abcphilde archiv                                                                                                                             manfred herok   2014 

Giordano Bruno  De la causa, principio, et uno.                                         1 / 2 / 3 / 4 / 5

Vierter Dialog

POLIINNIO. Et os vulvae nunquam dicit: sufficit. Das heisset, nämlich, natürlich, sintemalen, so zu sagen, die Materie – denn diese ist darunter zu subintelligiren – ersättiget sich niemalen durch Recipirung von Formen. Da nun in diesem Lyceo oder vielmehr Antilyceo niemand anders vorhanden ist: so will ich einsam – ich sage einsam, d.h. eigentlich weniger einsam als irgend jemand in der Welt – auf und ab spazierend mit mir selber einen Dialogum halten. Die Materie also des Fürsten der Peripatetiker und Gouverneurs jenes hocherhabenen Genies, des grossen Makedoniers, nicht weniger als die des göttlichen Platon und anderer, – man benamset sie bald Chaos, bald Hyle, bald Silva, bald Massa, bald Potentia, bald Anlage, bald der Privation Beigemischtes, bald der Sünde Grund, bald das zum Bösen Geordnete, bald das an sich Nichtseiende, bald das an sich nicht Erkennbare, bald das nur per analogiam ad formam Erkennbare, bald tabula rasa, bald das jeder Schilderung Unzugängliche, das Subjectum, Substratum, Substerniculum, bald ein frei Gefild, ein Unendliches, ein unbestimmtes, bald ein prope nihil, bald weder ein Quid noch ein Quale noch ein Quantum, – also nachdem ich mich mit verschiedenen und wechselnden Nomenclaturen, um dieses Wesen zu definiren, zermartert: die Materie wird von denjenigen, welche zum Ziele treffen, ein Weib genennet, kurzum, sage ich, um alle jene Wörtlein in eins zusammenzufassen, sie wird von denen, so die Sache recht ponderiren, ein Femininum betituliret. Und beim Hercules, nicht ohne sehr triftige rationes hat es diesen Senatoribus im Reiche der Pallas gefallen, diese beiden Dinge, die Materiam und das Weib, einander gleich zu setzen. Denn dadurch, dass sie deren Nichtswürdigkeit an sich inne geworden, sind sie zu solcher Wuth und Verbitterung geführt worden, – hier kommt nun ein Color rhetoricus recht zu passe. – O die Weiber! sie sind ein Chaos von Unvernunft, eine Hyle von Ruchlosigkeit, eine Silva von Nichtswürdigkeiten, eine Massa von Unlauterkeit, eine Potentia zu jeglicher Verworfenheit – nun kommt ein anderer Color rhetoricus, so da manche eine Complexio benennen! – Wo ist die Zerstörung Trojas in nicht bloss entfernter, sondern sogar naher Möglichkeit gewesen? In einem Weibe. Was ist das Instrumentum zur Zerstörung Simsonischer Stärke gewesen? jenes Heroensage ich, der mit einem gefundenen Eselskinnbacken der unüberwindliche Triumphator über die Philister geworden? Ein Weib. Wer bezwang in Capua den Ungestüm und die Gewalt des Hannibal, jenes grossen Generals und ewigen Feindes der römischen Republik? Ein Weib. Nun kommt eine Exclamatio! Nenne du mir, du Harfner und Prophet zugleich, den Grund deiner Hinfälligkeit! »Weil mich meine Mutter in Sünden empfangen hat.« Wie, wurdest du, o du unser uralter Protoplast, als du der Gärtner des Paradieses warst und beim Baume des Lebens der Flur pflegtest, so heruntergebracht, dass du dich mit dem ganzen Keime des Menschengeschlechts zum tiefen Pfuhl des Verderbens selber herabgestossen? »Das Weib, welches er mir zugesellet, sie, sie hat mich betrogen.« Ohne Zweifel, die Form sündigt nicht, und von keiner Form kommt der Irrthum her, es wäre denn weil sie mit der Materie copuliret ist. Also es ist die durch das Masculinum bezeichnete Form, die da, weil sie in nähere Beziehung zur Materie, versetzt worden, und in Verbindung oder Verkuppelung mit jener gerathen, mit diesen Worten oder mit dieser Sentenz der Natura naturans antwortet: »Das Weib, das du mir gegeben«, d.h. die Materie, die du mir zur Genossin gegeben, »sie hat mich betrogen«, d.h. sie ist der Fallstrick zu aller meiner Sünde. Betrachte, o betrachte nur du göttliches Ingenium, wie die vortrefflichen Philosophen und scharfsinnigen Zergliederer der Eingeweide der Natur, um uns das Wesen der Materie vollkommen vor Augen zu stellen, keinen passenderen Modum gefunden haben, als uns durch jene Analogie darauf zu führen, welche besagen will, dass der Zustand der Natur durch Einwirkung der Materie derselbe ist, wie der wirthschaftliche, politische und bürgerliche es ist durch das Gezücht der Weiber. Oeffnet, o öffnet die Augen, und.... Ah, ich erblicke jenen Coloss von Grossmauligkeit, den Gervasio, der meiner kraftvollen Rede Faden unterbricht. Ich fürchte, er möge mich belauscht haben. Nun, was thut's?

GERVASIO. Gegrüsset seist du, o Magister, der hochgelahrten Männer vorzüglichster!

POLIINNIO. Wenn du nicht, – wie du pflegest, mich blos verspotten willst, sei auch du gegrüsset.

GERVASIO. Ich möchte wissen, was das bedeutet, dass du da so allein herumspazierst und grübelst?

POLIINNIO. In meinem kleinen Museum studirend bin ich auf jene Stelle des Aristoteles gestossen, libro primo Physicorum, in calce, wo er klar machen will, was die materia prima sei, und zum Spiegel das weibliche Geschlecht nimmt, ich meine dieses widerspenstige, gebrechliche, unbeständige, weichliche, kindische, schändliche, verächtliche, gemeine, verworfene, verkümmerte, unwürdige, verruchte, unheilvolle, nichtswürdige, kalte, missgestaltete, leere, eitle, unbesonnene, thörichte, treulose, träge, widerliche, garstige, undankbare, verstümmelte, verderbte, unvollkommne, unvollendete, unzureichende, verpfuschte, kümmerliche, unerquickliche Geschlecht, diesen Mehlthau, diese Nessel, dies Unkraut, diese Pest, diese Seuche, diesen Tod:

Von der Natur und Gottes Rächerhand

Als schwere Last und Strafe uns gesandt.

