abcphilde archiv                                                                                                                             manfred herok   2014 

Søren Kierkegaard: Zur Selbstprüfung der Gegenwart empfohlen                                  [1/2/3/4/5]

 

Der Geist ist es, der da lebendig macht.

(Am ersten Pfingsttage)

M. Z. Es gibt im Verhältnis zum Christentume nichts, wozu wir Menschen von Natur mehr geneigt sind, als leichtfertig mit ihm umzugehen. Es gibt auch nicht irgend etwas Christliches, nicht eine einzige christliche Bestimmung, die nicht dadurch, daß sie eine kleine Änderung erleidet, indem man eine nähere Mittelbestimmung wegnimmt, etwas ganz anderes würde, etwas, wovon man sagen muß: »dies ist in des Menschen Herz entsprungen« – und dann ist leichtfertig damit umgegangen. Anderseits gibt es nichts, wogegen sich das Christentum mit größerer Wachsamkeit und Sorgfalt gesichert hat, als daß leichtfertig mit ihm umgegangen werde. Es gibt keine, gar keine Bestimmung dessen, was christlich ist, ohne daß das Christentum zuerst als Mittelbestimmung anbringt – den Tod, das Absterben, um dadurch das Christliche vor leichtfertiger Auffassung zu sichern. Man sagt: »das Christentum ist der sanfte Trost, ist die Lehre von dem sanften Trostgrunde« – ja, es läßt sich nicht leugnen, wenn Du nämlich erst sterben, absterben willst; aber das ist nicht so sanft! Man stellt Christum dar, man sagt: »höret seine Stimme, wie sanft einladend er alle zu sich ruft, alle Leidenden, und verheißt, ihnen Ruhe zu geben für ihre Seelen« – und in Wahrheit, so ist es, Gott verhüte, daß ich es etwas anderes sagen sollte; aber doch, doch, ehe diese Ruhe für die Seele Dir zu teil wird, und damit sie Dir zu teil werden könne, wird gefordert, was der Einladende auch sagt, was sein ganzes Leben hier auf Erden alle Tage und alle Stunden ausdrückte, daß Du erst sterbest, absterbest: ist dies so einladend? So auch mit dieser christlichen Verkündigung: der Geist ist es, der da lebendig macht. An welchem Gefühl hängt wohl ein Mensch fester, als am Gefühl des Lebens, was begehrt er stärker und heftiger, als recht das Leben in sich zu fühlen, wovor schaudert ihm mehr, als vor dem Sterben! Aber hier wird ja ein lebendigmachender Geist verkündigt. Also lasset uns zugreifen, wer will sich bedenken, bringe uns Leben, mehr Leben, daß das Lebensgefühl in mir schwellen möge, als wäre alles Leben in meiner Brust gesammelt!

Aber sollte dies wohl Christentum sein, diese schreckliche Verirrung? Nein, nein! Diese Belebung im Geiste, sie ist nicht geradezu eine Erhöhung des natürlichen Lebens in einem Menschen in unmittelbarer Fortsetzung desselben und im Zusammenhange damit – o Gotteslästerung, o schrecklich, so das Christentum leichtfertig mißzuverstehen! – sie ist ein neues Leben. Ein neues Leben, ja, und das ist keine Redensart, wie wenn wir dies Wort von diesem und jenem gebrauchen, jedesmal, wo etwas Neues anfängt, sich in uns zu regen, nein, ein neues Leben, buchstäblich ein neues Leben; – denn, gib wohl acht darauf, der Tod tritt dazwischen, das Absterben; und ein Leben jenseit des Todes, ja, das ist ein neues Leben.

Der Tod tritt dazwischen, das ist die Lehre des Christentums, Du sollst absterben, gerade der lebendigmachende Geist ist es, der Dich tötet, das ist die erste Äußerung des lebendigmachenden Geistes, daß Du absterben mußt – so ist's, damit Du nicht mit dem Christentum leichtfertig umgehest. Ein lebendigmachender Geist: das ist die Einladung: wer wollte nicht gerne zugreifen! Aber erst sterben: das ist die Hemmung!

