abcphilde archiv                                                                                                                             manfred herok   2014 

Søren Kierkegaard: Zur Selbstprüfung der Gegenwart empfohlen                                      [1/2/3/4/5]

 

Christus ist der Weg.

(Am Himmelfahrtstage)

Christus ist der Weg. Das sind seine eigenen Worte, so muß es wohl die Wahrheit sein.

Und dieser Weg ist schmal. Das sind seine eigenen Worte, so muß es wohl Wahrheit sein. Ja, ob er es auch nicht gesagt hätte, es würde doch Wahrheit sein. Hier hast Du ein Beispiel davon, was »predigen« im höchsten Sinne ist. Denn ob Christus auch nie gesagt hätte: »die Pforte ist eng, und der Weg ist schmal, der zum Leben führet«, – sieh ihn an, und Du siehst gleich: der Weg ist schmal. Und eine ganz anders stetige und ganz anders eindringliche Verkündigung dessen, daß der Weg schmal ist, ist ja dies, daß sein Leben jeden Tag, jede Stunde, jeden Augenblick ausdrückt: der Weg ist schmal – als wenn sein Leben es nicht ausgedrückt, und er dann einige Male verkündigt hätte: der Weg ist schmal. Du siehst hier zugleich, daß es der größtmögliche Abstand von der wahren Christentums-Verkündigung ist, wenn ein Mann, dessen Leben täglich und stündlich und in jedem Augenblick das Gegenteil davon ausdrückt, etwa eine halbe Stunde lang das Christliche predigt. Eine solche Verkündigung verwandelt das Christliche in sein gerades Gegenteil. In jenem alten Gesang: »Herr Gott, Dich loben wir«, der die verschiedenen Verkündigungen des Wortes nennt, wird daher auch nicht diese Art der Verkündigung genannt, die Erfindung einer späteren Zeit – »wo das Christentum vollkommen gesiegt hat«. Im Gesang heißt es: »Der heiligen zwölf Boten Zahl und die lieben Propheten all«. – Das ist das Außerordentliche: Propheten und Apostel. Nun kommt eine ganze Schar, ein Gewimmel von Menschen – da kommen denn wir beide Du und ich mit, denke ich – ja, höre nur: »Die teuren Märtyrer allzumal loben Dich, Herr, mit großem Schall«. Und dann ist's vorbei. Dies ist die wahre Verkündigung der Lehre, daß der Weg schmal ist; der Verkündiger spottet nicht seiner selbst, wie er es thäte, wenn der Weg, den er selber geht, breit wäre, während er doch (vielleicht gerührt überzeugend, vielleicht nicht ohne Thränen – doch vielleicht fällt es ihm auch nicht schwer, zu weinen!) verkündigt, daß der Weg schmal ist, nämlich nicht der, auf dem er wandelt. Nein, das Leben des Verkündigers drückt die Lehre aus: der Weg ist schmal; es ist nur Ein Weg da, der, auf welchem der Verkündiger wandelt, verkündend, daß »der Weg« schmal ist. Es sind nicht zwei Wege da, ein leichter, gebahnter, auf dem der Verkündiger wandelt, während er verkündet, daß »der Weg« schmal sei, nämlich der wahre Weg, der Weg, auf dem er nicht wandelt, so daß seine Verkündigung die Menschen einladet, Christo auf dem schmalen Wege nachzufolgen, während sein Leben, was natürlich eine weit größere Macht ausübt, sie einlädt, dem Verkündiger aus dem leichten, gebahnten Wege nachzufolgen. Ist das Christentum? Nein, christlich sollen Leben und Verkündigung dasselbe ausdrücken, nämlich dieses: »der Weg« ist schmal.

Und dieser Weg, welcher Christus ist, dieser schmale Weg, ist schmal in seinem Anfange.

Christus wird in Armut und Niedrigkeit geboren! fast wird man versucht, zu denken, es sei nicht ein Mensch, der da geboren wird – er wird in einem Stalle geboren, in eine Krippe gelegt, und, wunderlich genug, wird ihm doch schon als Kind von den Machthabern nachgestellt, so daß die armen Eltern mit ihm flüchten müssen. Das ist in Wahrheit sogar ein merkwürdig schmaler Weg, denn wenn man in Hoheit geboren wird, z.B. als Thronerbe, ja, dann kann es wohl geschehen, daß man den Nachstellungen der Mächtigen ausgesetzt ist; aber in einem Stalle geboren werden – das ist Armut und Dürftigkeit, die drückend genug sein kann; dann pflegt man aber sonst auch von den Nachstellungen der Mächtigen befreit zu sein.

Aber wie er bei der Geburt nicht zur Hoheit bestimmt scheint, so bleibt es auch ungefähr wie es im Anfang war: er lebt in Armut und Niedrigkeit, hat nicht, da er sein Haupt hinlege.

Dies würde wohl schon genug sein, um, menschlich geredet, von einem Wege zu sagen, daß er schmal sei. Und doch ist dies noch das Leichteste auf dem schmalen Weg.

