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Blaise Pascal Pensées sur la religion et sur quelques autres sujets Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände
Zweiter Theil: Zwanzigster Abschnitt. Vergleichung der alten Christen mit den heutigen. In der ersten Zeit der Kirche sah man nur Christen, die vollkommen in allen zum Heil nothwendigen Stücken unterrichtet waren, wogegen man heut zu Tage eine so große Unwissenheit findet, daß darüber alle seufzen, die Liebe für die Kirche haben. Man trat damals in die Kirche nicht eher als nach großen Arbeiten und langer Sehnsucht, und jetzt befindet man sich darin ohne eine Mühe, ohne Sorge und Arbeit. Man wurde nur nach einer genauen Prüfung zugelassen; jetzt ist man darin aufgenommen, ehe man im Stande ist geprüft zu werden. Man wurde nicht eher aufgenommen, als bis man sein vergangenes Leben abgeschworen und der Welt, dem Fleisch und dem Teufel abgesagt hatte; jetzt tritt man hinein, ehe man im Stande ist das Geringste von alle dem zu thun. Endlich mußte man sonst von der Welt ausscheiden um in die Kirche aufgenommen zu werden; dagegen heute tritt man in die Kirche zu gleicher Zeit, wenn man in die Welt tritt. Bei diesem Verfahren kannte man damals einen wesentlichen Unterschied zwischen der Welt und der Kirche, man betrachtete sie als zwei Gegensätze, als zwei unversöhnliche Feinde, die einander ohne Unterbrechung verfolgen und von denen der eine, dem Anschein nach der schwächste, einst über den stärkern den Sieg davon tragen soll. Von diesen beiden feindlichen Parteien verließ man die eine um zu der andern zu gehen, man verließ die Grundsätze der einen um denen der andern zu folgen, man entschlug sich der Gesinnungen der einen um die der andern an zu nehmen, kurz, man verließ, entsagte, schwor ab der Welt, worin man zum ersten Mal geboren war, um sich ganz der Kirche zu weihen, worin man zum zweiten Mal geboren wurde und so dachte man sich einen sehr großen Unterschied zwischen beiden. Heutiges Tages befindet man sich beinahe zu gleicher Zeit in beiden und derselbe Zeitpunkt, in welchem wir für die Welt geboren werden, bringt auch unsre Wiedergeburt in der Kirche herbei, so daß die Vernunft, wenn sie hinzukommt, keine Unterscheidung mehr zwischen diesen beiden so entgegengesetzten Gebieten macht; sie wächst heran und bildet sich zugleich in beiden. Wiederholt benutzt man die Sacramente und genießt die Freuden dieser Welt und so, statt daß man sonst eine wesentliche Unterscheidung zwischen beiden bemerkte, sieht man sie jetzt durch einander geworfen und vermischt, so daß man sie fast gar nicht mehr unterscheidet. Daher kommt es, daß man ehedem unter den Christen nur sehr unterrichtete Menschen sah, statt daß sie jetzt in einer Unwissenheit sind, die Schauder erregt. Daher kommt es, daß ehedem diejenigen, die durch die Taufe Christen geworden waren und die Lasten der Welt verlassen hatten um in die Frömmigkeit der Kirche ein zu treten, so selten wieder von der Kirche ab zur Welt zurückfielen, wogegen man jetzt nichts gewöhnlicher sieht als die Laster der Welt im Herzen der Christen. Die Kirche der Heiligen ist ganz verunreinigt durch die Beimischung der Bösen und ihre Kinder, die sie von der Kindheit an empfangen und unter ihrem Herzen getragen hat, sind eben die, welche in ihr Herz, d.h. bis zur Theilnahme an ihren heiligsten Geheimnissen, den größten ihrer Feinde bringen, den Geist der Welt, den Geist des Ehrgeizes, der Rache, der Unreinigkeit, der bösen Lust, und die Liebe, die sie für ihre Kinder hat, bewegt sie den grausamsten ihrer Verfolger bis in ihr Innerstes zu zu lassen. Aber nicht der Kirche darf man das Unglück zurechnen, welches die Folge einer so traurigen Veränderung gewesen ist. Denn da sie sah, daß durch das Aufschieben der Taufe eine große Menge von Kindern unter dem Fluche Adams blieb, so wollte sie diesen von jenem Haufen des Verderbens befreien und beeilte darum den Beistand, den sie ihnen giebt, und diese gute Mutter sieht nur mit großer Betrübniß, daß nun das, was sie zum Heil ihrer Kinder bereitet hat, die Gelegenheit zum Verderben ihrer Erwachsenen wird Ihr wahrer Sinn ist, daß die, welche sie in einem so zarten Alter der Ansteckung der Welt entzieht, sich recht weit von den Gesinnungen der Welt entfernen sollen. Sie kommt de Gebrauch der Vernunft zuvor um den Lastern zuvor zu kommen, in welche die verderbte Vernunft sie hineinziehn würde, und ehe der Kinder Geist handeln kann, erfüllt sie sie mit ihrem Geist, damit sie in der Unbekanntschaft mit der Welt leben in einem Zustande, der um so mehr entfernt vom Laster wäre, als sie es nie gekannt. Das ersieht man