Der Geist ist es, der da lebendig macht. Ja er macht lebendig – durch den Tod hindurch. Denn, wie in einem alten Gesange steht, der die Überlebenden über den Verlust der Verstorbenen trösten will: »sein Tod ein Gang zum Leben ist«; so gilt es in geistigem Sinne, die Mitteilung des lebendigmachenden Geistes beginnt im Tode. Denke an das Fest des Tages! Es war ja der Geist, der da lebendig macht, der heute über die Apostel ausgegossen wurde – und es war auch wahrlich ein lebendigmachender Geist, das beweist ihr Leben, ihr Tod, davon zeugt die Geschichte der Kirche, die gerade dadurch entstand, daß der Geist, der da lebendig macht, den Aposteln mitgeteilt wurde. Aber wie war ihr Zustand vorher? O, wer hat so lernen müssen, was es heißt, der Welt und sich selber absterben, wie die Apostel! Denn wer hat so große Erwartung gehegt, wie in einem gewissen Sinne die Apostel doch eine zeitlang zu hegen veranlaßt waren; und welche Erwartungen sind so getäuscht worden! Wahr genug, dann kam der Ostermorgen, und Christus erstand aus dem Grabe, und dann kam die Himmelfahrt – aber was dann weiter? Ja, Er war nun in die Herrlichkeit aufgenommen – aber was dann weiter? O, glaubst Du, daß irgend eine menschliche, selbst die kühnste menschliche Hoffnung sich auf die Aufgabe einlassen durfte, die den Aposteln gestellt war? Nein, hier muß jede bloß menschliche Hoffnung verzweifeln. Dann kam der Geist, der da lebendig macht – die Apostel waren ja auch tot, abgestorben jeder bloß menschlichen Hoffnung, jedem menschlichen Vertrauen auf eigene Kräfte oder menschlichen Beistand.

