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Blaise Pascal Pensées sur la religion et sur quelques autres sujets Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände
Zweiter Theil: Fünfter Abschnitt. Die wahre Religion bewiesen durch die Widersprüche im Menschen und durch die Erbsünde. 1. Die Größe und das Elend des Menschen ist so sichtlich, daß nothwendig die wahre Religion uns lehren muß: wie in ihm ein großer Keim von Größe und zu gleicher Zeit ein großer Keim von Elend liegt. Sie muß, um den Menschen glücklich zu machen, ihm zeigen, daß ein Gott ist, daß man verpflichtet ist ihn zu lieben, daß unsere wahre Glückseligkeit darin besteht ihm an zu gehören und unser einziges Unglück darin von ihm getrennt zu sein. Sie muß uns lehren, daß wir voll Finsterniß sind, die uns verhindert ihn zu kennen und zu lieben und daß wir also, indem unsre Pflichten uns verbinden Gott zu lieben und unsre böse Lust uns davon abwendet, voll Ungerechtigkeit sind. Sie muß uns Auskunft geben über den Widerstand, den wir gegen Gott und gegen unser eignes Wohl ausüben. Sie muß uns die Heilmittel lehren und die Wege diese Heilmittel zu erlangen. Man prüfe in dieser Hinsicht alle Religionen der Welt und sehe, ob es eine außer der christlichen giebt, die hierin genüge. Sollte es etwa die sein, welche die Philosophen lehrten, die uns als einziges Glück ein Glück aufstellen, das in uns ist? Ist das das wahre Glück? Haben sie das Heilmittel gefunden für unsre Uebel? Heißt das den Hochmuth des Menschen heilen, wenn man ihn Gott gleich stellt? Und wiederum die, welche uns den Thieren gleichstellen und uns die Freuden der Erde als einziges Glück bezeichneten, haben sie das Heilmittel geschaffen für unsre Begierden? Erhebe deine Augen zu Gott, sagen die einen, da ist der, dem du gleichst und der dich gemacht hat um ihn an zu beten, du kannst dich ihm ähnlich machen, die Weisheit wird dich ihm gleichstellen, wenn du ihr folgen willst. Die andern sagen: Schlage deine Augen zur Erde nieder, armseliger Wurm, der du bist und siehe die Thiere an, du bist ihres Gleichen. Was wird denn aus dem Menschen? Wird er gleich sein Gott oder den Thieren? Welcher entsetzliche Abstand! Was wird dann aus uns? Welche Religion wird uns lehren den Hochmuth heilen und die Begierde? Welche Religion wird uns lehren unser Glück, unsre Pflichten, die Schwächen, die uns davon abwenden, die Heilmittel, die sie heilen können, und den Weg diese Mittel zu erlangen? Wir wollen hören, was uns hierüber die Weisheit Gottes sagt, die in der christlichen Religion zu uns spricht. Umsonst, o Mensch, suchst du in dir selbst das Heilmittel für dein Elend. Alle deine Geisteskräfte können nicht weiter kommen als bis zu der Erkenntniß, daß du nicht in dir die Wahrheit und das Glück finden wirst. Die Philosophen haben es dir versprochen, sie haben es aber nicht leisten können. Sie wissen weder, welches dein wahres Glück noch welcher dein wahrer Zustand ist. Wie hätten sie Heilmittel für deine Leiden geben sollen, da sie sie nicht ein Mal erkannt haben? Deine hauptsächlichen Krankheiten sind der Hochmuth, der dich Gott entzieht und die Begierde, die dich[264] an die Erde heftet und sie haben nichts weiter gethan als zum wenigsten eine von diesen Krankheiten unterhalten. Haben sie dir Gott zum Gegenstand der Betrachtung gegeben, so ist das nur gewesen um den Hochmuth zu üben. Sie machten dich glauben, daß du ihm durch deine Natur ähnlich seist. Und diejenigen, welche die Eitelkeit dieser Anmaßung einsahn, haben dich in den andern Abgrund gestürzt, indem sie dir zeigten, daß deine Natur der Natur der Thiere gleich sei und haben dich dazu gebracht dein Glück in den Begierden zu suchen, welche das Theil der Thiere sind. Das ist nicht der Weg dich über deine Ungerechtigkeiten zu belehren. Das ist der Zustand, in welchem die Menschen jetzt sind. Ihnen bleibt ein mächtiger Trieb nach Glück von ihrer ersten Natur und sie sind versunken