Ganz anders schmal ist der Weg, und gleich von Anfang an. Denn sein Leben ist gleich von Anfang an eine Versuchungsgeschichte; die Versuchungsgeschichte ist nicht bloß ein einzelner Abschnitt aus seinem Leben, vierzig Tage, nein sein ganzes Leben ist, wie es auch Leidensgeschichte ist, so Versuchungsgeschichte. Er ist versucht in jedem Augenblicke seines Lebens – das heißt, er hat die Möglichkeit in seiner Gewalt, mit seinem Beruf, seiner Aufgabe leichtfertig umzugehen. In der Wüste ist Satan der Versucher, sonst sind es andere, welche die Rolle des Versuchers spielen, bald das Volk, bald die Jünger, vielleicht daß auch einmal, besonders im Anfang, die Mächtigen sich darin versucht haben, ihn zu verlocken, seinen Beruf, seine Aufgabe zu einer weltlichen zu machen – und dann wäre er auf die eine oder andere Weise etwas Großes in der Welt geworden, König und Herrscher, – der einzige Wunsch seiner geliebten Jünger, so daß er ja versucht sein konnte, um ihretwillen ein wenig nachzugeben, anstatt sie, menschlich geredet, so unglücklich wie möglich machen zu müssen. Wenn andere mit ungeheurer Anstrengung gleich von Anfang an kämpfen, um Könige, um Herrscher zu werden: er hat mit einer unendlich größeren Anstrengung gleich von Anfang an sich dagegen wehren müssen, daß man ihn nicht zum Könige und Herrscher machte. O, schmaler Weg! Schmal genug, wenn das Leiden unvermeidlich, wenn kein Ausweg da ist: schmaler, wenn in jedem Augenblicke des Leidens ach, und jeder Augenblick war Leiden! die furchtbare Möglichkeit da ist, die ihm fast aufgedrungen wird, diese Möglichkeit, so leicht mehr als Linderung, ja Sieg und alles, was ein irdisches Herz begehren konnte, schaffen zu können! Schmaler Weg, den doch so mancher wahre Nachfolger hat zurücklegen müssen, wenn auch nach einem geringeren Maßstabe! Das allgemein Menschliche ist, danach zu verlangen, für etwas Großes angesehen zu werden; und die allgemeine Fälschung besteht darin, sich für mehr auszugeben, als man ist. Das religiöse Leiden fängt anders an. Durch das Verhältnis zu Gott fühlt der Berufene sich auf die Weise mächtig, daß er nicht gerade von dem Verlangen, für mehr angesehen zu werden, versucht wird. Nein, aber in demselben Augenblicke durchzuckt ihn eine Todesangst; denn er versteht: diese Art Begabung pflegt der sichere Untergang zu sein. Und dann ist die Versuchung die, weniger von sich selber auszusagen, als was wahr ist. Das wird niemand, niemand mit ihm wissen können, außer Gott; und thut er das, dann wartet Freude und Jubel und Herrlichkeit seiner, denn dann siegt er – er soll sich also gerade dagegen wehren, zu siegen. Schmaler Weg!

Der Weg ist schmal gleich von Anfang an; denn er weiß gleich von Anfang an sein Schicksal voraus. O, furchtbares Gewicht des Leidens gleich von Anfang an! Es gab manchen, manchen, der freudig, fast jubelnd in den Kampf mit der Welt ging; er hoffte, er würde siegen. Das geschah nicht, die Sache bekam eine andere Wendung; aber selbst in dem Augenblicke, als es am allermeisten nach unvermeidlichem Untergange aussah, selbst in dem Augenblicke war doch vielleicht in ihm ein menschliches Hoffen, noch könne es sich zum Siege wenden, oder ein frommes Hoffen, noch könne sich alles zum Siege wenden, da bei Gott alle Dinge möglich seien. Aber Christus wußte sein Schicksal von Anfang an, wußte, daß es unvermeidlich war – er wollte es ja selbst, er ging ihm ja selbst frei entgegen! Furchtbares Wissen gleich von Anfang an! Als das Volk, im Anfange seines Lebens, ihm entgegenjubelt, – er weiß in demselben Augenblicke, was es bedeutet; daß es dieses Volk ist, welches »kreuzige!« rufen wird. »Warum will er sich denn mit dem Volke einlassen?« Vermessener, wagst Du so zum Erlöser des Menschengeschlechts zu sprechen? Nun thut er wieder ein Werk der Liebe gegen dieses Volk, und ein anderes war sein ganzes Leben nicht, aber er weiß in demselben Augenblick, was das bedeutet, daß auch dieses Werk der Liebe mit dazu gehört um ihn an's Kreuz zu bringen; hätte er hier sich selbst geliebt und es unterlassen, das Werk der Liebe zu thun, so wäre vielleicht seine Kreuzigung zweifelhaft geworden. »Aber dann hätte er ja das Werk unterlassen können!« Vermessener, wagst Du so zum Heiland der Welt zu sprechen! O, schmaler Weg! Schmaler Weg, den doch so mancher wahre Nachfolger hat zurücklegen müssen, wenn auch nach einem geringeren Maßstabe! Es ist für ein menschliches Herz ein frohes Gefühl, sich zu vergewissern, welche Kräfte ihm verliehen sind. So gibt es einen Augenblick im Anfang, wo der »Berufene« gleichsam seine Kräfte erfaßt, froh und dankbar wie ein Kind für das, was ihm verliehen ward. Und wie ein Kind begehrt er vielleicht noch mehr, doch demütig; und es wird ihm verliehen. Und noch mehr begehrt er, und es wird verliehen. Er wird fast selbst überwältigt, er sagt: »nein, nun begehre ich nicht mehr.« Aber es ist, als wenn eine Stimme da wäre, die zu ihm sagte: »o mein Freund, das ist nur ein geringer Teil von dem, was Dir verliehen ist«. Da erblaßt er, der Berufene, er sinkt fast ohnmächtig zusammen, er sagt: »o mein Gott, ich verstehe; so ist denn mein Geschick schon entschieden, mein Leben dem Leiden geweiht, geopfert. Und das soll ich jetzt schon verstehen können!« Schmaler Weg!