GERVASIO. Ich weiss wohl, dass ihr das sagt, mehr um euch in der Kunst des Rhetors zu üben und zu zeigen, wie sprachgewaltig und beredt ihr seid, als weil ihr die Meinung, die ihr in Worten aussprecht, auch wirklich hegtet. Denn bei euch, ihr Herren Humanisten, die ihr euch Lehrer der freien Künste nennt, ist es blosse Gewohnheit, wenn ihr euch voll von solchen Concetti findet, die ihr nicht bei euch behalten könnt, dass ihr sie nirgends anders als über die armen Frauen entladet; wie ihr, wenn euch irgend ein anderer Groll bedrückt, ihn an dem ersten besten Uebelthäter unter euren Schülern auslasst. Aber hütet euch, ihr Herren von Orpheus Art, vor dem wüthenden Zorn der thracischen Weiber.

POLIINNIO. Poliinnio bin ich, ich bin nicht Orpheus.

DICSON. Ihr tadelt also die Weiber nicht aus wahrer Meinung?

POLIINNIO. Woraus denn anders? Ich spreche immer aus wahrer Meinung und denke nicht anders als ich rede; denn ich mache mir nicht nach Sophistenart ein Gewerbe daraus, euch zu beweisen, dass weiss schwarz ist.

GERVASIO. Warum färbt ihr euch denn den Bart?

POLIINNIO. Aber ich spreche frei heraus und sage, dass ein Mann ohne Frau einer der reinen Intelligenzen gleich ist; der ist ein Heros, sage ich, ein Halbgott, wer sich mit keinem Weibe belastet hat.

GERVASIO. Auch einer Auster ist er ähnlich und einem Schwamm ausserdem und eine Trüffel ist er.

POLIINNIO. Deshalb hat der Lyriker so göttlich schon gesagt: »Glaubt, Pisonon, es ist doch eh'los leben das beste.« Und willst du den Grund wissen, so höre den Philosophen Secundus. Das Weib, sagt er, ist ein Hindernis der Kühe, ein beständiger Schaden, ein täglicher Krieg, ein Gefängnis für's Leben, ein Sturm im Hause, der Schiffbruch des Mannes. Das hat auch jener Biscajer bestätigt, der durch ein schreckliches Unglück und die Wuth des Meeres in Ungeduld und Zorn versetzet, mit scheelem und zornigem Gesicht sich zu den Wellen wandte und also sprach: »O Meer, Meer, dass ich dich verheirathen könnte!« Er wollte damit zu erkennen geben, dass das Weib der Sturm der Stürme ist. Darum antwortete auch Protagoras auf die Frage, warum er seine Tochter seinem Feinde gegeben habe, er könne ihm nichts schlimmeres anthun, als ihm eine Frau geben. Ferner wird mich jener französische Ehrenmann nicht Lügen strafen, der, als ihm wie den anderen in der Noth eines gefährlichen Seesturmes von Cicala, dem Schiffsherrn, befohlen wurde, die schwersten Lasten ins Meer zu werfen, zuerst sein Weib hinabwarf.

GERVASIO. Ihr führt als Gegenstück nicht die vielen anderen Beispiele an, von Männern, die sich durch ihre Weiber höchst beglückt geachtet haben. Und um euch nicht auf weit Entferntes zu verweisen, so hat hier unter eben diesem Dach der Herr von Mauvissière eine Frau errungen, die nicht nur mit nicht gewöhnlicher Körperschönheit als Hülle und Kleid der Seele, sondern auch mit dem Dreiklang von klugem Sinn, edler Sittsamkeit und ehrbarer Artigkeit begabt, mit unauflöslichen Banden die Seele ihres Gemahls gefesselt hält und jeden, der sie kennt, für sich einzunehmen vermag. Und was willst du von seiner edlen Tochter sagen? Kaum ein Jahr über ein Lustrum hat sie die Sonne gesehen, und doch konntest du an der Sprache nicht erkennen, ob sie aus Italien, aus Frankreich oder England ist; an ihrer Hand, wenn sie ein musikalisches Instrument spielt, nicht abnehmen, ob sie eine körperliche oder unkörperliche Substanz ist, und wegen der frühzeitigen Lauterkeit ihrer Sitten würdest da zweifeln, ob sie vom Himmel herabgestiegen, oder von der Erde stammt. Jeder sieht, dass in ihr ebensowohl um einen so schönen Körper zu bilden das Geblüt, als um einen so ausgezeichneten Geist hervorzubringen, die Vorzüge des Heldengeistes beider Eltern sich vereinigt haben.

POLIINNIO. Eine rara avis, diese Maria von Boshtel! Eine rara avis, diese Maria von Castelnau!

GERVASIO. Dieses Rarsein, das ihr von den Frauen aussagt, kann man gerade so auch von den Männern sagen.

POLIINNIO. Kurz, um auf besagten Gegenstand zurückzukommen, das Weib ist nichts anderes als eine Materie. Wenn ihr nicht wisst, was ein Weib ist, weil ihr nicht wisst, was Materie ist, so studirt eine Zeit lang die Peripatetiker, welche, indem sie euch lehren, was die Materie ist, euch gleichermaassen lehren werden, was ein Weib ist.

GERVASIO. Ich sehe wohl, dass ihr mit eurem peripatetischen Gehirn wenig oder nichts von dem verstanden habt, was Teofilo gestern über Wesen und Vermögen der Materie gesagt hat.

POLIINNIO. Mit dem andern sei's wie's wolle: ich bleibe dabei, den Appetitum der einen wie der andern als die Ursache alles Bösen, alles Leidens, alles Mangels, alles Untergangs, aller Zerstörung zu tadeln. Glaubt ihr nicht, dass wenn die Materie sich mit der Form begnügte, die sie hat, keine Veränderung und kein Leiden Herrschaft über uns haben, wir nicht sterben, unvergänglich und ewig sein würden?

GERVASIO. Und wenn sie sich mit der Form begnügt hätte, welche sie vor 50 Jahren hatte, was würdet ihr sagen? Würdest du Poliinnio sein? Wenn sie unter der Form, die sie vor 40 Jahren hatte, beschlossen geblieben wäre, würdest du so verwachsen – ich wollte sagen, so erwachsen – so vollkommen und so gelehrt sein? Wie es dir also ganz recht ist, dass die andern Formen dieser gewichen sind, so ist es der Wille der Natur, welche das Universum ordnet, dass alle Formen allen weichen. Ausserdem verleiht es dieser unserer Substanz eine höhere Bedeutung, dass sie jegliches wird, indem sie alle Formen annimmt, als wenn sie eine einzige festhielte und immer nur etwas particuläres wäre. Denn so hat sie nach Möglichkeit Aehnlichkeit mit dem, was alles in allem ist.

POLIINNIO. Du fängst mir an, gelehrt zu werden, und dein gewöhnliches Naturell zu verleugnen. So führe denn, wenn du kannst, das Gleichniss durch, und male die Bedeutung aus, die das Weib besitzt.

