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1-2-3-4-5-6-7-8-9-10-11-12- zweiter Teil

pascal                                 Blaise Pascal

Pensées sur la religion et sur quelques autres sujets

Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände

 

 Erster Theil:
Gedanken, die sich auf Philosophie, Moral und schöne Wissenschaften beziehn

Zweiter Abschnitt.

Betrachtungen über die Mathematik im Allgemeinen.

Bei Erforschung der Wahrheit kann man drei Hauptzwecke haben, erstens sie zu entdecken, wenn man sie sucht, zweitens sie zu beweisen, wenn man sie besitzt, drittens sie vom Falschen zu unterscheiden, wenn man sie untersucht.

Ich spreche nicht von dem ersten, sondern behandle besonders den zweiten, welcher den dritten einschließt; denn wenn man die Methode kennt die Wahrheit zu beweisen, so hat man zugleich die Methode sie zu unterscheiden, denn indem man untersucht, ob der Beweis, den man giebt, den Regeln, die man kennt, gemäß ist, sieht man auch, ob er genau geführt ist.

Die Mathematik, die in diesen drei Stücken ausgezeichnet ist, hat die Kunst entwickelt die unbekannten Wahrheiten zu entdecken, das nennt man Analyse und es wäre überflüssig darüber zu sprechen nach so vielen vortrefflichen Werken, die geschrieben worden sind.

Die Methode die schon gefundenen Wahrheiten zu beweisen und dieselben so auf zu hellen, daß der Beweis davon unwiderleglich sei, das ist die einzige, die ich angeben will  und ich brauche dazu nur den Gang zu entwickeln, welchen die Mathematik dabei beobachtet; denn sie lehrt es vollkommen.

Indessen vorher muß ich einen Begriff von einer noch höhern und vollendetern Methode geben, welche aber die Menschen nie erreichen (denn was über die Mathematik geht, übersteigt uns) und doch ist es nöthig etwas über sie zu sagen, obgleich es unmöglich ist sie auszuüben.

Diese wahre Methode, welche die Beweise in der höchsten Vollkommenheit bilden würde, wenn es möglich wäre sie zu erreichen, würde in zwei Hauptsachen bestehen, erstens sich keines Ausdrucks zu bedienen, ohne zwar genau seinen Sinn zu entwickeln, und zweitens nie einen Satz auf zu stellen ohne ihn durch schon bekannte Wahrheiten zu beweisen, das heißt mit einem Wort, alle Ausdrücke zu definiren und alle Sätze zu beweisen.

Aber um der Ordnung, die ich entwickle, selbst zu folgen, muß ich erklären, was ich unter Definition verstehe. In der Mathematik erkennt man allein die Definitionen, welche die Logiker Namenerklärungen nennen, das heißt, allein die Benennungen, die man den Dingen giebt, nachdem man sie vollkommen durch bekannte Ausdrücke bezeichnet hat, und nur von diesen allein spreche ich.

Ihr Nutzen und ihr Gebrauch ist Aufhellung und Abstürzung der Rede, indem man mit dem bloßen Namen, den man beilegt, das ausdrückt, was sich nur mit mehren Worten sagen ließe; doch so, daß der beigelegte Namen von allem andern Sinn, wenn er einen hat, entkleidet bleibt um keinen andern mehr zu haben als den, wozu man ihn einzig bestimmt. Ein Beispiel ist folgendes. Wenn man benöthigt ist unter den Zahlen diejenigen, die durch zwei in gleiche Theile zu theilen sind, von denen, die das nicht sind, zu unterscheiden, so giebt man, um die öftere Wiederholung dieser Bedingung zu vermeiden, einen Namen in der Art: ich nenne jede durch zwei gleich theilbare Zahl eine gerade Zahl. Das ist eine mathematische Definition, denn erst hat man eine Sache klar bezeichnet, nämlich jede Zahl, die durch zwei gleich theilbar ist, und darauf giebt man ihr einen Namen, den man aller andern Bedeutung, wenn er eine hat, entkleidet um ihm die Bedeutung der bezeichneten Sache zu geben.