Also zuerst der Tod, zuerst mußt Du jeder bloß menschlichen Hoffnung, jedem bloß menschlichen Vertrauen absterben, Du mußt Deiner Selbstliebe, oder der Welt, absterben; denn nur durch Deine Selbstliebe hat die Welt über Dich Macht, bist Du Deiner Selbstliebe abgestorben, so bist Du auch der Welt abgestorben. Aber es gibt natürlicherweise nichts, woran ein Mensch so fest hängt – ja mit seinem ganzen Selbst! – als an seiner Selbstliebe! O, wenn in der Stunde des Todes Seele und Leib geschieden werden, nicht so schmerzlich ist das, wie bei lebendigem Leibe von seiner Seele geschieden werden zu sollen! Und nicht hängt ein Mensch so fest an diesem Leben der Sinne, wie die Selbstliebe eines Menschen an seiner Selbstliebe festhängt! Laß mich ein Beispiel geben, gebildet nach jenen alten Erzählungen von dem, was ein Mensch in älteren Zeiten an innerlichem Leiden erfahren hat, was unsere unversuchten, klugen Zeiten wohl als eine Fabel, die höchstens einen dichterischen Wert habe, ansehen werden – laß mich ein Beispiel geben, und laß mich dazu das wählen, wovon wir Menschen so oft reden, und was uns so sehr beschäftigt: die Verliebtheit, denn Verliebtheit ist gerade eine der stärksten und tiefsten Äußerungen der Selbstliebe. Also, denke Dir einen Verliebten! Er sah den Gegenstand; so wurde er verliebt; und dieser Gegenstand ward seiner Augen Lust und seines Herzens Begehr! Und er griff danach – er war seiner Augen Lust und seines Herzens Begehr! Und er ergriff ihn, er hielt ihn in seiner Hand – das war seiner Augen Lust und seines Herzens Begehr! Da erging (so ist es in jenen alten Erzählungen) der Befehl an ihn: »laß diesen Gegenstand fahren!« – ach, und er war seiner Augen Lust und seines Herzens Begehr! M. Z., laß uns hier achtgeben, um recht zu sehen, wie tief eingedrungen werden muß, wenn eigentlich die Selbstliebe getötet werden soll. Denn in seinem Elend rief er: »nein, ich lasse diesen Gegenstand nicht fahren und ich kann ihn nicht fahren lassen, o, habe Mitleid mit mir; kann ich ihn nicht behalten, nun, so töte mich, oder laß ihn mir doch wenigstens durch einen anderen genommen werden!« Du verstehst ihn wohl; seine Selbstliebe würde tief genug verwundet werden, indem er des Gegenstandes beraubt würde, aber er fühlte ganz richtig, daß seine Selbstliebe noch tiefer verwundet wird, wenn die Forderung die ist, daß er selbst sich desselben berauben soll. M. Z., laß uns weiter gehen, um das Leiden weiter in die Tiefe zu verfolgen, wenn die Selbstliebe noch williger getötet werden soll; laß uns den »Gegenstand« hinzunehmen. Also dieser Gegenstand, den er begehrte, den er ergriff, in dessen Besitz er ist, seiner Augen Lust, seines Herzens Begehr dieser Gegenstand, den er fahren lassen soll, ach, seiner Augen Lust, ach, seines Herzens Begehr, dieser Gegenstand, laß uns es annehmen, um den Schmerz des Absterbens deutlicher in's Licht zu stellen, dieser Gegenstand ist derselben Meinung, wie er, daß es grausam wäre, sie zu trennen – und er ist es, der es thun soll! Er soll das fahren lassen, dessen keine menschliche Macht ihn zu berauben gedenkt, und welches fahren zu lassen nun doppelt schwer ist; denn, Du kannst Dir's ja so denken, der Gegenstand gebraucht Thränen und Bitten, ruft Lebende und Tote an, beides Menschen und Gott, um ihn zu hindern – und er ist es, der diesen Gegenstand fahren lassen soll! Hier hast Du, wenn er anders um die scharfe Ecke kommt und nicht den Verstand verliert, ein Beispiel des Absterbens. Denn seinen Wunsch, seine Hoffnung nicht erfüllt zu sehen, oder des Ersehnten, des Liebsten beraubt zu werden: das kann schmerzlich genug sein, die Selbstliebe wird verwundet, aber daraus folgt nicht, daß dies ein Absterben sei; und selbst sich versagen zu müssen, ob es denn auch der liebste Wunsch war: das kann schmerzlich genug sein, die Selbstliebe wird verwundet, aber daraus folgt nicht, daß dies ein Absterben sei. Nein, aber selbst seinen erfüllten Wunsch zu nichte machen, selbst sich des Ersehnten berauben sollen, in dessen Besitze man schon ist: das heißt, die Selbstliebe an der Wurzel verwunden, wie sie's bei Abraham wurde, als Gott forderte, daß Abraham selbst, selbst – furchtbar! – mit eigener Hand – o, Schrecken des Wahnsinns! – Isaak opfern sollte, Isaak, die so lange und so sehnsüchtig erwartete Gabe, die aber auch von Gott war wofür Abraham meinte, sein ganzes Leben hindurch danken zu sollen, aber nie genugsam danken zu können, Isaak, sein einziges Kind, seines Alters, der Verheißungen Kind! Glaubst Du, daß der Tod so schmerzen kann? Ich glaube es nicht. Und in jedem Falle, wenn es der Tod ist, so ist es auch vorbei; aber mit dem Absterben ist es nicht so vorbei, denn man stirbt ja nicht, es liegt vielleicht ein langes Leben vor ihm, dem Abgestorbenen.