GERVASIO. Das wird mir nicht schwerfallen. Doch sieh, da ist Teofilo!

POLIINNIO. Und Dicson. Ein ander Mal also. Genug für jetzt.

TEOFILO. Sehen wir nicht Peripatetiker und auch Platoniker die Substanz in körperliche und unkörperliche eintheilen? Wie nun diese Unterschiede in einer über ihnen stehenden Gattung dem Vermögen nach enthalten sind, so müssen auch die Formen von zwei Arten sein. Die einen nämlich sind transscendent, d.h. sie stehen höher als jeder Gattungsbegriff; diese nennt man Principien, z.B. Wesenheit, Einheit, Eines, Ding, Etwas und dergleichen. Andere gehören einer bestimmten Gattung an und sind von anderen Gattungen unterschieden, wie z.B. Substantialität, Accidentialität. Die Formen der erstgenannten Art setzen keine Unterschiede in der Materie und ertheilen ihr nicht ein Vermögen und dann wieder ein anderes, sondern als allgemeinste Bestimmungen, welche sowohl die körperlichen wie die unkörperlichen Substanzen unter sich befassen, bezeichnen sie das allerallgemeinste, gemeinsamste und einheitliche Vermögen beider Arten von Substanzen. In Anbetracht dessen sagt Avicebron: »Wenn wir doch, bevor wir die Materie der accidentiellen Formen, d.h. das Zusammengesetzte, setzen, die Materie der substantiellen Form, welche ein Theil von jener ist, setzen: was hindert uns, ebenso, bevor wir die bis zu körperlicher Existenzform contrahirte Materie setzen, ein Vermögen anzunehmen, welches die Form der körperlichen und unkörperlichen, der vergänglichen und der unvergänglichen Natur noch ungeschieden in sich befasst?« Ferner, alles was ist, vom höchsten und obersten Wesen an, hält eine bestimmte Ordnung inne und bildet eine Reihenfolge, eine Stufenleiter, auf der man von dem Zusammengesetzten zum Einfachen, von diesem zum Einfachsten und Absolutesten durch Mittelglieder aufsteigt, welche zwischen beiden Extremen liegen, welche beiden analog beide verknüpfen, an beider Natur theilhaben, und in Bezug auf die besondere Beschaffenheit neutrale Wesen sind. Nun ist aber keine Ordnung denkbar, wo nicht ein Gemeinsames wäre, an dem die Verschiedenen Theil haben, kein solches Theilhaben, wo sich nicht ein bestimmter Zusammenhang fände; und wiederum kein Zusammenhang, wo die Verbundenen nicht auf irgend eine Weise an Gemeinsamem Theil hätten. Es muss also nothwendigerweise für alle subsistirenden Dinge ein Princip der Subsistenz geben. Nimm hinzu, dass die Vernunft selber nicht umhin kann, vor jedem von anderm Unterscheidbaren ein noch ungeschiedenes vorauszusetzen; – ich spreche von den Dingen, welche sind; denn Sein und Nichtsein, das beides, meine ich, ist nicht der Sache, sondern nur dem Wort und dem Namen nach verschieden. – Dieses noch Ungeschiedene ist ein allgemeiner Begriff, zu dem die Differenz und unterscheidende Form erst hinzukommt. Und gewiss lässt sich nicht bestreiten, dass wie alles Sinnliche ein Substrat der Sinnenwahrnehmung, so alles Intelligible ein Substrat der Intellectualität voraussetzt. Es muss also auch etwas geben, was dem gemeinsamen Begriffe beider Substrate entspricht. Denn jede Wesenheit gründet sich auf irgend ein Sein, ausgenommen jene oberste Wesenheit, welche mit ihrem Sein identisch ist, weil ihr Vermögen ihre Wirklichkeit, weil sie alles ist was sie sein kann, wie wir gestern gesagt haben. Ferner wenn die Materie nach unsern Gegnern selber kein Körper ist und ihrer Natur nach dem körperlichen Sein vorangeht, was kann sie dann von den Substanzen, die man unkörperlich nennt, so weit entfernen? Auch fehlt es nicht an Peripatetikern, welche sagen: so wie sie sich in den körperlichen Substanzen ein gewisses Etwas formaler und göttlicher Art findet, so muss entsprechend in den göttlichen ein Etwas von materieller Art sein, damit die niedriger stehenden Dinge den höher stehenden sich anschliessen und die Reihe der einen in die Reihe der andern eingreifen könne. Und die Theologen, wenn auch manche von ihnen in der aristotelischen Lehre gross geworden sind, sollten mir dennoch darin nicht beschwerlich fallen, wofern sie wirklich glauben, dass sie mehr auf ihre Schrift, als auf die Philosophie und die natürliche Vernunft verpflichtet sind. »Bete mich nicht an«, sagt einer ihrer Engel zum Patriarchen Jacob, »denn ich bin dein Bruder.« Wenn also der, der da spricht, nach ihrer Auffassung eine intellectuelle Substanz ist und mit seiner Rede bestätigt, dass jener Mensch und er in der Realität eines Substrats sich vereinigen: mag dann auch jeder beliebige formale Unterschied bestehen bleiben, – es ist doch gewiss, dass die Philosophen einen Ausspruch des Orakels dieser Theologen als Zeugniss für sich anführen können.

DICSON. Ich weiss, dass ihr das mit aller Ehrerbietung sagt; denn ihr wisst, dass es euch nicht zukommt, Beweisgründe von solchen Stellen zu entlehnen, die in unserer Messe nicht vorkommen.

TEOFILO. Ganz richtig und wohl bemerkt; aber ich führe es auch nicht als Beweisgrund und Bestätigung an, sondern um so weit ich kann den Gewissensbedenken zu entgehn; denn ich fürchte ebenso sehr, ein Gegner der kirchlichen Lehre zu scheinen, als es zu sein.

DICSON. Verständige Theologen werden uns die Forschungweisen vermittelst des natürlichen Lichtes, so weit sie sich auch erstrecken mögen, immer gestatten, wenn sie sich nur keine definitive Entscheidung gegen die göttliche Autorität herausnehmen, sondern sich ihr zu unterwerfen bereit sind.

TEOFILO. So gerade sind die meinigen gemeint und werden es immer sein.

DICSON. Recht so! fahrt also fort!

