zweifle auch mit Herrn Bayle, ob der Schmerz nöthig gewesen, um den Menschen von der Gefahr zu benachrichtigen; indess geht dieser Schriftsteller zu weit (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 77, Thl. 2, S. 104); er meint, eine Lustempfindung könnte dieselbe Wirkung haben und um ein Kind vor der zu grossen Annäherung an das Feuer zu schlitzen, hätte Gott ihm die Empfindungen des Vergnügens nach Massgabe von dessen Entfernung vom Feuer beilegen können. Indess dürfte dieses Mittel nicht wohl für alle Uebel anwendbar sein, wenn man nicht noch Wunder hinzunimmt; es ist mehr in der Ordnung, dass das, was in zu grosser Nähe ein Uebel bewirken würde, bei einer geringen Entfernung ein Vorgefühl des Uebels veranlasse. Indess könnte allerdings dieses Vorgefühl etwas schwächer als der Schmerz sein und gewöhnlich ist dies auch der Fall. Deshalb scheint in der That der Schmerz zur Verminderung der gegenwärtigen Gefahr nicht nothwendig; er pflegt vielmehr als eine Züchtigung dafür zu dienen, dass man sich wirklich mit dem Schlechten eingelassen hat und als eine Ermahnung dies nicht wieder zu thun. Es giebt auch viele schmerzliche Uebel, deren Vermeidung nicht von uns abhängt, und da eine Auflösung des Zusammenhanges unseres Körpers, eine Folge von vielen Zufallen, die uns treffen, sein kann, so ist es natürlich, dass diese Unvollkommenheit des Körpers durch ein Gefühl der Unvollkommenheit in der Seele dargestellt werde. Indess mag es vielleicht lebende Wesen in dem Universum geben, deren Bau so künstlich ist, dass diese Auflösung nur von einem gleichgültigen Gefühle begleitet ist, so wie, wenn man ein angefressenes Glied abschneidet; ja es kann vielleicht mit einer Empfindung von Vergnügen begleitet sein, wie man es bei dem Kratzen empfindet; denn die Unvollkommenheit, welche die Auflösung des Körpers begleitet, könnte dem Gefühle einer grössern Vollkommenheit weichen, welches durch die Stetigkeit des Körpers gehemmt oder aufgehalten wurde, die nun aufhört. Der Körper würde in dieser Hinsicht als eine Art Gefängniss anzusehen sein. 343. Auch hindert nichts, dass es in dem Universum lebende Wesen giebt, welche denen gleichen, die Cyrano de Bergerae in der Sonne antraf, deren Körper eine Art Flüssigkeit war, die aus unzähligen kleinen Thieren bestand, die sich nach den Wünschen des grossen Thieres ordnen konnten. Letzteres verwandelte sich dadurch momentan, wie es ihm beliebte und die Auflösung des Zusammenhanges schadete ihm so wenig, als ein Ruderschlag dem Meere. Aber zuletzt sind diese Geschöpfe keine Menschen und in unserem Jahrhundert nicht auf unserer Erde und nach dem Plane Gottes konnte hienieden ein vernünftiges Geschöpf mit Fleisch und Knochen nicht fehlen, dessen Bau es für den Schmerz empfänglich macht. 344. Herr Bayle stellt sich dem auch aus einem andern, von mir schon berührten Grunde entgegen. Er hält anscheinend die Vorstellungen der Seele, welche sie in Bezug auf die Empfindungen des Körpers fasst, für willkürlich; also konnte Gott es auch so einrichten, dass die Auflösung des Zusammenhanges uns Vergnügen bereitete. Nach ihm sind selbst die Gesetze der Bewegung willkürlich. Er sagt (Kap. 166, Thl. 3, S. 1080): »Ich möchte wissen, ob Gott durch einen Akt seiner unbestimmten Freiheit die allgemeinen Gesetze über Mittheilung der Bewegung und die besonderen Gesetze für die Verbindung der menschlichen Seele mit einem organischen Körper aufgerichtet hat? In diesem Falle konnte er ganz andere Gesetze aufstellen und ein System annehmen, dessen Folgen weder das moralische, noch das physische Uebel einschlössen. Soll aber Gott durch seine höchste Weisheit zur Aufrichtung der Gesetze, welche er gegeben hat, gezwungen gewesen sein, so haben wir das reine und volle Fatum der Stoiker. Die Weisheit hätte Gott einen Weg vorgezeichnet, von dem abzuweichen ihm ebenso unmöglich war, als sich selbst zu vernichten.« – Dieser Einwurf ist schon genügend widerlegt worden; es handelt sich hier nur um eine moralische Nothwendigkeit und es bleibt immer eine glückliche Nothwendigkeit, wenn man gezwungen ist, nach den Regeln der vollkommenen Weisheit zu handeln. 345. Uebrigens scheint mir die Meinung, wonach die Gesetze der Bewegung für willkürliche gehalten werden, nur daher zu kommen, dass man sie nicht gehörig untersucht hat. Man weiss gegenwärtig, dass Herr Descartes in deren Aufstellung sich sehr geirrt hat. Ich habe in beweisender Form dargelegt, dass die Erhaltung der gleichen Menge von Bewegung nicht statt haben kann, aber ich finde, dass dieselbe Menge von Kraft sich erhält, sowohl unbedingt in gerader, wie in mittelbarer Beziehung, sowohl als ganze, wie getheilte. Ich habe meine Grundsätze, die diesen Gegenstand so weit als möglich entwickeln, noch nicht ganz veröffentlicht, aber ich habe sie Freunden mitgetheilt, die darüber zu urtheilen sehr fähig sind, und diesen haben sie sehr gefallen, auch haben diese einige andere Männer von Kenntnissen und anerkanntem Verdienst bekehrt. Ich habe gleichzeitig entdeckt, dass die in der Natur sich thatsächlich findenden Gesetze der Bewegung auch durch die Erfahrung bestätigt werden, dass aber dieselben in Wahrheit nicht so unbedingt beweisbar sind, wie ein geometrischer Lehrsatz; indess ist dies auch nicht nöthig. Sie entspringen nicht gänzlich aus dem Prinzip der Nothwendigkeit, wohl aber aus dem der Vollkommenheit und Ordnung; sie sind eine Wirkung der Wahl und Weisheit Gottes. Ich kann diese Gesetze auf mehrere Arten beweisen, allein ich muss dabei immer etwas voraussetzen, was keine unbedingte geometrische Nothwendigkeit hat. Es sind also diese schönen Gesetze ein wunderbarer Beweis für ein einsichtiges und freies Wesen und ein Beweis gegen das System einer unbedingten und blinden Nothwendigkeit von Straton und Spinoza. 346. Ich glaube, dass man diese Gesetze erklären kann, wenn man annimmt, dass die Wirkung immer der Ursache an Kraft gleich sei, oder was dasselbe ist, dass dieselbe Kraft sich immer erhalte; allein dieser Grundsatz einer höheren Philosophie wird sich nicht geometrisch beweisen lassen. Man kann auch Grundsätze gleicher Natur benutzen, z.B. den, dass die Aktion der Reaktion immer gleich sei. Dieser Grundsatz setzt voraus, dass die Dinge jeder äussern Veränderung widerstreben und er kann weder aus der Ausdehnung noch aus der Undurchdringlichkeit abgeleitet werden; ferner der Grundsatz, dass eine einfache Bewegung dieselben Eigenschaften hat, welche eine zusammengesetzte Bewegung haben könnte, die dieselben Erscheinungen der Uebertragung hervorbrächte. Diese Hypothesen sind sehr annehmbar und es gelingt damit die Erklärung der Gesetze der Bewegung sehr gut; es giebt nichts passenderes, zumal sie sich gegenseitig begegnen; allein es giebt keine unbedingte Nothwendigkeit für deren Annahme, wie dies bei den Regeln der Logik, der Arithmetik und Geometrie statt hat. 347. Wenn man die Gleichgültigkeit des Stoffes für Bewegung oder Ruhe erwägt, so scheint es, dass der grösste Körper in Ruhe durch den kleinsten bewegten Körper ohne Widerstand mitgenommen werden könnte; in solchem Falle gäbe es dann eine Wirkung ohne Gegenwirkung und eine Wirkung die grösser wäre, als ihre Ursache. Es giebt auch keine Nothwendigkeit dafür, dass die Bewegung einer Kugel, die sich frei auf einer glatten Ebene bewegt und zwar mit einer Schnelligkeit gleich A die Eigenschaften der Bewegung einer solchen haben müsse, die weniger schnell sich in einem Schiffe bewegte, was nach derselben Richtung mit dem übrigen Theil der Schnelligkeit führe, um zu bewirken, dass die Kugel, vom Ufer gesehen, sich mit derselben Schnelligkeit A fortbewegte; denn wenn hier auch dieselbe Erscheinung von Schnelligkeit und Richtung mittelst des Schiffes sich ergiebt, so folgt doch nicht, dass dieser Fall sachlich dem erstem gleich sei. Indess findet man, dass die Wirkungen des Zusammentreffens von Kugeln in dem Schiff, bei denen die Bewegung einer jeden sich mit der Bewegung des Schiffes verbindet, auch dieselben Erscheinungen zeigen, welche diese Kugeln bei ihrem Zusammentreffen ausserhalb des Schiffes ergeben. Es ist dies interessant, aber man sieht die unbedingte Nothwendigkeit dessen nicht ein. Die vereinte Bewegung in den Richtungen der beiden Seitenlinien des rechtwinkeligen Dreiecks bringt eine Bewegung in der Hypothenuse zu Stande, aber es folgt daraus nicht, dass eine in der Richtung der Hypothenuse bewegte Kugel dieselbe Wirkung hervorbringen muss, wie zwei Kugeln, die zusammen so gross wie jene sind und die sich beide auf den beiden Seitenlinien bewegen; dennoch ist dies wirklich der Fall. Es giebt nichts Passenderes, als diese Thatsache und Gott hat die Gesetze ausgewählt, welche sie hervorbringen, allein man sieht bei denselben keine geometrische Nothwendigkeit. Aber gerade dieses Fehlen der Nothwendigkeit erhebt die Schönheit der Gesetze, welche Gott ausgewählt hat, und bei denen sich mehrere schöne Grundsätze vereinigt zeigen, ohne dass man sagen kann, welcher der ursprünglichere sei. 348. Ich habe auch gezeigt, dass sich hier das schöne Gesetz der Stetigkeit beobachten lässt, was ich vielleicht zuerst aufgestellt habe und welches eine Art von Probirstein ist, bei dem die Regeln des Herrn Descartes, Fabig, Pardies, Malebranche und Anderer die Probe nicht bestehen würden, wie ich zum Theil früher in den Neuigkeiten aus der Gelehrten-Republik des Herrn Bayle gezeigt habe. In Folge dieses Gesetzes kann man die Ruhe als eine Bewegung ansehen, die erlischt, nachdem sie stetig abgenommen hat; ebenso die Gleichheit, wie eine erlöschende Ungleichheit, was selbst bei den zwei grössten ungleichen Körpern bei deren stetiger Verminderung eintreten würde, wenn der kleinere seine Grösse beibehält. Es ergiebt sich daraus, dass die allgemeine Regel der ungleichen oder der bewegten Körper, sich auch auf gleiche Körper anwenden lässt, oder auf Körper, von denen einer in Ruhe ist, als wäre dies nur ein einzelner Fall der allgemeinen Regel. Bei den wahrhaften Gesetzen der Bewegung gelingt dies auch; aber nicht bei einigen der Gesetze, welche Herr Descartes und andere gewandte Männer aufgestellt haben, und die schon dadurch sich als unrichtig aufgestellt ergeben, dass man voraussagen kann, dass die Erfahrung sie nicht bestätigen werde. 349. Diese Betrachtungen zeigen deutlich, dass die Naturgesetze, welche die Bewegung regeln, wede gänzlich nothwendig, noch gänzlich willkürlich sind und die demnach zu nehmende Mitte ist, dass sie von der vollkommensten Weisheit ausgewählt sind. Auch zeigt dieses wichtige Beispiel mit den Bewegungsgesetzen auf das deutlichste den grossen Unterschied zwischen den drei Fällen, von denen der erste die unbedingte metaphysische oder geometrische Nothwendigkeit ist, welche man die blinde nennen kann und welche nur von wirkenden Ursachen abhängt; der zweite Fall ist die moralische Nothwendigkeit, welche von der freien Wahl der Weisheit in Bezug auf die Zweckursachen herkommt und endlich der dritte Fall, das durchaus Willkürliche, was von der Unbestimmtheit oder dem Gleichgewicht abhängt, welches man annimmt, aber was nicht möglich ist, da es immer einen zureichenden Grund entweder in der wirkenden, oder Zweck-Ursache geben muss. Deshalb ist es sehr Unrecht, wenn man das unbedingt Nothwendige mit dem verwechselt, was durch den Grund des Besten bestimmt ist, oder wenn man die von der Vernunft bestimmte Freiheit mit einer unbestimmten Gleichgültigkeit verwechselt. 350. Dies erledigt auch das Bedenken des Herrn Bayle, welcher fürchtet, dass, wenn Gott immer bestimmt sei, die Natur seiner nicht bedürfte, weil sie dasselbe, was ihm zugeschrieben wird, durch die nothwendige Ordnung der Dinge selbst bewirken könne. Dies wäre richtig, wenn z.B. die Gesetze der Bewegung und alle übrigen ihre Quelle in der geometrischen Nothwendigkeit der wirkenden Ursachen hätten; allein an den letzten Punkten der Untersuchung findet sich, dass man auf etwas zurückgehen muss, was von den Zweck-Ursachen oder dem Angemessenen abhängt. Dies erschüttert auch die scheinbarste Grundlage der Naturphilosophen. Der Doktor Johann Joachim Becher, ein deutscher Arzt, auch durch Bücher über Chemie bekannt, hatte ein Gebet gemacht, welches ihm zweckmässig erschien. Es begann: O heilige Mutter Natur, Du ewige Ordnung der Dinge; und es schloss mit dem Satze, dass diese Natur ihm seine Fehler verzeihen möchte, weil sie selbst deren Ursache sei. Allein wenn man die Natur ohne Einsicht und ohne ein Wählen annimmt, so fehlt das genügende Bestimmende. Herr Becher erwog nicht genug, dass der Urheber der Dinge (Natura naturans) gut und weise sein muss, und dass wir schlecht werden können, ohne dass er an unsern Schlechtigkeiten ein Mitschuldiger ist. Wenn ein böser Mensch vorhanden ist, so muss Gott in dem Gebiete des Möglichen die Vorstellung eines solchen angetroffen haben, welcher zur Folge der Dinge gehört und dessen Wahl zur grössten Vollkommenheit des Universum's nöthig war, in welchen die Fehler und Sünden nicht blos bestraft, sondern auch mit Vortheil wieder ausgeglichen werden und zu dem grössten Gute mit beitragen. 351. Indess hat Herr Bayle die freie Wahl Gottes ein wenig zu weit ausgedehnt. Bei seiner Besprechung des Peripatetikers Straton (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 180, S. 1239, Thl. 3), welcher behauptete, dass alles aus der Notwendigkeit einer verstandslosen Natur hervorgegangen sei, meint er, dass dieser Philosoph auf die Frage: Weshalb ein Baum nicht die Kraft zur Bildung von Knochen und Adern habe, von seiner Seite hätte fragen sollen: »Weshalb hat der Stoff gerade drei Ausdehnungen, weshalb haben ihm zwei nicht genügt, weshalb hat er deren nicht vier? Und hätte man ihm geantwortet, dass er nicht mehr als drei Ausdehnungen haben könne, so hätte er nach der Ursache dieser Unmöglichkeit fragen können.