Dies war das Absterben. Aber ehe der Geist kommen kann, der da lebendig macht, mußt Du erst absterben. O, wenn ich mitunter einen Tag, oder längere Zeit, mich so unaufgelegt, so müde, so untauglich fühle, so – ja, so nennen wir's ja wohl – fast als ob ich tot wäre, dann habe ich auch bei mir selbst geseufzt: o, bringe Leben, Leben ist's, was ich bedarf! Oder wenn ich, angestrengt vielleicht über meine Kräfte, zu entdecken meine, daß ich dies nicht länger ertragen könne; oder wenn es eine Zeitlang gewesen ist, als müßte mir denn auch alles mißlingen, und ich in Mißmut versank: dann habe ich bei mir selbst geseufzt: »Leben, bringe Leben!« Aber daraus folgt noch nicht, daß das Christentum der Meinung ist, daß dies eben das sei, wessen ich bedarf. Gesetzt, es wäre andrer Meinung und sagte: »nein, stirb erst ganz; das ist Dein Unglück, Du hängst doch selbstisch am Leben, an dem Leben, welches Du eine Plage, eine Bürde nennst! stirb ganz!« Ich habe einen Menschen fast verzweifelnd zusammensinken sehen, ich habe auch ihn rufen hören: »bringe Leben, Leben, das ist ärger als der Tod, der dem Leben ein Ende macht, während ich wie tot und doch nicht tot bin!« Nicht ich bin der Strenge; habe ich ein linderndes Wort gewußt, ich bin willig genug gewesen, zu trösten und aufzumuntern. Aber doch, doch, es ist sehr möglich, daß dem Leidenden eigentlich etwas anderes fehlte – daß er härterer Leiden bedurfte. Härtere Leiden! Wer ist der Grausame, der solches zu sagen wagt? Mein Freund, es ist das Christentum, die Lehre, die unter dem Namen des sanften Trostes ausverkauft wird, während es – ja wahrlich! – es ist der Trost der Ewigkeit und für ewig, aber es muß freilich den Menschen etwas hart anfassen. Denn das Christentum ist nicht das, wozu wir Menschen, beides Du und ich, es nur allzu gerne machen wollen, es ist kein Quacksalber. Ein Quacksalber, der steht gleich zu Diensten und wendet gleich das Heilmittel an und verpfuscht alles. Das Christentum wartet, ehe es sein Heilmittel anbringt, es heilt nicht mit Hilfe der Ewigkeit ein jedes kurze kleine Unwohlsein – das ist doch wohl eine Unmöglichkeit, wie es auch ein Widerspruch ist – es heilt durch Hilfe der Ewigkeit und für die Ewigkeit, wenn die Krankheit solcher Art ist, daß die Ewigkeit angebracht werden kann, das heißt Du mußt absterben. Darum ist die Strenge des Christentums, um nicht selbst, wozu wir Menschen es nur allzu gern verwandeln wollen, Geschwätz zu werden, und um nicht Dich im Schwatzen zu bestärken. Und daß dies richtig ist, hast Du doch gewiß auch selbst in kleineren Verhältnissen erfahren. Hast Du nicht selbst erfahren – das habe ich – daß, wenn Du vielleicht anfingst, Dich zu winden und schon sagtest: »ich kann nicht länger«, – und dann den folgenden Tag, dann wurdest Du etwas härter angefaßt, und was dann? dann konntest Du! Wenn die Pferde stöhnen und keuchen, abgearbeitet, wie man meint so, daß sie wohl einer Handvoll Hafer bedürften – aber wenn auf der anderen Seite schon bei eines Augenblicks Stillehalten der schwer beladene Wagen zurückliefe, den Abhang hinunter, und vielleicht Pferde und Kutscher und alles mit sich in den Abgrund risse: ist es dann so grausam vom Kutscher, wenn die Schläge fürchterlich fallen, fürchterlich, wie er's nie über's Herz gebracht hat, zumal das Paar Pferde zu schlagen, die ihm, solches kann ja wohl wahr sein, lieb sind wie sein Augapfel – ist das grausam oder ist es liebevoll? Ist es grausam, wenn Du so willst, grausam zu sein, wenn das unbedingt das Einzige ist, was vom Untergang retten und hindurchhelfen kann? So mit dem Absterben.

M. Z. Dann, dann – dann kommt der lebendigmachende Geist. Wann? Ja, wann dies geschehen ist, daß Du abgestorben bist; denn wie es heißt: »sind wir mit Christo gestorben, so werden wir auch mit ihm leben«, so kann auch gesagt werden: wollen wir mit ihm leben, so müssen wir auch mit ihm sterben. Erst der Tod, dann das Leben, Aber wann? Ja, wenn dies erste geschehen ist: denn mit dem Kommen des lebendigmachenden Geistes ist es wie mit dem des »Trösters«, den Christus den Jüngern verheißt. Wann kommt der Tröster? Er kommt dann, wenn all das Furchtbare, was Christus von seinem Leben vorhergesagt hat, erst gekommen ist, und gleichfalls das Schreckenvolle, was er in betreff des Lebens der Jünger vorhergesagt hat: dann kommt der Tröster. Ob er grade in demselben Augenblick kommt, wird nicht gesagt; nur das wird gesagt, daß es geschieht, wenn dieses erste geschehen, wenn dies Sterben eingetreten ist. So mit dem Kommen des lebendigmachenden Geistes.

Aber er kommt; er betrügt nicht dadurch, daß er ausbleibt. Kam er nicht zu den Aposteln, betrog er sie? Kam er nicht später zu den wahren Gläubigen, betrog er sie und blieb aus?

Nein, er kommt – und er bringt des Geistes Gaben, Leben und Geist.