aus den Gebräuchen der Taufe nicht eher, als bis sie durch den Mund der Zeugen erklärt haben, daß sie sie wünschen, daß sie glauben und der Welt und dem Teufel entsagen und da sie will, daß sie diese Gesinnungen in der ganzen Folge ihres Lebens sich erhalten, so gebietet sie ihnen ausdrücklich dieselben unverletzlich zu bewahren und macht es den Taufzeugen mit einem unerläßlichen Gebot zur Pflicht die Kinder von allen diesen Dingen zu unterrichten; denn sie will nicht, daß die, welche sie an ihrem Busen genährt von Kindheit an, heut zu Tage weniger unterrichtet und weniger eifrig sein sollen als die, welche sie sonst zur Zahl ihrer Kinder zuzählte; sie verlangt keine geringere Vollkommenheit in denen, die sie nährt, als in denen, die sie aufnimmt. Indessen man wendet das auf eine Weise an, die der Absicht der Kirche so entgegen ist, daß man nicht ohne Schauder daran denken kann. Ueber eine so große Wohlthat stellt man beinahe keine Betrachtung mehr an, weil man sie nie verlangt hat, weil man sich selbst nicht erinnert sie empfangen zu haben. Da es aber klar ist, daß die Kirche von denen, die als Knechte des Glaubens auferzogen sind, nicht weniger Eifer fordert als von denen, die Knechte zu werden verlangen, so muß man sich das Beispiel der Katechumenen vor Augen stellen und ihre Gluth, ihre Andacht, ihre Scheu vor der Welt, ihre edelmüthige Verleugnung der Welt anschauen. Und wenn man jene damals nicht für würdig achtete ohne diese Gesinnungen die Taufe zu empfangen, so müssen denn jetzt diejenigen, die dergleichen nicht in sich fühlen, sich dem unterwerfen die Belehrung zu empfangen, die sie erhalten haben würden, wenn sie anfingen in die Gemeinschaft der Kirche zu treten; ja, sie müssen sich einer solchen Buße unterwerfen, daß sie nicht mehr Lust haben sie zurück zu weisen und weniger Abneigung vor der Strenge der Sinnenertödtung haben, als sie Reiz finden im Genuß der schändlichsten Lüste der Sünde. Um sie zur Belehrung geneigt zu machen, muß man ihnen den Unterschied der Gewohnheiten, die in der Kirche nach der Verschiedenheit der Zeiten in Gebrauch gewesen sind, begreiflich machen. In der ersten Kirche unterrichtete man die Katechumenen, d.h. diejenigen, welche die Taufe begehrten, ehe man sie ihnen ertheilte und man ließ sie zu derselben erst nach einer voller Belehrung über die Geheimnisse der Religion, nach einer Buße wegen ihres vergangenen Lebens, nach einer tiefen Erkenntniß der Größe und Vorzüglichkeit des Glaubensbekenntnisses und der christlichen Grundlehren, zu denen sie für immer hinzu zu treten wünschten, nach deutlichen Zeichen einer wahrhaften Bekehrung des Herzens und nach einem mächtigen Begehren der Taufe. Wenn dieses alles der ganzen Kirche bekannt worden war, so ertheilte man ihnen das Sacrament der Einverleibung, wodurch sie erst Glieder der Kirche wurden. In jetziger Zeit, da die Taufe den Kindern, ehe sie ihre Vernunft gebrauchen können, aus sehr wichtigen Gründen gewähret wird, geschieht es, daß die Nachlässigkeit der Eltern die Christen ohne irgend eine Kenntniß unsrer Religion alt werden läßt. Als die Belehrung der Taufe vorausging, waren alle belehrt; aber jetzt, da die Taufe der Belehrung vorausgeht, ist der Unterricht, der für das Sacrament nöthig war, freiwillig geworden und darnach vernachlässigt und endlich beinahe abgeschafft. Die Vernunft überzeugte von der Nothwendigkeit der Belehrung und als die Belehrung der Taufe voranging, machte die Nothwendigkeit der einen, daß man auch nothwendig zu der andern Zuflucht nahm. Dagegen weil jetzt die Taufe der Belehrung vorausgeht, und man zum Christen gemacht wird ohne belehrt zu sein, so meint man auch Christ bleiben zu können ohne sich belehren zu lassen und anstatt daß die ersten Christen so viel Erkenntlichkeit bewiesen für eine Gnade, welche die Kirche ihnen nur nach langen Bitten gewährte, so beweisen die heutigen Christen nur Undankbarkeit für dieselbe Gnade, die sie ihnen gewährt, selbst ehe sie im Stande waren sie zu verlangen. Wenn sie den freilich seltenen Abfall der ersten Christen so stark verabscheute, wie muß sie einen Gräuel haben vor dem Abfall und beständig wiederholten Abfall der letzten Christen, da sie ihr doch noch viel freigebiger aus der Verdammniß gezogen hat, der sie durch ihre erste Geburt anheimgefallen waren! Sie kann nicht ohne Seufzen sehen, wie die größte ihrer Gnaden gemißbraucht wird und wie eben das, was sie gethan hat ihnen ihr Heil zu sichern, ihnen fast die sichre Gelegenheit zu ihrem Verderben wird; denn sie hat nicht den Sinn gewechselt, obgleich sie den Gebrauch verändert hat. . |
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