« Nach dieser Antwort muss man annehmen, Herr Bayle habe gemeint, dass die Zahl der Ausdehnungen des Stoffes von der Wahl Gottes abgehangen habe, so wie es auch von ihm abgehangen, zu machen oder nicht zu machen, dass die Bäume Thiere hervorbrächten. In der That, wir wissen nicht, ob es nicht Planeten oder Erden giebt, welche in einem entfernten Orte der Welt belegen sind und wo die Fabel des Bernacles von Schottland (ein Vogel, der aus Bäumen entstehen sollte) nickt eine Wahrheit ist und ob es nicht sogar Länder giebt, von denen man sagen kann: populos umbrosa creavit Fraxinus, et föta viridis puer excidit alno? (Die schattige Esche hat Völker erzeugt und ein kräftiger Knabe ist aus der trächtigen Erle hervorgekommen?) Allein mit den Ausdehnungen des Stoffes verhält es sich nicht ebenso; die Zahl drei ist hier bestimmt, nicht aus dem Grunde des Besten, sondern durch eine geometrische Nothwendigkeit; nur deshalb hat der Geometer beweisen können, dass es nur drei senkrechte Linien auf einander geben könne, welche sich in demselben Punkte schneiden. Man konnte kein besseres Beispiel wählen, um den Unterschied darzulegen, der zwischen der moralischen Nothwendigkeit, welche aus der Wahl des Weisen hervorgeht und der blinden Nothwendigkeit des Strato und der Spinozisten besteht, welche Gott den Verstand und den Willen absprechen, anstatt den Unterschied zwischen dem Grunde für die Gesetze der Bewegung und dem Grunde für die Dreizahl der Ausdehnungen zu bedenken; der erstere besteht in der Wahl des Besten, der zweite in einer blinden und geometrischen Nothwendigkeit. 352. Nachdem ich über die Gesetze der Körper, d.h. über die Kegeln der Bewegung gesprochen, so komme ich nun zu den Gesetzen für die Einheit der Seele und des Körpers. Auch hier glaubt Herr Bayle eine unbestimmte Gleichgültigkeit und etwas durchaus Willkürliches zu finden. Er sagt darüber (in seiner Antwort auf die Fragen etc. Kap. 84, S. 163, Thl. II): »Es ist eine schwierige Frage, ob die Körper ein natürliches Vermögen haben, wonach sie der menschlichen Seele Uebles oder Gutes zufügen können. Sagt man ja, so geräth man in ein fürchterliches Labyrinth; denn da die menschliche Seele eine unkörperliche Substanz ist, so muss man dann sagen, dass die örtliche Bewegung gewisser Körper eine Ursache sei, welche Gedanken in einem Geiste bewirkt, obgleich dies den klarsten Begriffen der Philosophie widerspricht. Sagt man nein, so muss man anerkennen, dass der Einfluss unserer Organe auf unsere Gedanken weder von innern Eigenschaften des Stoffes, noch von den Gesetzen der Bewegung abhängt, sondern nur von einer willkürlichen Einrichtung des Schöpfers. Man muss dann zugestehen, dass es lediglich von der Freiheit Gottes abgehangen, diese bestimmten Gedanken unserer Seele mit diesen oder jenen Veränderungen unseres Körpers zu verknüpfen, selbst nachdem er alle Gesetze für die Wirkung der Körper auf einander festgestellt hatte. Es folgt hieraus, dass kein Theil der Materie im Universum durch seine Nachbarschaft uns schaden kann, so weit Gott es nicht will und dass die Erde eben so, wie ein anderer Ort zum Aufenthalt glücklicher Menschen geeignet ist. – Damit ist klar, dass es nicht nöthig ist, den Menschen von der Erde fortzuschaffen um die schlechten Wahlen seiner Freiheit zu verhüten. Gott könnte auf der Erde rücksichtlich aller Willensakte das thun, was er in Bezug auf die guten Werke der Vorherauserwählten thut, wenn er deren Ausführung entweder durch wirksame oder durch zureichende Gnaden bestimmt und welche, ohne der Freiheit Schaden zu thun, immer die Zustimmung der Seele erhalten. Es würde ihm eben so leicht sein, auf der Erde, wie im Himmel die Bestimmung unserer Seele zu einer guten Wahl hervorzubringen.« 353. Ich trete Herrn Bayle darin bei, dass Gott auf dieser Erde eine solche Ordnung der Körper und Seelen einrichten konnte; sei es auf natürlichen Wegen, oder durch ausserordentliche Gnaden und dass es ein ewiges Paradies gewesen sein würde und ein Vorgeschmack des Zustandes der Seligen im Himmel. Auch kann es sehr wohl glücklichere Erdkugeln, als die unsrige geben; aber Gott hat seine guten Gründe dafür gehabt, dass die unsrige so sei, wie sie ist. Um aber zu beweisen, dass ein besserer Zustand möglich gewesen, hätte Herr Bayle nicht auf das System der Gelegenheits-Ursachen zurückzugreifen brauchen, welches voll Wunder und voll Voraussetzungen ist, für welche nach dem eignen Geständniss der Urheber die Gründe fehlten. Dies sind zwei Fehler, welche ein System am weitesten von der wahrhaften Philosophie entfernen. Es muss zunächst auffallen, dass Herr Bayle sich nicht des Systems der vorherbestimmten Harmonie erinnert hat, welches er früher geprüft hatte und sich hier zur rechten Zeit eingestellt hätte. Da indess in diesem Systeme alles verbunden und zusammenstimmend ist, alles aus Gründen hervorgeht und nichts unbestimmt ist, nichts der dreisten Bestimmung einer reinen und vollen Gleichgültigkeit überlassen ist, so hat dies anscheinend dem Herrn Bayle nicht gepasst, der hier ein wenig für diese Unbestimmtheiten eingenommen ist, welche er doch bei andern Gelegenheiten so gut bekämpft hat. Er ging hier leicht von einem Gegentheil zu dem andern über, nicht aus böser Absicht oder gegen seine Ueberzeugung, sondern weil er über die Frage, um die es sich handelt, in seiner Seele noch zu keiner festen Ansicht gelangt war. Er ging auf das ein, was ihm passte, um den Gegner, den er im Sinne hatte, in den Weg zu treten. Er wollte nur die Philosophie in Verlegenheit bringen und die Schwäche unsrer Vernunft darlegen und kaum würde Arcesilaus und Carneades das Für und Wider mit mehr Beredtsamkeit und Geist aufrecht erhalten haben. Indess soll man nicht zweifeln, um zu zweifeln; der Zweifel soll uns nur als das Brett dienen, nm zur Wahrheit zu gelangen. Dies habe ich oft dem seligen Herrn Foucher gesagt, bei dem einige Proben zeigten, dass er zu Gunsten der Akademiker es ebenso machen wollte, wie Lipsius und Scoppius für die Stoiker und Herr Gassendi für Epikur es gemacht hatten und wie Herr Dacier auch für Plato einen so guten Anfang gemacht hat. Man darf den wahren Philosophen nicht das vorwerfen können, was der bekannte Herr Casaubonus denen antwortete, welche ihm den Saal der Sarbonne zeigten und ihm sagten, dass man hier seit einigen Jahrhunderten disputirt habe; worauf er sagte: Und was ist das Ergebniss gewesen? 354. Herr Bayle fährt fort (S. 166): »Es ist richtig, dass seitdem die Gesetze der Bewegung so festgestellt worden sind, wie wir sie in der Welt wahrnehmen, es durchaus nothwendig ist, dass ein Hammer, welcher auf eine Nuss schlägt, sie zerbricht; und dass ein auf den Fuss eines Menschen gefallener Stein dort eine Verletzung oder irgend eine Verschiebung der Theile bewirkt. Dies ist aber alles, was aus der Wirkung dieses Steines auf den menschlichen Körper folgen kann. Will man, dass er ausserdem noch ein Gefühl des Schmerzes errege, so muss man noch die Aufstellung eines andern Gesetzbuches annehmen, als das, was die Wirkung und Gegenwirkung zweier Körper auf einander regelt und auf das System der besondern Gesetze über die Einheit der Seele mit gewissen Körpern zurückgehen. Da nun dieses System mit dem andern nicht nothwendig verknüpft ist, so hört die Gleichgültigkeit Gottes in Bezug auf das eine seit der Wahl nicht auf, die er für das andere getroffen hat. Er hat also diese beiden Systeme mit einer vollen Freiheit gegeben, gleich zwei Dingen, die in einer natürlichen Weise nicht wechselseitig aus einander folgen, und es ist daher eine willkürliche Bestimmung, wonach die Verletzungen des Körpers Schmerz in der Seele erregen, welche mit diesem Körper geeint ist. Es hing also nur von Gott ab, ein anderes System dafür zu wählen; er konnte eins wählen, wonach die Verletzungen nur die Vorstellung des Heilmittels erwecken und ein lebhaftes aber angenehmes Begehren es anzuwenden. Er konnte es einrichten, dass alle Körper, die im Begriff waren, den Kopf eines Menschen zu zerbrechen oder ihm das Herz zu durchbohren, die lebhafte Vorstellung der Gefahr erweckten, und diese die Ursache wurde, dass der Körper sich schleunigst aus dem Bereiche des Schlages wegwendete. Dies alles hätte sich ohne Wunder vollzogen, weil allgemeine Gesetze darüber bestanden hätten. Das uns aus der Erfahrung bekannte System lehrt uns, dass die Bestimmtheit der Bewegung bei gewissen Körpern sich in Folge unsrer Wünsche ändert; deshalb Konnte eine Verbindung unsrer Wünsche mit den Bewegungen gewisser Körper so geschehen, dass die ernährenden Säfte sich in einer Art gestalteten, wobei der gute Zustand unsrer Organe niemals geändert wurde.« 355. Man sieht, dass Herr Bayle meint, alles, was nach allgemeinen Gesetzen geschehe, geschehe ohne Wunder; allein ich habe genügend gezeigt, dass wenn das Gesetz nicht auf Gründen beruht und das Ereigniss nicht durch die Natur der Dinge erklärt werden kann, es nur durch ein Wunder bewirkt werden kann. Hätte z.B. Gott angeordnet, dass die Körper sich im Kreise bewegen sollten, so hätte er fortwährender Wunder oder der Hülfe der Engel bedurft, nm diese Bestimmung auszuführen, denn es widerspricht der Natur der Bewegung, nach welcher der Körper von Natur die Kreislinie verlässt und den Weg gerade in der Tangente fortsetzt wenn ihn nichts zurückhält. Es genügt also auch nicht, dass Gott einfach bestimmt, eine Wunde solle ein angenehmes Gefühl erregen, er muss auch die natürlichen Mittel dazu einrichten. Das wahre Mittel, durch welches Gott bewirkt, dass die Seele die Empfindungen von dem, was in dem Körper vorgeht, habe, kommt von der Natur der Seele, welche die Körper vorstellt und welche im Voraus so gemacht ist, dass die Vorstellungen, welche in ihr die eine aus der andern durch eine natürliche Folge der Gedanken entstehen, den Veränderungen des Körpers entsprechen. 356. Die Vorstellung hat eine natürliche Beziehung auf das, was vorgestellt werden soll. Wenn Gott die runde Gestalt eines Körpers durch die Vorstellung eines Vierecks vorstellen Hesse, so wäre dies eine wenig passende Vorstellung; denn sie enthielte Ecken und Hervorragungen, während in dem Original alles glatt und gleich wäre. 357. Es ist richtig, dass derselbe Gegenstand verschieden vorgestellt werden kann; allein immer muss dabei eine genaue Beziehung zwischen der Vorstellung und dem Gegenstande und folglich auch zwischen den verschiedenen Vorstellungen desselben Gegenstandes statt haben. Die perspektivischen Darstellungen von konischen Abschnitten des Kreises zeigen, dass derselbe Kreis als eine Ellipse, als ein Parallel und als eine Hyperbel vorgestellt werden kann, ja selbst durch einen andern Kreis, durch eine gerade Linie und durch einen Punkt. Es giebt nichts verschiedeneres, als diese Gestalten und dennoch besteht eine genaue Beziehung jedes Punktes zu jedem Punkte. Man muss also anerkennen, dass jede Seele sich das Universum nach ihrem Standpunkte vorstellt und zwar durch eine ihr eigenthümliche Beziehung, wobei immer eine vollkommene Uebereinstimmung besteht. Hätte Gott die Trennung der Verbindungen des Körpers durch ein angenehmes Gefühl in der Seele vorstellen lassen wollen, so würde er es auch so eingerichtet haben, dass diese Trennung eine Vollkommenheit im Körper befördert hätte, indem sie ihm eine neue Erleichterung gewählt hätte, wie wenn man von einer Last oder einem Bande befreit wird. Allein diese Art organisirter Körper ist zwar möglich, aber auf unserer Erde nicht vorhanden, welcher ohne Zweifel unzählig viele Erfindungen abgehen, die Gott anderwärts ausgeführt haben kann. Indess genügt es, dass man mit Rücksicht auf die Stelle, welche unsere Erde in dem Universum einnimmt, für sie nichts besseres herstellen kann, als Gott gethan hat. Er bedient sich der von ihm errichteten Naturgesetze in der möglichst besten Weise und (wie Herr Regis es an derselben Stelle auch anerkennt) »die Gesetze, welche Gott in der Natur aufgerichtet hat, sind die vortrefflichsten, die man sich vorstellen kann.« 358. Ich füge hier das bei, was das Journal der Gelehrten vom 16. März 1705 bemerkt und Herr Bayle in das Kap. 162 seiner Antwort auf die Fragen etc. (Thl. 3, S. 1030) aufgenommen hat. Es ist ein Auszug aus einem neuem geistreichen Buche über den Ursprung des Uebels, dass ich bereits erwähnt habe, und es heisst da: »Die von diesem Buche gegebene allgemeine Lösung in Betreff des physischen Uebels geht dahin, dass man das Universum wie ein Werk betrachten müsse, was aus verschiedenen Theilen zusammengesetzt ist, welche ein Ganzes bilden; dass nach den aufgestellten Naturgesetzen einzelne Theile nicht besser sein können, ohne dass andere nicht schlechter würden und ohne dass daraus nicht ein weniger vollkommenes System hervorgehe. Dieses Prinzip (heisst es) ist gut, allein wenn man nichts hinzufügt, erscheint es nicht als zureichend. Weshalb hat denn Gott ein System aufgerichtet, aus dem so vieles Unpassende entsteht? werden peinliche Philosophen sagen. Hätte er nicht andere aufstellen können, ohne solche Mängel? Und, um es offen zu sagen, weshalb bat Gott sich Gesetze vorgeschrieben? Weshalb handelt er nicht ohne allgemeine Gesetze, ganz nach seiner Macht und seiner Güte? Der Verfasser hat die Schwierigkeit nicht bis zu diesem Punkte verfolgt; man könnte wohl bei Sonderung seiner Gedanken darin manches für deren Lösung finden, aber es findet sich bei ihm keine klare Entwickelung hierüber.« 359. Ich möchte glauben, dass der kluge Verfasser dieses Auszuges bei seiner Annahme, dass die Schwierigkeit lösbar sei, etwas in Gedanken gehabt, was meinen Aufstellungen sich nähert. Hätte er sich weiter an diesem Orte aussprechen wollen, so hätte er wahrscheinlich wie Herr Regis geantwortet, dass die von Gott aufgerichteten Gesetze die besten seien, die aufgerichtet werden konnten und er hätte zugleich anerkannt, dass Gott Gesetze aufstellen und nach Regeln verfahren musste, weil aus Gesetzen und Regeln die Schönheit hervorgeht, weil das regellose Handeln ein Handeln ohne Grund wäre und weil Gott seine ganze Güte hat handeln lassen, damit die Ausübung seiner Allmacht den Gesetzen seiner Weisheit entsprochen, um den möglichst erreichbar-besten Plan zu verwirklichen; endlich dass das Dasein gewisser einzelnen Unzuträglichkeiten, die uns stören, ein sicheres Zeichen sind, dass jener beste Plan deren Vermeidung nicht gestattete und dass sie zur Vollendung des Ganzen dienen; eine Ansicht, mit welcher Herr Bayle selbst an mehreren Orten übereinstimmt. 