Er bringt Glauben, »den Glauben«: dies ist nämlich erst im strengsten Sinne Glauben, diese Gabe des Heiligen Geistes, nachdem der Tod dazwischen getreten ist. Denn wir Menschen nehmen es nicht so genau mit den Worten, wir reden oft von Glauben, wo es nicht im strengeren christlichen Sinne Glaube ist. Es ist, je nach der Verschiedenheit der Naturgabe, eine stärkere oder schwächere Unmittelbarkeit jedem Menschen angeboren; je stärker, je kräftiger sie ist, desto länger kann sie gegen einen Widerstand aushalten. Und dieses Aushalten, dieses lebensfrische Vertrauen auf sich selbst, auf die Welt, auf die Menschen, unter anderem auch auf Gott, nennen wir dann Glauben. Aber das ist nicht in streng christlichem Sinne geredet. Glaube ist wider den Verstand; Glaube ist jenseit des Todes. Und als Du starbst oder Dir selbst, der Welt abstarbst, da starbst Du zugleich aller Unmittelbarkeit in Dir selber ab, auch Deinem Verstande. Das heißt: wenn alles Vertrauen auf Dich selbst oder auf menschlichen Beistand, auch, unmittelbar, auf Gott, wenn jede Wahrscheinlichkeit ausgelöscht ist, wenn es finster ist, wie in der finstern Nacht – es ist ja auch der Tod, den wir beschreiben: dann kommt der lebendigmachende Geist und bringt den Glauben. Dieser Glaube, der ist stärker, als die ganze Welt, der hat die Kräfte der Ewigkeit, der ist die Gabe des Geistes von Gott, der ist Dein Sieg über die Welt, in welchem Du mehr als siegst.

Und der Geist bringt demnächst die Hoffnung, die Hoffnung im strengsten christlichen Sinne, diese Hoffnung, welche Hoffnung ist, wo nichts zu hoffen war. Denn in jedem Menschen ist unmittelbar eine Hoffnung; sie kann in dem einen lebensfähiger sein, als in dem anderen, aber im Tode, d. h. wenn Du abstirbst, stirbt jede solche Hoffnung, und verwandelt sich in Hoffnungslosigkeit. In dieser Nacht der Hoffnungslosigkeit – es ist ja der Tod, den wir beschreiben – kommt dann der lebendigmachende Geist und bringt die Hoffnung, die Hoffnung der Ewigkeit. Sie ist Hoffnung, wo nichts zu hoffen war, denn gemäß jenem bloß natürlichen Hoffen war keine Hoffnung mehr. Der Verstand sagt: »nein, es ist keine Hoffnung«; doch Du bist ja Deinem Verstande abgestorben, insofern schweigt er wohl, aber kommt er irgendwann wieder zu Worte, er wird gleich anfangen, wo er aufhielt: »es ist keine Hoffnung« – und er wird wohl dieser neuen Hoffnung, der Gabe des Geistes, spotten; wie die am Pfingstfest versammelten Klugen und Verständigen der Apostel spotteten und sagten: sie sind voll süßen Weins, so wird er über Dich spotten und zu Dir sagen: »Du mußt berauscht gewesen sein, als Du auf so etwas verfallen konntest, wenigstens mußt Du von Verstande gewesen sein« – es liegt auch niemand näher, das zu wissen, als dem Verstande, und es ist übermäßig verständig vom Verstande gesprochen, denn absterben ist ja auch dem Verstande absterben, und die Hoffnung des lebendigmachenden Geistes ist wider die Hoffnung des Verstandes. »Es ist zum Verzweifeln, daß keine Hoffnung ist«, sagt der Verstand, »doch das kann man noch verstehen. Aber daß jenseit von diesem, daß keine Hoffnung ist, noch eine neue Hoffnung sein sollte, ja, die Hoffnung: das ist, so wahr ich der Verstand heiße, das ist Tollheit!« Aber der Geist, der da lebendig macht, was der »Verstand« nicht thut, der sagt und zeuget: »die Hoffnung« ist, wo nichts zu hoffen war. O Du, der Du vielleicht bis zur Verzweiflung in Hoffnungslosigkeit kämpfest, vergebens, um Hoffnung zu finden, ringest: nicht wahr, das ist's worauf Du gleichsam trotzest, daß Du meinst unbedingt, siegreich es selbst einem Kinde, selbst dem dümmsten Menschen einleuchtend machen zu können, daß für Dich keine Hoffnung sei; und es ist vielleicht grade das, was Dich erbittert, daß man Dir widersprechen will. Nun, so vertraue Dich dem »Geiste« an, denn mit dem kannst Du reden, er gibt Dir sogleich recht, er sagt: »ganz richtig, es ist keine Hoffnung, und es ist mir sehr wichtig, daß dies festgehalten werde, denn grade daraus beweise ich, der Geist, daß Hoffnung ist: die Hoffnung ist, wo nichts zu hoffen war«. Kannst Du mehr verlangen, kannst Du Dir eine Behandlung denken, die mehr grade auf Deinen Zustand im Leiden berechnet wäre? Du bekommst recht, dessen bedurftest Du, und Du bedurftest, was Dir auch zu teil wird, verschont zu werden mit all diesem Geschwätz, all diesen so ekelhaften Trostgründen, Du bekommst Erlaubnis – was so wohl thut – ordentlich krank zu werden, in Ruhe vor allen diesen Quacksalbern; Du bekommst Erlaubnis – was den Schmerz endet und die Unruhe stillt – Dich auf die andere Seite umzukehren, um zu sterben, befreit von der unseligen ärztlichen Behandlung derer, die nicht neues Leben bringen können, aber quälerisch streben, Dein Leben zu fristen oder Dich am Absterben zu hindern – und dann bekommst Du noch obendrein »die Hoffnung«, wo nichts zu hoffen war, die Gabe des Geistes!