Daraus ist ersichtlich, daß die Definitionen sehr frei sind und nie dem Widerspruch unterworfen, denn es ist nichts mehr erlaubt als einer Sache, die man klar bezeichnet hat, einen Namen zu geben, wie man will. Man muß sich bloß in Acht nehmen, daß man die Freiheit, die man hat, Namen bei zu legen, nicht mißbraucht, indem man denselben an zwei verschiedene Sachen giebt. Nicht daß das nicht erlaubt wäre, wenn man nur die Folgerungen daraus nicht vermengt und nicht eine auf die andre ausdehnt. Verfällt man aber in diesen Fehler, so kann man ihm ein sehr sichres und unfehlbares Mittel entgegen setzen, nämlich daß man die Definition in Gedanken an die Stelle des Definirten setzt und die Definition immer so gegenwärtig hat, daß man jedes Mal, wenn man z.B. von der geraden Zahl spricht, genau bedenkt, das sei das, was in zwei gleiche Theile zu theilen ist, und daß diese beiden Dinge in der Vorstellung unzertrennlich verbunden seien und daß sobald die Rede das eine ausspricht, der Geist unmittelbar damit das andre verknüpfe. Denn die Mathematiker und alle, die methodisch zu Werke gehn, legen den Dingen nur Namen bei um die Rede ab zu kürzen und nicht um den Begriff der Dinge, von denen sie reden, zu verkleinern oder zu verändern und sie verlangen, daß der Geist immer die ganze Definition bei dem kurzen Ausdruck ergänze, den sie nur gebrauchen um die Verwirrung zu meiden, welche die Menge von Worten hervorbringt.

Nichts entfernt schneller und mächtiger die verfängliche List der Sophisten als diese Methode, die man immer gegenwärtig haben muß und die allein hinreicht alle Arten von Schwierigkeiten und Zweideutigkeiten zu verbannen.

Ist dies zu gut verstanden, so komme ich wieder auf die Erklärung der wahren Ordnung zurück, die, wie gesagt, darin besteht, daß man alles definirt und alles beweist.

Gewiß wäre diese Methode schön, aber sie ist absolut unmöglich, denn es ist einleuchtend, daß die ersten Ausdrücke, die man definiren möchte, andre vorhergehende voraussetzen würden, die zu ihrer Erklärung dienen müßten und daß eben so auch die ersten Sätze, die man beweisen möchte, andre voraussetzen würden, die ihnen vorangingen und auf die Art ist klar, daß man nie zu den ersten gelangen würde.

Treibt man auch die Nachforschungen weiter und weiter, so kommt man nothwendig auf primitive Wörter, die man nicht mehr definiren kann und auf Grundsätze, die so klar sind, daß man keine andern findet, die es mehr wären um ihnen zu Beweise dienen.

Hieraus geht hervor, daß die Menschen ein natürliches und unveränderliches Unvermögen haben irgend eine Wissenschaft in einer absolut vollendeten Methode zu behandeln; aber es folgt nicht daraus, daß man deshalb jede Art von Methode aufgeben soll.

Denn es giebt eine, nämlich die der Mathematik, die allerdings niedriger steht darin, daß sie weniger überzeugend, nicht aber darin, daß sie weniger gewiß ist. Sie definirt nicht alles und beweist nicht alles und darin steht sie niedriger; aber sie setzt nur Dinge voraus, die durch den natürlichen Verstand klar und aus gemacht sind und daher ist sie vollkommen wahr, denn die Natur unterstützt sie, wo die Rede es nicht thut.

Diese Methode, die vollkommenste bei den Menschen, besteht nicht darin alles zu definiren und alles zu beweisen auch nicht darin nichts zu definiren und nichts zu beweisen, sondern darin sich in der Mitte zu halten, nicht zu definiren die klaren und von allen Menschen verstandene Dinge und alle übrigen zu definiren, nicht zu beweisen die bekannten Dinge und alle übrigen zu beweisen. Gegen diese Methode sündigen eben so gut diejenigen, die alles zu definiren und alles zu beweisen versuchen als auch die, welche das versäumen in den Dingen, die nicht von selbst einleuchten.