360. Nachdem ich so gezeigt habe, dass alles nach bestimmten Gründen geschieht, so wird bei dieser Grundlage das Vorherwissen Gottes keine Schwierigkeit mehr bieten; denn wenn auch diese bestimmenden Gründe nicht zwingen, so gestatten sie doch keine Ungewissheit und gewähren die Voraussicht des Kommenden. Es ist richtig, dass Gott mit einem Male die ganze Folge des Universum's will, wenn er sie erwählt und dass er deshalb die Verbindung der Wirkungen mit ihren Ursachen nicht bedarf, um diese Wirkungen vorauszusehen. Allein seine Weisheit liess ihn eine vollkommen gut verknüpfte Folge wählen und so muss er einen Theil der Folge in dem andern sehen. Es ist eine der Regeln meines Systems der allgemeinen Harmonie, dass die Gegenwart die Zukunft in ihrem Schoosse trägt und dass der, welcher alles sieht, in dem, was ist, das, was sein wird, sieht. Was noch mehr ist, ich habe in beweisender Form gezeigt, dass Gott in jedem Theile des Universums das Ganze in Folge der vollkommenen Verknüpfung vollständig sieht. Er ist unendlich viel einsichtiger, als Pythagoras, welcher aus dem Maasse von des Herkules Fussspur auf dessen Körpergrösse schloss. Man darf deshalb nicht zweifeln, dass die Wirkungen in bestimmter Weise ihren Ursachen folgen, trotz der Zufälligkeit und selbst der Freiheit, welche sich mit der Gewissheit oder Bestimmtheit wohl vertragen. 361. Durand von St. Portiano hat neben Andern dies sehr wohl bemerkt, wenn er sagt, dass die kommenden zufälligen Ereignisse sich in bestimmter Weise in ihren Ursachen erkennen lassen und dass Gott, der alles wisse, auch alles sehe, was den Willen reizen oder abschrecken könne und darunter auch die Seite, welcher der Wille sich zuwenden werde. Ich könnte noch viele andere Schriftsteller anführen, welche dasselbe gesagt haben und die Vernunft gestattet auch keine andere Auffassung. Auch Herr Jaquelot deutet (Uebereinstimmung etc. S. 318 u. f.), wie Herr Bayle anmerkt (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 142, Thl. 3, S. 796), an, dass die Neigungen des menschlichen Herzens und die Lage der Umstände Gott untrüglich die Wahl, welche der Mensch treffen werde, erkennen lassen. Herr Bayle fügt hinzu, dass dies auch einige Molinisten sagen und er verweist auf die, welche in der Suavis Concordia des Petrus von Joseph Feuillant S. 579. 580 genannt werden. 362. Die, welche diese Bestimmtheit mit der Nothwendigkeit verwechselt haben, haben behufs deren Bekämpfung Ungeheuer geschmiedet. Um einer vernünftigen Sache aus dem Wege zu gehen, die sie in eine hässliche Maske gesteckt hatten, sind sie in grosse Widersinnigkeiten gerathen. Aus Furcht, eine angebliche Nothwendigkeit zugestehen zu müssen, oder wenigstens eine andere als die, um welche es sich handelt, lassen sie zu, dass etwas sich ereigne ohne Ursache und ohne Grund, was den Abweichungen der Atome gleichkommt, welche Epikur ohne allen Grund eintreten lässt. Cicero hat in seiner Schrift über die Divination (Vorhersagung) sehr gut erkannt, dass wenn die Ursache eine Wirkung hervorbringen könne, für welche sie völlig gleichgültig wäre, es dann einen wirklichen Zufall und ein wirkliches Glück, ein wahrhaftes zufälliges Ereigniss geben werde, d.h. nicht blos in Bezug auf uns und unsere Unwissenheit, welcher gemäss man sagen kann: Sed te Nos facimus, Fortuna, Deam, coeloque locamus. (Aber Dich, o Fortuna, machen wir zur Göttin und erheben Dich zum Himmel.) sondern selbst in Bezug auf Gott und die Natur der Dinge; folglich wäre es auch unmöglich, die kommenden Ereignisse dadurch vorauszusehen, dass man die Zukunft nach der Vergangenheit beurtheilt. Er sagt auch an demselben Ort noch sehr richtig: »Quis potest provideri, quicquam futurum esse, quod neque causam habet ullam, neque notam, cur futurum sit?« (Wer kann das Kommende voraussehen, welches keine Ursache hat, noch ein Zeichen, weshalb es kommen wird.) Und ein wenig später: »Nihil est tam contrarium rationi et constantiae, quam fortuna, ut mihi ne in Deum quidem cadere videatur, ut sciat, quid casu et fortuito futurum sit. Si enim scit, certe illud eveniet; si certe eveniet nulla, fortuna est.« (Nichts ist der Vernunft und der Beständigkeit so entgegen, als das Glück, so dass es selbst nicht geschehen kann, dass Gott das wisse, was aus Zufall oder zufällig gethan wird. Denn wenn er es weiss, so wird es gewiss eintreten und wenn es gewiss eintreten wird, so ist es kein Glück.) Wenn das Kommende gewiss ist, so giebt es kein Glück. Allein er fügt ganz falsch hinzu: »Est autem fortuna; rerum igitur fortuitarum nulla praesensio est.« Es giebt aber ein Glück, und deshalb kann man die kommenden Dinge nicht vorauswissen. Vielmehr hätte er schliessen sollen, dass, da die Ereignisse bestimmt und vorausgesehen sind, es kein Glück gebe. Allein er spräche dann gegen die Stoiker in der Person eines Akademikers. 363. Die Stoiker leiteten schon aus den Beschlüssen Gottes die Voraussicht der Ereignisse ab; denn Cicero sagt in demselben Buche: »Sequitur porro, nihil Deos ignorare, quod omnia ab iis sint constituta.« (Es folgt weiter, dass die Götter alles wissen, weil alles von ihnen bestimmt worden ist.) Nach meinem System hat Gott, indem er die mögliche Welt gekannt, die er hat schaffen wollen, alles vorausgesehen; so dass man sagen kann, dass das göttliche Wissen des Schauens von dem Wissen der einfachen Einsicht nur darin sich unterscheidet, dass jenem ersten Wissen die Kenntniss des wirklichen Beschlusses noch hinzugefügt ist, diese Folge der Dinge zu wählen, welche die einfache Einsicht schon erkennen liess, aber nur als möglich, und dieser Beschluss macht jetzt das Universum wirklich. 364. Die Socinianer sind also nicht zu entschuldigen, dass sie bei Gott die sichere Kenntniss der kommenden Dinge nicht annehmen, namentlich der kommenden Entschlüsse eines freien Geschöpfes. Denn selbst wenn sie gemeint hätten, dass es eine Freiheit mit gänzlicher Gleichgültigkeit gebe, so dass der Wille ohne Grund wählen könne und also diese Wirkung in ihrer Ursache nicht erkannt werden könnte (was ein grosser Widersinn ist), so hätten sie doch bedenken sollen, dass Gott das Ereigniss in der Vorstellung der möglichen Welt, welche er zu erschaffen beschlossen hat, voraussehen konnte. Allein die Vorstellung, welche sie von Gott haben, ist des Schöpfers der Dinge nicht würdig und entspricht wenig der Geschicklichkeit und dem Geiste, welchen die Schriftsteller dieser Partei oft in einzelnen Erörterungen zeigen. Der Verfasser des Gemäldes des Socinianismus hat nicht ganz Unrecht, wenn er sagt, dass der Gott der Socinianer unwissend, ohnmächtig sei und wie der Gott des Epikur durch die Ereignisse aus der Fassung gebracht werde und von Tag zu Tag lebe, indem er nur vermuthen kann, was die Menschen wollen werden. 365. Alle Schwierigkeiten sind daher hier nur aus einem falschen Begriffe der Zufälligkeit und der Freiheit hervorgegangen, bei denen man eine völlige Unbestimmtheit oder ein Gleichgewicht annehmen zu müssen glaubte; d.h. eingebildete Dinge, von denen es weder einen Begriff noch ein Beispiel giebt, noch jemals geben kann. Wahrscheinlich hat Herr Descartes in seiner Jugend, in dem Collegium de la Fleche von diesen Begriffen etwas in sich aufgenommen und er sagt deshalb (I. Theil seiner Prinzipien Art. 41): »Unser Denken ist beschränkt und das Wissen und die Macht Gottes, durch welche er nicht blos von aller Ewigkeit ab alles gekannt hat, was ist oder was sein kann, sondern es auch gewollt hat, ist unendlich. Wir haben deshalb wohl Einsicht genug, um klar und deutlich zu wissen, dass dieses Wissen und diese Macht in Gott ist, aber sie genügt nicht, um sie so zu begreifen, dass wir wissen könnten, wie diese Eigenschaften Gottes das menschliche Handeln durchaus frei und unbestimmt lassen.« – Das hieraus sich Ergebende ist schon oben dargelegt worden. Durchaus frei, das geht wohl; aber man verdirbt alles, wenn man zufügt: Durchaus unbestimmt. Es bedarf keines unendlichen Wissens, um einzusehen, dass das Vorauswissen und die Voraussicht Gottes unserm Handeln die Freiheit lässt, weil sie Gott in seinen Ideen vorausgesehen hat, so wie sie sind, d.h. frei. Und wenn auch Laurentius Valla in seinem Dialoge gegen Boethius (den ich noch genauer besprechen werde) zwar sehr gut die Freiheit mit dem Vorauswissen zu versöhnen unternimmt, aber doch deren Versöhnung mit dem Voraussehen nicht zu hoffen wagt, so besteht doch hier keine Schwierigkeit mehr, weil der Beschluss diesem Handeln Dasein zu geben, deren Natur nicht mehr verändert, als das einfache Wissen von derselben. Dagegen giebt es keine Kenntniss, und sei sie noch so unendlich, welche das Wissen und die Voraussicht Gottes mit den aus einer unbestimmten Ursache hervorgehenden Handlung vereinigen kann, d.h. mit einem chimärischen und unmöglichen Dinge. Die Handlungen des Willens sind in zweierlei Art bestimmt; durch das Vorauswissen oder die Voraussicht Gottes und zweitens durch die Verfassung der besondern nächsten Ursache, welche in den Neigungen der Seele besteht. Herr Descartes ging in diesen Punkte mit den Thomisten, allein er schrieb darüber mit seiner gewöhnlichen Vorsicht, um nicht mit einigen andern Theologen in Streit zu gerathen. 366. Herr Bayle berichtet (Antwort auf die Fragen etc. Kap. 442, S. 804, Thl. III), dass der Pater Gibieuf vom Oratorium eine lateinische Abhandlung über die Freiheit Gottes und der Geschöpfe im Jahre 1639 veröffentlicht habe; man erhob sich gegen ihn und zeigte ihm eine Sammlung von 70 Widersprüchen, die man aus dem ersten Buche seiner Schrift ausgezogen hatte, und dass zwanzig Jahre später der Pater Arnat, Beichtvater des Königs von Frankreich, in seinem Buche de incoacta libertate (von der ungezwungenen Freiheit) (1654 in Quart in Rom erschienen) ihm das Stillschweigen vorgehalten habe, was jener noch bewahrte. Herr Bayle lügt hinzu: Wer sollte nach dem Zusammenbruch der Congregation de auxiliis (über die Hülfen) nicht glauben, dass die Thomisten in Bezug auf die Natur des freien Willens Dinge lehren, welche den Ansichten der Jesuiten ganz entgegen sind? Wenn man aber die Stellen betrachtet, welche der Pater Arnat aus den Werken der Thomisten ausgezogen hat (in einem Buche mit dem Titel: Jansenius a Thomistis, Gratiae per se ipsam efficacis defensoribus condemnatus [Der von den Thomisten, den Vertheidigern der, durch sich selbst wirksamen Gnade verurtheilte Jansenius] gedruckt in Paris 1654 in Quart), so wird man sehen, dass der Streit zwischen diesen beiden Sekten nur um Worte geführt worden ist. Die durch sich selbstwirksame Gnade der Einen belässt der Willensfreiheit gerade so viel Kraft zum Widerstände, als die sich anpassende Gnade der Andern. Herr Bayle meint, dass man auch beinah so viel von dem Jansenius selbst sagen könne. Er war, sagt Herr Bayle, ein fähiger Kopf, von systematischem Geiste und sehr arbeitsam. Er hat an seinem Augustinus 22 Jahre gearbeitet. Eine seiner Absichten war, die Jesuiten in Bezug auf den Lehrsatz von der Willensfreiheit zu widerlegen, indess hat man noch nicht feststellen können, ob er die Freiheit der Gleichgültigkeit verwirft oder annimmt. Man kann in seinem Werke unzählige Stellen für und gegen diese Ansicht anführen, wie der Pater Arnat selbst in seinen erwähnten Werke de incoacta libertate gezeigt hat. So leicht ist es, Dunkelheit über einen Glaubenssatz zu verbreiten, wie Herr Bayle am Ende dieser Betrachtung sagt. Was Herrn Gibieux anlangt, so wechselt er sehr oft die Bedeutung der Worte, und deshalb erledigt er im Ganzen die Frage nicht, wenn er auch oft gute Sachen sagt. 367. Die Verwirrung kommt allerdings sehr oft nur aus der Zweideutigkeit der Ausdrücke und weil man zu wenig darauf achtet, bestimmte Begriffe zu gewinnen. Daraus entstehen diese ewigen und meistens missverstandenen Streitigkeiten über Nothwendigkeit und Zufälligkeit, über Mögliches und Unmögliches. Allein wenn man begreift, dass die Nothwendigkeit und die Möglichkeit, metaphysisch und streng aufgefasst, einzig von der Frage abhängen, ob der Gegenstand in sich, oder in seinem Gegentheile einen Widersprach enthalte oder nicht, und wenn man bedenkt, dass die Zufälligkeit sich sehr wohl mit den Reizen und Gründen verträgt, welche zur Bestimmung des Willens beitragen; vorausgesetzt, dass man richtig zwischen Nothwendigkeit und Bestimmtheit oder Gewissheit unterscheidet, zwischen der metaphysischen Nothwendigkeit, welche keine Wahl lässt und nur einen Gegenstand als möglich darbietet und zwischen der moralischen Nothwendigkeit, welche den Weisesten nöthigt, das Beste zu wählen, und vorausgesetzt endlich, dass man sich der Chimäre einer völligen Gleichgültigkeit entschlägt, die sich nur bei den Philosophen und auf dem Papiere findet (denn sie vermögen nicht einmal diesen Begriff in ihrem Kopfe zu fassen, noch dessen Wirklichkeit durch ein Beispiel in den Dingen darzulegen), so wird man leicht aus einem Labyrinth herauskommen, dessen unglücklicher Dädalus der menschliche Geist gewesen ist und welches eine Unmasse von Verwirrung sowohl bei den Alten wie bei den Neuen veranlasst und die Menschen bis zu dem lächerlichen Irrthume des faulen Sophisma's gebracht hat, was sich von dem türkischen Schicksal kaum noch unterscheidet. Ich wundere mich nicht, wenn im Grunde die Thomisten und die Jesuiten und selbst die Molinisten und Jansenisten in dieser Frage mehr übereinstimmen, als man glaubt. Ein Thomist und selbst ein weiser Jansenist wird mit der hohem Bestimmtheit sich begnügen, ohne bis zur Nothwendigkeit zu gehen und geschähe es, so wird der Irrthum vielleicht nur in dem Worte liegen. Ein weiser Molinist wird sich mit einer Unentschiedenheit, als Gegensatz der Nothwendigkeit begnügen, welche aber die überragenden Neigungen nicht ausschliesst. 