TEOFILO. Auch Plotinus sagt im Buche von der Materie, dass es in der intelligiblen Welt, wenn es daselbst eine Menge und Vielheit von Gattungen giebt, neben der Eigenthümlichkeit und dem Unterschiede einer jeden von ihnen auch ein Gemeinsames geben muss. Dieses Gemeinsame vertritt die Stelle der Materie, das Eigenthümliche und Unterscheidende die Stelle der Form. Er fügt hinzu, dass wenn diese Welt eine Nachahmung von jener ist, die Zusammensetzung derselben eine Nachahmung der Zusammensetzung von jener ist. Ferner, wenn diese Welt keine Verschiedenheit hat, hat sie auch keine Ordnung; hat sie keine Ordnung, dann auch keine Schönheit und keine Zier; alles dies hängt an der Materie. Deshalb muss diese höhere Welt nicht nur für ein untheilbares Ganzes, sondern auch für theilbar und unterschieden gehalten werden mit Bezug auf einige ihrer Bedingungen. Die Getheiltheit und Verschiedenheit dieser letzteren aber kann nicht begriffen werden ohne eine zu Gründe liegende Materie. Und sagst du, dass diese ganze Vielheit in einem untheilbaren Wesen sich vereinigt und jeder Art von räumlicher Ausdehnung fremd bleibt, so nenne ich eben das Materie, worin sich so viele Formen vereinigen. Dieses war, bevor es als mannichfach und vielgestaltig vorgestellt wurde, in einer einfachen Vorstellung, und bevor es in der Vorstellung als Geformtes war, war es in derselben als Formloses.

DICSON. Wohl habt ihr in dem, was ihr in der Kürze ausgeführt habt, viele starke Gründe beigebracht, um zu erweisen, dass die Materie ein Einiges ist, ein Einiges das Vermögen, durch welches alles was ist in Wirklichkeit ist, und dass sie mit eben so gutem Grunde den unkörperlichen als den körperlichen Substanzen zukommt, indem jene auf keine andre Weise als diese das Sein haben vermöge des Seinskönnens. Wohl habt ihr auch noch mit andern Gründen, die für den, der sie nur kräftig genug betrachtet und begreift, auch kräftig genug sind, den Beweis geführt. Dennoch möchte ich, wenn nicht behufs der Vollendung der Lehre, doch behufs ihrer Deutlichkeit, dass ihr noch auf andere Weise im einzelnen darlegtet, wie sich in den erhabensten Dingen, – und das sind doch die unkörperlichen, – ein Formloses und Unbestimmtes finde; wie da eben dieselbe Materie sein kann, ohne dass sie doch durch das Hinzutreten der Form und Wirklichkeit gleichfalls Körper heissen; wie ihr da, wo keine Veränderung, kein Entstehen noch Vergehen ist, eine Materie annehmt, die man doch niemals zu einem andern als zu diesem Zwecke angenommen hat; ferner wie wir sagen können, dass die intelligible Natur einfach, und zugleich, dass in ihr Materie und Actus ist. Ich wünsche das nicht um meinetwillen, da mir die Wahrheit einleuchtet, aber für etwaige andere, die widerwilliger und schwieriger sein möchten, wie z.B. Magister Poliinnio und Gervasio.

POLIINNIO. Lasst 'mal sehen !

GERVASIO. Ich nehm's an und danke euch, Dicson, dass ihr auch das Berürftnis derer bedenkt, die nicht den Muth haben zu fordern. So bringt es jenseits der Berge die Höflichkeit bei Tische mit sich; denen, die an zweiter Stelle sitzen, ist es nicht erlaubt, mit den Fingern über das eigene Näpfchen oder den eigenen Teller hinauszulangen, sondern es schickt sich abzuwarten, bis es einem in die Hand gelegt wird, damit man ja keinen Bissen nehme, den man nicht mit einem »Danke schön« bezahlt hätte.

TEOFILO. Ich kann das alles folgendermassen abmachen. Wie der Mensch in Bezug auf seine eigenthümlich menschliche Natur vom Löwen in Bezug auf das Eigenthümliche der Löwennatur verschieden ist, aber in Bezug auf die gemeinsame Natur der lebenden Wesen, auf die körperliche Substanz und anderes ähnliches von ihm ununterschieden und mit ihm eins und dasselbe ist: auf ähnliche Weise ist die Materie der körperlichen Dinge in Bezug auf ihre eigenthümliche Art von derjenigen der unkörperlichen Dinge verschieden. Alles also was ihr mit Bezug darauf anführt, dass sie der constitutive Grund der körperlichen Natur, das Substrat für Veränderungen jeglicher Art und ein Theil der Zusammensetzung sei, das kommt dieser Materie nur in Bezug auf ihre unterscheidende Eigenthümlichkeit zu. Denn eben diese Materie, – ich will mich klarer ausdrücken, – oben das, was gewirkt werden oder sein kann, das ist entweder geworden und existiert vermittelst räumlicher Richtungen und der Ausdehnung des Substrats und vermittelst derjenigen Eigenschaften, welche ihr Sein in der Quantität haben; und das nun wird körperliche Substanz genannt und setzt eine körperliche Materie voraus. Oder es ist zwar geworden, – wenn es nämlich das Sein erst neu empfangen hat –, ist aber ohne jene räumlichen Richtungen, jene Ausdehnung und jene Eigenschaften; und dies heisst dann unkörperliche Substanz und setzt eine entsprechend benannte Materie voraus. So entspricht einem wirkenden Vermögen sowohl von körperlichen als von unkörperlichen Dingen, oder auch einem Sein, einem körperlichen sowohl wie einem unkörperlichen, dort ein körperliches Vermögen, hier ein unkörperliches leidendes Vermögen, und ein Seinkönnen, dort von körperlicher, hier von unkörperlicher Art. Wenn wir also von Zusammensetzung sowohl in der Körperwelt wie in der Welt des Unkörperlichen sprechen wollen, so müssen wir sie in diesem doppelten Sinne auffassen und erwägen, dass in dem Ewigen immer eine Materie unter einer Wirkungsform gedacht wird, dass sie aber in dem Vergänglichen immer bald die ein, bald eine andere in sich schliesst. In jenem hat die Materie alles was sie haben, und ist sie alles was sie sein kann, auf einmal, immer und zugleich; diese hingegen hat es und ist es zu mehreren Malen, zu verschiedenen Zeiten und in bestimmter Aufeinanderfolge.

DICSON. Eine Materie in dem Unkörperlichen gestehen zwar manche zu; aber sie verstehen darunter etwas ganz anderes.