Dies lehrt die Mathematik vollkommen. Sie erklärt nichts von solchen Dingen als Raum, Zeit, Bewegung, Zahl, Gleichheit und dergleichen weiter, deren es sehr viele giebt; weil diese Ausdrücke die Dinge, die sie bedeuten, für die, welche die Sprache verstehen, so natürlich bezeichnen, daß die Erklärung, die man davon machen wollte, mehr Dunkelheit als Belehrung schaffen würde.

Nichts ist schwächer als das Gerede derer, die solche primitive Wörter definiren wollen. Welche Nothwendigkeit giebt es z.B. zu erklären, was man unter dem Wort Mensch versteht? Weiß man nicht zur Genüge, was für ein Ding das ist, welches man mit diesem Ausdruck bezeichnen will? und welchen Vortheil meinte Plato uns zu verschaffen, da er sagte: der Mensch wäre ein Thier auf zwei Beinen ohne Federn? Als wenn der Begriff, den ich natürlich davon habe und den ich nicht ausdrücken kann, nicht viel schärfer und sichrer wäre als der, welchen er mir durch seine Erklärung giebt, die unnütz und sogar lächerlich ist, da ein Mensch nicht die Menschheit verliert, wenn er die beiden Beine verliert und ein Kapaun sie nicht erlangt, wenn er seine Federn los wird.

Es giebt Leute, die treiben es bis zu der Absurdität ein Wort durch das Wort selbst zu erklären. Ich weiß Menschen, die das Licht in folgender Art definirt haben: »das Licht ist eine leuchtende Bewegung der leuchtenden Körper;« als wenn man das Wort leuchtend verstehen könnte ohne das Wort Licht.

Eben so kann man auch das Sein nicht definiren ohne in denselben Fehler zu verfallen; denn man kann kein Wort erklären ohne zu sagen »es ist,« man möge das nun ausdrücklich sagen oder es doch dabei sagen, um also das Sein zu definiren müßte man sagen »es ist« und also in der Definition das zu definirende Wort gebrauchen.

Daraus sieht man hinlänglich, daß es Worte giebt, die nicht definirt werden können und wenn die Natur diesen Mangel nicht durch einen gleichen Begriff, den sie allen Menschen gegeben hat, ersetzt hätte, so würden alle unsre Ausdrücke verworren sein, statt daß man sie jetzt mit derselben Sicherheit und Gewißheit gebraucht, als wenn sie auf eine vollkommen unzweideutige Weise erklärt wären. Die Natur hat uns von selbst ohne Worte einen Begriff davon gegeben, der genauer ist als der, welchen die Kunst uns durch unsre Erklärungen verschafft.

Nicht alle Menschen haben denselben Begriff von dem Wesen der Dinge, welche zu definiren, wie ich behaupte, unmöglich und unnöthig ist. Z.B. die Zeit ist von der Art. Wer kann sie definiren? Und warum soll man es versuchen,
da alle Menschen verstehen, was man sagen will, wenn man von der Zeit spricht, ohne daß man sie weiter bezeichnet?
Und doch giebt es viel verschiedene Meinungen über das Wesen der Zeit. Einer behauptet: sie sei die Bewegung eines geschaffenen Dinges, der andre: sie sei das Maß der Bewegung u.s.w. Auch behaupte ich nicht, daß die Natur dieser Dinge allen bekannt ist, sondern nur die Beziehung des Namens und des Dinges, so daß bei diesem Ausdruck Zeit alle die Gedanken auf denselben Gegenstand richten. Das reicht hin es unnöthig zu machen, daß dieses Wort definirt werde, obgleich man nachher, wenn man untersucht, was die Zeit ist, zur Verschiedenheit der Meinung kommt, sobald man angefangen hat weiter darüber nach zu denken, denn die Definitionen sind dazu da die Dinge, die man nennt, zu bezeichnen und nicht ihre Natur zu zeigen.