368. Diese Schwierigkeiten haben indess Herrn Bayle sehr erschüttert und dazu verleitet, dass er sie mehr in ihrer Bedeutung erhöht, als zu lösen versucht hat, obgleich ihm letzteres vielleicht mehr, als irgend Jemand gelungen sein würde, wenn er seinen Geist darauf hätte richten wollen. Er sagt in seinem Wörterbuch, Artikel: Jansenius, Buchst. G, S. 1626 das Folgende darüber: »Jemand hat die Materie der Gnade einen Ozean genannt, der weder Ufer noch Grund habe. Vielleicht hätte er sie besser mit dem Leuchtthurm von Messina vergleichen können, wo man immer Gefahr läuft, während man die eine Klippe vermeiden will, auf die andere zu gerathen. Dextrum Scylla latus, laevum implacata Charybdis Obsidet. (Die rechte Seite hat die Scylla, die linke die unversöhnliche Charybdis eingenommen.) Alles läuft zuletzt darauf hinaus: Hat Adam frei gekündigt? Antwortet man ja, so wird man sagen: Also ist sein Fall nicht vorhergesehen worden. Antwortet man nein, so wird man sagen: Also ist er nicht schuldig. Man mag hundert Bände gegen die eine oder die andere dieser Folgerungen schreiben, und man wird doch einräumen, entweder dass die untrügliche Voraussehung eines zufälligen Ereignisses ein unbegreifliches Mysterium sei, oder dass die Weise, wie ein Geschöpf, was ohne Freiheit handelt, dennoch sündige, unbegreiflich sei.« 369. Ich müsste mich sehr täuschen, wenn diese leiden Unbegreiflichkeiten nicht durch meine Lösungen ganz verschwinden sollten. Wollte Gott, man könnte eben so leicht die Frage beantworten, wie man das Fieber gut heilen könne und wie man die Klippen zweier chronischen Krankheiten vermeiden könne, von denen die eine entstellen kann, wenn man das Fieber nicht heilt und die andere, wenn man es schlecht heilt. Wenn man behauptet, dass ein freies Ereigniss nicht vorausgesehen werden könne, so verwechselt man die Freiheit mit der Unbestimmbarkeit oder mit der vollen Gleichgültigkeit des Gleichgewichts; und wenn man meint, dass der Mangel der Freiheit die Schuld des Menschen aufhebe, so versteht man darunter eine Freiheit, die nicht blos ledig ist der Bestimmbarkeit oder der Gewissheit, sondern auch ledig der Nothwendigkeit und des Zwanges. Hieraus erhellt, dass der alternative Satz nicht richtig gefasst ist, und dass noch ein breiter Durchgang zwischen beiden Klippen besteht. Man kann deshalb antworten, dass Adam frei gesündigt habe und dass Gott in dem möglichen Zustande des Adam ihn dazu sich neigend gesehen habe, welcher Zustand in Folge Gottes Beschlusses die Sünde zu gestatten, wirklich geworden ist. Es ist richtig, dass Adam sich in Folge gewisser überwiegender Reize bestimmt hat, zu sündigen; aber diese Bestimmung hebt weder die Zufälligkeit, noch die Freiheit auf und die sichere Bestimmtheit zu sündigen, welche in einem Menschen besteht, hindert nicht seine Macht, nicht zu sündigen (im unbedingten Sinne) und weil er sündigt, schuldig zu sein und Strafe zu verdienen, um so mehr als diese Strafe ihm und Andern dazu dienen und beitragen kann, sie zu bestimmen, dass sie ein andermal nicht sündigen, wobei ich gar nicht von der rächenden Gerechtigkeit sprechen will, welche über die Entschädigung und die Besserung hinausgeht und in welcher auch nichts besteht, was durch die sichere Bestimmtheit der zufälligen Entschlüsse des Willens erschüttert werden könnte. Im Gegentheil, man kann sagen, dass die Strafen und Belohnungen zum Theil unnütz sein würden und eines ihrer Ziele verfehlen würden, was in der Besserung besteht, wenn jene nicht dazu beitragen könnten, den Willen dazu zu bestimmen, dass er ein andermal es besser macht. 370. Herr Bayle fährt fort: »In Bezug auf die Frage der Freiheit, giebt es nur zwei Seiten, denen man sich zuwenden kann; nach der einen lassen alle bestimmten Ursachen der Seele, welche mit ihr zusammenwirken, die Kraft zu handeln oder nicht zu handeln frei; nach der andern bestimmen sie die Seele in der Art zum handeln, dass sie sich dagegen nicht wehren kann. Für die erstere Seite sind die Molinisten, für die andere die Thomisten, die Jansenisten und die Protestanten der Genfer Confession. Trotzdem haben die Thomisten mit Herz und Mund laut versichert, dass sie keine Jansenisten seien und diese haben mit demselben Eifer behauptet, dass sie in der Frage der Freiheit keine Calvinisten seien. Auf der andern Seite haben die Molinisten behauptet, dass der heilige Augustinus den Jansenismus nicht gelehrt habe. So wollten die Einen nicht zugeben, dass sie mit Leuten, die für Ketzer galten, übereinstimmten und die Andern wollten nicht zugeben, dass sie gegen einen heiligen Lehrer wären, dessen Ansichten immer für rechtgläubig gegolten haben und so haben beide hundertfach geschmeidige Wendungen gemacht u.s.w.« 371. Die beiden Parteien, welche Herr Bayle hier unterscheidet, schliessen eine dritte nicht aus, nach welcher die Seele nicht lediglich vor dem Zusammentreffen aller bestimmten Ursachen der Seele bestimmt wird, sondern auch von dem Zustande der Seele selbst und ihren Neigungen, welche sich mit den sinnlichen Eindrücken vermischen und sie steigern oder schwächen. Nur alle Innern und äussern Ursachen zusammen machen, dass die Seele sich sicher bestimmt, aber nicht, dass sie sich nothwendig bestimmt, da es keinen Widerspruch enthält, wenn sie sich anders entschliessen würde, weil der Wille wohl geneigt gemacht, aber nicht gezwungen werden kann. Ich will hier nicht den Unterschied zwischen den Jansenisten und Reformirten bei dieser Frage untersuchen; sie sind vielleicht mit sich selbst nicht immer übereinstimmend, sei es in der Sache oder in den Worten bei einer Frage, wo man sich oft in verwickelte Spitzfindigkeiten verliert. Der Pater Theophilus Raynaud hat in seinem Buche: Der Calvinismus, eine Religion der wilden Thiere die Dominikaner treffen wollen, ohne sie zu nennen. Auf der andern Seite werfen die, welche sich für Anhänger des heiligen Augustinus erklärten, den Molinisten Pelagianismus vor, oder wenigstens den Semipelagianismus. 372. Bei den hebräischen Kabbalisten bedeutete Malcuth oder das Reich, die Letzte der Sephiroth, dass Gott ganz unwiderstehlich regiere, aber sanft und ohne Gewalt, so dass der Mensch meint, er folge seinem Willen, wenn er den Willen Gottes vollführe. Sie sagten, dass Adam's Sünde gewesen sei, truncatio Malcuth a caeteris plantis (ein Abhauen des Malcuth von den übrigen Pflanzen), d.h. dass Adam die Letzte der Sephiren abgelöst habe, indem er sich ein Reich in dem Reiche Gottes gebildet und sich eine von Gott unabhängige Freiheit zugetheilt habe; sein Fall habe ihm aber gelehrt, dass die Menschen der Erlösung durch den Messias bedürften. Diese Lehre kann einen guten Sinn erhalten. Aber Spinoza, der in der Kabbala der Schriftsteller seiner Nation bewandert war und nach welchem (Die politische Abhandlung, Kap. 2, Nr. 6) die Menschen, indem sie die Freiheit so verstehen, wie sie es thun, ein Reich in dem Reiche Gottes errichten, hat die Sachen übertrieben. Die Herrschaft Gottes ist bei Spinoza nichts anderes, als die Herrschaft der Nothwendigkeit und zwar einer blinden Nothwendigkeit (wie bei Strato), nach welcher alles aus der göttlichen Natur abfliesst, ohne dass bei Gott eine Wahl besteht und ohne dass die Wahl der Menschen ihn von der Nothwendigkeit befreit. Er fügt hinzu, dass die Menschen behufs Errichtung dessen, was er imperium in imperio (eine Herrschaft in der Herrschaft) nennt, sich einbildeten, ihre Seele sei ein unmittelbares Erzeugniss Gottes und könne durch natürliche Ursachen nicht hervorgebracht werden; sie habe auch eine unbedingte Gewalt, sich zu bestimmen, was der Erfahrung widerspricht. Spinoza ist mit Recht gegen eine unbedingte Macht, sich selbst zu bestimmen, d.h. ohne Grund; dies findet nicht einmal bei Gott statt; allein er bat Unrecht, wenn er meint, dass eine Seele und eine einfache Substanz auf natürliche Weise hervorgebracht werden könne. Allerdings ist ihm die Seele anscheinend nur ein vergänglicher Zustand, und wenn er scheinbar sie dauernd und selbst ewig macht, so schiebt er ihr die Idee des Körpers unter, welche ein bloser Begriff ist, und keine wahrhafte und wirkliche Sache. 373. Interessant ist, was Herr Bayle von Herrn Johann Bredenburg, Bürger von Rotterdam, erzählt. (Wörterbuch: Spinoza, Buchst. H, S. 2774.) Derselbe veröffentlichte ein Buch gegen Spinoza unter dem Titel: »Enervatio Tractatus Theologico-politici, una cum demonstratione geometrico ordine disposita Naturam non esse Deum, cujus effati contrario praedictus Tractatus unice innititur.« (Die Entkräftigung der theologisch-politischen Abhandlung mit einem geometrisch-geführten Beweise, dass die Natur nicht Gott ist, auf welchen Ausspruch die genannte Abhandlung im Gegentheil gestützt ist.) Man war überrascht, dass ein Mann, der nicht deutlich die Wissenschaften betrieb und nur wenig Studien gemacht hatte (er hatte sein Buch flamländisch geschrieben und dann in das Lateinische übersetzen lassen), so scharfsinnig in die Grundlehren des Spinoza habe eindringen und sie so glücklich umstürzen können, nachdem er sie durch eine ehrliche Auflösung zu einem Zustand zurückgeführt hatte, wo sie mit ihrer ganzen Kraft sich zeigen konnten. Man hat mir erzählt (fügt Herr Bayle hinzu), dass der Verfasser unzählige Male über seine Antwort und den Grundgedanken seines Gegners nachgedacht und zuletzt gefunden habe, man könne diesen Gedanken in einen logischen Beweis umstellen. Er unternahm daher den Beweis, dass für alle Dinge keine andere Ursache nothwendig besteht, als die Natur und dass sie nach einer unveränderlichen, unvermeidlichen und unwiderruflichen Nothwendigkeit verfährt. Er beobachtete streng die geometrische Methode und nachdem er seinen Beweis aufgebaut hatte, prüfte er ihn von allen erdenklichen Seiten, suchte seine Schwächen zu finden, ohne durch irgend ein Mittel etwas zu dessen Widerlegung, oder nur Schwächung zu finden. Dies machte ihm viel Kummer; mit Seufzen bat er die gewandtesten seiner Freunde um Hülfe in der Aufsuchung der Fehler dieses Beweises. Indess gestattete er nicht gern, dass man davon Abschriften nahm. Franz Cuper, ein Socinianer (er hatte die »aufgedeckten Geheimnisse des Atheismus gegen Spinoza, Rotterdam 1676« in Quart geschrieben), hatte indess eine solche und veröffentlichte sie so, wie sie war, d.h. flamländisch, mit einigen Bemerkungen, worin er den Verfasser des Atheismus beschuldigte. Der Angeschuldigte vertheidigte sich in derselben Sprache. Der sehr geschickte jüdische Arzt Orobio (er war von Herrn Limborch widerlegt worden und hat, so viel ich gehört, in einem nach seinem Tode bekannt gewordenen, aber nicht gedruckten Werke geantwortet) veröffentlichte ein Buch gegen den Beweis des Herrn Bredenburg, mit dem Titel: »Philosophischer Kampf zwischen der göttlichen und natürlichen Wahrheit gegen die Lehre des J. B. Amsterdam 1684.« Auch Herr Aubert de Versé schrieb gegen ihn im selbigen Jahre unter dem Namen: Latinus Serbattus Sartensis. Herr Bredenburg verwahrte sich dagegen, und versicherte, dass er von der Willensfreiheit und von der Religion überzeugt sei und wünschte, man möchte ihm ein Mittel angeben, um seinen Beweis zu widerlegen. 314. Ich möchte wohl diesen vermeintlichen Beweis sehen und wissen, ob er zeigen will, dass die ursprüngliche Natur alles hervorbringe, und ohne Wahl und ohne Wissen verfahre. In diesem Falle würde der Beweis Spinozistisch und gefährlich sein. Aber wenn der Beweis vielleicht dahin ginge, dass die göttliche Natur zu dem, was sie hervorbringe, durch ihre Wahl und den Grund des Besten bestimmt werde, so brauchte der Verfasser sich über diese angebliche unveränderliche, unvermeidliche und unwiderrufliche Nothwendigkeit nicht zu betrüben, denn sie ist nur eine moralische, und also glückliche Nothwendigkeit, und, weit entfernt die Religion zu zerstören, versetzt sie die göttliche Vollkommenheit in ihren grössten Glanz. 315. Ich will bei dieser Gelegenheit erwähnen, dass Herr Bayle (S. 2773) der Meinung derer gedenkt, welche das Buch mit dem Titel: Lucii Antistii Constantis de jure Ecclesiasticorum liber singularis (Das eine Buch von dem Rechte der Geistlichen, verfasst von L. A. Constans), veröffentlicht 1665, dem Spinoza zuschreiben; allein ich habe Grund, daran zu zweifeln, obgleich Herr Colerus auch dieser Meinung ist, welcher uns einen, von ihm selbst verfassten Bericht über das Leben dieses berühmten Juden geliefert hat. Nach den Anfangsbuchstaben L. A. G. möchte ich als Verfasser des Buches den Herrn de la Cour oder van der Hof annehmen, welcher durch die Schriften über die Interessen Holland's und über das politische Gleichgewicht und mehrere andere von ihm verfasste Bücher (wo er sich zum Theil V. D.H. bezeichnet) gegen die Macht des Gouverneurs von Holland bekannt geworden ist. Man hielt diesen Gouverneur damals für eine Gefahr für Holland, da das Andenken an die Unternehmung des Prinzen Wilhelm H. gegen die Stadt Amsterdam noch ganz frisch war. Da die Mehrzahl der Geistlichen in Holland zur Partei des damals noch minorennen Sohnes dieses Prinzen gehörte und man Herrn v. d. Witt und die sogenannte Fraktion Löwenstein in Verdacht hatte, dass sie die Arminianer, die Cartesianer und noch andre mehr gefürchtete Sekten begünstigten, und da man suchte die Menge gegen sie aufzuhetzen, und zwar nicht ohne Erfolg, wie dies sich später ergab, so war die Veröffentlichung dieses Buches durch Herrn de la Cour sehr natürlich. Allerdings bewahrt man selten die richtige Mitte in Schriften, welche das Interesse einer Partei in die Oeffentlichkeit bringt. Ich bemerke hier im Vorbeigehen, dass eben eine französische Uebersetzung von dem Buche: Das Interesse Hollands von Herrn de la Cour unter dem falschen Titel veröffentlicht worden: Memoiren des Herrn Grosspensionair de Witt, als wenn die Gedanken eines Privatmannes, der allerdings von der Partei des Herrn de Witt und ein fähiger Mann war, der aber nicht die genügende Kenntniss von den öffentlichen Angelegenheiten und auch nicht die Fähigkeit hatte, so zu schreiben, wie es dieser grosse Staatsbeamte vermocht hätte, für das Erzeugniss eines der ersten Männer seiner Zeit gelten könnten. 