Ja, der Weg ist schmal gleich von Anfang an; denn er weiß gleich von Anfang an, daß er mit seinen Arbeiten sich selbst entgegen arbeitet. O, schmal kann der Weg wohl sein, wo Du nur Erlaubnis bekommst, alle Deine Kräfte zu brauchen, um durchzudringen, so daß der Widerstand von außen kommt; aber wenn Du Deine Kräfte brauchen sollst, um Dir selbst entgegenzuarbeiten: das ist, als ob es unendlich zu wenig gesagt wäre, daß der Weg schmal ist, er ist ja eher unpassierbar, gesperrt, unmöglich, wahnsinnig! Und doch ist der Weg, von dem es gilt, daß Christus der Weg ist, gerade auf die Weise schmal. Denn das Wahre, das Gute, was er will – wenn er es nicht fahren läßt, wenn er mit allen Kräften dafür thätig ist, so arbeitet er sich in den gewissen Untergang hinein. Und anderseits: wenn er zu rasch die ganze Wahrheit einsetzt, so wird sein Untergang zu früh kommen; er muß also, sich selbst entgegenarbeitend, eine Zeitlang scheinen, auf den Sinnenbetrug einzugehen, um sich desto mehr den Untergang zu sichern. Schmaler Weg! Auf dem Wege wandeln, das ist gleich im Anfang schon wie sterben! Allmächtig, gleichsam Allmachts-Kräfte haben; Mensch sein, und somit fähig, alle menschlichen Leiden durchkosten zu können: und dann diese Allmachts-Kräfte brauchen zu sollen, um sich selbst entgegenzuarbeiten, und dies gleich von Anfang an zu wissen – o, gleich von Anfang an schmaler Weg!

Und dieser Weg, welcher Christus ist, dieser schmale Weg wird dann in seinem Fortgang schmäler und schmäler bis zum Äußersten, bis zum Tode.

Er wird schmäler; also er wird nicht nach und nach breiter. Nein, ein Weg, der nach und nach breiter wird, von dem gilt nicht, daß Christus der Weg ist. Ein solcher Weg ist der, auf welchem menschliche Klugheit und Verstand wandeln. Der eine hat vielleicht mehr Klugheit, größeren Verstand, als der andere, vermag daher zu wagen und länger auszuhalten, aber stets gilt, daß Verstand und Klugheit berechnen können, und wenn dann längere oder kürzere Zeit Leiden und Anstrengungen getragen sind, so wird der Weg breiter, und man siegt noch im Leben. Dagegen, auf einem Wege, der schmäler und schmäler wird bis zum Äußersten: auf dem wandeln Klugheit und Verstand niemals: – »das wäre ja Tollheit«.

Doch mag es nun Tollheit oder Klugheit sein, es ist so: der schmale Weg wird schmäler.

»Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden, und was wollte ich lieber, denn es brennete schon!« Das ist ein Seufzer – der Weg ist schmal. Ein Seufzer! Was ist ein Seufzer? Ein Seufzer bedeutet, daß etwas da drinnen eingesperrt ist, etwas, das heraus will, aber doch nicht herauskommen kann oder darf, etwas das Luft haben will; dann seufzt der Mensch und macht sich Luft, um nicht umzukommen, indem er nach Luft schnappt, um nicht umzukommen. Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden, und was wollte ich lieber, denn es brennete schon! Wie soll ich dies Leiden beschreiben! Laß mich's versuchen; aber laß mich gleich im voraus den Versuch widerrufen und sagen, er ist nur ein ohnmächtiges Nichts, falls er das Leiden beschreiben sollte. Denke Dir denn ein Schiff, aber Du kannst es Dir ja unendlich größer denken, als wie es in der Wirklichkeit gesehen wird; denke Dir, um doch etwas zu sagen, daß es hunderttausend Menschen fassen könnte. Es ist in der Kriegszeit, in der Schlacht – und der Plan des Krieges erfordert: es muß in die Luft gesprengt werden. Denke Dir den Befehlshaber, der dies Feuer anzünden soll! Und dies ist doch nur ein elendes, nichtssagendes Bild. Denn was sind hunderttausend Menschen gegen das ganze Geschlecht, und was ist das, einträchtig in die Luft gesprengt zu werden, gegen das Entsetzen bei dem Feuer, das Christus anzünden sollte, und das, sprengend, wider einander erregen sollte Vater und Sohn, Sohn und Vater, Mutter und Tochter, Tochter und Mutter, Schwiegermutter und Schwiegertochter, Schwiegertochter und Schwiegermutter – und wo die Gefahr nicht die des Todes, sondern der Verlust einer ewigen Seligkeit ist! »Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden, und was wollte ich lieber, denn es brennete schon!« Doch der Augenblick, der furchtbare, ist noch nicht da, während der Augenblick vorher doch nicht minder furchtbar ist, wo man seufzt: o, wäre es erst geschehen!

»O, Du ungläubige Art! Wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch dulden?« Das ist ein Seufzen. Es ist, wie wenn der Kranke, nicht auf dem Kranken-, sondern auf dem Totenbette – denn es ist keine leichte Krankheit, er ist aufgegeben! – sich ein wenig aufrichtet, den Kopf vom Kissen aufhebt und sagt: wie viel Uhr ist es? – Der Tod ist das gewisse, die Frage ist nur: wie lange währt es noch? wie viel Uhr ist es? Doch der Augenblick, der furchtbare, ist noch nicht gekommen, während der Augenblick vorher doch nicht minder furchtbar ist, wo der Leidende seufzt; wie lange habe ich noch zu dulden?