Es ist ganz erlaubt mit dem Namen Zeit die Bewegung eines geschaffenen Dinges zu benennen, denn wie gesagt, nichts ist freier als die Definitionen. Aber wenn man diese Definition aufstellt, so giebt es dann zwei Dinge, die man Zeit nennen muß, eins ist das, was alle Welt natürlich unter diesem Wort versteht und was alle die, welche unsre Sprache sprechen, mit diesem Ausdruck nennen, und das andre ist dann die Bewegung eines geschaffenen Dinges, denn die muß man nun mit diesem Namen nennen in Folge jener neuen Definition. Man muß dann aber auch die Zweideutigkeiten meiden und nicht die Folgerungen vermengen, denn es folgt nicht daraus, daß die Sache, die man natürlicher Weise unter dem Wort Zeit versteht, auch wirklich die Bewegung eines geschaffenen Dunges ist. Es stand frei diese beiden Sachen gleich zu nennen, aber es steht nicht frei sie eben so wie im Namen auch in dem Wesen gleich zu setzen.

Wenn man also das Wort ausspricht: die Zeit ist die Bewegung eines geschaffnen Dinges, so muß gefragt werden, was man unter dem Worte Zeit versteht, das heißt, ob man dem Wort den gewöhnlichen und von allen angenommenen Sinn läßt oder ob man demselben den nimmt um ihm für diesen Fall den Sinn: Bewegung eines geschaffnen Dinges zu geben. Wenn man das Wort alles andern Sinnes entkleidet, so ist nichts dagegen zu sagen, es wird eine freie Definition, in Folge deren, wie gesagt, zwei Dinge diesen Namen führen werden. Aber läßt man dem Wort seine gewöhnliche Bedeutung und behauptet dennoch, daß das, was man unter diesem Wort versteht, die Bewegung eines geschaffenen Dinges sei, dann kann widersprochen werden. Das ist dann nicht mehr eine freie Definition, es ist eine Behauptung, die beweisen werden muß, wenn sie nicht von selbst sehr einleuchtet, und dann ist sie auch ein Grundsatz und ein Axiom, aber niemals eine Definition, denn wenn man sich so ausdrückt, meint man nicht, daß das Wort Zeit eben so viel bedeutet als die Bewegung eines geschaffnen Dinges, sondern man meint, daß das, was man unter dem Worte Zeit sich denkt, die angenommene Bewegung sei.

Wenn ich nicht wüßte, wie nöthig es ist dieses vollkommen zu verstehen und wie alle Augenblicke in den vertraulichen Gesprächen und in den Verhandlungen der Wissenschaft Fälle vorkommen, die dem gegebenen Beispiel gleich sind, so würde ich mich nicht hierbei aufhalten. Aber nach der Erfahrung, die ich von der Verwirrung beim Streiten habe, scheint es mir, daß man nicht tief genug eindringen kann in diesen Sinn für Genauigkeit, um deßwillen ich diese ganze Abhandlung schreibe mehr als um des Gegenstandes willen, den ich hier abhandle.

Denn wie viele Menschen glauben die Zeit definirt zu haben, wenn sie sagen: sie sei das Maaß der Bewegung, und doch dem Wort seinen gewöhnlichen Sinn lassen? Und doch haben sie einen Lehrsatz gemacht, nicht eine Definition. Wie viele glauben eben so die Bewegung definirt zu haben, wenn sie sagen: Motus nec simpliciter motus non mera potentia est; sed actus entis in potentia (die Bewegung ist weder einfach Bewegung noch reine Kraft, sondern die That eines Wesens in Kraft)? Und doch wenn sie dem Worte Bewegung seinen gewöhnlichen Sinn lassen, wie sie thun, so ist es nicht eine Definition, sondern ein Lehrsatz. Sie vermengen so die Definitionen, die sie Namenerklärungen nennen, die die wirklichen freien, erlaubten und mathematischen Definitionen sind, mit denen, die sie Sacherklärungen nennen, die eigentlich Sätze und als solche keineswegs frei, sondern dem Widerspruch unterworfen sind. Sie nehmen sich die Freiheit eben so gut als die andern welche zu bilden und indem jeder dieselben Dinge auf seine Weise definirt mit einer Ungebundenheit, die in dieser letzten Art von Definitionen eben so verboten ist wie in der ersten Art erlaubt, so verwirren sie alles; sie verlieren alle Ordnung und alle Einsicht und verlieren sich selbst und verwickeln sich in unauflöslichen Schwierigkeiten.