TEOFILO. Der Unterschied sei so gross wie er wolle in Bezug auf die eigenthümliche Bestimmtheit, wonach die eine sich zu Körperlichkeit herablässt, die andere nicht, die eine sinnliche Eigenschaften annimmt, die andere nicht, und wonach jene Materie, welcher die quantitative Bestimmtheit und das Substratsein für solche Eigenschaften, die ihr Sein in räumlicher Ausdehnung haben, widerstrebt, nichts gemein haben zu können scheint mit dem Wesen, welchem keines von beiden widerstrebt. Dennoch sind beide eins und dasselbe, und wie wir öfter bemerkt haben, der ganze Unterschied liegt nur darin, dass die eine zu körperlicher Existenz contrahirt, die andere unkörperlich ist. Grade so ist alles Empfindende eins darin, dass es lebendig ist; aber wenn man dieses Allgemeine zu bestimmten Arten verengert, dann widerspricht es dem Menschen, Löwe zu sein, und diesem Lebendigen, jenes andere zu sein. Dazu füge ich mit deiner Erlaubnis noch Folgendess hinzu. Ihr würdet nämlich einwerfen, dass das, was niemals ist, eher für unmöglich und widernatürlich als für natürlich gehalten werden müsse, und dass man deshalb, da diese Materie niemals als räumlich ausgedehnte gefunden wird, die Körperlichkeit für ihrer Natur widersprechend halten müsse; wenn sich aber das so verhält, so sei es nicht wahrscheinlich, dass beide eine gemeinsame Natur haben, bevor mau sich die eine als zu körperlicher Existenz contrahirt dünkt. Ich füge also hinzu, dass wir dieser Materie ebenso gut die Nothwendigkeit, als, wie ihr möchtet, die Unmöglichkeit aller sich auf die räumliche Ausdehnung beziehenden Wirksamkeit zuschreiben können. Diese Materie, um in Wirklichkeit alles zu sein, was sie sein kann, hat alle Maasse, alle Arten von Gestalten und räumlichen Richtungen, und weil sie sie alle hat, so hat sie keine von allen; denn das, was so viel verschiedenes zugleich ist, kann unmöglich eines von jenen besonderen sein. Es kommt dem, was alles ist, zu, jedes particuläre Sein auszuschliessen.

DICSON. Nimmst du denn an, dass die Materie Wirklichkeit sei? Nimmst du ferner an, dass die Materie in den unkörperlichen Dingen mit der Wirklichkeit zusammenfalle?

TEOFILO. Grade so wie das Seinkönnen mit dem Sein zusammenfällt.

DICSON. Sie unterscheidet sich also nicht von der Form? Teo. In dem absoluten Vermögen und der absoluten Wirklichkeit durchaus nicht, welche deshalb Lauterkeit, Einfachheit, Untheilbarkeit und Einheit im höchsten Grade ist, weil sie auf absolute Weise alles ist. Hätte sie bestimmte räumliche Richtungen, bestimmtes Dasein, bestimmte Gestalt, bestimmte Eigenthümlichkeit, bestimmten Unterschied, so würde sie eben nicht absolut, nicht alles sein.

DICSON. Jegliches also, was irgend eine beliebige Gattung umfasst, ist ein Untheilbares?

TEOFILO. Gewiss; denn die Form, welche alle Qualitäten umfasst, ist keine einzige von ihnen; was alle Gestalten hat, hat keine von ihnen, was alle sinnliche Existenz hat, wird deshalb gar nicht sinnlich wahrgenommen. In höherem Sinne ein Untheilbares ist das, was alles natürliche Sein hat; in noch höherem Sinne das, was alles intelligible Sein hat; im allerhöchsten Sinne das, was alles Sein hat, was es überhaupt geben kann.

DICSON. Nehmt ihr an, dass es nach Analogie dieser Stufenleiter des Seins eine Stufenleiter des Seinkönnens gebe, und dass wie der formale Grund so auch der materielle Grund höher und höher emporsteige?

TEOFILO. Grade so.

DICSON. Tief und hoch zugleich fasst ihr diesen Begriff von Materie und Vermögen.

TEOFILO. Gewiss.

DICSON. Aber diese Wahrheit wird nicht von allen verstanden werden können; denn es ist immerhin schwer, die Art und Weise zu fassen, wie etwas alle Arten von räumlicher Ausdehnung und keine von ihnen, alles formale Sein und keines haben kann. Teo. Seht denn ihr die Möglichkeit ein?

DICSON. Ich glaube, ja; denn ich verstehe ganz wohl, dass die Wirklichkeit, um alles zu sein, nicht etwas bestimmtes sein darf.

POLIINNIO. Non potest esse idem totum et aliquid; so viel capire ich auch davon.

TEOFILO. Also werdet ihr zur Sache auch so viel begreifen können, dass selbst wenn wir die Ausdehnbarkeit im Räume als das Wesen der Materie setzen wollten, ein solcher Begriff keiner Art von Materie widerstreiten würde; aber dass sich wohl eine Materie von einer andern bloss durch die Freiheit von räumlicher Ausdehnung und durch die Gebundenheit an dieselbe unterscheiden würde. Ist sie frei, so steht sie über allen Arten der Ausdehnung und begreift sie alle; ist sie contrahirt, so wird sie von einigen derselben begriffen und existirt unter einigen derselben.

DICSON. Ihr sagt mit Recht, dass die Materie an sich keine bestimmte Ausdehnung im Räume hat, dass sie deshalb als untheilbar aufgefasst wird und die Art ihrer Ausdehnung erst entsprechend der Art von Form erhält, welche sie annimmt. Sie hat eine andere Art von Ausdehnung unter der menschlichen, eine andere unter der Pferdeform, eine andere als Oelbaum und eine andere als Myrthe; bevor sie also unter irgend einer dieser Formen ist, hat sie der Anlage nach alle diese Ausdehnungen, grade wie sie das Vermögen hat, alle jene Formen anzunehmen.

POLIINNIO. Man judiciret jedoch eben derohalben, dass sie gar keine Art von Dimensionibus habe.

DICSON. Und wir sagen, dass sie deshalb keine hat, um alle zu haben.

GERVASIO. Warum zieht ihr den Ausdruck, dass sie sie alle einschliesse, dem andern vor, das sie sie alle ausschliesse ?

DICSON. Weil sie die Ausdehnung nicht wie von aussen aufnimmt, sondern sie wie aus ihrem Schoosse heraufsendet und hervortreibt.