So ist er denn zum letztenmal mit seinen Aposteln bei dem Mahle versammelt, das ihn herzlich verlanget hatte mit ihnen zu halten, ehe denn er stürbe. Wehrlos ist er wie immer. Wehrlos. Ja, denn er hätte sich ja doch in einer Hinsicht wehren können. Er hätte – und das wäre eine Milde gewesen, die wir Menschen schon unendlich hätten bewundern müssen – er hätte zu Judas sagen können: bleibe weg, komm nicht zu diesem Mahl, Deine Erscheinung berührt mich schmerzlich. Oder er hätte einen der Apostel bitten können – ohne ihm doch anzugeben, was er von Judas wußte – diesem zu sagen, daß er nicht kommen solle. Aber nein! sie sind alle versammelt. Da spricht er zu Judas: »was Du thust, das thue bald!« Das ist so ein Seufzer. Nur bald! Ein Seufzer, der tief und langsam Atem holt: nur bald! Das lautet, wie wenn einer eine ungeheure Aufgabe zu lösen hat; angestrengt fast über seine Kräfte, fühlt er doch, daß er noch für den nächsten Augenblick Kraft hat – »einen Augenblick länger, und ich bin vielleicht geschwächt, nicht mehr ich selbst« – und darum: nur bald! Was Du thust, thu' es bald!

Dann erhebt er sich vom Tische und geht hinaus in den Garten Gethsemane; da sinkt er hin: o, daß es bald geschehen wäre! Er sinkt hin, dem Tode nahe, ja, war er wohl eigentlich mehr ein Sterbender am Kreuze als in Gethsemane? War am Kreuze das Leiden ein Todeskampf: o, dieser Kampf im Gebet der ging auch an's Leben, war auch nicht ohne Blut, denn sein Schweiß fiel wie Blutstropfen zur Erde!

Dann erhebt er sich gestärkt: Dein Wille geschehe, Vater im Himmel!

Dann küßt er den Judas – hast Du so etwas gehört! – dann wird er ergriffen, angeklagt, verurteilt! Das war ein ordentliches Gerichtsverfahren, das war menschliche Gerechtigkeit! Es war da ein Volk, dem er wohlgethan hatte; er hatte wahrlich nichts für sich gewollt; jeder Tag seines Lebens und jeder Gedanke war ihm geopfert: dies Volk ruft »kreuzige ihn, kreuzige ihn!« Dann war da ein Landpfleger, der sich vor dem Kaiser fürchtete, ein gebildeter Mann, der daher auch nicht die wichtige Sache versäumt, »seine Hände zu waschen« – und dann wurde er verurteilt! O, menschliche Gerechtigkeit! Ja in stillem Wetter, wenn alles seinen ruhigen Gang geht, dann wird so ein wenig Gerechtigkeit geübt; aber jedesmal, wo das Außerordentliche kommt: o, menschliche Gerechtigkeit! O, menschliche Bildung, welches ist wohl eigentlich Dein Unterschied von dem, was Du am meisten verabscheust, der Ungebildetheit, der Roheit der Menge! Daß Du dasselbe thust, wie sie, aber Du achtest auf die Form, es nicht zu thun mit ungewaschenen Händen: o, menschliche Bildung!

Dann wird er an's Kreuz geschlagen – und dann nur noch ein Seufzer, dann ist's vorbei. Ein Seufzer noch, der tiefste, der am meisten Entsetzen erregt: »mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen!« Diese Demütigung ist das Äußerste des Leidens. Du wirst bei seinen Nachfolgern im strengeren Sinne, den Blutzeugen, schwache Andeutungen von ebendemselben finden. Die haben sich auf Gott und auf Gottes Beistand berufen; von allen verlassen haben sie – ja, was Wunder wohl! – sich stark gefühlt durch Beistand. Da kommt zuletzt ein Augenblick, und der Seufzer lautet: »Gott hat mich verlassen; also ihr bekamt recht, ihr meine Feinde, jubelt nun, alles, was ich gesagt habe, war nicht wahr, war Einbildung, nun zeigt es sich: Gott ist nicht mit mir, er hat mich verlassen«. O, mein Gott! Und nun er, der von sich gesagt hatte, er sei der Eingeborene vom Vater, eins mit dem Vater; eins mit dem Vater – aber sind sie eins, wie kann denn der Vater ihn einen Augenblick verlassen! Und doch sagt er: mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen! Also war es ja nicht Wahrheit, daß er eins war mit dem Vater. O, Äußerstes eines übermenschlichen Leidens; o, ein menschliches Herz wäre früher gebrochen, nur der Gott-Mensch mußte dieses Äußerste völlig ausdulden. – Dann stirbt er.

M. Z., denke nun daran, was wir zu Anfang sagten: dieser Weg ist schmal – ist er es nicht? Doch wir gehen weiter; und Christus ist der Weg. Christus ist der Weg: er betritt den Weg: er besteigt den Berg, eine Wolke nimmt ihn auf vor den Augen der Jünger weg, er fuhr gen Himmel – und er ist der Weg.