Dahin wird man nie gerathen, wenn man die Methode der Mathematik befolgt. Diese verständige Wissenschaft ist weit davon entfernt jene primitiven Ausdrücke Raum, Zeit, Bewegung, Gleichheit, Wahrheit, Verminderung, Alles und die übrigen, welche jedermann von selbst versteht, zu definiren. Aber außer diesen sind alle übrigen Ausdrücke, deren sie sich bedient, in ihr so erklärt und definirt, daß man kein Wörterbuch braucht um einen zu verstehen, mit einem Wort, alle ihre Ausdrücke sind vollkommen verständlich entweder durch das natürliche Licht oder durch die Definitionen, die sie davon giebt.

Auf diese Weise vermeidet sie alle Fehler, die gegen die erste Regel, daß man allein die Sachen, welche es bedürfen, definiren soll, können begangen werden. Eben so thut sie in Betreff der andern Regel die nicht einleuchtenden Sätze zu beweisen. Denn sobald sie bis zu den ersten bekannten Wahrheiten gelangt ist, bleibt sie stehen und verlangt, daß man sie zugebe, weil sie nichts Klareres hat sie zu beweisen, so daß denn alles, was die Mathematik als Lehrsatz aufstellt, vollkommen demonstrirt wird entweder durch die natürliche Einsicht oder durch die Beweise.

Daher kommt es, daß, wenn diese Wissenschaft nicht alle Dinge definirt und demonstrirt, das allein aus dem Grunde geschieht, weil uns das unmöglich ist.

Vielleicht wird es befremden, daß die Mathematik keins von den Dingen, die ihre Hauptgegenstände sind, definiren kann; denn sie kann weder die Bewegung, noch die Zahlen, noch den Raum definiren und doch sind es diese drei, was sie ins Besondere betrachtet, und von deren Erforschung hat sie ihre drei verschiednen Namen Mechanik, Arithmetik und Geometrie, indem dieser letzte Name die ganze Wissenschaft wie den besondern Theil bezeichnet. Aber man wird sich nicht darüber wundern, sobald man bemerkt, daß diese herrliche Wissenschaft sich nur an die einfachsten Dinge anschließt und daß eben diese Eigenschaft, welche sie würdig macht ihr Gegenstand zu sein, sie auch undefinirbar macht. Der Mangel an Definition ist also mehr eine Vollkommenheit von ihnen als ein Fehler, denn er entsteht nicht aus ihrer Dunkelheit, sondern vielmehr aus ihrer ausnehmenden Klarheit, die so groß ist, daß sie, wenn ihr auch die Ueberführung der Beweise fehlt, doch alle Gewißheit derselben hat. Die Mathematik setzt also voraus, daß man weiß, was man unter den Wörtern Bewegung, Zahl, Raum versteht und ohne sich mit der unnützen Erklärung derselben aufzuhalten durchdringt sie ihre Natur und entdeckt ihre wunderbaren Eigenschaften.

Diese drei, welche das All begreifen nach dem Wort »Gott hat alles in Gewicht, Zahl und Maß gemacht,« haben eine Verbindung, die gegenseitig und nothwendig ist. Denn man kann sich keine Bewegung denken ohne etwas, was sich bewegt, dieses Ding ist eins und diese Einheit ist der Ursprung aller Zahlen. Endlich da die Bewegung nicht ohne Raum sein kann, so sieht man diese drei Stücke in dem ersten eingeschlossen.