TEOFILO. Sehr gut bemerkt. Uebrigens ist dies eine auch bei den Peripatetikern gewöhnliche Ausdrucksweise, dass sie nämlich alle Wirklichkeit räumlicher Ausdehnung und alle Formen aus dem Vermögen der Materie hervorgehen und abstammen lassen. Dies erkennt zum Theil Averroes an, der, obgleich Araber und des Griechischen unkundig, dennoch innerhalb der peripatetischen Lehre mehr Einsicht hatte als irgend ein Grieche, den wir gelesen haben, und noch mehr verstanden haben würde, wenn er nicht seinem Götzen Aristoteles so sclavisch ergeben gewesen wäre. Er lehrt, die Materie umfasse in ihrer Wesenheit die Ausdehnung in unbegrenzter Weise; er will damit bezeichnen, dass diese sich bald mit dieser Figur und diesen Ausdehnungen, bald mit jener andern Figur und jenen andern Ausdehnungen begränzen, je nachdem die in der Natur vorhandenen Formen wechseln. Aus die ser Auffassung ergiebt sich, dass die Materie sie gleichsam aus sich entlässt, nicht von aussen aufnimmt, Dies meinte zum Theil auch Plotinus, ein Haupt der Platoniker. Dieser unterscheidet zwischen einer Materie der höheren und einer Materie der niedern Dinge und behauptet dann, dass jene alles insgesammt sei und, da sie alles besitze, keiner Veränderung zugänglich sei; diese aber in bestimmter Reihenfolge in Bezug auf ihre Theile zu allem und nach und nach zu immer anderem werde, und deshalb an ihr immer Verschiedenheit, Veränderung und Bewegung erscheine. So ist denn jene Materie niemals formlos, so wenig wie diese es ist; doch beide in verschiedenem Sinne: jene im Momente der Ewigkeit, diese in zeitlichen Momenten; jene auf einmal, diese successiv; jene in unaufgeschlossener, diese in entfalteter Weise; jene als eines, diese als eine Vielheit; jene als Alles und Jegliches, diese in der Einzelheit und Ding für Ding.

DICSON. Ihr wollt also nicht nur aus euren eigenen Principien, sondern auch aus denen der andern philosophischen Schulen erweisen, dass die Materie nicht jenes prope nihil, jenes reine, nackte Vermögen ohne Wirklichkeit, ohne Kraft und Energie sei.

TEOFILO. So ist es. Sie ist nach mir, der formen beraubt und ohne dieselben, nicht so, wie das Eis ohne Wärme, der Abgrund des Lichtes beraubt ist, sondern so, wie eine Schwangere noch ohne ihre Leibesfrucht ist, die sie erst aus sich entlassen und freigeben soll, oder wie die Erde auf dieser Halbkugel in der Nacht ohne Licht ist, es aber durch ihre Umdrehung wiederzuerlangen das Vermögen hat.

DICSON. Da sieht man, wie auch in diesen niedern Dingen, wenn nicht durchaus, doch in hohem Grade die Wirklichkeit mit dem Vermögen zusammenfällt.

TEOFILO. Darüber zu urtheilen, überlasse ich euch.

DICSON. Und wenn dieses niedere Vermögen schliesslich mit dem oberen eins wäre, wie dann?

TEOFILO. Urtheilt ihr! Ihr könnt von hier zu der Vorstellung aufsteigen, – ich meine nicht des allerhöchsten und besten Princips, welches von unserer Betrachtung ausgeschlossen bleibt, – sondern der Weltseele, wie sie die Wirklichkeit von allem und das Vermögen von allem und alles in allem ist. Zugegeben daher, dass es unzählige Individuen gebe: zuletzt ist alles eins, und das Erkennen dieser Einheit bildet Ziel und Grenze aller Philosophie und aller Naturbetrachtung; während die höhere Betrachtung, welche über die Natur hinaus sich erbebt, innerhalb ihres Gebietes bestehen bleibt, die für den der nicht glaubt doch etwas unmögliches und nichtiges ist.

DICSON. Sehr wahr; denn dahin erhebt man sich durch ein übernatürliches, nicht, durch ein natürliches Licht.

TEOFILO. Dasselbe haben diejenigen nicht, welche alles für körperlich halten, entweder für einfache Körper wie den Aether, oder für zusammengesetzte wie die Sterne und was zu ihnen gehört, und welche die Gottheit nicht ausserhalb der unendlichen Welt und der unendlichen Dinge, sondern innerhalb jener und in diesen suchen.

DICSON. Darin allein scheint mir der gläubige Theolog von dem wahren Philosophen unterschieden.

TEOFILO. So denke ich auch. Ich glaube, ihr habt meine Meinung verstanden.

DICSON. Sehr gut, deucht mir; daher schliesse ich aus eurer Rede, dass wir selbst dann, wenn wir die Materie immer nur auf die Naturerscheinungen beschränken und bei ihrer gebräuchlichen Definition, wie sie die landläufige Philosophie beibringt, fest bestehen bleiben, dennoch finden werden, dass sie einen höheren Rang behauptet, als diese ihr zuerkennt. Denn sie gesteht ihr schliesslich doch nichts anderes zu, als die Eigenschaft, Substrat der Formen, ein für die Formen der Natur empfängliches Vermögen ohne Namen, ohne Bestimmtheit, ohne irgend welche Begrenzung, weil ohne alle Actualität zu sein. Dies schien einigen Männern im Mönchsgewande schwierig, welche in der Absicht, diese Lehre nicht etwa zu verklagen, sondern sie zu entschuldigen, der Materie nur eine »entitative« Wirklichkeit zuschreiben, d.h. eine solche, die von dem, was schlechthin nichts ist und in der Natur keinerlei Existenz hat, wie ein Hirngespins oder sonst ein erdichtetes Ding, doch noch verschieden sei. Denn diese Materie hat schliesslich das Sein, und dies genügt ihr so auch ohne bestimmte Beschaffenheit und ohne die Würdigkeit, welche von der bei ihr nicht vorhandenen Actualität abhängt. Aber ihr würdet von Aristoteles Rechenschaft verlangen: Warum nimmst du, o Fürst der Peripatetiker, lieber an, dass die Materie nichts sei, weil sie keine Wirklichkeit habe, als dass sie alles sei, weil sie alle Arten der Wirklichkeit hat, habe sie nun dieselben in verworrener oder verworrenster Weise in sich, wie es dir gefällig ist? Bist du nicht eben der, der immer, wenn er von dem Entstehen der Formen in der Materie oder von der Erzeugung der Dinge spricht, behauptet, dass die Formen aus dem Innern der Materie hervorspriessen und frei werden, und den man niemals sagen hörte, dass sie vermittelst der bewirkenden Ursache von aussen kommen, sondern dass diese sie aus dem Innern hervorlocke? Ich sehe davon ab, dass du die bewirkende Ursache derjenigen Erscheinungen, die du mit gemeinsamem Namen Natur nennst, doch zu einem innern, und nicht zu einem äussern Princip machst, wie es bei den durch die Kunst erzeugten Dingen der Fall ist. In dem Falle nun, scheint mir, muss man ihr jede Form und Wirklichkeit bestreiten, nämlich wenn sie sie von aussen aufnimmt; in dem Falle, scheint mir, muss man sie ihr alle zuschreiben, wenn sie sie alle aus ihrem eigenen Schoosse hervortreiben soll. Bezeichnest nicht grade du, wenn nicht durch die Vernunft gezwungen, doch durch die Gewohnheit im Sprechen getrieben, bei der Begriffsbestimmung der Materie dieselbe vielmehr als das, aus dem jede natürliche Art entspringt, als dass du jemals gesagt hättest, sie sei das, an dem alles wird, wie man sich doch ausdrücken müsste, wenn die Arten der Wirklichkeit nicht aus ihr hervorgingen und sie sie folglich auch nicht in sich hätte?