im Elend ihrer Blindheit und ihrer Begierde, das ihre zweite Natur geworden ist. 2. Aus diesen Principien, die ich dir hier darlege, kannst du erkennen die Ursache von so vielen Widersprüchen, die alle Menschen in Erstaunen gesetzt und sie in Parteien getheilt haben. Beobachte nun alle die Empfindungen von Größe und Ehre, welche das Gefühl von so viel Elend nicht ersticken kann und siehe: ob nicht die Ursache davon eine andre Natur sein muß. 3. Erkenne also, Hochmüthiger, welch ein Räthsel du dir selber bist! Demüthige dich, du ohnmächtige Vernunft, schweige, du gebrechliche Natur, wisse, daß der Mensch unendlich den Menschen übersteigt und lerne von deinem Herrn deinen wahren Stand, den du nicht kennst. Denn genug, wäre der Mensch nie verderbt worden, so würde er der Wahrheit und der Glückseligkeit mit Sicherheit genießen. Und wäre der Mensch nie anders als verderbt gewesen, so würde er keinen Begriff haben weder von der Wahrheit noch von der Seligkeit. Aber unglücklich wie wir sind und unglücklicher als wenn es nichts Großes in unserm Wesen gäbe, haben wir eine Vorstellung vom Glück und können nicht dahin gelangen, wir empfinden einen Schimmer von Wahrheit und besitzen nur die Lüge, gleich unfähig nicht zu wissen und zuverlässig zu wissen, so sehr ist es offenbar, daß wir auf einer Stufe von Vollkommenheit gewesen sind, von der wir unglücklich herabfallen. Was predigt uns denn dies heiße Verlangen und dieses Unvermögen, was anders als, daß es einstmals im Menschen ein wahres Glück gab, von welchem ihm jetzt nichts übrig ist als die Erinnerung und die ganz leere Spur, die er vergebens mit allem, was ihn umgiebt, aus zu füllen unternimmt, indem er in den Dingen, die nicht da sind, die Hilfe sucht, welche er von den gegenwärtigen nicht erhält und welche weder die einen noch die andern im Stande sind ihm zu geben, weil dieser unendliche Abgrund nur ausgefüllt werden kann durch einen unendlichen und unveränderlichen Gegenstand? 4. Und doch ist es zum Erstaunen, daß das Geheimniß, welches unsrer Erkenntniß am Fernsten liegt, nämlich das Geheimniß von der Fortpflanzung der Erbsünde, eine Sache ist, ohne die wir keine Erkenntniß unser selbst haben können! Denn ohne Zweifel ist nichts so sehr unsrer Vernunft anstößig, als wenn man sagt, daß die Sünde des ersten Menschen strafbar gemacht habe diejenigen, die, so weit ab von jenem Ursprung, unfähig scheinen daran Theil zu nehmen. Diese Fortpflanzung scheint uns nicht allein unmöglich, sie scheint uns sogar sehr ungerecht. Denn was kann mehr den Gesetzen unsrer erbärmlichen Gerechtigkeit zuwider sein als ewig ein des Wollens unfähiges Kind zu verdammen um einer Sünde willen, an der es so wenig Theil zu haben scheint, da sie begangen ist sechstausend Jahre, bevor es da war? Gewiß, nichts berührt uns unsanfter als diese Lehre. Und doch ohne dieses Geheimniß, das unbegreiflichste von allen, sind wir uns selbst unbegreiflich. Der Knoten unsers Wesens schürzt sich hin und her in diesem Abgrund; so daß der Mensch ohne dieses Geheimniß viel unbegreiflicher wird als dieses Geheimniß selbst ihm unbegreiflich ist. Die Erbsünde ist eine Thorheit vor den Menschen, aber man giebt sie nicht dafür aus. Man darf daher nicht den Mangel der Vernunft in dieser Lehre zum Vorwurf machen, weil man ja nicht behauptet, daß die Vernunft sie erreichen könne. Aber diese Thorheit ist viel weiser als alle Weisheit der Menschen; denn die göttliche Thorheit ist weiser denn die Menschen sind (1. Cor. 1. 25.). Denn ohne diese Lehre, was soll man sagen, daß der Mensch sei? Sein ganzer Zustand hängt von diesem Punkte ab, der unbegreiflich ist. Und wie sollte er dessen gewahr sein durch seine Vernunft, da es eine Sache ist, die über seine Vernunft hinausgeht, und da seine Vernunft, weit entfernt es durch ihre Mittel zu erdenken, sich noch davon entfernt, wenn man es ihr darbietet? 