376. Ich sah bei meiner Rückkehr aus Frankreich, die über England und Holland erfolgte, Herrn de la Cour und Spinoza und ich hörte von ihnen einige hübsche Anekdoten über die damaligen Angelegenheiten. Herr Bayle sagt S. 2770, dass Spinoza das Lateinisch unter einem Arzte, Franz v. d. Ende, lernte und berichtet zugleich nach Herrn Sebastian Kortholt (welcher davon in der Vorrede der zweiten Ausgabe des Buches seines verstorbenen Vaters, de tribus impostoribus Herberto L. B. de Cherburg, Hobbio et Spinoza spricht), dass ein Mädchen dem Spinoza das Lateinisch lehrte, die sich nachher mit Herrn Kerkering verheirathete, welcher ihr Schüler zugleich mit Spinoza war. Dazu bemerke ich, dass dieses Mädchen die Tochter des Herrn v. d. Ende war, welche ihren Vater in seinen Lehrstunden unterstützte. V. d. Ende, der sich auch A finibus nannte, ging dann nach Paris, wo er Pensionäre in der Vorstadt St. Antoine hielt. Er galt für einen vorzüglichen Lehrer und er sagte mir, als ich zu ihm ging, er wolle wetten, dass seine Zuhörer immer aufmerksam auf seinen Vortrag wären. Er hatte damals auch ein junges Mädchen bei sich, welche lateinisch sprach und auch Beweise in der Geometrie aufstellte. Sie hatte die Gunst des Herrn Arnauld gewonnen und die Jesuiten wurden auf seinen Ruhm eifersüchtig. Allein er verlor bald darauf sein Leben, da er sich an der Verschwörung des Ritters de Rohan betheiligt hatte. 377. Ich glaube wohl hinreichend gezeigt zu haben, dass weder das Vorauswissen, noch das Voraussehen Gottes seiner Gerechtigkeit und Güte oder unserer Freiheit Schaden thut. Es bleibt nun nur noch die Schwierigkeit, welche in der Mittheilnahme Gottes bei den Handlungen der Geschöpfe enthalten ist, welche von noch grösserer Bedeutung für seine Güte in Bezug auf unsere schlechten Handlungen ist und ebenso für unsere Freiheit sowohl in Bezug auf unsere guten wie unsere anderen Handlungen. Herr Bayle macht diese Schwierigkeit mit seinem gewohnten Scharfsinn geltend, ich werde suchen, die von ihm aufgestellten Bedenken zu lösen und dann werde ich im Stande sein, dieses Werk zu schliessen. Ich habe bereits festgestellt, dass die Theilnahme Gottes darin bestehe, dass er uns stets das giebt, was in uns und unsern Handlungen real ist, so weit es die Vollkommenheit einschliesst und dass das, was an ihnen unvollkommen und beschränkt ist, nur eine Folge der vorgängigen Schranken ist, welche den Geschöpfen ursprünglich einwohnen. Da nun jede Handlung eines Geschöpfes eine Veränderung in seinen Zuständen ist, so erhellt, dass die Handlung des Geschöpfes aus der Beziehung zu seinen Schranken oder Verneinungen entspringt, welche es in sich enthält und welche durch diese Veränderung ebenfalls verändert werden. 318. Ich habe schon wiederholt in diesem Werke dargelegt, dass das Uebel eine Folge der Verneinung ist und glaube dies in verständlicher Weise erklärt zu haben. Der heilige Augustinus hat schon diesen Ge danken geltend gemacht und der heilige Basilius hat in seinem Hexaëmeron. Homil. 2. in ähnlicher Weise gesagt: »dass das Laster keine lebende und beseelte Substanz sei, sondern eine der Tugend entgegengesetzte Erregung der Seele, welche davon komme, dass man das Gute verlässt; man braucht deshalb kein ursprüngliches Böses zu suchen.« Herr Bayle erwähnt dieser Stelle in seinem Wörterbuch (Artikel Paulinianer, Buchst. D, S. 2325) und billigt die Bemerkung des Herrn Pfanner(welchen er einen deutschen Theologen nennt; allein er ist ein Jurist und der Kanzler des Herzogs von Sachsen), welcher den Basilius tadle, weil er nicht einräumen wolle, dass Gott der Urheber des physischen Uebels sei. Gott ist es ohne Zweifel, wenn man das moralische Uebel schon für daseiend annimmt, allein an sich kann man behaupten, dass Gott das physische Uebel nur folgeweise gestattet habe, indem er das moralische Uebel gestattete, welches dessen Quelle ist. Auch die Stoiker scheinen erkannt zu haben, dass das Sein im Uebel ausserordentlich klein ist. Die Worte des Epiktet zeigen es: Sicut aberrandi causa neta non ponitur, sic nec natura mali in mundo existit. (So wie die Spitzsäule beim Wettlauf nicht aufgerichtet ist, um sie zu verfehlen, so besteht auch in der Welt eine Natur des Bösen nicht.) 379. Man brauchte deshalb nicht auf ein Prinzip des Uebels zurückzugehen, wie der heilige Basilius sehr richtig bemerkt. Ebensowenig braucht man den Ursprung des Uebels in dem Stoffe zu suchen. Die, welche ein Chaos annehmen, ehe Gott die Hand an dasselbe anlegte, haben in diesem die Ursache der Unordnung gesucht. Plato hatte diese Ansicht in seinem Timäus ausgesprochen. Aristoteles hat ihn deshalb getadelt (im 3. Buch über den Himmel, Kap. 2), weil nach dieser Lehre die Unordnung, das Ursprüngliche und Natürliche und die Ordnung gegen die Natur eingeführt worden wäre. Anaxagoras hat dies vermieden, indem nach ihm der Stoff ruht, bis Gott ihn bewegt und Aristoteles lobt ihn deshalb in jener Stelle. Nach Plutarch (De Iside et Osiride und Abhandlung über die Erzeugung der Seele nach Timaeus) erkannte Plato dem Stoffe eine gewisse Seele oder böswillige Kraft zu, welche gegen Gott sich auflehne; dies wäre ein wirkliches Laster, ein Widerstand gegen die Absichten Gottes. Auch die Stoiker nehmen den Stoff für die Quelle der Mängel, wie Justus Lipsius im ersten Buche seiner Physiologie der Stoiker gezeigt hat. 380. Aristoteles hat mit Recht das Chaos abgelehnt; doch lassen sich die Ansichten Plato's und auch die einiger anderer Schriftsteller, deren Werke verloren gegangen sind, nicht sicher darlegen. Keppler, der ausgezeichnetste moderne Mathematiker, erkennt in dem Stoffe eine Art von Unvollkommenheit an, selbst wenn er keine regellose Bewegung hat; er nennt es die natürliche Trägheit, vermöge deren er der Bewegung Widerstand leistet und eine grössere Masse durch die gleiche Kraft eine geringere Bewegung erhält. Es ist Richtiges in diesen Bemerkungen und ich habe sie oben zu einem Vergleiche dafür benutzt, wie die ursprüngliche Unvollkommenheit der Geschöpfe, der auf das Gute gerichteten That des Schöpfers Grenzen setzt. Allein da der Stoff selbst von Gott geschaffen ist, so kann er nur als ein Vergleich und ein Beispiel dienen, aber nicht selbst die Quelle des Uebels und der Unvollkommenheit sein. Ich habe schon gezeigt, dass diese Quelle in den Formen oder Vorstellungen des Möglichen enthalten ist; denn sie müssen ewig sein, was der Stoff nicht ist, und da Gott alle positive Realität geschaffen hat, welche nicht ewig ist, so hätte er auch die Quelle des Uebels geschaffen, wenn sie nicht vielmehr in der Möglichkeit der Dinge oder Formen bestände, welche allein Gott nicht gemacht hat, weil er nicht der Schöpfer seines eignen Verstandes ist. 381. Wenn nun auch die Quelle des Uebels in den möglichen Formen liegt, welche vor den Willensakten Gottes vorausgehen, so bleibt es doch richtig, dass Gott an dem Uebel durch die Verwirklichung Theil nimmt, womit er diese Formen in den Stoff einführt. Darin liegt die Schwierigkeit, um die es sich hierbei handelt. Durand de St. Portiano, der Cardinal Aureolus, Nicolaus Taurellus, der Pater Louis de Dole, Herr Bernier und einige Andere haben bei Besprechung dieser Mithülfe sie nur als eine allgemeine zulassen wollen, um nicht die Freiheit des Menschen und die Heiligkeit Gottes zu beschädigen. Sie scheinen anzunehmen, dass Gott, nachdem er den Geschöpfen die Kraft zu handeln verliehen, sich begnüge, diese zu erhalten. Auf der andern Seite dehnt Herr Bayle, in Nachfolge einiger neuem Schriftsteller, diese Mithülfe zu weit aus, weil er fürchtet, die Geschöpfe möchten nicht abhängig genug von Gott bleiben; er gellt so weit, dass er den Geschöpfen das Handeln abspricht und nicht einmal den realen unterschied zwischen dem Accidens und der Substanz anerkennt. 382. Er stützt sich hauptsächlich auf die in den Schulen angenommene Lehre, wonach die Erhaltung in einer fortgesetzten Schöpfung besteht. In Folge dieser Lehre besteht anscheinend das Geschöpf niemals, sondern wird immer geboren und stirbt immer, gleich der Zeit der Bewegung und andern zeitlichen Wesen. Plato nahm dies von den stofflichen und wahrnehmbaren Dingen an; sie sind nach ihm in einem steten fliessen; semper fluunt, nunquam sunt. (Sie fliessen immer, aber sind niemals.) Allein über die geistigen Substanzen hat er ganz anders geurtheilt; diese gelten Ihm allein als wirklich, worin er nicht ganz Unrecht hatte. Indess trifft die stete Schöpfung alle Geschöpfe ohne Unterschied. Mehrere bedeutende Philosophen haben diese Lehre bekämpft und Herr Bayle berichtet, dass David du Rodon, ein berühmter Philosoph bei den in Genf wohnhaften Franzosen, sie ausdrücklich widerlegt habe. Auch die Arminianer billigen sie nicht, da sie für diese metaphysischen Spitzfindigkeiten nicht sehr eingenommen sind. 383. Zu einer gründlichen Prüfung, ob die Erhaltung eine fortgehende Schöpfung sei, muss man die Gründe erwägen, auf welche diese Lehre gestützt wird. 384. Der selige Herr Erhard Weigel, ein bedeutender Mathematiker und Philosoph in Jena, bekannt durch seine Analysis Euclidea, seine mathematische Philosophie und einige interessante mechanische Erfindungen, so wie endlich durch die Mühe, welche er sich gegeben hat, um die protestantischen Reichsfürsten zur letzten Reform Deutschlands zu bewegen, deren Erfolg er jedoch nicht erlebt hat; Herr Weigel also sage ich, theilte seinen Freunden einen gewissen Beweis für das Dasein Gottes mit, welcher im Grunde auf diese fortgehende Schöpfung hinauslief. Er zog gern Vergleiche zwischen dem Rechnen und Begründen, wie seine moralische Arithmetik (sittliche Zahlenlehre) zeigt und deshalb sollte die Grundlage seines Beweises jener Anfang der pythagoraeischen Tafel, Einmal eins ist eins, sein. Diese wiederholten Eins'en wären die Momente des Daseins der Dinge, deren jedes von Gott abhänge, welcher so zu sagen, alle Dinge ausser ihm jeden Augenblick wieder zum Leben erweckt. Da sie jeden Augenblick zusammenfallen, so brauchen sie immer Jemand, der sie wieder auferstehen lässt, und dies könne nur Gott sein. Allein es bedürfte einer strengern Beweisführung, wenn dies eine Begründung sein sollte. Es hätte bewiesen werden müssen, dass das Geschöpf immer aus dem Nichts hervorgeht und immer dahin zurückfällt und insbesondere müsste gezeigt werden dass das Vorrecht der natürlichen Dauer über einen Augenblick hinaus nur einem nothwendigen Wesen beiwohne. Auch kommen die Schwierigkeiten über die Zusammensetzung des Stetigen hinzu, da diese Begründung die Zeit in Augenblicke auflöst, während Andere die Augenblicke und die Punkte nur als einfache Modificationen des Stetigen gelten lassen, d.h. nur als die Enden der Theile, die man hier annehmen kann, aber nicht als die das Stetige bildenden Theile. Indess ist hier nicht der Ort, in dieses Labyrinth einzutreten. 385. Das, was man hier sicher behaupten kann, ist, dass das Geschöpf stetig von der göttlichen Wirksamkeit abhänge, und dass es ebenso, wie bei seinem Anfange, auch nach seinem Anfange davon abhänge. Diese Abhängigkeit ergiebt, dass es nicht fortdauernd bestehen würde, wenn Gott nicht fortwährend thätig bliebe, und dass diese Thätigkeit eine freie ist. Denn wäre dieser Ausfluss aus Gott nothwendig, wie die Eigenthümlichkeiten des Kreises, welche aus seinem Wesen entspringen, so müsste man auch annehmen, dass Gott gleich anfangs die Geschöpfe nothwendig geschaffen habe, oder man müsste zeigen, wie aus der einmaligen Erschaffung Gott sich die Nothwendigkeit, sie zu erhalten, auferlegt habe. Nun hindert aber nichts, dass man diese erhaltende Thätigkeit eine Hervorbringung, ja eine Erschaffung nenne, wenn man will; da die Abhängigkeit in der Folge so gross ist, wie im Beginn, und die äusserliche Bezeichnung, wonach sie eine neue sein oder nicht sein soll, deren Natur nicht ändert. 386. Wir wollen also einen solchen Sinn annehmen, dass die Erhaltung eine fortgehende Erschaffung sei und sehen, was Herr Bayle daraus zu folgern scheint (S. 771), nach dem Verfasser der Ansicht über das Gemälde des Socinianismus im Gegensatz zu Herrn Jurieu. Dieser Verfasser sagt: »Hieraus dürfte folgen, dass Gott alles thut und dass in den Geschöpfen weder erste, noch zweite, noch selbst Gelegenheits-Ursachen bestehen, wie man leicht zeigen kann. Denn in dem Augenblicke, wo ich spreche, bin ich so wie ich bin, mit allem, was an mir ist, mit diesem Gedanken, mit dieser Handlung, sitzend oder stehend. Wenn nun Gott mich in diesem Augenblicke, so wie ich bin, erschafft, wie man nach diesem Systeme nothwendig sagen muss, so erschafft er mich mit dieser bestimmten Handlung, dieser Bewegung und diesem Entschlüsse. Man kann nicht sagen, dass Gott mich erst erschaffe und dass er erst nachher meine Bewegungen und Entschlüsse mit mir erschaffe. Dies geht aus zwei Gründen nicht; erstens weil Gott, wenn er mich in diesem Augenblick erschafft oder erhält, dies nicht mit mir, wie mit einem Wesen ohne Form thut, gleich einer Art oder einer Andern logischen Allgemeinheit. Ich bin vielmehr ein Einzelner und er erschafft oder erhält mich als solchen, ganz so wie ich in diesem Augenblick bin, mit allem, was mir anhängt. Zweitens würde, wenn man sagte, dass Gott mich in diesem Augenblicke erschaffe und er nachher meine Handlung mit mir hervorbringe, man nothwendig für dieses Handeln einen zweiten Augenblick annehmen müssen und man hätte also zwei Augenblicke, obgleich man doch nur einen angenommen hat. Es ist also nach dieser Hypothese unzweifelhaft, dass die Geschöpfe weder eine Verbindung noch eine Beziehung mit ihren Handeln in einem höheren Grade haben, als sie mit ihrer Hervorbringung im ersten Augenblick der ersten Erschaffung hatten.« – Der Verfasser dieser Schrift zieht daraus sehr schwere Folgerungen, wie man sich vorstellen kann und meint schliesslich, dass man jedem zu Dank verbunden sein müsse, welcher den Anhängern dieser Lehre zeigen könnte, wie sie diese erschreckenden Verkehrtheiten beseitigen könnten. 