Vielleicht sagst Du: »ja, und davon sollte heute die Rede sein, nicht, wie Du geredet hast, fast als wenn es ein Stillfreitag wäre.« O, mein Freund, bist Du ein solcher, daß Du genau auf Tag und Stunde in eine bestimmte Stimmung kommen kannst, oder nimmst Du an, das Christentum meine, daß wir so sein sollen, oder nicht vielmehr, daß wir so viel wie möglich die verschiedenen Momente des Christlichen zusammenfügen sollen? Gerade am Himmelfahrtstage muß dessen gedacht werden, daß er der schmale Weg ist; denn sonst könnten wir leicht die Himmelfahrt mißbrauchen. Erinnere Dich, der Weg war schmal bis zum Äußersten, der Tod tritt dazwischen – dann folgt die Himmelfahrt. Es war nicht mitten auf dem Wege, daß er gen Himmel fuhr, es war nicht einmal am Ende des Weges; denn der Weg endigt am Kreuze und im Grabe. Die Himmelfahrt ist nicht geradezu eine Fortsetzung des Vorhergehenden, wahrlich, nein! Und ein schmaler Weg, der doch noch in diesem Leben leichter und leichter wird, der steigt denn auch nie so hoch hinauf, selbst wenn er zu den höchsten Siegen führt, nie so hoch, daß es eine Himmelfahrt wird. Aber jeder Lebende ist ja – wenn er überhaupt auf dem rechten Wege und nicht auf einem Abwege ist – er ist ja auf dem schmalen Wege.

Es soll daher freilich wohl von der Himmelfahrt geredet werden, und davon, daß Christus der Weg ist: o, was die Himmelfahrt betrifft, damit ist so leicht durchzukommen; aber daß wir nur dazu gelangen! und dazu gelangen wir am allerwenigsten dadurch, daß wir nur an die Himmelfahrt denken wollen, ob Du Dich auch erheben lassest durch den Gedanken an seine Himmelfahrt.

Er fuhr gen Himmel: so hat niemals jemand gesiegt! Eine Wolke nahm ihn vor ihren Augen weg: so ist niemals ein Triumphierender von der Erde aufgehoben worden! Sie sahen ihn nicht mehr: so wurde der Triumph sonst nie das Letzte bei jemanden! Er sitzet zur Rechten der Kraft – also der Triumph endigt nicht mit der Himmelfahrt? nein, damit beginnt er: so hat niemals jemand triumphiert! Er kommt wieder mit den Heerscharen der Engel – also der Triumph endigt nicht damit, daß er den Platz zur Rechten des allmächtigen Vaters einnahm? nein, das war nur das Ende des Anfangs: o, ewiger Siegesfürst!

*

M. Z., auf welchem Wege wandelst Du im Leben? Denke an das, was ich zu mir selber sage: nicht von jedem schmalen Wege gilt es, daß Christus der Weg ist, auch nicht, daß er zum Himmel führt.

Ein frommer Mann hat gesagt, daß es den Menschen ebensoviel oder noch mehr Mühe koste, zur Hölle zu fahren, als in den Himmel zu kommen. Es ist also ein schwerer Weg, der des Verderbens; aber Christus ist nicht dieser Weg, und der führt auch nicht zum Himmel. Es ist auf diesem Wege Unruhe und Angst und Qual genug, insofern ist der Weg wahrlich schwer, der Weg zum Verderben; der Weg, der zum Unterschied von den anderen Wegen, von denen wir gesprochen haben (dem Wege, der im Anfang schmal ist, und breiter und breiter wird, und dem schmalen Wege, der schmäler und schmäler wird), daran kenntlich ist, daß er im Anfang so leicht scheint, aber schrecklicher und schrecklicher wird. Denn es geht so leicht, in den Tanz der Lust einzutreten; aber wenn es dann vorwärts geht, und nun die Lust es ist, die mit dem Menschen gegen seinen Willen tanzt: das ist ein schwerer Tanz! Und es ist so leicht, den Leidenschaften den Zügel schießen zu lassen – kecke Fahrt, der man kaum mit dem Auge folgen kann! – bis dann die Leidenschaften, nachdem sie den Zügel genommen haben, der ihnen gegeben ward, in noch keckerer Fahrt – der Mensch selbst getraut sich kaum zu sehen, wohin sie fahren! ihn mit sich reißen! Und es ist so leicht, einem sündlichen Gedanken zu erlauben, sich in's Herz einzuschleichen – kein Verführer war so geschmeidig, wie ein sündlicher Gedanke es ist! es ist so leicht, es gilt hier nicht, wie sonst, daß es der erste Schritt ist, der etwas kostet, o nein, der kostet gar nichts, gerade umgekehrt, der sündliche Gedanke bezahlt teuer für sich, der erste Schritt kostet gar nichts – bis am Schlusse, wo Du teuer diesen ersten bezahlen mußt, der gar nichts kostete; denn ist der sündliche Gedanke hineingekommen, so macht er sich furchtbar bezahlt. Als Schmeichler kommt die Sünde am öftesten in einen Menschen hinein; aber wenn dann ein Mensch der Sünde Knecht geworden ist: das ist die furchtbarste Knechtschaft – ein schwerer, ein ungeheuer schwerer Weg zum Verderben.