Die Zeit selbst ist auch darin begriffen, denn die Bewegung und die Zeit stehn in Beziehung zu einander, da die Schnelligkeit und die Langsamkeit, welche die Unterschiede der Bewegung sind, eine nothwendige Beziehung auf die Zeit haben.

So giebt es denn Eigenschaften, die allen diesen Dingen gemein sind und deren Erkenntniß öffnet den Geist den größten Wundern der Natur. Die Haupteigenschaft begreift die beiden Unendlichkeiten, die in allen Dingen vorkommen, die der Größe und die der Kleinheit.

Wie rasch auch eine Bewegung sei, so kann man sich doch eine denken, die noch rascher wäre und auch diese letzte noch beschleunigen und so immer ins Unendliche ohne je zu einer Bewegung zu kommen, die so rasch wäre, daß man nichts mehr hinzufügen könnte. Und so umgekehrt, wie langsam eine Bewegung sei, so kann man sie noch langsamer machen und diese wieder langsamer und so ins Unendliche ohne je zu einem solchen Grade von Langsamkeit zu gelangen, daß man nicht noch von da zu einer unendlichen Menge andrer Grade herabsteigen könnte ohne zur Ruhe zu kommen. Eben so, wie groß eine Zahl auch sei, kann man sich eine noch größere denken und noch eine, welche diese letzte übersteigt und so ins Unendliche ohne je zu einer zu gelangen, die nicht mehr vergrößert werden kann, und umgekehrt, wie klein auch eine Zahl sei, als der hundertste oder zehn tausendste Theil, kann man sich doch noch eine geringere denken und immer ins Unendliche ohne zur Null oder zum Nichts zu gelangen. Wie groß ein Raum sei, so kann man sich einen größern vorstellen und wieder einen, der noch größer ist und so ins Unendliche, ohne je einen zu erlangen, der nicht vergrößert werden könnte, und umgekehrt, wie klein auch ein Raum sei, man kann noch einen kleinern sich denken und immer ins Unendliche, ohne je einen untheilbaren zu erreichen, der gar keine Ausdehnung mehr hätte.

Eben so ist es mit der Zeit. Man kann sich immer eine längere vorstellen ohne letzte und wieder eine kürzere, ohne zu einem Augenblick und zu einem Nichts von Dauer zu kommen.

Das heißt also mit einem Wort: was für Bewegung, Zahl, Raum, Zeit man sich denke, immer giebt es ein Größeres und Geringeres, so daß alle diese Dinge sich zwischen dem Nichts und dem Unendlichen halten, immer unendlich entfernt von diesen Extremen. Alle diese Wahrheiten lassen sich nicht beweisen und doch sind sie die Grundlagen und ersten Anfänge der Mathematik. Da aber die Ursache ihrer Unbeweisbarkeit gar nicht in ihrer Dunkelheit liegt, sondern vielmehr in ihrer außerordentlichen Evidenz, so ist dieser Mangel an Beweis nicht ein Fehler, sondern vielmehr eine Vollkommenheit.

Daraus ersieht man, daß die Mathematik weder die Gegenstände erklären noch die Grundgesetze beweisen kann, aber allein aus dem für sie günstigen Grunde, weil die einen wie die andern eine natürliche Klarheit haben, welche die Vernunft mächtiger überzeugt, als Worte thun würden.

Denn was kann einleuchtender sein als die Wahrheit, daß eine Zahl, sie sei welche sie wolle, kann vergrößert werden? Man kann sie verdoppeln, kann die Schnelligkeit einer Bewegung verdoppeln und einen Raum desgleichen. Und wer ist im Stande daran zu zweifeln, daß eine Zahl, sie sei welche sie wolle, in die Hälfte und ihre Hälfte wieder in die Hälfte getheilt werden kann? Denn, würde nun diese Hälfte ein Nichts sein? Wie sollten denn diese beiden Hälften, die zwei Nullen wären, eine Zahl ausmachen?