Endlich bringt der Geist auch: die Liebe. Ich habe anderswo zu zeigen mich bemüht, was man nicht oft genug einschärfen und nie deutlicher genug machen kann, daß was wir Menschen unter dem Namen der Liebe preisen, Eigenliebe ist, und daß, wenn wir darauf nicht achtgeben, das ganze Christentum sich uns verwirrt.

Erst wenn Du der Selbstliebe in Dir und dadurch der Welt abgestorben bist, so daß Du nicht die Welt lieb hast, noch was in der Welt ist, ja nicht einmal einen einzigen Menschen selbstisch liebst – wenn Du in der Liebe zu Gott gelernt hast, Dich selbst zu hassen: erst dann kann von der Liebe die Rede sein, welche die christliche ist. Nach unsern bloß menschlichen Begriffen hängt die Liebe unmittelbar mit unserm Wesen zusammen; wir finden es daher in der Ordnung, daß sie am stärksten ist in den jüngeren Tagen, wo das Herz seine ganze unmittelbare Wärme und Begeisterung hat, wo es sich in Hingebung anderen öffnet, in Hingebung an andere anschließt. Dann finden wir es, ob auch nicht in der Ordnung, so doch dem gewöhnlichen Lauf der Dinge gemäß, daß nach und nach, so wie ein Mensch älter wird, sein Wesen sich weniger an andere anschließt, sich mehr verschließt, sich nicht so empfänglich öffnet, sich nicht so offen hingibt – welches uns auch als eine traurige Folge trauriger Erfahrungen erklärbar scheint. Ach, denn dieses, so sagen wir, dies frohe, liebende, vertrauungsvoll sich öffnende, ganz sich hingebende Herz der Jugend, auch unserer Jugend – wenn dies übrigens ganz so ist – es wurde getäuscht, so oft, so bitter getäuscht; ich mußte in bittern Erfahrungen die Menschen von einer ganz anderen Seite kennen lernen, und daher – also daher ist es! – wurde auch ein Teil der Liebe in meiner Brust ausgelöscht.