387. Herr Bayle treibt es noch weiter. Er sagt (S. 775): »Sie wissen, dass man in den Schulen« (er citirt Arriaga Disputat. 6. Physik. Abschnitt 9 und vorzüglich in Abschnitt 3) »beweist, dass das Geschöpf weder die vollständige, noch die theilweise Ursache seiner Erhaltung sei; denn wäre dies der Fall, so würde es schon da sein, ehe es da wäre, was ein Widersprach ist. Sie wissen, dass man es so beweist. Was sich erhält, handelt; aber was handelt, besteht, und nichts kann handeln, ehe es nicht sein vollständiges Dasein erlangt hat; wenn also ein Geschöpf selbst sich erhielte, so würde es handeln vor seinem Sein. Dieser Beweis ist nicht auf Wahrscheinlichkeiten gestützt, sondern auf die obersten Grundsätze der Metaphysik; non entis nulla sunt accidentia; operari sequitur esse (Von einem Nichtseienden giebt es keine Accidenzen; das Handeln folgt dem Sein), welche so klar sind, wie der Tag. Wir gehen nun weiter. Wenn die Geschöpfe mit Gott zusammen ihre Erhaltung bewirkten (unter Mitwirkung versteht man hier eine thätige und nicht blos die eines leidenden Werkzeugs), so würden sie vor ihrem Dasein schon thätig sein, wie gezeigt worden. Wenn sie ferner mit Gott zusammen die Hervorbringung eines andern Dinges bewirkten, so würden sie auch schon vor ihrem Dasein thätig sein. Also ist es auch unmöglich, dass sie mit Gott zusammen die Hervorbringung eines andern Dinges bewirken (z.B. eine örtliche Bewegung, eine Bejahung, ein Wollen, d.h. ein Seiendes, was wahrhaft unterschieden ist von seiner Substanz, wie man behauptet), ausgenommen ihre eigne Erhaltung. Und da ihre Erhaltung eine fortgehende Erschaffung ist und alle Menschen auf der Welt gestehen müssen, dass sie im ersten Augenblick ihres Daseins mit Gott zusammen nicht wirken können, weder für ihr Dasein, noch um sich irgend eine Beschaffenheit zu geben, da dies ein Handeln vor dem Dasein wäre, (man bemerke, dass Thomas v. Aquino und mehrere andere Scholastiker lehren, dass wenn die Engel im ersten Augenblick ihres Dasein gesündigt hätten, Gott der Urheber der Sünde gewesen sein würde; man sehe den Feuillant Peter vom heiligen Joseph S. 318 u. f. der süssen Concordia der menschlichen Freiheit; dies ist ein Zeichen, dass sie anerkennen, wie ein Geschöpf in dem ersten Augenblicke seines Daseins in keiner Weise irgendwie thätig sein kann) so folgt augenscheinlich, dass sie auch in keinem der folgenden Zeitpunkte mit Gott zusammen thätig sein können, weder um sich selbst, noch eine andere Sache hervorzubringen. Könnten sie dies im zweiten Punkte ihres Daseins, so könnten sie es auch in dem ersten Zeitpunkte ihres Daseins.« 388. Ich will nun zeigen, wie man auf diese Ausführungen zu antworten hat. Wir wollen annehmen, dass das Geschöpf in jedem Augenblick von Neuem geschaffen werde; auch soll der Augenblick jedes Frühersein in der Zeit ausschliessen, da er untheilbar ist; aber halten wir fest, dass dies nicht das Frühersein in der Natur ausschliesst, oder das was man das Ehersein in signo rationis (im Zeichen der Vernunft) nennt. Die Hervorbringung oder die Handlung, durch welche Gott hervorbringt, ist von Natur vor dem Dasein des Geschöpfes, welches hervorgebracht wird; ebenso ist das Geschöpf an sich, mit seiner Natur und seinen nothwendigen Eigenschaften vor seinen zufälligen Zuständen und seinen Handlungen und trotzdem ist alles das in demselben Zeitpunkte vorhanden. Gott erschafft das Geschöpf entsprechend den Erfordernissen der vorgehenden Zeitpunkte, nach den Gesetzen seiner Weisheit und das Geschöpf handelt entsprechend dieser Natur, welche Gott ihm giebt, indem er es immer erschafft. Die Schranken und Unvollkommenheiten entstehen hier in Folge der Natur des Subjekts, welche die Hervorbringung Gottes einschränkt. Das ist die Folge von der ursprünglichen Unvollkommenheit der Geschöpfe; aber das Laster und das Verbrechen entstehen dabei durch die innere, freie Wirksamkeit des Geschöpfes, so viel es deren in dem Zeitpunkte haben kann, was dann durch die Wiederholung erkennbar wird. 389. Diese Vorgängigkeit der Natur ist ein gebräuchlicher Begriff in der Philosophie; in diesem Sinne sagt man, dass die Beschlüsse Gottes unter sich eine Ordnung einhalten. Und wenn man Gott (und mit Recht) die Erkenntniss der Begründungen und Folgerungen der Geschöpfe in der Weise zutheilt, dass er alle ihre Beweise und alle ihre Schlüsse kennt, und diese sich in ihm in eminenter Weise befinden, so sieht man, dass in den Sätzen und Wahrheiten, die er kennt, eine Ordnung der Natur besteht, ohne irgend eine zeitliche Ordnung oder einen Zwischenraum, in denen er in dieser Kenntniss vorschreitet und von den Vordersätzen zu dem Schlussatze übergeht. 390. Ich finde in den oben erwähnten Begründungen nichts, dem diese Erwägung nicht Genüge leistet. Wenn Gott eine Sache hervorbringt, so thut er es als eine einzelne und nicht als eine logische Allgemeinheit; dies räume ich ein; aber er erschafft deren Wesen vor deren Zubehör, dessen Natur vor deren Wirksamkeit, gemäss deren Vorgängigkeit in der Natur und in signo anteriore rationis (in der Vernunftbedeutung der Vorgängigkeit). Damit sieht man, wie das Geschöpf die wahre Ursache seiner Sünde sein kann und wie die Erhaltung des Geschöpfes durch Gott dem nicht entgegensteht, welche Erhaltung sich nach dem vorgehenden Zustande des Geschöpfes regelt, um den Gesetzen seiner Weisheit Folge zu leisten, trotz der Sünde, welche sofort von dem Geschöpf hervorgebracht wird. Allein richtig ist, dass Gott die Seele im Anfang nicht in einem Zustande geschaffen hat, wo sie sofort mit dem ersten Augenblick gesündigt hätte, wie die Scholastiker richtig bemerkt haben; denn seine Weisheit enthält in ihren Gesetzen nichts, was ihn dahin hätte führen können. 391. Dieses Gesetz der Weisheit bewirkt auch, dass Gott dieselbe Substanz, dieselbe Seele wieder hervorbringt, und dies ist es, was der Abt, welchen Herr Bayle in seinem Wörterbuche anführt (Art.: Pyrrhonismus, Buchst. B, S. 2432) hätte antworten können. Diese Weisheit bewirkt die Verknüpfung der Dinge. Ich gebe daher zu, dass das Geschöpf mit Gott zu seiner Erhaltung nicht mitwirkt (in der Weise, wie die Erhaltung eben erklärt worden ist), allein ich sehe kein Hinderniss, dass es mit Gott nicht in der Hervorbringung von etwas anderem wirksam sein sollte, namentlich von seiner innern Wirksamkeit, wie z.B. von einem Gedanken einem Wollen, da diese Bestimmungen reell von der Substanz verschieden sind. 392. Allein hier falle ich von Neuem in die Hände des Herrn Bayle. Er behauptet, dass es keine solche Accidenzen gäbe, die von der Substanz gesondert wären; er sagt: »Die Gründe, welche die neueren Philosophen zu dem Beweise benutzen, dass die Accidenzen in den seienden Dingen nicht wirklich von deren Substanz gesondert seien, sind keine einfachen Schwierigkeiten, es sind Gründe, die niederdrücken und die man nicht zu lösen vermag. Man gab sich die Mühe (sagt er) und suchte sie bei dem Pater Maignan, oder bei dem Pater Malebranche oder bei Herrn Cailli (Professor der Philosophie in Caen) oder in den ›Accidentia profligata‹ (niedergeschlagenen Accidenzen) des Pater Saguens, eines Schülers von Pater Maignan, von welchen man einen Auszug in den Neuigkeiten des Gelehrtenstaates, Jena 1702 findet oder wenn man einen Schriftsteller für hinreichend nimmt, so nehme man den heiligen Franz Lami, Benediktinermönch, einen der bedeutendsten Cartesianer in Frankreich. In dessen philosophischen Briefen, veröffentlicht 1703 in Trevoux, wird man denjenigen finden, wo er in geometrischer Art beweist, dass Gott die einzige wahre Ursache von allem sei, was wirklich ist.« – Ich möchte wohl alle diese Bücher sehen und was diesen letzten Satz anlangt, so kann er in einem sehr guten Sinne wahr sein; Gott ist die alleinige Hauptursache der reinen und unbedingten Realitäten oder der Vollkommenheiten; causae secundae agunt in virtute primae. (Die zweiten Ursachen wirken in Kraft der ersten.) Begreift man aber die Beschränkungen und Beraubungen unter den Realitäten so kann man sagen, dass die zweiten Ursachen an dem, was beschränkt ist, mitwirken. Ohnedem wäre Gott die Ursache, ja die alleinige Ursache der Sünde. 393. Man hüte sich übrigens die Substanzen mit den Accidenzen zu vermengen, indem man den erschaffenen Substanzen die Thätigkeit nimmt; man geräth dann in den Spinozismus, welcher ein übertriebener Cartesianismus ist. Alles, was nicht handelt, verdient nicht den Namen der Substanz. Wenn die Accidenzen nicht von den Substanzen verschieden sind, wenn die erschaffene Substanz ein in der Zeitfolge seiendes Wesen ist, wie die Bewegung und so wenig, wie seine Accidenzen über den Augenblick hinaus beharrt und nicht sammt seinen Accidenzen (während eines angebbaren Theiles der Zeit) dasselbe bleibt; wenn sie so wenig wirkt, wie eine mathematische Figur oder eine Zahl, weshalb sollte man dann nicht wie Spinoza sagen, dass Gott die alleinige Substanz sei und dass die Geschöpfe nur dessen Accidenzen oder Modificationen seien? Bisher hat man geglaubt, dass die Substanz beharrt und nur die Accidenzen wechseln und ich meine, dass man sich noch immer an diese alte Lehre halten soll, da die dagegen aufgestellten Gründe, die ich gelesen, das Gegentheil nicht beweisen und auch zu viel beweisen. 394. Herr Bayle sagt (S. 779): »Eine der Widersinnigkeiten, welche aus dieser vermeinten Abtrennung hervorgehen, die man zwischen den Substanzen und ihren Accidenzen zulassen will, ist, dass wenn die Geschöpfe die Accidenzen hervorbringen, sie eine schaffende und vernichtende Macht haben müssen. Man könnte dann nicht die geringste Handlung thun, ohne unzählige wirkliche Wesen zu erschaffen und ohne eine Unendlichkeit anderer zu vernichten. Wenn man nur die Zunge bewegt, um zu rufen, oder zu essen, erschafft man so viel Accidenzen, als es Bewegungen von den Theilen der Zunge giebt und man zerstört so viele Accidenzen, als es Theile in den gegessenen Dingen giebt, welche ihre Gestalt verlieren, und zu Speisesaft oder Blut u.s.w. werden.« – Dieser Beweis ist nur ein Schreckbild. Welches Unglück wäre es denn, wenn eine Unzahl von Bewegungen von Gestalten in jedem Augenblick im Universum entstehen und vergehen und selbst in jedem Theile des Universum? Uebrigens kann man zeigen, dass dies so sein muss. 395. Was nun die Erschaffung der Accidenzen anlangt, wer sieht da nicht, dass es keiner schöpferischen Kraft bedarf, um den Ort oder die Gestalt zu wechseln, um ein Quadrat oder ein längliches Viereck oder sonst eine Figur aus dem Bataillon Soldaten bei deren Uebungen zu bilden; so wenig wie es einer solchen bedarf, um eine Bildsäule durch Wegnahme einzelner Stücke aus dem Marmorblock zu formen, oder um eine Gestalt in erhabener Arbeit zu machen, indem man ein Stück Wachs durch Wegnehmen und Zusetzen verändert? Die Hervorbringung der Accidenzen ist niemals eine Schöpfung genannt worden, und es ist ein Missbrauch der Worte, wenn man die Welt damit erschrecken will. Gott erzeugt die Substanzen aus nichts und die Substanzen erzeugen ihre Accidenzen durch die Veränderung ihrer Grenzen. 396. In Betreff der Seelen oder substantiellen Formen sagt Herr Bayle mit Recht: »dass für die, welche substantielle Formen annehmen, nichts unbequemer sei, als der Einwurf, dass sie nur durch eine wirkliche Schöpfung hervorgebracht werden können, und dass die Scholastiker Mitleiden erregen, wenn sie dagegen sich zu wahren suchen.« Allein es giebt nichts passenderes für mich und mein System, als diesen Einwurf, weil ich behaupte, dass alle Seelen, Entelechien oder ursprüngliche Formen, substantielle Formen, einfache Substanzen oder Monaden, wie man sie auch nennen mag, auf natürliche Weise weder entstehen noch untergehen können. Die Eigenschaften oder die abgeleiteten Kräfte, oder was man accidentielle Formen nennt, fasse ich nur auf als Modificationen der ursprünglichen Entelechien, wie die Gestalten nur Modificationen des Stoffes sind. Deshalb sind diese Modificationen in einem steten Wechsel befangen, während die einfache Substanz beharrt. 397. Ich habe früher (Abhndl. I, § 86 u. f.) gezeigt, dass die Seelen nicht auf natürliche Weise entstehen können, noch die eine aus der andern hervorgehen kann, vielmehr müssen unsere Seelen entweder erschaffen werden, oder in irgend einer Weise schon vorher bestanden haben. Ich habe sogar einen gewissen Mittelweg zwischen Schöpfung und einem gänzlichen Vorherbestehen gezeigt, indem ich es entsprechend fand zu sagen, dass die Seele, welche in dem Samen seit dem Anfang der Dinge vorherbestanden, nur eine empfindende sei, aber dass sie zu einem hohem Grade, welcher die Vernunft ist, erhoben werde, wenn der Mensch, dem diese Seele angehören solle, empfangen worden und dass der organische Körper, welcher diese Seele von Anfang ab, wenn auch unter vielen Veränderungen immer begleite, bestimmt worden sei, den menschlichen Körper zu bilden. Ich habe auch angenommen, dass man diese Erhebung der blos empfindenden Seele (durch welche sie zu einem wesentlich hohem Grad, d.h. zur Vernunft gelangt) der ausserordentlichen Wirksamkeit Gottes zuschreiben könne. Indess lasse ich lieber das Wunder bei der Erzeugung des Menschen und der übrigen lebenden Wesen bei Seite; dies könnte geschehen, wenn man annimmt, dass in dieser grossen Zahl von Seelen und von Thieren, oder mindestens von organischen lebendigen Körpern, welche sich in dem Samen befinden, diejenigen Seelen, welche bestimmt sind, eines Tages zur menschlichen Natur zu gelangen, allein die Vernunft in sich enthalten, welche eines Tages in ihnen sich zeigen wird und dass blos die organischen Körper vorgebildet und vorbereitet sind, um eines Tages die menschliche Gestalt anzunehmen, und dass die übrigen kleinen Thiere oder lebenden Samenthierchen, in denen nichts der Art vorgebildet ist, wesentlich von jenen verschieden sind und nur untergeordnetes in sich enthalten. Diese Hervorbringung ist eine Art von Ueberführung (traductio), aber sie ist leichter zu behandeln, als die, welche man gewöhnlich lehrt; sie zieht ihre Seele nicht aus einer andern Seele, sondern nur das Beseelte aus dem Beseelten und sie vermindert die vielen Wunder einer neuen Schöpfung, wonach eine neue und reine Seele in einen Körper eintreten soll, der sie verderben soll. 398. Ich bin indess der Meinung des Pater Malebranche, dass die Schöpfung im richtigen Verstande im allgemeinen nicht so schwer zuzulassen ist, als man denken könnte und dass sie gewissermassen in dem Begriffe der Abhängigkeit des Geschöpfes enthalten ist. Er schreibt in seinen christlichen Erwägungen (9, Nr. 3): »Was sind doch die Philosophen einfältig und lächerlich? Sie meinen, dass die Schöpfung unmöglich sei, weil sie nicht begreifen, dass die Macht Gottes gross genug ist, um aus Nichts Etwas zu machen. Aber begreifen sie etwa besser, wie die Macht Gottes fähig ist, einen Strohhalm zu bewegen?