POLIINNIO. Freilich pflegt Aristoteles mit den Seinigen zu sagen, dass die Formae vielmehr aus der Potentia der Materia educiret, als in dieselbe induciret werden, dass sie vielmehr aus ihr emergiren, als in selbige ingeriret werden: aber ich möchte behaupten, dass es dem Aristoteles beliebet hat, als Actus vielmehr die Explicatio der Form und nicht die Implicatio derselbigen zu bezeichnen.

DICSON. Und ich sage, dass etwas ausdrückliches, sinnlich wahrnehmbares und entfaltetes zu sein, nicht der wesentliche Grund der Wirklichkeit, sondern nur etwas aus ihr folgendes und durch sie bewirktes ist, sowie das Wesen des Holzes und der Grund seiner Wirklichkeit nicht darin besteht, dass es Bett ist, sondern darin, dass es von einer solchen Substanz und Beschaffenheit ist, dass es Bett, Bank, Balkon, Götzenbild und jegliches sein kann, was aus Holz geformt wird. Nicht davon zu reden, dass aus der Materie der Natur alle natürlichen Dinge auf höhere Weise entstehen als aus der Materie der Kunst alle künstlichen Dinge. Denn die Kunst ruft aus der Materie die Formen hervor entweder durch Wegnahme, wie wenn man aus dem Steine eine Steine macht, oder durch Hinzufügung, wie wenn man ein Haus baut, indem man Stein zu Stein und Holz zu Erde zusammenfügt. Die Natur hingegen macht aus ihrer Materie alles auf dem Wege der Scheidung, der Geburt, des Ausfliessens, wie es die Pythagoreer, wie es Anaxagoras und Demokritus sich dachten und die Weisen Babyloniens bestätigten, deren Meinung auch Moses sich anschloss. Denn wenn er die von der universellen bewirkenden Ursache befohlene Erzeugung der Dinge beschreiben will, drückt er sich folgendermaassen aus: »Es bringe die Erde ihre Thiere hervor«; »es bringen die Gewässer die lebenden Seelen hervor«; als ob er sagen wollte: es bringe sie die Materie hervor. Denn ihm zufolge ist das Materialprincip der Dinge das Wasser. Deshalb sagt er, dass die wirkende Vernunft, die er Geist nennt, über den Wassern schwebte, d.h. ihnen hervorbringende Kraft mittheilte und aus ihnen die natürlichen Formen erzeugte, die er hernach alle ihrer Substanz nach Gewässer nennt. Deshalb sagt er, von der Scheidung der niederen und höheren Körper sprechend, die Vernunft habe Gewässer von Gewässern geschieden, und aus deren Mitte lässt er das Trockene erschienen sein. Alle wollen also, dass die Dinge aus der Materie auf dem Wege der Scheidung und nicht auf dem der Hinzufügung und der Aufnahme von aussen kommen. Deshalb müsste man vielmehr sagen, dass die Materie die Formen enthält und einschliesst, als sich vorstellen, sie sei derselben baar und schliesse sie aus. Weil sie also entfaltet, was sie unentfaltet enthält, darum muss man sie ein Göttliches, die gütigste Ahnfrau, die Gebärerin und Mutter der natürlichen Dinge, ja der Substanz nach die ganze Natur selber nennen. Nicht wahr, das behauptet ihr und das ist eure Meinung, Teofilo?

TEOFILO. Grade dies.

DICSON. Ja, ich wundere mich sehr, dass unsere Peripatetiker die Analogie der Kunst nicht weiter durchgeführt haben. Aus vielen Materien, die sie kennt und behandelt, erachtet die Kunst diejenige für besser und werthvoller, welche weniger der Zerstörung ausgesetzt und hinsichtlich der Dauer beständiger ist, und aus welcher sich mehr Dinge erzeugen lassen. Deshalb gilt derselben Gold für etwas edleres als Holz, Stein und Eisen, weil es der Zerstörung weniger ausgesetzt ist, und weil seiner Schönheit, Beständigkeit, Formbarkeit und Vortrefflichkeit wegen dasselbe was aus Holz und Stein auch aus Gold gemacht werden kann, aber noch vieles andere ausserdem und zwar Grösseres und Besseres. Was sollen wir also von jener Materie sagen, aus der der Mensch, das Gold und alle Dinge der Natur gebildet werden? Muss sie nicht für werthvoller erachtet werden als die Materie der Kunst, und eine höhere Art von Wirklichkeit besitzen? Warum denn, o Aristoteles, willst du nicht, dass das, was aller Wirklichkeit, ich meine alles wirklich Existirenden, Fundament und Träger ist, und was nach dir immer ist, was ewig dauert: warum willst du nicht, dass dies in höherem Sinne wirklich sei als deine Formen, deine Entelechien, die da kommen und gehen? Wenn du doch diesem Formalprincip gleichfalls Dauer zusprechen wolltest ...

POLIINNIO. Weil es nothwendig ist, dass die Principia ewiglich permaniren.

DICSON. ... zu den phantastischen »Ideen« Platos, die dir doch so sehr zuwider sind, kannst du doch deine Zuflucht nicht nehmen – so würdest du also entweder zu der Erklärung gezwungen oder genöthigt sein, diese specifischen Formen hätten ihre dauernde Actualität in der Hand der bewirkenden Ursache – und so kannst du nicht sagen, da gerade du die wirkende Ursache als diejenige fasst, die die Formen aus dem Vermögen der Materie selber erweckt und auslöst, – oder zu der andern, sie hätten ihre dauernde Wirklichkeit im Schooss der Materie, – und so allerdings wirst du nothwendigerweise sagen müssen. Denn alle Formen, die nur gleichsam auf ihrer Oberfläche erscheinen, – du nennst sie individuell und in actu, – sowohl die, welche waren, als die, welche sind und sein werden, sind vom Princip gesetzt, nicht selbst Principien. Und gewiss, ich glaube, dass die particuläre Form gerade so auf der Oberfläche der Materie erscheint, wie das Accidens auf der Oberfläche der zusammengesetzten Substanz. Deshalb muss im Vergleich zur Materie die in ihr ausgeprägte Form eben so eine geringere Art von Actualität haben, wie die accidentielle Form eine geringere Art von Actualität hat im Vergleich mit der zusammengesetzten Substanz.