Ferner. Es gibt auch andere schmale Wege, von welchen es doch nicht unbedingt gilt, daß Christus der Weg ist, oder daß sie zum Himmel führen. Es gibt menschliche Leiden genug, nur allzu viele, Krankheit und Armut und Verkennung, und wer kann alle diese Leiden nennen! Jeder, der auf einem solchen Wege wandelt, geht ja auch einen schmalen Weg. Wahrlich, wir wollen nicht in hohen Worten reden, als wären diese Leiden für nichts zu achten – aber, mein Freund, Du weißt ja doch selbst, was Christentum ist, und laß mich Dich nur daran erinnern. Das, wodurch der christliche schmale Weg von dem allgemein menschlichen schmalen Wege verschieden ist, das ist: die Freiwilligkeit. Christus war nicht einer, der irdischem Gut nachstrebte, aber mit der Armut sich begnügen mußte: nein, er erwählte die Armut. Er war nicht einer, der nach Ehre und Ansehen vor Menschen trachtete, aber sich damit begnügen mußte, in Niedrigkeit, oder vielleicht als ein Verkannter oder Verläumdeter zu leben; nein, er erwählte die Erniedrigung. Dies ist im strengsten Sinne der schmale Weg. Die allgemein menschlichen Leiden sind nicht im strengsten Sinne der schmale Weg, doch kann der Weg wahrlich schmal genug sein, und Du kannst auch streben, diesen schmalen Weg der menschlichen Leiden christlich zu wandeln. Er führt, wenn Du ihn christlich wandelst, doch zum Himmel, wohin Er, der gen Himmel gefahrene, einging.

Doch ist es wahr, man hat ja an der Himmelfahrt gezweifelt.

Ja, wer hat gezweifelt? Ob einer von denen, deren Leben die Merkmale der »Nachfolge« trug? Einer von denen, die alles verließen, um Christo nachzufolgen? Einer von denen, welchen – und wenn die »Nachfolge« vorhanden ist, folgt auch dieses – die Verfolgung ihr Merkmal aufprägte? Nein, von ihnen niemand. Aber als man die »Nachfolge« abschaffte und dadurch die Verfolgung zu einer Unmöglichkeit machte, was doch in der Gaunersprache, die wir Menschen unter einander reden, nicht wie eine Anklage des Rückschritts lautete, den ein irrendes Jahrhundert im Christentum that, o bewahre, nein, es lautete wie eine Lobrede auf den unvergleichlichen Fortschritt eines aufgeklärten Jahrhunderts in der Toleranz; als man an dem Christsein abließ, so daß das ganze Christsein fast nichts wurde – und dann war denn auch nichts zu verfolgen: da kamen in dem Müßiggang und der Selbstgefälligkeit allerlei Zweifel auf. Und der Zweifel wurde wichtig, wer zweifelt daran; und man wurde sich selber wichtig, indem man zweifelte; wie man einmal, was wir wahrlich nicht billigen, aber doch besser verstehen, sich selber wichtig wurde, indem man all sein Gut den Armen gab, so wurde man nun vermutlich um den wahren Begriff des »Verdienstlichen« an die Stelle des mittelalterlichen Mißverständnisses zu setzen, das man fromm verabscheute, man wurde sich selber wichtig, indem man zweifelte. Und während man an allem zweifelte, war noch eins außer allem Zweifel, daß man durch dieses »man muß an allem zweifeln« sich eine nichts weniger als zweifelhafte, nein, eine äußerst feste Stellung in der Gesellschaft sicherte, zugleich mit großer Ehre und Ansehen vor den Menschen.

Also, einige zweifelten. Aber dann waren wieder einige, die durch Gründe den Zweifel zu widerlegen suchten. Eigentlich ist doch wohl der Zusammenhang dieser: das erste war, daß man durch Gründe das Christentum zu beweisen, oder Gründe für das Christentum anzubringen suchte. Und diese Gründe – sie erzeugten den Zweifel, und der Zweifel wurde der stärkere. Der Beweis für das Christentum liegt nämlich eigentlich in der »Nachfolge«. Die nahm man weg. So fühlte man ein Bedürfnis nach »Gründen«; aber diese Gründe oder dies, daß Gründe da sein sollen, ist schon eine Art des Zweifelns – und dann erhob sich der Zweifel und lebte von den Gründen. Man merkte nicht, daß, je mehr Gründe man anführt, desto mehr nährt man den Zweifel, und desto stärker wird er; dem Zweifel Gründe bieten, um ihn zu töten, heißt gleichsam, einem hungrigen Ungeheuer, welches man loszuwerden wünscht, die wohlschmeckende Speise bieten, die es am meisten liebt. Nein, dem Zweifel soll man nicht – wenigstens nicht, wenn es die Absicht ist, ihn zu töten – Gründe bieten, sondern, wie Luther sagt, ihm gebieten, den Mund zu halten, und zu dem Ende selbst reinen Mund halten und nicht mit Gründen kommen.