« Er fügt dem in Nr. 5 noch treffend hinzu: »Wäre der Stoff ungeschaffen, so könnte Gott ihn weder bewegen noch daraus etwas bilden; denn Gott kann den Stoff nicht bewegen, noch mit Weisheit ordnen, wenn er ihn nicht kennt; und Gott kann ihn nicht kennen, wenn er ihm nicht das Sein giebt; er kann sein Wissen nur aus sich selbst entnehmen; in ihm kann nichts wirken, noch ihn aufklären.« 399. Herr Bayle begnügt sich nicht mit der Behauptung, dass wir fortwährend erschaffen werden, sondern besteht auch auf der Behauptung, welche er aus jener ableiten will, dass unsere Seele nicht handeln könne. Seine Worte lauten (Kap. 141, S. 765): »Er kennt den Cartesianismus zu genau (damit ist nämlich ein gewandter Gegner gemeint), um nicht zu wissen, wie ernstlich man in unsern Tagen behauptet hat, dass es kein Geschöpf gebe, welches die Bewegung hervorbringen könne und dass unsere Seele in Bezug auf Empfinden und Vorstellen, auf die Gefühle von Schmerz und Lust ein rein leidendes Ding ist. Wenn man dies nicht auch auf das Wollen ausgedehnt hat, so ist es nur wegen der offenbarten Wahrheiten nicht geschehen, ohnedem würde man die Akte des Wollens ebenso als leidend, wie die des Verstandes genommen haben. Dieselben Gründe, welche beweisen sollen, dass unsere Seele keine Vorstellungen bildet und unsere Organe nicht bewegt, würden auch beweisen, dass sie auch die Akte unsres Wollens, unsrer Liebe nicht hervorbringen kann.« Er hätte auch noch hinzufügen können »und auch nicht unsere lasterhaften Handlungen und Verbrechen.« 400. Indess kann die von Herrn Bayle so gelobte Kraft dieser Beweise doch nicht so gross sein, weil sie sonst zu viel beweisen würden. Sie würden Gott zum Urheber der Sünde machen. Ich erkenne an, dass die Seele ihr Organ nicht durch einen physischen Einfluss bewegen kann, da nach meiner Ansicht der Körper im Voraus so gebildet sein muss, dass er in Zeit und Ort das thut, was dem Willen der Seele entspricht, obgleich es wahr ist, dass die Seele das Prinzip des Wirkens ist. Allein, wenn gesagt wird, dass die Seele ihre Gedanken, ihre Empfindungen, ihr Gefühl von Schmerz und Lust nicht hervorbringe, so sehe ich dafür keinen Grund ab. Nach mir muss jede einfache Substanz (d.h. jede wahrhafte Substanz) die wahrhafte unmittelbare Ursache alles ihres innern Handelns und Leidens sein und streng metaphysisch gesprochen, giebt es kein anderes Handeln und Leiden, als das, welches sie selbst hervorbringt. Die, welche anderer Meinung sind und Gott zum alleinigen Handelnden machen, verwickeln sich ohne Grund in Ausdrücke, aus denen sie sich schwer wieder herausziehen können, ohne die Religion zu erschüttern, abgesehen davon, dass sie die Vernunft unbedingt verwirren. 401. Herr Bayle stützte sich auf Folgendes. Er sagt, dass wir das nicht machen, von dem wir nicht wissen, wie es sich macht. Allein diesen Satz gab ich ihm nicht zu. In seinem Diskurs S. 767 u. f. sagt er ferner: »Es ist höchst auffallend, dass beinah alle Philosophen mit der Menge gemeint haben, dass wir unsere Vorstellungen in thätiger Weise bilden. Eine Ausnahme bilden die Ausleger des Aristoteles, welche einen allgemeinen Verstand angenommen haben, welcher verschieden von unserer Seele, die Ursache unserer Vorstellungen ist; man sehe in dem geschichtlichen und kritischen Wörterbuch die Bemerkung E beim Artikel Averroes. Aber wo wäre trotzdem der Mensch zu finden, der nicht einerseits wüsste, dass ihm die Art, wie die Vorstellungen entstehen, gänzlich unbekannt sei und andererseits, dass er nicht zwei Stiche nähen könnte, wenn er nicht wüsste, wie man zu nähen hat? Sollte das Nähen zweier Stiche an sich ein schwierigeres Werk sein, als in seinem Geiste eine Rose zu malen, wenn sie das erstemal ihm vor Augen kommt und ohne dass man je diese Art der Malerei gelernt hat? Erscheint nicht im Gegentheil dieses geistige Bild an sich als ein viel schwierigeres Werk, als die Gestalt, einer Blume auf Leinwand zu zeichnen, was man doch ohne Unterricht nicht würde ausführen können? Wir wissen alle, dass wir mit einem Schlüssel einen Koffer nicht öffnen können, wenn wir die Art seines Gebrauchs nicht kennen und dennoch meinen wir, dass unsere Seele die wirkende Ursache der Bewegung unserer Arme sei, obgleich sie weder den Ort der Nerven kennt, welche diese Bewegung veranlassen sollen, noch wo sie die Lebensgeister hernehmen soll, die in diesen Nerven fliessen sollen. Wir erfahren täglich, dass Vorstellungen, die man gern zurückrufen möchte, sich nicht einstellen und dass sie von selbst kommen, wenn man nicht mehr an sie denkt. Wenn dies uns nicht abhält, uns für die wirkende Ursache dessen zu halten, was soll man da auf den Beweis geben, der sich auf die Empfindung stützt und welcher dem Herrn Jaquelot so überzeugend erscheint? Ist die Macht über unsere Vorstellungen nicht oft viel kürzer, als die über unser Wollen? Eine genaue Rechnung würde zeigen, dass im Lauf unseres Lebens mehr Ansätze zum Wollen, als wirkliche Wollen vorkommen; d.h. mehr Zeugnisse von der Knechtschaft unseres Willens, als von seiner Macht. Wie oft erfährt nicht derselbe Mensch, dass er einen gewissen Willensakt nicht zu Stande bringen würde (z.B. eine That der Liebe für einen Menschen, der ihn eben beleidigt hat; einen Akt der Verachtung des schönen eben von ihm verfertigten Sonetts; einen Akt des Hasses gegen eine Geliebter einen Akt der Billigung für einen lächerlichen Sinnspruch. Ich spreche hier nur von innerlichen Akten, die durch ein ›Ich will‹ geschehen, wie: ich will verachten, ich will billigen u.s.w.), selbst wenn er hundert Goldstücke sofort dafür bekommen könnte, und deren Gewinn man eifrigst wünschte und wo auch der Ehrgeiz noch antrieb, dass man sich durch eine ausgeführte Probe überzeugen wolle, man sei der Herr bei sich selbst?« 402. »Um in wenig Worte die ganze Kraft des Gesagten zusammenzufassen, so bemerke ich, dass Allen, welche die Sache gründlich erwägen, klar ist, wie die wahre, wirkende Ursache eines Geschehens dasselbe kennen und auch wissen muss, wie es hervorgebracht werden muss. Es ist dies nicht nöthig, wenn man nur das Werkzeug dieser Ursache ist, oder die leidende Unterlage seines Handelns, allein nothwendig ist dies Wissen einem wahrhaft Handelnden. Prüft man sich nun genau, so erkennt man bestimmt, dass ohne Erfahrung unsere Seele ebenso wenig weiss, was ein Wollen ist, wie das, was eine Vorstellung ist, und dass auch nach einer langen Erfahrung sie nicht besser weiss, wie das Wollen sich bildet, als sie es wusste, ehe sie noch etwas gewollt hatte. Was folgt daraus anders, als dass sie nicht die wirkende Ursache ihres Wollens sein kann, und auch nicht die wirkende Ursache ihrer Vorstellungen und der Bewegungen der Lebensgeister, welche unsere Arme in Bewegung setzen. (Ich bemerke, dass ich hier die Sache nicht unbedingt damit entscheiden will; es geschieht nur in Bezug auf die Sätze des Einwurfs.)« 403. Hier haben wir somit ein sonderbares Beweisverfahren. Weshalb sollte man wohl nothwendig immer wissen müssen, wie sich das macht, was man macht? Wissen denn das Salz, die Metalle, die Pflanzen, die Thiere und tausend andere belebte oder unbelebte Körper, wie das sich macht, was sie machen? und ist es nöthig, dass sie es wissen? Muss ein Tropfen Oel oder Fett die Geometrie verstehen, um sich über der Oberfläche des Wassers zu verbreiten? Mit dem Nähen der Spitzen ist es eine andere Sache; man handelt da für ein Ziel und muss deshalb die Mittel kennen. 404. Was das leere einzelne Wollen anlangt, so besteht es nur aus einer Art sehr unvollkommnen, bedingten einzelnen Wollens. Es besagt: Ich möchte, wenn ich könnte; liberet, si liceret. (Ich möchte gern, wenn es anginge.) In dem Fall eines solchen unvollkommenen Wollens, wollen wir eigentlich nicht ein Wollen, sondern ein Können. Deshalb giebt es kein solches bei Gott und man darf es nicht mit dem vorgehenden Wollen verwechseln. Ich habe früher genügend erläutert, dass unsere Macht über den Willen nur in mittelbarer Weise geübt werden kann und dass man unglücklich sein würde, wenn man so sehr Herr seiner selbst wäre, dass man ohne Unterlage, ohne Anlass und ohne Grund wollen könnte. Wenn man sich beklagt, dass eine solche Macht uns fehlt, so redet man wie Plinius, welcher gegen die Macht Gottes Einwendungen macht, weil sie sich nicht vernichten lässt. 405. Ich wollte hier schliessen, nachdem ich alle Einwürfe des Herrn Bayle (wie ich glaube) erledigt habe, welche ich in seinen Werken über diese Frage habe finden können. Allein ich erinnerte mich des Dialogs des Laurentius Valla über die Freiheit des Willens gegen Boethius, den ich schon erwähnt habe und ich halte es für angemessen, davon einen Abriss zu geben, indem ich die Form des Dialogs beibehalte, um dann da fortzufahren, wo er endet, indem ich dabei die Fiktion, mit der er begonnen hat, beibehalte; weniger um den Gegenstand ergötzlich zu machen, als um mich am Ende meiner Abhandlung in der klarsten und verständlichsten Weise, die mir möglich ist, zu erklären. Dieser Dialog von Valla und seine Bücher über die Lust und das wahre Gut zeigen, dass er nicht weniger Philosoph, wie Humanist war. Diese vier Bücher waren gegen die vier Bücher der Consolatio (Tröstung) des Boethius gerichtet und der Dialog war es gegen das fünfte. Ein gewisser Antonius Glarea, ein Spanier, bittet ihn um eine Aufklärung über die Schwierigkeiten der Freiheit des Willens, der weniger gekannt sei, als er es verdiene, da von ihm die Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, die Strafe und der Lohn in diesem und dem zukünftigen Leben abhänge. Laurentius Valla antwortet ihm, man müsse sich mit einer Unwissenheit trösten, welche die ganze Welt mit uns theile, wie man ja sich auch tröste, dass man keine Flügel habe. 406. Antonius. Ich weiss, dass Sie mir diese Flügel, gleich einem zweiten Dädalus, geben können, um aus dem Gefängnisse der Unwissenheit herauszukommen und mich in die Gegend der Wahrheit zu erheben, welche die Heimath der Seelen ist. Die Bücher, welche ich eingesehen, haben mich nicht befriedigt, selbst nicht der berühmte Boethius, welcher die allgemeine Billigung hat. Ich weiss nicht, ob er selbst das, was er über den Verstand Gottes und über die Ewigkeit, welche über der Zeit steht, sagt, richtig verstanden hat. Ich bitte Sie um ihre Meinung, wie das Vorauswissen mit der Freiheit zu vereinigen ist. – Laurentius. Ich fürchte viele Personen zu verletzen, wenn ich diesen grossen Mann widerlege. Ich stelle jedoch über diese Furcht die Rücksicht auf die Bitten eines Freundes, vorausgesetzt, dass Sie mir erlauben.... Antonius. Was? Laurentius. Dass, wenn Sie bei mir zu Mittag gespeist haben werden, Sie von mir nicht verlangen, dass ich Ihnen ein Abendessen gebe; d.h. ich wünsche, dass Sie mit der Lösung der Frage, die Sie mir gestellt haben, zufrieden seien, und mir keine neue stellen. 407. Antonius. Ich verspreche es Ihnen. Die Schwierigkeit ist folgende: Wenn Gott den Verrath des Judas vorausgesehen hat, so war es nothwendig, dass Judas verrieth, und es war unmöglich, dass er nicht verrieth. Nun giebt es keine Verpflichtung zu dem Unmöglichen. Er hat also nicht gesündigt und verdiente keine Strafe. Dies zerstört aber die Gerechtigkeit, die Religion und die Furcht vor Gott. Laurentius. Gott hat die Sünde vorausgesehen, aber er hat den Menschen nicht gezwungen, sie zu begehen; die Sünde war eine freiwillige. Antonius. Dieser Wille war aber nothwendig, weil er vorausgesehen war. Laurentius. Wenn mein Wissen nicht bewirkt, dass die vergangenen oder gegenwärtigen Dinge bestellen, so wird mein Vorauswissen auch bei den zukünftigen nicht machen, dass sie wirklich werden. 408. Antonius. Diese Vergleichung täuscht; das Gegenwärtige und das Vergangene kann nicht mehr geändert werden; sie sind schon nothwendig; aber das an sich veränderliche Zukünftige wird erst durch die Voraussicht fest und nothwendig. Nehmen wir an, dass ein heidnischer Gott sich rühme, die Zukunft zu kennen; ich werde ihn fragen, ob er wisse, welchen Fuss ich voranstellen werde und dann werde ich das Gegentheil von dem thun, was er vorausgesagt hat. Laurentius. Dieser Gott weiss, was Sie thun werden. Antonius. Wie kann er es wissen, weil ich das Gegentheil von dem thun werde, was er voraussagt und ich nehme an, dass er das sagt, was er denkt? Laurentius. Ihre Annahme ist falsch. Gott wird Ihnen nicht antworten, oder wenn er es thut, so würde die Verehrung, die Sie für ihn hegten, Sie eiligst das thun lassen, was er gesagt hätte; seine Voraussage würde für Sie ein Befehl sein. Allein, wir haben die Frage verändert. Es handelt sich nicht um das, was Gott voraussagen wird, sondern um das, was er voraussieht. Wir müssen also auf das Voraus wissen zurückkommen und zwischen dem Nothwendigen und Gewissen unterscheiden. Die Unmöglichkeit, dass das Vorausgesehene nicht eintreffe, ist nicht vorhanden, aber es ist sicher, dass es eintreffen wird. Ich kann Soldat oder Priester werden, aber ich werde es nicht werden. 