5. Da diese beiden Stände der Umstände der Unschuld und der Verderbtheit und offen vorliegen, so ist es unmöglich, daß wir sie nicht erkennen sollten. Laßt uns die Bewegungen unsers Herzens verfolgen, und selbst beobachten und sehen: ob wir da nicht die lebendigen Züge dieser beiden Naturen finden werden. So viel Widersprüche, sollten die sich in einem einfachen Wesen vorfinden? Diese Doppelwesen des Menschen ist so sichtlich, daß schon einige geglaubt haben: wir hätten zwei Seelen; ein einfaches Wesen schien ihnen unfähig so großer und so plötzlicher Verschiedenheiten, einer schrankenlosen Anmaßung bei einem erschrecklichen Kleinmuth des Herzens. So sind denn eben alle die Widersprüche, welche die Menschen, wie es schien, am Weitesten von der Erkenntniß einer Religion entfernen sollten, sie sind es, was sie vielmehr zur wahren Religion führen muß. Ich für meinen Theil bekenne: sobald die christliche Religion dieses Princip enthüllt, daß die Natur der Menschen verdorben und von Gott abgefallen ist, so öffnet das die Augen überall das Merkzeichen dieser Wahrheit zu sehn. Denn die Natur ist so beschaffen, daß sie überall einen verlorenen Gott anzeigt sowohl im Menschen als außer dem Menschen. Ohne jene göttliche Belehrungen was haben die Menschen anders thun können als entweder sich erheben in dem ihnen noch übriggebliebenen innern Gefühl ihrer vergangenen Größe oder zusammensinken im Augenblick ihrer gegenwärtigen Schwachheit? Denn da sie nicht die Wahrheit ganz sehen, konnten sie nicht zu einer vollkommenen Tugend gelangen. Die einen betrachten die Natur als unverdorben, die andern als unverbesserlich und so konnten sie nicht dem Stolz oder nicht der Trägheit entgehn, welches die beiden Quellen aller Laster sind, weil sie nicht anders konnten als sich ihnen hingeben aus Feigheit oder ihnen entgehen aus Stolz. Denn erkannten sie die Herrlichkeit des Menschen, so kannten sie nicht sein Verderben, so daß sie wohl die Trägheit vermieden, aber sie gingen unter im Stolz. Und erkannten sie die Gebrechlichkeit der Natur, so erkannten sie nicht ihre Würde, so daß sie wohl die Eitelkeit vermeiden konnten, aber nur indem sie sich in die Verzweiflung stürzten. Daraus entstehn die verschiednen Parteien der Stoiker und der Epikuräer, der Dogmatisten und der Academiker u.s.w. Die christliche Religion allein hat diese beiden Laster heilen können, nicht das eine durch das andre vertreibend mit irdischer Weisheit, sondern das eine durch das andre vertreibend mit der Einfachheit des Evangelii. Denn sie lehrt die Gerechten, die sie bis zum Theilhaben an der Göttlichkeit selbst erhebt, daß sie in diesem erhabenen Zustande noch mit sich tragen den Keim von alle dem Verderben, durch das sie während des ganzen Lebens dem Irrthum, dem Elend, dem Tode und der Sünde unterworfen sind und sie ruft auch den Gottlosesten zu, daß sie der Gnade ihres Erlösers fähig sind. So, da sie zittern macht welche sie rechtfertigt und tröstet, welche sie verdammt, mäßigt sie die Furcht wie die Hoffnung durch jene doppelte Fähigkeit zur Gnade und zur Sünde, die allen gemein ist, mit solcher weisen Gleichmäßigkeit, daß sie unendlich mehr demüthig als die Vernunft allein es vermag, aber ohne zur Verzweiflung zu bringen und unendlich mehr erhebt als der natürliche Hochmuth, aber ohne auf zu blähen und so zeigt sie uns, daß es ihr, die einzige frei von Irrthum und Sünde ist, allein zukommt die Menschen zu belehren und zu bessern. 6. Wir fassen weder den herrlichen Stand Adams noch das Wesen seiner Sünde, noch die Fortpflanzung derselben bis zu uns. Das sind Dinge, die sich in einem von dem unsern ganz verschiedenen Zustande der Natur zugetragen haben und die unsre jetzige Fassungskraft übersteigen. Auch ist uns das alles unnütz um zu wissen, wie wir aus unserm Elend kommen mögen, und alles, was uns wichtig ist zu wissen, ist, daß wir durch Adam elend sind, verderbt, getrennt von Gott, aber erlöst Jesum Christum, und davon haben wir bewundernswerthe Beweise auf der Erde. 7. Das Christenthum ist seltsam! Es gebeut dem Menschen zu bekennen, daß er böse ist, ja sogar abscheulich und es gebeut ihm zugleich Gott ähnlich sein zu wollen. Ohne ein solches Gegengewicht würde jene Erhebung ihn erschrecklich verworfen machen. Das Elend bringt zu Verzweiflung, die Größe stößt Anmaßung ein. 8. Die Menschwerdung zeigt dem Menschen die Größe seines Elends durch die Größe des Heilmittels, das nöthig gewesen. 