Diejenigen dagegen, deren Leben das Merkmal der »Nachfolge« trug, die haben nicht an der Himmelfahrt gezweifelt. Erstens, weil ihr Leben zu angestrengt, zu sehr in täglichen Leiden hingeopfert war, um müßig da sitzen und sich mit Gründen und Zweifeln, gerade oder ungerade, beschäftigen zu können. Die Himmelfahrt stand ihnen fest; aber sie kamen vielleicht sogar seltener dazu, an sie zu denken oder bei ihr zu verweilen – weil ihr Leben so thätig war, und auf dem schmalen Wege. Da ist's, wie mit einem Krieger, der eine prachtvolle Tracht besitzt; er weiß sehr wohl, daß er sie hat, aber er sieht sie fast nie an, denn sein ganzes Leben geht dahin in täglichem Kämpfen und Wagen, und darum hat er eine tägliche Kleidung, um sich recht rühren zu können. Sieh, so waren die, deren Leben das Merkmal der Nachfolge trug, davon überzeugt, daß ihr Herr und Meister gen Himmel fuhr. Und was dazu beitrug, das war wieder die Nachfolge. Alle diese täglichen qualvollen Leiden, die sie tragen mußten, alle diese Opfer, die sie bringen mußten, all dieser Widerstand der Menschen, Hohn und Spott und Schimpf und blutige Grausamkeit, alles dies brachte mit Macht in den »Nachfolgern« den Drang hervor, der, wie die Himmelfahrt die Naturgesetze sprengt oder mit ihnen streitet, das ist ja die Einwendung des Zweifels, so die bloß menschlichen Trostgründe sprengt – wie sollten diese auch Den trösten können, der leiden muß, weil er Gutes thut! –; den Drang, den es nach einer anderen Art von Trost drängt, der nach ihres Herrn und Meisters Himmelfahrt dringt, und gläubig durchdringt zu der Himmelfahrt. So ist's immer mit dem Drang in einem Menschen; Speise geht aus von dem Esser: wo der Drang ist, da bringt er gleichsam selber das hervor, wonach er dringt. Und die Nachfolger, wahrlich die bedurften seiner Himmelfahrt, um das Leben, welches sie führten, auszuhalten – nun, darum ist sie ihnen auch gewiß. Aber einer, der müßig sitzt in guten Tagen oder geschäftig von Morgen bis Abend in geschäftiger Bewegung ist, aber nie etwas um der Wahrheit willen gelitten hat, bedarf ihrer eigentlich nicht, es ist mehr etwas, was er sich einbildet, oder etwas, was er für Geld sich einbilden läßt, es ist fast mehr wie mit einem Kuriosum, daß er sich mit dieser Himmelfahrt beschäftigt – und dann zweifelt er, natürlich, er hat auch keinen Drang; oder er erfindet einige Gründe, oder ein anderer ist so gut, ihm drei Gründe dafür – zu überlassen! nun ja, sein Drang ist denn auch nicht eben groß!

Und nun Du, m. Z., was thust Du? Zweifelst Du an der Himmelfahrt? Wenn das, so thue wie ich, sage zu Dir selbst: ja, von solchem Zweifel macht man nicht viel Aufhebens, ich weiß sehr wohl, woher er kommt, nämlich daher, daß ich mich selbst in Hinsicht der »Nachfolge« geschont haben muß, daß mein Leben in dieser Hinsicht nicht angestrengt genug ist, daß ich zu gute Tage habe, mich selbst vor den Gefahren verschone, die mit dem Zeugen für die Wahrheit und wider die Unwahrheit verbunden sind. Thu' Du nur so! Aber vor allem werde nicht Dir selber wichtig, indem Du zweifelst; es ist – das versichere ich Dir! – auch nicht irgend ein Grund dazu vorhanden, da alles solches Zweifeln eigentlich Selbstanklage ist. Nein, lege Dir selbst und Gotte das Geständnis ab, und Du wirst sehen, eins von beiden wird geschehen, entweder wirst Du bewogen werden, Dich in Hinsicht der »Nachfolge« weiter hinaus zu wagen – und dann kommt die Gewißheit über die Himmelfahrt sogleich; oder Du demütigst Dich, daß Du Dein selbst geschont hast, daß Du ein Altweiberpastor geworden bist, und dann wirst Du Dir wenigstens nicht erlauben, zu zweifeln, sondern demütig sprechen: »will Gott so gnädig sein, mich wie ein Kind zu behandeln, das fast ganz vor den Leiden der »Nachfolge« verschont wird, so will ich wenigstens nicht ein unartiges Kind sein, das obendrein an der Himmelfahrt zweifelt«. O, wenn Du bewundert, geschmeichelt, angesehen, in Überfluß lebst, so bist Du in Versuchung, so manches Wort zu sagen und an so vielem teilzunehmen, was Du doch vielleicht lieber unterlassen möchtest, und wofür Du – denke daran! – doch Rechenschaft ablegen sollst – – und zugleich geht Dir die Himmelfahrt so leicht aus dem Sinn, vielleicht zweifelst Du sogar, wenn Du einmal darüber nachdenkst, und sagst: eine Himmelfahrt, das streitet ja gegen alle Naturgesetze, gegen den Geist – doch wohl nur den Naturgeist! – in der Natur. Aber wenn Du für eine gute Sache – denn sonst nützt es ja nicht, und wenn dem so ist, streitet das Verhältnis ja auch gegen alle bloß menschlichen Begriffe: zu leiden, weil man wohl thut, weil man recht hat, weil man liebevoll ist – wenn Du für eine gute Sache verlassen, verfolgt, verspottet, in Armut lebst: Du wirst sehen, dann zweifelst Du nicht an seiner Himmelfahrt; denn Du bedarfst ihrer. Und nicht einmal so viel ist nötig, um den Zweifel zu hemmen; denn wenn Du Dich nur vor Gott demütigst im Bekenntnis, daß Dein Leben nicht das Merkmal eines Nachfolgers im strengeren Sinne trägt, wenn Du Dich darunter demütigst, so wirst Du Dich nicht vermessen zu zweifeln. Wie solltest Du darauf verfallen können, Dich mit einem Zweifel zu melden, wenn Dir die Antwort werden müßte: gehe erst hin und werde ein Nachfolger im strengeren Sinne, nur ein solcher hat Erlaubnis mitzusprechen – und von ihnen hat keiner gezweifelt.

Apostelgeschichte Kap. 2, V. 1-12.