O, mein Freund, wie, glaubst Du, haben die Apostel die Menschen kennen gelernt? meinst Du etwa, von der vorteilhaftesten Seite? Wahrlich, wenn irgendwann jemand – doch unter denen, die immer geschäftig sind, viel von diesem warmen, vollen, liebevollen, freundschaftsvollen Herzen der Jugend zu sprechen, findet sich wohl kaum irgend ein solcher – wenn irgend jemand berechtigt gewesen ist, zu sagen: »ich habe die Menschen so kennen gelernt, daß ich weiß, sie verdienen nicht, geliebt zu werden«: so waren es die Apostel Christi! Und das erbittert; es ist so natürlich, zu wünschen, an Menschen etwas finden zu können, was man lieb haben kann, und das ist doch eine billige Bedingung, wenn das, was gesucht wird, das Wohl der anderen, oder, einzig das Wohl der anderen ist. Nichts solches finden, das Gegenteil davon finden, es in einem Maße finden, wie die Apostel: o, das ist um daran zu sterben! Und das thaten die Apostel auch in einem gewissen Sinne: sie starben, alles wurde dunkel um sie her – es ist ja der Tod, von dem wir reden! – als sie die furchtbare Erfahrung gemacht hatten: daß die Liebe in dieser Welt nicht geliebt, daß sie gehaßt, daß sie verspottet, daß sie verspeiet, daß sie gekreuzigt wird, und gekreuzigt, während die richtende Gerechtigkeit ruhig ihre Hände wäscht, und während die Stimme des Volkes laut für den Räuber ist. So schwuren sie denn wohl dieser lieblosen Welt ewige Feindschaft? O ja, in gewissem Sinne, denn Liebe zu Gott ist Haß der Welt, aber im übrigen nein, nein; indem sie Gott liebten um in der Liebe zu bleiben, vereinten sie sich, so zu sagen, mit Gott, um diese lieblose Welt zu lieben – der lebendigmachende Geist brachte ihnen die Liebe. Und so beschlossen die Apostel, dem Vorbilde gleich zu lieben, zu leiden, alles zu ertragen, sich opfern zu lassen, um die lieblose Welt zu erlösen. Und das ist Liebe. Solche Gaben brachte der lebendigmachende Geist den Aposteln am Pfingsttage: o daß der Geist auch uns solche Gaben bringen möchte, wahrlich es thut wohl not in diesen Zeiten!

M. Z., ich habe noch ein Wort, was ich sagen möchte; aber ich will es in eine Darstellung einkleiden, die Dir vielleicht im ersten Augenblick weniger feierlich scheinen wird. Doch thue ich es mit Fleiß und wohlbedachtermaßen, weil ich denke, daß es vielleicht grade so einen wahreren Eindruck auf Dich machen wird.

Es war einmal ein reicher Mann; der ließ im Auslande für teures Geld ein Paar ganz fehlerfreie und ausgezeichnete Pferde kaufen, die er zu seinem eigenen Vergnügen haben und selbst fahren wollte. Dann vergingen ein Jahr oder zwei. Wenn jemand, der früher diese Pferde gekannt hatte, jetzt ihn sie fahren sah, so würde er sie nicht haben wiedererkennen können: ihr Auge war matt und schläfrig geworden, ihr Gang ohne Haltung und Festigkeit, nichts konnten sie vertragen, nichts aushalten, kaum konnte er eine Meile fahren, ohne unterwegs einkehren zu müssen, manchmal blieben sie stehen, grade wenn er am allerbesten saß und fuhr, dazu hatten sie allerlei Launen und Gewohnheiten angenommen, und obwohl sie natürlich Futter im Überfluß bekamen, verloren sie ihr gesundes Aussehen von Tage zu Tage mehr. Da ließ er des Königs Kutscher rufen. Der fuhr sie einen Monat lang: da gab's in der ganzen Gegend kein Paar Pferde, die den Kopf so stolz trugen, deren Blick so feurig, deren Haltung so schön war, kein Paar Pferde, welches so im Laufe aushalten konnte, ob's auch sieben Meilen fortging, ohne daß eingekehrt wurde. Woran lag das? Es ist leicht zu sehen: der Eigentümer, der, ohne Kutscher zu sein, sich damit abgab, den Kutscher zu spielen, der fuhr sie in der Weise, wie sich die Pferde auf's Fahren verstehen; der königliche Kutscher fuhr sie in der Weise, wie sich der Kutscher aufs Fahren versteht.

So mit uns Menschen. O, wenn ich an mich selbst und die Unzähligen denke, die ich kennen gelernt habe, dann habe ich oft mit Wehmut zu mir selbst gesagt: hier sind Anlagen und Kräfte und Voraussetzungen genug – aber der Kutscher fehlt. Längere Zeit hindurch sind wir Menschen von einem Geschlecht zum anderen, wenn ich so sagen darf, um im Bilde zu bleiben, in der Weise gefahren worden, wie sich die Pferde aufs Fahren verstehen, wir sind geleitet, gebildet, erzogen nach den Begriffen der Menschen von dem, was es heiße, Mensch zu sein. Sieh, daher, was uns fehlt: Erhebung und was daraus wieder folgt, daß wir so wenig vertragen können, daß wir sogleich ungeduldig die Mittel des Augenblicks brauchen, und ungeduldig, augenblicklich den Lohn unserer Arbeit sehen wollen, die grade darum so wird, wie sie wird.