9. Man findet in der Christlichen Religion nicht eine Erniedrigung, die uns zum Guten unfähig macht, noch eine Heiligkeit frei vom Bösen. Es giebt keine Lehre, die mehr für den Menschen geeignet wäre als die, welche ihn über seine doppelte Fähigkeit die Gnade zu empfangen und zu verlieren, belehrt; denn er ist der doppelten Gefahr der Verzweiflung und des Hochmuths ausgesetzt. 10. Die Philosophen schrieben nie Gesinnungen vor, die den beiden Ständen gemäß waren. Sie flößten bloß Empfindungen von Größe ein und das ist nicht der Stand des Menschen. Sie flößten bloß Empfindungen von Niedrigkeit ein und das ist eben so wenig der Stand des Menschen. Es bedarf der Empfindungen von Niedrigkeit, nicht aber von Niedrigkeit aus Natur, sondern aus Buße, nicht um darin zu verbleiben, sondern um zur Größe zu schreiten. Es bedarf der Empfindungen von Größe, aber von einer Größe, die aus der Gnade komme und nicht aus dem Verdienst und zwar nachdem der Mensch durch die Niedrigkeit hindurchgegangen. 11. Niemand ist so glücklich wie ein wahrer Christ, niemand so vernünftig, tugendhaft, liebenswürdig. Mit wie wenig Stolz glaubt ein Christ sich vereint mit Gott? Mit wie wenig Wegwerfung stellt er sich dem Wurm der Erde gleich? Wer kann denn sich weigern diesen himmlischen Offenbarungen zu glauben und sie an zu beten? Denn ist es nicht klarer als der Tag, daß wir in uns unauslösliche Züge von Herrlichkeit fühlen? Und ist es nicht eben so wahr, daß wir jede Stunde die Wirkungen unserer beklagenswerthen Lage erfahren? Was ruft uns denn dieses Chaos und diese ungeheure Verwirrung zu, was anders als die Wahrheit dieser beiden Stände und mit einer so mächtigen Stimme, daß es unmöglich ist, ihr zu widerstehen? 12. Was die Menschen zu verhindern zu glauben, daß sie fähig sind eins zu werden mit Gott, ist nichts anders als die Einsicht ihrer Niedrigkeit. Aber haben sie diese recht aufrichtig, so mögen sie sie auch so weit verfolgen als ich und anerkennen, wie diese Niedrigkeit wirklich von der Art ist, das wir aus uns selbst unfähig sind zu erkennen, ob nicht seine Barmherzigkeit uns seiner fähig machen kann. Denn ich möchte wohl wissen, wo dieses Geschöpf, das sich so schwach fühlt, das Recht her hat die Barmherzigkeit Gottes zu messen und ihr Grenzen zu setzen, die seine Phantasie ihm eingiebt. Der Mensch weiß so wenig was Gott ist, als er weiß was er selber ist und ganz verwirrt in der Erkenntniß seines eignen Standes wagt er zu behaupten, daß Gott ihn nicht seiner Gemeinschaft fähig machen könne! Aber ich möchte ihn fragen: ob Gott was anders von ihm verlangt, als daß er ihn liebe und kenne und warum er glaubt, Gott könne sich ihm nicht zu erkennen und zu lieben geben, da er doch von Natur der Liebe und Erkenntniß fähig ist. Denn es ist kein Zweifel: er erkennt wenigstens, daß er ist und daß er was liebt. Also wenn er doch etwas sieht in der Finsterniß, worin er ist und wenn er doch einen Gegenstand der Liebe unter den irdischen Dingen findet, warum, wenn Gott ihm einige Strahlen seines Wesens giebt, soll er nicht fähig sein ihn zu erkennen und ihn zu lieben in der Art, wie es Gott gefällt sich ihm mit zu theilen? Es liegt also ohne Zweifel eine unerträgliche Anmaßung in dieser Art von Urtheilen, obgleich sie gegründet scheinen auf eine scheinbare Demuth, die weder aufrichtig noch vernünftig ist, wenn sie uns nicht dahin bringt zu gestehen, daß wir aus uns selbst nicht wissen, wer wir sind, und es nur von Gott lernen können.. |
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