Und als der Tag der Pfingsten erfüllet war, waren sie alle einmütig bei einander. Und es geschah schnell ein Brausen vom Himmel, als eines gewaltigen Windes, und erfüllete das ganze Haus, da sie saßen. Und man sah an ihnen die Zungen zerteilet, als wären sie feurig, und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen. Und wurden alle voll des Heiligen Geistes, und fingen an, zu predigen mit neuen Zungen, je nachdem der Geist ihnen gab auszusprechen. Es waren Juden zu Jerusalem wohnend, die waren gottesfürchtige Männer, aus allerlei Volk, das unter dem Himmel ist. Da nun diese Stimme geschah, kam die Menge zusammen und wurden bestürzt; denn es hörte ein jeglicher, daß sie mit seiner Sprache redeten. Sie entsetzten sich aber alle, verwunderten sich, und sprachen unter einander: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn ein jeglicher seine Sprache, darinnen wir geboren sind? Parther und Meder und Elamiter, und die wir wohnen in Mesopotamien, und in Judäa und Kappadozien, Pontus und Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten, und an den Enden der Lybien bei Cyrene, und Ausländer von Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie mit unseren Zungen die großen Thaten Gottes reden.

Gebet.

Du heiliger Geist, Du, der Du lebendig machst, segne Du auch diese unsere Versammlung, den Redenden, den Hörenden; frisch vom Herzen soll es mit Deinem Beistande kommen, laß Du es auch zu Herzen gehen!

*

A. Z. Wenn Du achten willst, nicht auf die Rede, die an Festtagen in unseren Kirchen, sondern auf die, welche an den Werktagen, und übrigens auch am Sonntage außen vor unseren Kirchen gangbar ist: Du wirst kaum jemanden finden, der nicht glaube – z. B. an den »Geist der Zeit«. Selbst der, welcher in der Mittelmäßigkeit beglückt, vom Höheren Abschied nahm, ja selbst der, der längst den Rücksichten der Erbärmlichkeit oder dem verächtlichen Dienste schlechten Gewinns fröhnet, selbst der glaubt steif und fest an den Geist der Zeit. Nun; das versteht sich, etwas Hohes ist es eben auch nicht, woran er glaubt, denn der Geist der Zeit ist wohl nicht höher, als die Zeit, bleibt an der Erde, so daß er als Geist wohl zunächst mit den Nebeln des Moors verglichen werden könnte; aber er glaubt doch an Geist. Oder er glaubt an den »Weltgeist«, diesen starken Geist – ja stark in Lockungen; diesen kräftigen Geist – ja, kräftig in Verirrungen; diesen sinnreichen Geist – ja, sinnreich im Betrug; diesen Geist, den das Christentum einen bösen nennt – so daß es denn insofern nicht etwas sehr Hohes ist, woran er glaubt, wenn er an diesen Geist glaubt; aber er glaubt doch an Geist. Oder er glaubt an den »Menschengeist«, nicht den Geist in dem einzelnen, aber den Geist des Geschlechts, diesen Geist, der, wenn er gottverlassen ist, weil er Gott verlassen hat, abermals nach der Lehre des Christentums ein böser Geist ist – so daß es dann insofern nicht etwas Hohes ist, woran er glaubt, wenn er an diesen Geist glaubt; aber er glaubt doch an Geist.

Dagegen, sobald vom Heiligen Geiste die Rede ist, und vom Glauben an einen Heiligen Geist: wie viele, meinst Du, glauben an den? Oder wenn von einem bösen Geiste die Rede ist, dem entsagt werden soll: wie viele, meinst Du, glauben solches? Woher mag das kommen? Vielleicht daher, daß die Sache zu ernst wird, wenn es einen Heiligen Geist gibt? Denn Zeitgeist und Weltgeist u. dgl., davon kann ich reden, daran kann ich glauben, und ich brauche mir nicht gerade etwas Bestimmtes dabei zu denken; das ist nur so ein Geist, aber ich bin ganz und gar nicht durch das gebunden, was ich sage; und nicht gebunden zu sein durch das, was man sagt, ist etwas, worauf man Wert legt; wie oft hört man nicht: ich will wohl das und das sagen, aber ich will nicht durch mein Wort gebunden sein. Aber davon, daß ein Heiliger Geist ist, und vom Glauben an einen Heiligen Geist kann man nicht reden, ohne sich durch sein Wort zu binden, und ferner nicht, ohne sich an diesen Heiligen Geist zu binden, indem man dem bösen Geiste entsagt: dies ist allzu ernst, sowohl daß ein Heiliger Geist ist – o Ernst! – als auch daß, um den Ernst zu sichern, ein böser Geist ist; welch ein Ernst! Ein böser Geist! Ja, der, der an den Zeitgeist, Weltgeist glaubt, der glaubt ja freilich, nach der Meinung des Christentums, an einen bösen Geist; aber dies ist nicht seine Meinung, und insofern glaubt er nicht, daß ein böser Geist ist. Für ihn ist wohl im tieferen Sinne dieser Gegensatz von gut und böse gar nicht vorhanden; lose, wie er ist, oder aufgelöst, ein Zweifler in seinem Glauben, unbeständig in allen seinen Wegen, sich beugend vor jedem Lüftchen der Zeit, ist seines Glaubens Gegenstand von derselben Art: das Luftige, der Geist der Zeit; oder verweltlicht wie er ist in all seinem Dichten und Trachten, ist seines Glaubens Gegenstand und danach: der Geist der Welt.

Aber das Christentum, welches fordert, einem bösen Geiste zu entsagen, lehrt, daß ein Heiliger Geist ist. Und es ist heute dieses Heiligen Geistes Fest in der Kirche, das Pfingstfest, zur Erinnerung an den Tag, da der Geist zum erstenmal über die Apostel ausgegossen wurde. Von diesem Heiligen Geist soll daher heute geredet werden, was wir nun thun wollen, indem wir über das Wort reden:

 

 

 

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