Einst war es anders. Es gab eine Zeit, wo es Gott selbst gefiel, wenn ich so sagen darf, Kutscher zu sein, und er fuhr die Pferde in der Weise, wie sich der Kutscher aufs Fahren versteht. O, was vermochte ein Mensch nicht damals!

Denke an den Text des Tages! Da sitzen zwölf Männer, alle der Klasse der Gesellschaft angehörig, die wir den gemeinen Mann nennen. Sie haben Ihn, den sie als Gott anbeteten, ihren Herrn und Meister, gekreuzigt gesehen; wie kann es im entferntesten von jemandem gesagt werden, wie es von ihnen gesagt werden muß, daß sie alles verloren gesehen haben. Es ist wahr, darauf ist er siegreich gen Himmel gefahren, aber damit ist er dann ja auch fort: und nun sitzen sie und warten darauf, daß der Geist ihnen mitgeteilt werde, um dann verflucht von dem kleinen Volke, dem sie angehören, eine Lehre zu verkünden, die den Haß der ganzen Welt gegen sich rege machen wird, – das ist die Aufgabe, diese zwölf Männer sollen die Welt umschaffen, und zwar nach dem ungeheuersten Maßstabe, gegen den Willen derselben. In Wahrheit hier steht der Verstand stille! Schon wenn wir uns jetzt, so lange nachher, eine schwache Vorstellung davon machen wollen: der Verstand steht stille – wenn man anders einen Verstand hat; es ist, als sollte man den Verstand verlieren – wenn man anders einen Verstand zu verlieren hat.

Es ist das Christentum, was hindurch soll. Und diese zwölf Männer, sie zogen es hindurch. Sie waren in einem Sinne Menschen wie wir – aber sie wurden gut gefahren, ja, sie wurden gut gefahren!

Dann kam das folgende Geschlecht. Sie zogen das Christentum hindurch. Sie waren Menschen ganz wie wir – aber sie wurden gut gefahren! Ja wahrlich, das wurden sie! Es war mit ihnen wie mit jenem Paar Pferde, als der königliche Kutscher sie fuhr. Nie hat ein Mensch sein Haupt so stolz in Selbsterhebung über die Welt erhoben, als die ersten Christen es thaten in Demut vor Gott! Und wie jenes Paar Pferde laufen konnte, ob's auch sieben Meilen waren, ohne Halt zu machen, um zu verschnaufen, so liefen diese, sie liefen siebzig Jahre in einem Zuge, ohne aus dem Geschirre zu kommen, ohne daß irgendwo eingekehrt wurde, nein, stolz wie sie waren in Demut vor Gott, sagten sie: »das ist nichts für uns, auf dem Wege zu liegen und zu säumen, wir machen erst Halt – bei der Ewigkeit!« Das Christentum war es, was hindurch sollte! Sie zogen es auch hindurch, ja, das thaten sie; aber sie wurden auch gut gefahren, ja das wurden sie!

O, Heiliger Geist, – wir bitten für uns und für alle – o, Heiliger Geist, Du, der Du lebendig machst; hier fehlt es ja nicht an Anlagen, nicht an Bildung, nicht an Klugheit; eher ist hier wohl dessen zu viel; aber was da fehlt, ist, daß Du das, was uns zum Verderben ist, die Macht, von uns nehmest, und daß Du dann das Leben gebest. Gewiß geschieht es an einem Menschen nicht ohne Schauer des Todes, wenn Du, um die Macht in ihm zu werden, ihm die Macht nimmst: aber wenn selbst Tierwesen in einem spätern Augenblick verstehen, wie gut es doch für sie war, daß der königliche Kutscher die Zügel ergriff, was ihnen gewiß zuerst ein Schaudern verursachte, und wogegen ihr Sinn, aber vergebens, sich empörte – sollte denn nicht ein Mensch bald verstehen können, welche Wohlthat es für einen Menschen ist, daß Du die Macht nimmst, und das Leben gibst!

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Sören Kierkegaard

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