Eben so eine Bewegung, wie langsam sie auch sei, kann sie nicht noch um die Hälfte langsamer gemacht werden, so daß sie denselben Raum in der doppelten Zeit durchläuft, und diese letzte Bewegung läßt sie nicht noch verlängern? Würde das aber eine reine Ruhe sein? Und wie sollte es zugehn, daß diese beiden Hälften der Bewegung, die zwei Ruhen wären, die erste Bewegung ausmachten?

Endlich ein Raum, wie klein er sei, kann er nicht in zwei Hälften getheilt werden und diese wieder? Und wie sollte es möglich sein, daß diese Hälften untheilbar wären, ohne alle Ausdehnung, da sie doch mit einander verbunden die erste Ausdehnung machten?

Es giebt keine natürliche Erkenntniß im Menschen, welche diesen an Klarheit voranginge und sie überträfe. Indessen, damit es doch Beispiele gäbe von allen, finden man Köpfe, die in allen andern Dingen ausgezeichnet sind und die doch an diesen Unendlichkeiten Anstoß nehmen und auf keine Weise dem bei zu stimmen vermögen. Ich habe nie jemand gesehn, der gemein: ein Raum könnte nicht vergrößert werden; aber ich habe einige, sonst sehr kluge Menschen gesehn, die versicherten, ein Raum könnte in zwei untheilbare Stücke getheilt werden, so abgeschmackt das auch ist. Ich habe recht nachforscht in ihnen, was doch die Ursache dieser Dunkelheit sein könnte und habe gefunden, daß es nur eine Hauptursache gab, das war, daß sie nicht im Stande waren ein unendlich theilbares Continuum sich vor zu stellen, woraus sie denn schließen, daß es nicht so theilbar sei.

Das ist eine natürliche Krankheit des Menschen zu glauben, daß er die Wahrheit gerade zu besitzt und daher kommt es, daß er immer geneigt ist alles zu leugnen, was er nicht begreift, da er doch in der Wirklichkeit auf natürliche Weise nur den Irrthum kennt und für wahr nur das nehmen darf, wovon das Gegentheil ihm falsch scheint. Daher, so oft ein Satz unbegreiflich ist, muß man das Urtheil darüber zurück halten und ihn um dieses Merkmals willen leugnen, sondern das Gegentheil prüfen und wenn man dieses offenbar falsch findet, kann man dreist den ersten Satz behauptet, wie unbegreiflich er auch sei. Diese Regel wollen wir auf unsern Gegenstand anwenden.

Es giebt keinen Mathematiker, der nicht glaube, daß der Raum ins Unendliche theilbar ist. Ohne diesen Grundsatz kann man eben so wenig ein Mathematiker sein als ohne Seele ein Mensch. Und doch giebt es keinen Mathematiker, der eine unendliche Theilung faßt und man versichert sich dieser Wahrheit nur durch den einzigen Grund, der freilich auch gewiß genügend ist, daß man vollkommen faßt, wie falsch es ist, wenn man meint einen Raum theilen und auf ein Untheilbares d.h. auf etwas, das keine Ausdehnung hat, kommen zu können. Was kann absurder sein als zu meinen, wenn man einen Raum immer theile, komme man endlich zu einem Stück, was so wäre, daß, wenn man es wieder in zwei theilt, jede der Hälften untheilbar und ohne Ausdehnung bleibt? Wer diese Meinung hat, den möchte ich fragen, ob er genau faßt wie zwei untheilbare Dinge sich berühren; ists überall, so sind sie nur ein und dasselbe Ding und folglich sind die beiden zusammen untheilbar, ists aber nicht überall, so ist es nur an einem Theil, also haben sie Theile und sind also nicht untheilbar.

Wenn sie denn nun bekennen (wie sie es wirklich gestehn, wenn man sie drängt) daß ihr Satz eben so unbegreiflich ist als der andre, so mögen sie denn anerkennen, daß wir nicht nach unsrer Fähigkeit diese Dinge zu begreifen über ihre Wahrheit urtheilen dürfen, denn diese zwei entgegengesetzten Sätze sind alle beide unbegreiflich und demnach ist nothwendig einer von beiden wahre.