409. Antonius. Hier halte ich Sie fest. Die Kegel der Philosophen verlangt, dass alles was möglich ist, als daseiend angesehen werden kann. Aber wenn das, was Sie für möglich erklären, d.h. ein Ereigniss, verschieden von dem vorausgesehenen, wirklich einträte, so würde Gott getäuscht sein. Laurentius. Die Regeln der Philosophen sind für mich keine Orakel; insbesondere ist diese nicht genau gefasst. Die beiden Gegensätze sind oft beide möglich, folgt daraus, dass beide auch zugleich bestehen können? Um deutlicher zu sein, so wollen wir annehmen, dass Sextus Tarquinius im Delphi, wo er das Orakel des Apollo befragt, die Antwort erhält: Exul inopsque cades irata pulsus ab urbe. Arm und verbannt von Deinem erzürnten Vaterlande wirst Du das Leben verlieren. Der junge Mann wird sich beklagen und sagen: Ich habe Dir, o Apoll, ein königliches Geschenk gebracht und Du verkündest mir ein so schreckliches Schicksal? 410. Antonius. Sie haben mich über meine Erwartungen befriedigt und das geleistet, was Boethius nicht vermocht hat; ich werde Ihnen mein ganzes Leben dafür dankbar sein. Laurentius. Lassen Sie uns indess unsere kleine Geschichte noch ein wenig weiter verfolgen. Sextus wird sagen: Nein, Apoll, ich werde das, was Du mir sagst, nicht thun. Antonius. Wie wird der Gott sagen, ich würde ja dann ein Lügner sein? Ich wiederhole Dir also, dass Du alles, was ich Dir gesagt, thun wirst. Laurentius. Sextus wird vielleicht die Götter bitten, das Schicksal zu ändern, ihm ein besseres Gemüth zu verleihen. Antonius. Man wird ihm antworten Desine fata Deum flecti sperare precando. (Lass ab, und hoffe nicht das von den Göttern bestimmte Schicksal durch Flehen abzuwenden.) Er wird es nicht zu bewirken vermögen, dass das göttliche Vorauswissen ein Lügner werde. Aber was wird Sextus sagen? Wird er nicht in Klagen gegen die Götter ausbrechen? Wird er nicht sagen: Wie! Ich bin also nicht frei? Es steht also nicht in meiner Macht, der Tugend zu folgen? Laurentius. Apoll wird ihm vielleicht sagen: Wisse, mein armer Sextus, dass die Götter jedermann so machen, wie er ist. Jupiter hat den Wolf räuberisch, den Hasen furchtsam, den Esel dumm und den Löwen muthig gemacht. Er hat Dir eine böse und unverbesserliche Seele gegeben; Du wirst Deiner Natur gemäss handeln und Jupiter wird mit Dir verfahren, wie es Deine Handlungen verdienen; er hat es bei dem Styx geschworen. 411. Antonius. Ich gestehe, dass es mir scheint, als wenn Apoll, indem er sich entschuldigt, Jupiter mehr als den Sextus beschuldigt und Sextus wild ihm antworten: Also verdammt Jupiter in mir sein eignes Verbrechen; er ist der allein Schuldige. Er konnte mich zu einem ganz andern machen; allein so wie er mich gemacht, muss ich handeln; wie er es gewollt. Weshalb also straft er mich? Konnte ich denn seinem Willen widerstehen? Laurentius. Ich gestehe, dass ich eben so stocke, wie Sie. Ich habe die Götter auf die Schaubühne eingeführt, Apoll und Jupiter, damit Sie das göttliche Vorauswissen und die göttliche Voraussehung unterschieden und ich habe gezeigt, dass Apoll oder das Vorauswissen der Freiheit nicht schadet, allein ich kann Sie in Betreff der Willensbeschlüsse Jupiter's nicht befriedigen, d.h. über das, was die Voraussicht anordnet. Antonius. Sie haben mich aus einem Abgrund gezogen und stürzen mich in einen noch tiefem. Laurentius. Denken Sie an unser Abkommen; ich habe Sie zu Mittag essen lassen und Sie verlangen nun auch ein Abendessen. 412. Antonius. Jetzt erkenne ich Ihre Feinheit; Sie haben mich getäuscht; dies ist kein ehrlicher Handel. Laurentius. Was wollen Sie, dass ich thue? Ich habe Ihnen Wein und Fleisch von meinem Gewächs gegeben, wie es mein kleiner Besitz hergiebt; wollen Sie Nectar und Ambrosia, so wenden Sie sich an die Götter; unter den Menschen findet sich solche Götternahrung nicht. Hören wir den heiligen Paulus, dieses erwählte Gefäss, was bis zu dem dritten Himmel erhoben, unaussprechbare Worte gehört hat. Er wird Ihnen mit dem Gleichniss des Töpfers antworten, mit der Unbegreiflichkeit der Wege Gottes, mit der Bewunderung der Tiefe seiner Weisheit. Indess ist es gut, dass man nicht fragt, weshalb Gott die Sache vorhersehe, denn dies versteht sich; dies ist, weil es ist; dagegen fragt man, weshalb er es so verordne; warum er Diesen verhärte und mit Jenem Mitleiden habe? Wir kennen seine Gründe dafür nicht, allein es genügt, dass er sehr gut, sehr weise ist, und wir nehmen deshalb an, dass diese Gründe gut seien. Und da er auch gerecht ist, so folgt, dass seine Beschlüsse und seine Thätigkeit unsere Freiheit nicht aufheben. Einzelne haben dafür den Grund gesucht; man hat gesagt, dass wir aus einer verdorbenen, unreinen, schmutzigen Masse gebildet seien. Allein Adam und die Engel waren aus Silber und Gold gemacht und haben doch gesündigt. Man ist auch mitunter nach der Wiedergeburt verhärtet. Man muss deshalb noch eine andere Ursache des Uebels suchen und ich zweifle selbst, ob die Engel dieselbe kennen. Sie hören aber nicht auf glücklich zu sein und Gott zu preisen. Boethius hat mehr auf die Antwort der Philosophie als auf die des heiligen Paulus gehört, und deshalb hat er sein Ziel verfehlt. Glauben wir an Jesum Christum; er ist die Tugend und die Weisheit Gottes; er lehrt uns, dass Gott das Heil für Alle wünsche und dass er nicht nach dem Tode des Sünders verlange. Vertrauen wir der göttlichen Barmherzigkeit und machen wir uns derselben durch unsere Eitelkeit und Bosheit nicht unfähig. 413. Dieses Zwiegespräch bei Valla ist schön, obgleich man hie und da ihm nicht beitreten kann; der Hauptfehler desselben ist aber, dass es den Knoten zerschneidet und dass es anscheinend die Vorsehung unter dem Namen von Jupiter verdammt und dieselbe beinah zur Urheberin der Sünde macht. Ich möchte deshalb die kleine Fabel noch etwas weiter fortsetzen. Sextus verlässt den Apoll und Delphi, und geht zu Jupiter nach Dodona. 414. Theodorus reiste nach Athen; man verordnete ihm, in dem Tempel der Göttin zu schlafen. Im Traume sah er sich in ein unbekanntes Land versetzt, wo ein Pallast von unbegreiflichem Glanz und einer Ungeheuern Grösse stand. Die Göttin Pallas erschien an der Thüre umgeben von den Strahlen einer glänzenden Majestät. Qualisque videri Coelicolis et quanta solet. (Wie sie den Himmelsbewohnern in ihren Eigenschaften und ihrer Grösse zu erscheinen pflegt.) Sie berührte das Gesicht des Theodorus mit einen Olivenzweig, den sie in der Hand hielt. Damit war er im Stande den göttlichen Glanz der Tochter des Jupiter und von allem, was sie ihm zeigen würde, zu ertragen. Sie sagte: Jupiter, welcher Dich liebt, hat Dich mir zur Belehrung empfohlen. Du siehst hier den Pallast der Schicksale, den ich behüte. Er enthält Darstellungen nicht blos von dem was geschieht, sondern auch von allem, was möglich ist. Jupiter hat dieselben vor dem Beginne der jetzigen Welt betrachtet, die möglichen Welten erwogen und die beste von allen ausgewählt. Er besucht manchmal diesen Ort, um in der Zurückrufung der Dinge und an der Erneuerung seiner Wahl sich zu erfreuen, was ihm Vergnügen machen muss. Ich habe nur zu sprechen und wir werden eine ganze Welt sehen, die mein Vater hervorbringen konnte und wo alles dargestellt ist, was man von ihr verlangen kann. Damit Kann man auch wissen, was geschehen würde, wenn die und die Möglichkeit wirklich werden sollte. Wenn die Bedingungen nicht bestimmt genug sein sollten, so würde es so viel verschiedene Welten da geben, als man will, um in verschiedener Weise dieselbe Frage auf so viele Arten, als es möglich ist, zu erledigen. Du hast in Deiner Jugend die Geometrie erlernt, wie alle gut erzogene Griechen. Du weisst daher, dass, wenn die Bedingungen eines verlangten Punktes ihn nicht genügend bestimmen und es deshalb deren unzählige giebt, sie alle in das fallen, was die Geometer einen Ort nennen und dieser Ort (der oft eine Linie ist) ist dann bestimmt. So kannst Du Dir auch eine der Regel entsprechende Reihe von Welten vorstellen, welche alle und zwar ausschliesslich den Fall enthalten, um den es sich handelt und dessen Umstände und Folgen danach sich verschieden gestalten. Wenn Du aber einen Fall setzt, der von der wirklichen Welt nur in einem einzigen bestimmten Umstande und dessen Folgen abweicht, so wird eine bestimmte von jenen Welten Dir antworten. Diese Welten sind alle hier, d.h. als blos vorgestellte. Ich werde Dir welche davon zeigen, in denen sich zwar nicht derselbe Sextus, den Du gesehen hast (dies ist nicht möglich, er trägt immer das, was er sein wird, mit sich) aber ähnliche Sextuse, welche alles, was Du von dem wirklichen Sextus gesehen hast, an sich tragen, aber nicht alles das, was zwar schon in ihm ist, aber nicht bemerkbar wird und folglich auch nicht alles das, was ihm noch begegnen wird. Du wirst also in dieser Welt einen Sextus sehr erhaben und glücklich finden; in einer andern, der mit einem mittlern Zustande zufrieden ist; kurz Sextuse von allen Arten und unzähligen Manieren. 415. Darauf führte die Göttin den Theodorus in eins der Gemächer; als er darin war, war es nicht mehr ein Gemach, sondern eine Welt. Solemque suum, sua sidera norat. (Sie hatte ihre Sonne und ihre Gestirne.) Auf Befehl der Pallas zeigte sich Dodona mit dem Tempel des Jupiter und der heraustretende Sextus. Man hörte ihn sagen, er werde dem Gott gehorchen und er geht nun in eine zwischen zwei Meeren belegene Stadt, die Corinth ähnelt. Er kauft sich hier einen kleinen Garten, bei dessen Bearbeitung er einen Schatz findet und er wird ein reicher, geliebter und geachteter Mann; er stirbt in hohem Alter, von der ganzen Stadt geliebt. Theodorus sah wie mit einem Blick dessen ganzes Leben, als wäre es eine Vorstellung im Theater. In dem Gemach lag ein grosser Band von Schriften und Theodorus fragte, was dies bedeute. Es ist die Geschichte dieser Welt, die wir jetzt vor uns sehen, sagte die Göttin; es ist das Buch ihrer Schicksale. Du hast auf der Stirn des Sextus eine Zahl gesehen, suche in dem Buche die mit dieser Ziffer bezeichnete Stelle. Theodorus that es und fand da die ausführlichere Geschichte des Sextus, als die, welche er im Abriss gesehen hatte. Lege den Finger auf die Zeile, die Du willst, sagte ihm Pallas, und Du wirst da alles im Einzelnen wirklich dargestellt finden, was die Zeile im Groben andeutet. Er gehorchte und es zeigten sich alle Einzelheiten eines Theils von dem Leben des Sextus. Man ging nun in ein anderes Gemach, und siehe, da war eine andere Welt und ein anderer Sextus, der aus dem Tempel trat und entschlossen, dem Jupiter zu gehorchen, nach Thracien ging. Er heirathet hier die Tochter des Königs, welcher keine Kinder weiter hat und wird sein Nachfolger. Er wird von seinen Unterthanen angebetet. Man ging dann noch in andere Gemächer, wo immer neue Scenen gesehen wurden. 416. Die Gemächer erhoben sich über einander in Pyramidenform; sie wurden immer schöner, je mehr man sich der Spitze näherte und enthielten Darstellungen schönerer Welten. In dem höchsten Gemach sah man die Pyramide sich endigen; es war das schönste von allen; denn die Pyramide hatte zwar einen Anfang, aber das Ende sah man nicht; sie hatte eine Spitze, aber keine Grundlage, vielmehr wuchs sie nach unten in das Endlose. Dies kam, wie die Göttin erklärte, davon, dass es eine beste Welt unter allen giebt, sonst würde Gott sich nicht entschlossen haben, überhaupt eine zu erschaffen; aber von jeder gab es noch eine weniger vollkommene unter ihr und deshalb ging die Pyramide nach Unten ohne Ende fort. Als Theodorus in das höchste Gemach eintrat, gerieth er in Entzücken; die Göttin musste ihm beistehen und erst ein Tropfen von dem göttlichen Liquor, auf die Zunge gebracht liess ihn wieder zu sich selbst kommen. Er konnte sich vor Freude nicht lassen. Wir sind, sagte die Göttin, in der wahren, wirklichen Welt und Du bist an der Quelle des Glücks. Sieh hier, was Gott Dir bereitet, wenn Du ihn fernerhin treu dienst. Hier ist Sextus wie er ist, zu sehen, und wie er wirklich sein wird. Er geht voll Zorn aus dem Tempel und verachtet den Rath der Götter. Du siehst ihn auf dem Wege nach Rom, wo er alles in Unordnung bringt und der Frau seines Feindes Gewalt anthut. Hier siehst Du ihn mit seinem Vater verjagt, geschlagen, unglücklich. Hätte Jupiter hier einen Sextus gesetzt, der glücklich in Corinth war, oder König in Thracien, so wäre dies nicht mehr diese Welt gewesen. Und dennoch musste er diese Welt wählen, die in Vollkommenheit alle andern übertrifft und die Spitze der Pyramide bildet, denn sonst hätte Jupiter seiner Weisheit entsagt und mich, seine Tochter, verbannt. Du siehst, nicht mein Vater hat Sextus schlecht gemacht; er war es schon von aller Ewigkeit und er war es immer von freien Stücken; er hat ihm nur das Dasein bewilligt, welches er der Welt, in der er mit befasst war, nicht versagen konnte; er hat ihn nur aus der Region der möglichen Dinge zu der der wirklichen Wesen übergehen lassen. Auch dient das Verbrechen des Sextus zu grossen Dingen; es entspringt daraus demnächst ein grosses Reich mit grossen Männern. Allein dies ist noch nichts in Vergleich zu dem Werth dieser ganzen Welt, deren Schönheit Du bewunderst, da erst nach einem glücklichen Uebergange aus diesem sterblichen Zustande zu einem bessern die Götter Dich fähig machen werden, denselben zu erkennen. 417. In diesem Augenblick erwachte Theodorus; er dankt der Göttin; er erkennt die Gerechtigkeit des Jupiter und erfüllt von dem, was er gesehen und gehört, setzt er sein Amt als grosser Opferpriester mit all dem Eifer eines wahren Dieners seines Gottes fort und mit aller Freude, deren ein Sterblicher fähig ist. Es scheint mir, dass diese Fortsetzung der Fabel die Schwierigkeit aufhellt, welche Valla nicht berühren wollte. Wenn Apoll das schauende Wissen Gottes gut dargestellt hat (welches das Daseiende befasst) so hoffe ich, dass auch Pallas die Rolle von dem gut durchgeführt hat, was man die einfache Erkenntniss nennt (welche alles Mögliche befasst) und wo man zuletzt die Quelle aller Dinge zu suchen hat. |
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