TEOFILO. In der That, es ist eine armselige Entscheidung des Aristoteles, wenn er übereinstimmend mit allen antiken Philosophen behauptet, die Principien müssten ewige Dauer haben, und dann, – wenn wir in seiner Lehre suchen, wo denn nun die natürliche Form, welche auf dem Rücken der Materie hin und her fluthet, ihre beständige Dauer habe, so werden wir sie nicht in den Fixsternen finden, – denn diese Einzelwesen, die wir sehen, steigen nicht aus ihrer Höhe herab, – nicht in den ideellen von der Materie getrennten Typen – denn diese sind jedenfalls, wenn nicht Missgeburten, schlimmer als das, ich meine Hirngespinste und leere Einbildungen, Wie also? Sie sind im Schoosse der Materie. Und dann? Die Materie ist also die Quelle der Actualität. Wollt ihr, dass ich euch noch mehr sage, und euch zeige, in welchen Abgrund von Absurdität Aristoteles gerathen ist? Er behauptet, die Materie sei dem Vermögen nach. Fragt ihn also, wann sie in Wirklichkeit sein werde. Der grosse Haufe wird mit ihm selbst antworten: Wenn sie die Form haben wird. Nun fahre fort und frage weiter: was ist denn das, was nun sein Sein neu bekommen hat? Sie werden sich selber zum Trotz antworten: Das Zusammengesetzte und nicht die Materie; denn diese ist immer sie selber, sie erneut, sie verändert sich nicht; wie wir bei den durch Kunst erzeugten Dingen, wenn aus Holz eine Statue gemacht worden ist, nicht sagen, dass dem Holze ein neues Sein zu Theil wird, – denn es ist jetzt um nichts mehr oder weniger Holz, als es dies früher war; – sondern was Sein und Wirklichkeit empfängt, ist das was erst neu hervorgebracht wild, das Zusammengesetzte, d.h. die Statue. Nun denn, wie könnt ihr dem die Möglichkeit zuschreiben, was niemals in Wirklichkeit sein oder Wirklichkeit haben wird ? Also nicht die Materie ist im Zustande des Vermögens oder des Seinkönnens; denn sie ist immer dieselbe und unveränderlich, und sie ist das, in Bezug auf welches und an welchem die Veränderung geschieht, nicht selber das, was sich verändert. Das was sich verändert, sich vermehrt und vermindert, den Ort wechselt, untergeht, ist nach euch, den Peripatetikern selber, immer das Zusammengesetzte, niemals die Materie; warum also sagt ihr, die Materie sei jetzt dem Vermögen, jetzt der Wirklichkeit nach? Sicher darf niemand zweifeln, dass sie weder durch Annahme der Formen, noch durch Entlassen derselben aus sich, in Bezug auf ihre Wesenheit und Substanz, weder eine grössere noch eine geringere Art von Wirklichkeit empfängt, und dass deshalb keinerlei Grund ist, weshalb man sagen könnte, sie sei dem Vermögen nach. Dies passt vielmehr auf das, was an ihr in beständiger Bewegung ist, nicht auf sie, die in ewiger Ruhe, ja vielmehr die Ursache der Ruhe ist. Denn wenn die Form ihrem fundamentalen und specifischen Sein nach von einfacher und unveränderlicher Wesenheit ist, nicht nur in logischem Sinne in der Vorstellung und dem Begriff, sondern auch in physischem Sinne in der Natur, so wild sie in der beständigen Anlage der Materie sein müssen; diese aber ist ein von der Wirklichkeit ununterschiedenes Vermögen, wie ich es auf viele Weisen dargelegt habe, indem ich von dem Vermögen so viele Male gehandelt habe.

POLIINNIO. Ich bitt' euch, sagt nun auch etwas von dem Appetitus der Materia, damit wir über einen gewissen Streit zwischen mir und Gervasio eine Resolution gewinnen.

GERVASIO. Ich bitt' euch, thut's, Teofilo; denn dieser hat mir den Kopf mit der Analogie zwischen dem Weib und der Materie wüst gemacht; das Weib ersättige sich eben so wenig an Männern, als die Materie an Formen, und in dem Stile weiter.

TEOFILO. Wenn doch die Materie nichts von der Form empfängt, warum nehmt ihr denn an, dass sie etwas begehre? Wenn sie, wie wir gesagt haben, die Formen aus ihrem Schooss entlässt, und folglich dieselben in sich hat, wie wollt ihr, dass sie sie begehre? Sie begehrt nicht jene Formen, die sich täglich auf ihrem Rücken andern. Denn jedes wohl eingerichtete Ding begehrt das, wovon es eine Förderung empfängt. Was kann ein vergängliches Ding einem ewigen geben? ein unvollkommnes, wie es die immer in Bewegung befindliche Form der sinnenfälligen Dinge ist, einem anderen so vollkommnen, dass es, recht aufgefasst, etwas göttliches in den Dingen ist? Dies letztere vielleicht wollte David von Dinanto sagen, den einige, die über seine Meinung berichten, übel verstanden haben. Sie begehrt sie nicht, um von jener in ihrem Sein erhalten zu worden; denn das Vergängliche erhält nicht das Ewige; vielmehr erhält offenbar die Materie die Form. Deshalb muss manche Form vielmehr die Materie begehren, um Dauer zu erlangen; denn wenn sie sich von jener trennt, verliert sie das Sein und nicht jene, die alles das hat, was sie hatte, bevor jene da war, und die auch andere haben kann. Ausserdem, wenn die Ursache der Zerstörung angegeben wird, so sagt man nicht, dass die Form die Materie flieht oder verlässt, sondern vielmehr dass die Materie diese Form abwirft, um eine andere anzunehmen. Ueberdies haben wir nicht besseren Grund zu sagen, dass die Materie die Formen begehre, als im Gegentheil dass sie sie hasse; – ich spreche von denen, die entstehen und vergehen. – Denn die Quelle der Formen kann nicht begehren, was in ihr ist, da man doch nicht begehrt, was man schon besitzt; denn mit eben so gutem Grunde, wie man sagt, dass sie das begehrt, was sie manchmal empfängt oder hervorbringt, kann man auch sagen, wenn sie abwirft und beseitigt, dass sie es verabscheut, ja viel mächtiger verabscheut, als begehrt, da sie doch diese einzelne Form, die sie für kurze Zeit festgehalten hat, für ewig abwirft. Wenn du dich also dessen erinnerst, dass sie so viele Formen als sie annimmt, auch abwirft, so musst da mir gleicherweise auch erlauben zu sagen, dass sie einen Widerwillen gegen sie hat, wie ich dich sagen lasse, dass sie eine Sehnsucht nach ihnen hat.

GERVASIO. Nun sieh, da lägen ja die Festungen nicht nur des Poliinnio, sondern auch anderer Leute als er zu Boden.

POLIINNIO. Parcius ista viris!

DICSON. Wir haben für heute genug gelernt. Auf Wiedersehn morgen!

TEOFILO. Lebt denn wohl!

 

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