Können sie aber nicht begreifen, wie Theile, die so klein sind, daß wir sie nicht bemerken, so viel getheilt werden können als das Firmament, so giebt es kein besseres Mittel als ihnen dieselben durch Vergrößerungsgläser zu zeigen, die den seinen Punkt zu einer ungeheuren Masse vergrößern. Dadurch werden sie leicht begreifen, daß man mit Hilfe eines andern, noch künstlicher geschliffenen Glases sie vergrößern könnte, bis sie dem Firmament gleichen, dessen Ausdehnung sie bewundern. Dann werden ihnen diese Gegenstände sehr leicht als theilbar erscheinen, wenn sie bedenken, daß die Natur unendlich mehr kann als die Kunst. Denn wer hat sie dessen gewiß gemacht, daß diese Gläser die natürliche Größe jener Dinge verändert haben oder, wenn sie umgekehrt die wahre Größe wieder hergestellt, daß das Bild unsres Auges sie geändert und verkürzt hat wie die Verkleinerungsgläser?

Zwei Nichts an Ausdehnung können nicht eine Ausdehnung machen. Wenn es aber doch Leute giebt, die dieser Einsicht entgegen zu können meinen durch die wundervolle Antwort, daß zwei Nichts an Ausdehnung eben so gut eine Ausdehnung machen können, als zwei Einheiten, deren doch keine eine Zahl ist, durch ihr Zusammenkommen eine Zahl machen, so muß man ihnen antworten, daß sie auf dieselbe Art entgegen setzen können, zwanzig tausend Mann machen ein Heer, obgleich keiner von ihnen Heer ist, tausend Häuser machen eine Stadt, obgleich keines Stadt ist oder die Theile machen das Ganze, obgleich keiner das Ganze ist. Will man von den Zahlen eine Vergleichung hernehmen, die richtig darstellen, was wir an der Ausdehnung beobachten, so muß das die Beziehung der Null zu den Zahlen sein. Das ist ein wahrhaft Untheilbares der Zahl, wie das Untheilbare die wahre Null der Ausdehnung ist. Ein gleiches Verhältniß wird man zwischen der Ruhe und der Bewegung und zwischen einem Moment und der Zeit finden. Alle diese Größen sind theilbar ins Unendliche ohne ins Untheilbare zu gerathen, so daß sie alle die Mitte halten zwischen dem Unendlichen und dem Nichts.

Das ist das bewundernswürdige Verhältniß, in welches die Natur die Dinge zu einander gesetzt hat und das sind die wunderbaren Unendlichkeiten, die sie den Menschen vorgelegt hat nicht zu begreifen, sondern zu bewundern.

Wer mit diesen Gründen nicht zufrieden ist und in dem Glauben bleibt, daß der Raum nichts ins Unendliche theilbar sei, der kann nicht auf mathematische Beweise Anspruch machen und wie aufgeklärt er auch in andern Dingen sein mag, in jenen ist er es sehr wenig; denn man kann ganz gut ein sehr kluger Mann sein und ein schlechter Mathematiker.

Diejenigen aber, die diese Wahrheiten klar erkennen, werden die Größe und die Macht klar erkennen, werden die Größe und die Macht der Natur in dieser doppelten Unendlichkeit, die uns von allen Seiten umgiebt, bewundern können und aus dieser merkwürdigen Betrachtung sich selbst kennen lernen, indem sie sich gestellt sehen zwischen einem Unendlichen und einem Nichts der Ausdehnung, der Zahl, Bewegung und Zeit. Da kann man wohl lernen seinen wahren Werth schätzen und sehr wichtige Betrachtungen anstellen, die mehr werth sind als die ganze übrige Mathematik selbst.

Ich hielt mich verpflichtet dies so lang und weitläuftig aus einander zu setzten zum Besten derer, die nicht auf den ersten Blick sogleich diese doppelte Unendliche begreifen und doch fähig sind davon überzeugen zu lassen. Und ob schon viele Einsicht genug haben um diese Abhandlung entbehren zu können, so mag es doch wohl der Fall sein, daß sie einigen nöthig und andern ganz unnütz sein wird.

 

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